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#61

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 05.09.2012 21:12
von Lisadill • 744 Beiträge

Landfrieden
Der Historiker Götz Aly setzt in seiner Dienstag-Kolumne für die beiden DuMont-Zeitungen Frankfurter Rundschau / Berliner Zeitung das Absägen einer Eiche in Rostock mit Gewalt gegen Juden und Ausländer gleich:

Vergangene Woche ereigneten sich drei verschiedenartige Angriffe auf dasselbe lebenswichtige Rechtsgut: den Landfrieden. In Rostock-Lichtenhagen sägten Linksradikale die von nichtradikalen, aber demokratischen Rostockern frisch gepflanzte Friedenseiche ab (Grund: »Symbol für Deutschtümelei«); in Berlin schlugen vier Jugendliche offenbar arabischer Herkunft einen Rabbiner mit halb verdeckter Kippa nieder (Grund: »Jude«); in Zwickau fielen zehn junge Männer im Tanzcafé Eden ein, grölten »Heil Hitler!« und verprügelten einen Iraner und den Türken Hakki Gönce, der mit erheblichen Verletzungen im Krankenhaus liegt (Grund: »Kanaken raus!«). Obwohl in allen drei Fällen zahlreiche Mitwisser und Zeugen vorhanden sind, tappt die Polizei hier wie dort im Dunkeln. (…)

Die Untaten von Rostock, Berlin und Zwickau weisen Unterschiede in den Zielen auf und, was Rostock betrifft, in der Wahl des Mittels, aber einiges haben sie gemein. Die Täter verletzten mehrere Grundrechte anderer. Sie agierten in Gesinnungsgemeinschaften und aus weltanschaulichen Motiven. Ihre aggressiven Akte verübten sie nicht gegen Individuen, mit denen ein spezieller Streit entstanden war, sondern gegen Angehörige einer als feindlich oder als andersdenkend angesehenen Gruppe. Damit schädigten sie das auf zivile Konfliktregelung bedachte Zusammenleben aller. Sie förderten den Großgruppenhaß, der ein Gemeinwesen dauerhaft unterhöhlen kann.

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#62

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 10.09.2012 21:57
von Lisadill • 744 Beiträge

Jetzt ermittelt auch der politische Staatsschutz«
Bremens Polizei versuchte offenbar, einen Brandanschlag zu bagatellisieren – Täter waren wahrscheinlich Rechtsextreme. Gespräch mit Rolf Gössner
Interview: Gitta Düperthal

Unser Gesprächspartner
Rechtsanwalt Rolf Gössner ist parteiloser Vertreter der Bremischen Bürgerschaftsfraktion Die Linke in der Innendeputation – dem Innenausschuß
Sie kritisieren das Verhalten der Polizei nach dem Brandanschlag auf das Haus einer türkischen Familie am 28. Juli in Bremen-Woltmershausen und haben den Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) aufgefordert, einen Bericht dazu vorzulegen. In der Bürgerschaftssitzung am heutigen Dienstag soll diskutiert werden, warum die Polizei rassistische Verbrechen bagatellisiert. Wie gravierend ist das polizeiliche Fehlverhalten?


Die Polizei ist zunächst in öffentliche Kritik geraten, weil sie die Medien erst am zweiten Tag nach dem Brandanschlag und erst auf Nachfrage der Presse informiert hat. Dabei sprach sie etwa »von nachbarschaftlichen Problemen«, obgleich doch auf Grund der skandierten »Ausländer raus«-Rufe und Parolen wie »Sieg Heil« das rassistische Motiv der mutmaßlichen Gewalttäter offenkundig ist. All das haben Zeugen bestätigt. Weiterhin sah sich die achtköpfige Familie, der der Brandanschlag galt, nicht hinreichend geschützt, nachdem die Täter an jenem Tag gegen vier Uhr morgens einen mit brennbarer Flüssigkeit getränkten Stofflappen in die Eingangstür gelegt und angezündet sowie die Scheibe der Tür eingeschlagen hatten.
Welche Folgen hat das von Ihnen beschriebene Polizeiverhalten für die betroffene Familie?


Die Eltern haben berichtet, sie hätten Angst um ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder gehabt. Ob die Polizei in dieser Nacht die Familie ausreichend geschützt hat, ist fraglich. Sie ist zwar nach einem Anruf der Familie erschienen; soll dort aber gesagt haben: »Stellen Sie einen Eimer Wasser hin, falls wieder etwas passiert«. Was im Detail vorgefallen ist, muß noch ermittelt und aufgeklärt werden,
Sie meinen also, daß die Polizei Gewalttaten Rechtsextremer bagatellisiert?


Nachdem sie zunächst nur von nachbarschaftlichen Problemen und ausländerfeindlichen Hintergründen sprach, ermittelt jetzt auch der politische Staatsschutz. Möglicherweise sollte der Vorfall banalisiert werden, schließlich war auch Alkohol im Spiel. Es ist bekannt, daß Behörden immer wieder versuchen, rassistischem Alltagsterror harmlosere Bedeutung beizumessen. Das ist auch das Resultat einer von der Antonio-Amadeo-Stiftung im August publizierten Studie.

Wir müssen in diesem Zusammenhang klarmachen, daß der rassistische Nährboden weit in die Mitte einer zunehmend nach rechts driftenden Gesellschaft reicht – auch in staatliche Institutionen wie Polizei und Verfassungsschutz hinein. Es handelt sich nicht allein um ein Randphänomen »extremistischer« Gewalttäter, wie es öffentlich gern diskutiert wird. Gerade dieser Brandanschlag, verursacht durch Nachbarn im Wohnumfeld der Familie, zeigt das.
In der Innendeputation, dem Innenausschuß also, haben Sie schon in der vergangenen Woche Stellung bezogen ...


Ich habe insbesondere erneut die interne Dienstanweisung der Polizeiarbeit, die bereits 2010 in der Kritik war, aufs Korn genommen. Meines Erachtens sind dort fatale Ziele polizeilicher Informationspolitik vermerkt. Bei der Debatte wurde deutlich: Sie ist immer noch nicht verändert, obgleich das bereits vor zwei Jahren zugesagt war. Damals hatte die Polizei Medien über drei Fälle nicht aktuell und zeitnah informiert; den tödlichen Unfall eines Kindes, den Überfall auf einen Juwelier sowie auf einen Supermarkt.
Welches Problem muß behoben werden?


Das Ziel der internen »Dienstanweisung für die Medienarbeit der Polizei Bremen« ist skandalös. Ich zitiere: Sie soll dazu dienen, das »Ansehen der Polizei in der Bevölkerung zu heben« und »das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und damit die Lebensqualität zu steigern«. Damals räumte die Polizei noch ein, daß ihre Informationspolitik unzureichend ist.

Jetzt zeigte sich der Innensenator überzeugt, daß alles korrekt gelaufen und die Pressearbeit der Polizei nicht zu beanstanden ist. Die Dienstanweisung soll allerdings in zwei Monaten verändert werden. Das ist auch dringend notwendig, sie lädt zur Manipulation ein und steht im Widerspruch zum Landespressegesetz. Danach ist die Polizei verpflichtet, die Medien bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen und die Öffentlichkeit wahrheitsgetreu, umfassend und aktuell über das relevante Geschehen zu informieren.

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#63

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 16.09.2012 21:16
von Lisadill • 744 Beiträge

Deutsche Spezifik
Jost Hermand hat eine neue Studie über Nationalismus vorgelegt
Von Stefan Amzoll



Der Literatur- und Kulturwissenschaftler Jost Hermand hat mit »Verlorene Illusionen – Eine Geschichte des deutschen Nationalismus« ein überaus kundiges, erhellendes Buch geschrieben. Jeder erwachsene Deutsche, seßhaft im nun vereinigten, ökonomisch erstarkten, militärisch gefährlich expandierenden Deutschland, sollte es lesen und über sich selbst und seine nationale, gesellschaftliche Herkunft nachdenken.

Ein gewaltiges Unterfangen für den Autor, die Fülle des geschichtlichen Stoffs chronologisch auszubreiten. Ihn selbst beschäftigt das Thema seit längerem wie von ihm herausgegebene Textsammlungen und eigene Arbeiten – »Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus« (1988) und »Revolutio Germanica. Die Sehnsucht nach der ›alten Freiheit‹ der Germanen« (2002) – belegen. Dennoch ist ein ganz eigenes Buch entstanden, ein bedeutender dialektischer Entwurf. Der Autor, Jahrgang 1930, schlägt große Bögen, entwickelt Zusammenhänge, innere wie äußere, zeigt Kontinuitäten, Diskontinuitäten auf.
Abstraktion
Eine wechselvolle Geschichte liege dem politischen Gebilde, das »Nationalismus« genannt wird, zugrunde. Ob als Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, als Land der Glaubensspaltung durch Luther, als Territorium der Kleinstaaterei, als Ursprungsland von Aufklärung, Idealismus und Marxismus, als waffenklirrende Germania des Zweiten Kaiserreichs, als sämtliche Nationalismen bewahrende Weimarer Republik, als irrwitzigen »arischen« Weltmachtgelüsten Raum gebender NS-Staat, als geteiltes Land des Kalten Krieges und der Einigungsvorgänge danach: Jede dieser Phasen kenne ihren spezifischen Nationalismus, habe Neid und Abscheu, aber auch Bewunderung hervorgerufen.

Dem entspricht die Hauptthese des Buches: Es sei unsinnig, von einer »deutschen Nation« schlechthin, einem »deutschen Volk« oder einer anderen, angeblich identitätsstiftenden Qualifikation im Hinblick auf »die Deutschen« zu sprechen. »Wer immer in diesem Zusammenhang den Begriff ›Nation‹ gebraucht, sollte deshalb nie vergessen, diesen höchst abstrakten Begriff mit einem erläuternden Zusatz zu versehen, um ihn somit politisch, sozioökonomisch oder kulturell zu konkretisieren, statt sich mit völkerpsychologischen oder journalistischen Klischees zu begnügen.«

Hermand entfaltet in klarer, lesbarer Diktion die Hintergründe und treibenden, widersprüchlichen Momente dessen, worin sich nationale, patriotische Bestrebungen äußern, woher ihre Fürsprecher und Widersacher kommen, was sie im Schilde führen und welche Wirkungen sie zeitigen.

Aufschlußreich die Aussage, daß vor und während des 30jährigen Krieges deutschbetonte oder »reichspatriotische Tendenzen«, getragen von breiteren Volksschichten, keinerlei Wirkungschancen hatten. Auch nach dem »ewigen Krieg« sei es zu keiner Festigung der inneren Einheit gekommen, wohl aber zu weiterer Zersplitterung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation in eigenständige Fürstentümer oder »Vaterländchen«. Der Krieg war folglich kein Garant dafür, daß sich so etwas wie ein einheitsstiftendes deutsches Volksbewußtsein ausbilden konnte. In den beiden von Deutschland angezettelten Weltkriegen lief das, von oben gesteuert, bekanntlich anders.
Verschiedene Formen
Eine geschichtliche Kontinuität, in zentralen Kapiteln dargelegt und ökonomisch, politisch, kulturell untersetzt, wirkt geradezu niederschmetternd: Was das nach Weltherrschaft strebende Naziregime einhämmerte – »Deutscher Ruhm und deutsche Ehre«, »Heim ins Reich«, »Volksgemeinschaft«, »Volk ohne Raum«, »Blut und Boden« – war lange vorher da. Dergleichen gehörte um 1900 zum Wortschatz solch stockreaktionärer Gruppen wie »Verein der Deutschen im Ausland«, »Deutscher Kriegerverein, »Wehrkraftverein«, »Deutscher Ostmarkenverein«, »Deutschnationaler Flottenverein«, »Deutsche Kolonialgesellschaft« etc. »In ihren Reihen herrschte ein bedenkenloser Nationalismus, der sich vor allem auf die militärische Stärke des neuen Reiches stützte.«

Was ist das – »deutsches Nationalgefühl«, »Nationalstolz der Deutschen«? Immer wieder betont der Autor, die höchst verschiedenen Formen des deutschen Nationalismus zu beachten und nicht nur von einem »deutschen Sonderweg« oder einer »verspäteten Nation« zu sprechen. Für ihn gelten diese Topoi so abstrakt nicht. Handelt es sich um »deutsches Nationalgefühl«, wenn »unsere Fußballfans« »Deutschland« rufen? Oder wenn Bundeswehrsoldaten vor dem Berliner Reichstag vereidigt werden? Wenn Nazis rufen: »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!«? Ist es »deutsches Nationalgefühl«, wenn hiesige Politiker verlangen, Europa sei gegen Fremde abzuschotten? Wenn der frühere Bundespräsident Köhler bestätigt, daß deutsche Wirtschaftsinteressen beim Krieg in Afghanistan eine Rolle spielen? Oder als nach der deutschen Einigung der Slogan ertönte »Wir sind wieder wer!«?

Dieses Buch klärt auf. Jeder Deutsch-Sozialisierte sollte es, wie gesagt, lesen – und auch jeder geschichts­interessierte ausländische Mitbürger.
Jost Hermand: Verlorene Illusionen – Eine Geschichte des deutschen Nationalismus. Böhlau Verlag, Köln Weimar Wien 2012, 390 Seiten. 34,90 Euro

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#64

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 03.10.2012 22:24
von Lisadill • 744 Beiträge

Neonazi-Terrorzelle sammelte systematisch Adressen und Namen politischer Gegner. Welche Morde waren noch geplant?
Von Sebastian Carlens

Die Eltern des von Neonazis ermordeten Halit Yozgat bei der Einweihung eines Gedenksteines am Montag in Kassel
Foto: dapd
Am 1. Oktober benannte die Stadt Kassel einen Platz nach Halit Yozgat – dem mutmaßlich letzten Opfer der neofaschistischen Mordserie an Migranten, die vom »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) verübt worden sein soll. Noch immer gebe es viele offene Fragen zu der erst im Herbst 2011 aufgedeckten Mordserie, sagte Oberbürgermeister Bertram Hilgen (SPD) am Montag zur Einweihung des »Halitplatzes« und eines Gedenksteines: Ein Rechtsstaat wie die Bundesrepublik müsse diese »glasklar« beantworten, so Hilgen. Ismail Yozgat, Vater des ermordeten Halit, forderte restlose Aufklärung der noch immer unklaren Details der Mordserie. Auch die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, die »ihre schützende Hand« über Täter und Hintermänner gehalten hätten, müßten zur Verantwortung gezogen werden, forderte er. Sein Sohn Halit, den die mutmaßlichen NSU-Terroristen im April 2006 durch Kopfschüsse in seinem Internetcafe ermordeten, wurde 21 Jahre alt.

Doch war Halit Yozgat tatsächlich das letzte Opfer der Terrorwelle gegen Migranten? Nach dem Attentat in Kassel sollen die NSU-Mitglieder aus bislang unbekannten Gründen von weiteren Morden an Migranten abgesehen haben; 2007 sollen sie in Heilbronn eine Polizisten getötet haben – bis zu ihrem mutmaßlichen Selbstmord im November 2011 sind keine weiteren Anschläge bekannt. Dabei haben die Mitglieder der Terrorzelle in mindestens 14 deutschen Großstädten Hunderte potentielle Opfer systematisch ausgespäht: Diesen Verdacht legen laut Bericht der Frankfurter Rundschau vom Dienstag Unterlagen der Bundesanwaltschaft nahe. Im Brandschutt des Zwickauer Unterschlupfes der Terrorzelle sollen Stadtpläne gefunden worden sein, auf denen fast 400 Adressen von Politikern, Parteien, Militärstandorten und jüdischen Einrichtungen markiert waren. Mehr als 50 Wohnmobilanmietungen zwischen 2000 und 2011 werden dem Bericht zufolge dem NSU zugerechnet. Bei einigen Anmietungen sollen zeitliche Übereinstimmungen zu begangenen Anschlägen oder Banküberfällen bestehen – doch wozu dienten die restlichen Fahrten?

Laut FR fand sich in der Zwickauer Brandruine Kartenmaterial mit insgesamt 386 markierten Adressen in verschiedenen deutschen Großstädten. Darunter Hamburg mit 112 Adressen, München mit 78 und Dortmund mit 30 Einträgen, aber auch kleinere Städte wie Göttingen mit neun oder Münster mit 15 Markierungen. Mit roten Sternchen seien Adressen von Politikern und Parteibüros von CDU, SPD und DKP notiert. Gelbe Hinweise sollen für Integrationseinrichtungen und Ausländervereine, aber auch für Dönerimbisse und türkische Einkaufsläden stehen. Weitere Markierungen seien für Bundeswehreinrichtungen oder Adressen jüdischer Vereine gesetzt worden, so die FR. Einige Einträge sollen mit Notizen versehen sein: So stehe hinter der Adresse des früheren bayerischen Landtagsabgeordneten Jakob Deffner (SPD): »Privat, guter Fluchtweg«.

Laut Bericht gehen die Ermittler davon aus, daß nach dem Auffliegen der NSU-Zelle keine Anschlagsgefahr mehr bestehe. Ob die Polizei ausschließen kann, das solche Listen nicht auch bei anderen, nach wie vor aktiven Neonazis kursieren, ist bislang nicht bekannt.

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#65

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 28.11.2012 10:31
von Lisadill • 744 Beiträge

Extremisten der Mitte

Von Sebastian Carlens
»Die Linken fackeln Luxuskarossen ab, und die Rechten kont
»Die Linken fackeln Luxuskarossen ab, und die Rechten kontern mit den sogenannten Dönermorden.« Zitat aus dem Video der

Bundeszentrale für politische Bildung. Daraus stammt auch diese Abbildung
Die »Bundeszentrale für politische Bildung« feierte am Sonntag ihre Gründung; vor 60 Jahren, am 25. November 1952, war sie nach dem Vorbild der »Reichszentrale für Heimatdienst« aus der Weimarer Republik errichtet worden. Heute nennt sich das, was die Behörde betreibt, »politische Bildungsarbeit«. Ihre Veröffentlichungen gehören zum Unterrichtsmaterial an vielen deutschen Schulen, im Internet ist die alte Institution mit neuen Medien präsent. Doch nur zwei Tage vor dem großen Jubiläum sahen sich die Bonner gezwungen, einen Internetfilm zurückzuziehen – und dies, obwohl das kurze Video nichts anderes tat, als ein Lieblingsthema der hauptberuflichen »Aufklärer« zu variieren: »Politischen Extremismus«. »Es herrscht Bombenstimmung in Deutschland«, beginnt der Videobeitrag mit dem Titel »Ahnungslos – was ist Extremismus?« In grobgestrickter Comicmanier erläutert der knapp zweieinhalb Minuten lange Film, was »Extremisten« sind: Religiöse Fanatiker, Linke und Rechte an den »Rändern der Gesellschaft«. Was diese Personen sonst so machen? »Die Linken fackeln Luxuskarossen ab und die Rechten kontern mit den sogenannten Dönermorden«.

Seit August war der Film im Internet – auf Youtube und auf der Webseite der Behörde – zu sehen, doch es sollte mehrere Monate dauern, bis die ungeheuerliche Sequenz zum Politikum wurde. Die Morde des »Nationalsozialistischen Untergrundes« an Migranten, deren Boulevard-Bezeichung als »Dönermorde« es mittlerweile zum Unwort des Jahres gebracht hat – eine Reaktion der Neonazis auf Autobrandstiftungen von vermeintlichen Linken? In einem Interview mit Radio Dreyeckland vom 22. November hatte die Bundeszentrale, die dem deutschen Innenministe­rium untersteht und deren Aufgabe darin besteht, »demokratisches Bewußtsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken«, das Video noch verteidigt. Einen Tag später verschwand der Streifen dann aus dem Netz – statt dessen fand sich auf Youtube folgende Erklärung: »Unsere Intention bezüglich des Videos ist offensichtlich nicht verstanden worden und insbesondere die Formulierungen ›kontern‹ und ›Dönermorde‹ sind unglücklich gewählt.« Aus diesem Grunde habe sich die Redaktion entschieden, das Video zu »überarbeiten«. Erstellt worden sei der Kurzfilm im übrigen vom »verantwortlichen Fachbereich nach sehr intensiver und langer Beratung mit einem Expertisekreis«, so der Text auf Youtube. Dieser hätte sich entschieden, »für bestimmte Themen« auch »kontrovers beurteilte Vermittlungsformen« zu wählen.

Kontroverse Formen, altbackener Inhalt: Erst am 23. November hatte sich der Präsident der Behörde, Thomas Krüger, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd zu »besorgniserregenden Entwicklungen im Bereich Extremismus« geäußert, die durch seine Behörde bekämpft gehörten – und eben das tut sie, die Bundeszentrale. Das »Ahnungslos«-Video ist kein Ausrutscher, kein Versehen der Produk­tionsfirma SEO Entertainment GmbH, die es im Auftrag erstellt hatte – es entspringt einem Gedankengut, das von der Spitze der Behörde ausgeht. Nach Lesart der sogenannten »Extremismusdoktrin« sammeln sich, rings um eine demokratisch gesinnte »Mitte«, an den Rändern der Gesellschaft die »Extreme«: Linke, Rechte, islamistische Fundamentalisten. Diese nur auf den allerersten Blick so unterschiedlichen Kräfte eint, so die Theorie, ein gemeinsames Ziel: Die Zerstörung der Demokratie. Und doch gibt es Unterschiede: Als Moslem reicht es zum Terrorverdacht schon aus, die U-Bahn zu benutzen; »Linksextremist« wird man, wenn nebenan ein Auto brennt. Neonazis müssen erst eine Mordserie starten.

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#66

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 07.12.2012 18:08
von Lisadill • 744 Beiträge

Neonazi-V-Männer gegen links
Erfurter Ex-NPD-Chef stand im Sold des Verfassungsschutzes – und ging gegen die Linkspartei vor. Mit Wissen des Geheimdienstes?
Von Sebastian Carlens

Kai-Uwe Trinkaus, ehemaliger Kreischef der neofaschistischen NPD in Erfurt-Sömmerda, hat am Mittwoch gegenüber dem MDR Thüringen seine jahrelange Tätigkeit für den thüringischen Landesverfassungsschutz (TLfV) öffentlich gemacht (jW berichtete). Von 2006 bis zum Jahr 2010 will der Erfurter Neonazi unter dem Decknamen »Ares« mehrere tausend Euro für seine Dienste erhalten haben. Trinkaus, seit Jahren durch die Gründung immer neuer rechtslastiger Vereine in der Thüringer Landeshauptstadt als führender Rechter bekannt, war im Jahr 2006 in die NPD eingetreten; schon ein Jahr später wurde er Kreisvorsitzender – später schied er aus der Partei aus, wechselte erst zur DVU und versuchte dann, eine Erfurter »PRO«-Partei zu gründen. Da er seine Enttarnung durch die Tätigkeit der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zur Zwickauer Terrorzelle bevorstehen sehe, wolle er seine Spitzeltätigkeit selbst bekannt machen, teilte Trinkaus dem Sender mit. Laut Angaben des Thüringer Verfassungsschutzes habe sich Trinkaus im Mai 2006 »selbst angeboten«. Bis zum September 2007 will ihn das Amt als V-Mann geführt haben; danach sei er »wegen Zweifeln an seiner Zuverlässigkeit« abgeschaltet worden. Weitere Angebote des Neonazis, für die Behörde tätig zu werden, habe man abgelehnt, teilte der TLfV mit. Trinkaus selbst behauptet, drei Jahre länger auf der Gehaltsliste des Geheimdienstes gestanden zu haben. Er habe 2010 eine »vierstellige Summe« als Abfindung erhalten, teilte der Naonazi mit.

Nach V-Mann Tino Brandt (Deckname »Otto«) und dem Spitzel Thomas Dienel (Deckname »Küche«) ist Trinkaus der dritte hochrangige Neofaschist aus dem Freistaat, der offiziell im Sold staatlicher Dienste stand. Seine Selbstenttarnung kommt dabei zur Unzeit: Während sich die deutschen Landesinnenminister gerade auf einen zweiten Anlauf im NPD-Verbotsverfahren einigen konnten, wirft die neuerliche Spitzelaffäre Zweifel auf, ob die Hürden, die das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2003 aufstellte, genommen werden können: Damals urteilten die Verfassungsrichter, daß die NPD wegen Durchsetzung ihrer Leitungsgremien mit staatlichen Spitzeln nicht verboten werden könne –»fehlende Staatsferne«, nicht Zweifel an der Verfassungsfeindlichkeit der Partei führten zur Einstellung des Verfahrens. Im Fall Trinkaus könnten nun die Grenzen zwischen einer Quelle, dem sogenannten »Vertrauensmann«, und dem klassischen Einflußagenten erneut verschwimmen.

Weitere Brisanz erhält der Fall durch Trinkaus’ Vorgehen gegen die Thüringer Linkspartei, für deren Vorgänger PDS er zwischen 1994 und 1995 selbst kurzzeitig im Erfurter Stadtrat saß. Im Jahr 2007 versuchte der NPD-Funktionär, einen Spitzel in der Linken-Landtagsfraktion zu platzieren: Der Neonazi Andy Freitag nahm auf sein Geheiß hin an einem Mentorenprogramm der Fraktion teil. Das Ziel Freitags war der Linken-Abgeordnete Frank Kuschel, gegen den Freitag Anzeige wegen »sexueller Belästigung« erstattete. Ein Bericht des MDR Ende August 2007 enthüllte Freitags wahren Hintergrund; das Verfahren gegen Kuschel wurde eingestellt. Trinkaus will seinen V-Mann-Führer beim TLfV, einen vormaligen Major der Bundeswehr, über Freitags Undercoveraktion informiert haben – der Geheimdienstmann habe ihn dabei bestärkt: »Es gab da im Vorfeld der ganzen Aktion ein Brainstorming darüber, was man so machen könnte«, so Trinkaus. Der Neonazi habe »mehrere Versuche unternommen, die Linken-Fraktion im Thüringer Landtag zu infiltrieren«, teilte Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Hessischen Landtag, am Donnerstag mit. Gleichzeitig habe er militante Neonazis rekrutiert. »Wer solche ›Verfassungsschützer‹ hat, der braucht keine Verfassungsfeinde mehr«, so Schaus.

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#67

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 06.01.2013 19:16
von Lisadill • 744 Beiträge

mal was Geschichtliches




Frische Filme
Kunst. Faschistisches Fortleben und sozialistische Abwicklung im Kino der BRD. Teil 2 (und Schluß): Befreiung von unten und von außen
Von Ingar Solty

Der erste deutsche Nachkriegsfilm war in der BRD erst 1971 zu sehen: Die Mörder sind unter uns (1946) mit Hildegard Knef und Ernst Wilhelm Borchert
Foto: picture allianze
Der Kalte Krieg brachte das Ende der einmal nicht richtig begonnenen Entnazifizierung im Westen mit sich. Daraus ergaben sich zwangsläufig Differenzen zur SBZ/DDR, wo die Entnazifizierungsmaßnahmen dazu führten, daß die Führungsposten im Osten nun einmal weitestgehend von den Gegnern des Nazifaschismus – Widerstandskämpfer, KZ-Überlebende, Exilanten – besetzt waren, während es im Westen im Grunde umgekehrt der Fall war. Dieser Umstand begünstigte die Kontinuität zwischen dem Nazikino und dem der BRD.

Gefördert wurde diese Entwicklung mithin dadurch, daß die systematischere Entnazifizierung in der SBZ zur Folge hatte, daß für viele der alten Eliten die Seilschaften und Netzwerke aus der Zeit der Nazidiktatur, die alten Kanäle und Verbindungen abbrachen. Das hatte wiederum zur Folge, daß selbst für diejenigen Personenkreise, die die SBZ/DDR nicht prinzipiell und aus politischen Gründen ablehnten, eine Karriere in der BRD, wo diese noch weitgehend erhalten waren, erstrebenswerter war.

In der BRD wurden entsprechend noch bis Mitte der 60er Jahre alle möglichen Apologien für die unübersehbare Kontinuität bemüht, die heute auch wieder unkritische Akzeptanz finden. So zitiert die 1979 im westdeutschen Hofgeismar geborene Medienhistorikerin Anja Horbrügger zustimmend Peter Pleyers 1965 erschienenes Werk, »Deutscher Nachkriegsfilm 1946–1948« wenn sie schreibt: »Das von der Filmgesetzgebung der Alliierten formulierte Postulat, das einen Ausschluß ehemaliger NSDAP-Mitglieder aus leitenden oder schöpferischen Positionen (…) vorsah, erwies sich in der Praxis (…) als schlicht nicht durchführbar, da ›nahezu alle Regisseure, Autoren, Schauspieler, Kameramänner und Techniker mehr oder minder aktive Mitglieder der NSDAP gewesen waren. Deshalb ging man im Laufe der Zeit dazu über, auch an Filmschaffende, die nur passiv formell der Partei angehörten, eine Lizenz auszugeben.‹« Die Behauptung, zentrale Naziregisseure wie Harlan, Lüthge oder Ucicky seien im Grunde Mitläufer des Faschismus gewesen, ist an sich schon ungeheuerlich. Hinzu kommt jedoch, daß das Beispiel der DEFA zeigt, daß es auch anders ging und es auch unbelastete Regisseure gab bzw. hätten gefördert werden können. Daß Horbrügger diese Tatsache schlicht ausblendet, muß wohl als ein Beispiel für den Tunnelblick (oder Opportunismus) vieler westdeutscher Geschichtsforscher angesehen werden.
Lieber Stresemann als Antifa
Die Kontinuität hatte jedoch nicht nur etwas mit postfaschistischer Gemütlichkeit und Gewohnheit zu tun, sondern vor allem mit der direkten Einflußnahme des antikommunistischen Staates. Hintergrund war das System der Bundesbürgschaften, die die Regierung in den frühen fünfziger Jahren »den Filmproduzenten zur Deckung möglicher Ausfallrisiken zur Verfügung stellte«. Der Medienwissenschaftler Klaus Kreimeier schreibt hierzu: »Die Produzenten, die sich um eine Bundesbürgschaft bemühten, mußten (…) das Drehbuch, den Kostenvoranschlag und sämtliche Verträge zur Begutachtung einreichen. Damit war eine politische Kontrolle über die Filminhalte installiert, die sich in zahllosen Fällen restriktiv auswirkte. So wurde 1952 dem Film Das Herz der Welt von Harald Braun, einer Biographie der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner, eine Ausfallbürgschaft verweigert, weil seine pazifistische Gesinnung nicht ins politische Klima der Remilitarisierung Westdeutschlands und seiner Eingliederung ins westliche Verteidigungsbündnis paßte. Ferner konnten Produzenten, die Kontakte zur DEFA (…) unterhielten, nicht mit Bürgschaften rechnen. Zum Skandal wurde die Verweigerung einer Bürgschaft an Wolfgang Staudte durch den damaligen Bundesinnenminister Lehr: Staudte war nicht bereit, seine Arbeit bei der DEFA (…) abzubrechen. Die zweite Bürgschaftsperiode lief 1955 aus, aber bezeichnenderweise übernahm die Bundesregierung noch 1956 die Bürgschaft für einen 1,6-Millionen-Kredit, damit Alfred Braun seinen Film Stresemann produzieren konnte. Der Film sollte sich als Vehikel für den Wahlkampf der CDU im darauffolgenden Jahr bewähren, wurde aber ein geschäftlicher Mißerfolg.« Alfred Braun? War da nicht was? Richtig, der hatte im Dritten Reich die Drehbücher zu den Harlan-Filmen Jud Süß, Die goldene Stadt (1942), Opfergang (1944) und dem Durchhaltefilm Kolberg (1945) geschrieben sowie beim Propagandafilm der Göring-Luftwaffe Himmelsstürmer (1941) Regie geführt. Vermutlich, weil Stresemann so ein Mißerfolg war, erhielt Braun 1957 für ihn den Bundesfilmpreis.

Gleichzeitig wurde der Vertrieb der DEFA-Filme, die sich um die antifaschistische Geschichtsaufarbeitung bemühten, in der BRD massiv be- oder verhindert. Im Grundgesetz war zwar – ebenso wie in der DDR – verankert: »Eine Zensur findet nicht statt.« Wie Martin Loiperdinger in seinem Beitrag für das Gemeinschaftswerk »Geschichte des deutschen Films« schreibt, hatte dies »[f]ür die tatsächliche Praxis (…) jedoch wenig zu bedeuten«. Zwar wurde nach der Dritten Lesung des Hauptausschusses für die Vorbereitung des Grundgesetzes 1949 Abstand von einer Ausklammerung des Films aus der Zensurfreiheit beschlossen, doch »[a]uch ohne eigenes Zensurgesetz« blieb »die Filmfreiheit (…) beschränkt durch die ›allgemeinen Gesetze‹«. Hierdurch ergab sich »die politische Filmeinfuhrkontrolle, die bis Anfang der siebziger Jahre – dem Kalten Krieg verhaftet – Filme aus den Ostblockländern blockiert (e)«. Als »Prüfgremium« fungierte dabei der geheime »Interministerielle Ausschuß«, der »auf Betreiben des Verfassungsschutzes am 16. Juni 1954 seine Tätigkeit« aufnahm und »ohne gesetzliche Grundlage über die Einfuhrerlaubnis von Ostblock-Filmen« entschied. Seine Tätigkeit zielte, wie Alexander Kötzing von der Bundeszentrale für politische Bildung schreibt, u.a. darauf ab, »Kritik an der nationalsozialistischen Vergangenheit und Verweise auf personelle Kontinuitäten vom ›Dritten Reich‹ zur Bundesrepublik (…) von der Leinwand [zu] verbannen«. Aufgedeckt wurde dies erst 1957 durch eine Anfrage im Bundestag. Diese Zensurpraxis stand in schillerndem Kontrast zu den Krokodilstränen, die man über die Kalte-Kriegs-Zensur in der DDR rund um das XI. Plenum des Zentralkomitees der SED 1965 vergoß, wurde allerdings bis zur Neuen Ostpolitik nahtlos fortgesetzt und vom Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard »mit Hinweis auf die Verfolgung verfassungsfeindlicher Tendenzen (Paragraph 93 StGB) und das vom Bundesverfassungsgericht 1956 ausgesprochene Verbot der KPD« gerechtfertigt.

Die westdeutsche Bevölkerung blieb somit von antifaschistischen DEFA-Filmen unbehelligt. Dies galt um so mehr, da Regisseure, die wie Staudte sowohl für die DEFA als auch in der BRD aktiv waren, mit ihren kritischen Arbeiten in der Regel stark behindert wurden. So wurde beispielsweise Staudtes bedeutender DEFA-Film Rotation (1949), in dem er am Beispiel des fiktiven Druckers Hans Behnke realistisch darstellt, welche Rolle Mitläufer im Faschismus für dessen Fortbestand spielten, in der BRD fast ein Jahrzehnt lang unterdrückt und dann nur in einer zensierten und kommentierten Fassung gezeigt. Zu diesem Zeitpunkt war Staudte infolge eines Konflikts mit Brecht und Helene Weigel längst in den Westen übergesiedelt. Zuvor war schon Staudtes Verfilmung des Heinrich-Mann-Romans Der Untertan in der BRD verboten worden. Staudtes Die Mörder sind unter uns, der erste deutsche Nachkriegsfilm überhaupt, wurde hier erst am 18.12.1971 im Fernsehen ausgestrahlt.
Geläutert, aber unzufrieden
Den Adenauer-Mief und die Verdrängung der Nazivergangenheit
Den Adenauer-Mief und die Verdrängung der Nazivergangenheit aufs Korn genommen: Wolfgang Neuß’ Wir Kellerkinder (1960)
Foto: picture allianze
Die BRD reagierte auf die im anderen deutschen Staat erhobenen Vorwürfe, ein von alten Nazikadern geführtes Restaurationsregime zu sein, ihrerseits mit dem Vorwurf, dieselben Kontinuitäten gäbe es auch in der DDR. Auf die Veröffentlichung des sehr erfolgreichen »Braunbuchs BRD«, das die postfaschistische Elitenkontinuität zu dokumentieren suchte, reagierte man mit der Veröffentlichung des »Braunbuchs DDR«. Im Film läßt sich eine parallele Entwicklung jedoch nicht bestätigen.

Nun gab es auch in der DDR eine Handvoll ehemaliger Nazikünstler. Der Unterschied zur BRD bestand jedoch darin, daß die Fortsetzung ihrer Karrieren – vor dem Hintergrund des demokratisch-antifaschistischen und später sozialistischen Selbstverständnisses der DDR – nur durch einen Bruch mit der Vergangenheit möglich war, der sich im künstlerischen Werk auch widerspiegeln mußte.

Eine faschistische Vergangenheit hatten neben Staudte acht weitere Regisseure bzw. Schauspieler: Adolf Fischer (1900–1984), Milo Harbich (1900–1988), Helmut Käutner (1908–1980), Gerhard Lamprecht (1897–1974), Arthur Maria Rabenalt (1905–1993), Robert Adolf Stemmle (1903–1974), Erich Engel (1891–1966) und Georg C. Klaren (1900–1962). Diese beteiligten sich jedoch aktiv an der Aufarbeitung der Vergangenheit, wobei hinzugefügt werden muß, daß eine Fortsetzung ihrer Karriere vor dem Hintergrund der DEFA-Auftragsvergabepraxis anders auch schwer denkbar gewesen wäre. Zugleich wurden die meisten – aus zu klärenden Gründen – in der DDR nicht wirklich froh.

So drehte Harbich, dessen Karriere 1933 begann und der als Schnittmeister bei Hitlerjunge Quex mitgewirkt hatte, mit Freies Land 1946 einen Film über die gelungene Bodenreform in der SBZ und emigrierte anschließend nach Brasilien. Stemmle, der 1941 den Nazipropagandafilm Jungens gedreht hatte, schrieb nach dem Krieg den antifaschistischen Roman »Die Affäre Blum« und das Drehbuch zum gleichnamigen DEFA-Film von Erich Engel, arbeitete dann aber alsbald in der BRD und schrieb Drehbücher für kommerzielle Unterhaltungsfilme von Karl May bis Edgar Wallace. Staudte, der als Schauspieler u.a. an Jud Süß und … reitet für Deutschland (1941) beteiligt gewesen war, erwarb sich antifaschistische Verdienste nicht nur für die genannten DEFA-Filme Die Mörder sind unter uns, Rotation, Der Untertan, sondern später auch für Rosen für den Staatsanwalt, der 1959 im Grunde als erster westdeutscher Film die postfaschistische Elitenkontinuität problematisierte. Für seinen Film Herrenpartie (1964), der sich kritisch mit der unaufgearbeiteten Vergangenheit auseinandersetzte, wurde Staudte in der BRD als »Nestbeschmutzer« verleumdet. Rabenalt, der bei … reitet für Deutschland sowie Achtung! Der Feind hört mit! (1940) Regie geführt und auch an Tiefland mitgearbeitet hatte, drehte 1948 mit Chemie und Liebe eine antikapitalistische Science-Fiction-Komödie nach einer Vorlage von Béla Bálazs. Danach entstand mit Das Mädchen Christine (1948) jedoch nur noch ein Film, bevor er mit Filmen wie Hochzeit im Heu (1950) und Die Försterchristl (1952) seine Karriere in der BRD fortsetzte. Lamprecht, der ebenfalls bereits in der Weimarer Zeit mit Literaturverfilmungen sowie einer verdienstvollen Sozialrealismustrilogie aktiv gewesen war und sich im Dritten Reich von den Propagandafilmen ferngehalten hatte, konnte seinen ersten Trümmerfilm Irgendwo in Berlin (1946) für die DEFA drehen, wurde dann aber in der DDR ebensowenig froh wie Käutner, der sich im Faschismus nicht nur nicht hatte instrumentalisieren lassen, sondern auch an einer dem Faschismus entgegenlaufenden, subversiven Ästhetik arbeitete, was auch den Zensurbehörden der Nazidiktatur nicht verborgen blieb. Käutners erster Film im Dritten Reich Kitty und die Weltkonferenz (1939) wurde als pazifistisch und englandfreundlich eingestuft und verboten. Seine weiteren dem Unterhaltungsgenre zuzuordnenden Filme bewegten sich nach Auffassungen der meisten Kritiker in Distanz zur faschistischen Ästhetik. Gegen Ende des Faschismus geriet Käutner wieder in Konflikt mit dem Regime. Sein vorletzter Film Große Freiheit Nr. 7 wurde verboten, weil er keine »deutschen Seelenhelden« zeige, sein letzter Film Unter den Brücken (1944) lag zum Ende des Krieges bei den Zensurbehörden. In der sowjetischen Besatzungszone drehte Käutner nun den Trümmerfilm In jenen Tagen (1947), um dann seine Karriere sehr erfolgreich mit kritischen Filmen in der BRD fortzusetzen.

Die einzigen wirklichen Ausnahmen bilden Klaren und Fischer. Der von Wien nach Berlin übergesiedelte Klaren arbeitete in der zweiten Hälfte der 20er Jahre als Drehbuchautor und feierte 1931 sein Regiedebüt mit Kinder vor Gericht/Die Sache August Schulze. Während des Faschismus hatte er weitgehend apolitische Drehbücher verfaßt, aber auch Rabenalt mit der Idee zu Achtung! Feind hört mit! versorgt. Für die DEFA konnte er ab 1947 tätig werden, u.a. mit der sehr erfolgreichen Büchner-Verfilmung Wozzeck (1947) und vier weiteren Filmen, darunter die antifaschistische Selbstkritik Die Sonnenbrucks (1951) über Mitläufer und Widerstandskämpfer im »Dritten Reich« sowie die ebenfalls sehenswerte Balzac-Verfilmung Karriere in Paris (1952). Kurzzeitig war Klaren auch DEFA-Chefdramaturg. Die zweite Ausnahme bildet die Personalie Adolf Fischer, der in der Weimarer Republik unter Erwin Piscator und neben Ernst Busch und Gerhard Bienert am Theater am Nollendorfplatz in Berlin proletarische Figuren gespielt hatte und neben Busch auch in G.W. Pabsts Klassiker Kameradschaft (1931) sowie in Slatan Dudows Brecht-Film Kuhle Wampe (1932) und in Seifenblasen (1933) zu sehen ist, aber im Gegensatz zu den genannten nicht emigrierte, sondern sich im Faschismus anpaßte und in Propagandafilmen wie Pour Le Mérite, Das Gewehr über und Achtung! Feind hört mit! aufgetreten war. In der DDR wurde Fischer rehabilitiert und konnte als DEFA-Produktionsleiter bei Filmen von u.a. Martin Hellberg, Dudow und Kurt Maetzig wieder in Erscheinung treten.
»Papas Kino ist tot«
Die Entnazifizierung des westdeutschen Kinos kam zwar nicht wie die Befreiung vom Faschismus selbst direkt von außen. Allerdings gelang sie nur unter starker direkter und indirekter Mithilfe von außen – und zwar im Zuge der neuen Konstellation im Kalten Krieg, die ab 1958 zum Aufstieg der »Kampf-dem-Atomtod-Bewegung« führte. Erst jetzt wurde die groteske Parallelität von Auschwitz und Heimatkitsch ansatzweise durchbrochen. Die Angst vor einem neuen atomaren Krieg führte zum Aufstieg einer neuen politischen Opposition, die vom DGB, der illegalen KPD, dem linken Flügel der SPD und vereinzelten bürgerlichen Linken und Intellektuellen getragen wurde. Im selben Atemzug entstand eine »neuartige kritische Öffentlichkeit« und ein gesellschaftliches Klima, in dem jüngere Künstlerinnen und Künstler die verdrängte Vergangenheit und die restaurative Gegenwart thematisierten. Die Folge war ein beschleunigter Entfremdungsprozeß der kritischen Jugend von ihren Eltern. Die BRD schloß endlich an die Bemühungen der antifaschistisch-demokratischen DEFA-Filme an und in kurzer Abfolge entstanden Klassiker des Nachkriegsfilms: Darunter Wir Wunderkinder (1958) von Kurt Hoffmann, Unruhige Nacht (1958), Arzt ohne Gewissen (1959) und die Fallada-Verfilmung Jeder stirbt für sich allein (1962) des bürgerlichen Widerstandskämpfers Falk Harnack. Des weiteren Hunde, wollt ihr ewig leben? (1959) von Frank Wisbar und Die Brücke (1959) von Bernhard Wicki. Beide behandeln die Sinnlosigkeit des Krieges am Beispiel des Kessels von Stalingrad bzw. des Volkssturms. Staudtes bereits erwähnter Film Rosen für den Staatsanwalt, Wir Kellerkinder (1960) von Wolfgang Neuss, und Der Transport (1961) von Jürgen Roland über Deserteure kurz vor Kriegsende komplettieren das Bild. Zusammen mit Hollywoodfilmen wie Urteil in Nürnberg (1961) von Stanley Kramer rüttelten sie die Kulturverhältnisse in der BRD auf.

Zugleich entstand in dieser jungen Bewegung ein Bewußtsein dafür, daß ein wirklicher Bruch mit dem Faschismus die Entwicklung von demokratischen kulturellen Formen voraussetzte. Im Falle des Films verdichtete sich die Kritik an der dominierenden Ästhetik in der BRD im Oberhausener Manifest von 1962. Unter der Federführung von Alexander Kluge und Edgar Reitz postulierte man: »Papas Kino ist tot!« und experimentierte nicht nur mit neuen ästhetischen Formen, sondern auch mit einem neuen politischen Ausdruck. Dabei holte man sich seine Inspirationen gleichermaßen bei der französischen Nouvelle Vague, dem Filmrevolutionär Jean-Luc Godard, der Frankfurter Schule und ihrer Kulturindustriekritik, bei Walter Benjamin und dem im Westen unterdrückten Brecht. Damit schufen die jungen Regisseure die Bedingungen für eine nachhaltige ästhetische Entnazifizierung des BRD-Films und die Grundlagen für das kritische und intellektuell gehaltvolle Autorenkino, auf dessen Schultern heute – bewußt oder unbewußt – im Grunde jeder deutschsprachige Film mit Anspruch steht.

Die Entnazifizierung des BRD-Films korrespondierte dabei mit ähnlichen Prozessen in anderen Kulturbereichen. Auch und gerade in der Literatur entstand eine »58er-Bewegung«, deren Existenz sich im Aufschwung der Auseinandersetzung mit dem Faschismus mit den Mitteln des Literarischen bemerkbar machte. Frühe Kritik wurde zwar schon in Alfred Anderschs Die Kirschen der Freiheit (1952) oder in Wolfgang Koeppens Das Treibhaus (1953), in dem dieser mit einiger Melancholie die Restauration und Westintegration aus der Perspektive des fiktiven SPD-Abgeordneten Keetenheuve schilderte, laut. Allerdings kam es auch in der Literatur erst im Zuge der Antiatomtodbewegung zu einer plötzlichen Welle an kritischen Veröffentlichungen, die das Bewußtsein der oppositionellen Jugend prägten.

So erschienen in kurzer Abfolge Klassiker der westdeutschen Literatur, die sich bei allen Stilunterschieden in ihrer Fokussierung auf Faschismus und Verdrängung ähnelten, darunter die Erzählungen Sansibar oder der letzte Grund (1957) von Alfred Andersch, Die Blechtrommel (1959) von Günter Grass und Billard um halb Zehn (1959) von Heinrich Böll sowie die Theaterstücke Andorra (1961) von Max Frisch, Der Stellvertreter (1961/63) von Rolf Hochhuth und Die Ermittlung (1965) von Peter Weiss. Dabei spiegelte sich in dem 1964 veröffentlichten Weiss-Drama Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats (1964) bereits die politische Reifung und Schärfe dieser neuen kritischen Intelligenz wider, die auf das Beben von 1968, das mit einer Wiederaneignung des durch den Faschismus verschütteten Marxismus einherging, hindeutete. Kurzum, der politischen Kultur von 1968 war eine Politik des Kulturellen seit 1958 vorausgegangen.

Auch in der Musik bemühte man sich um eine Überwindung des Postfaschismus in der Kultur. Kluges »Papas Kino ist tot!« fand sein Echo in Franz Josef Degenhardts Postulat »Papas Lied ist tot!«. Was die Konfrontation des Heimat- und kulturindustriellen Hollywoodfilms mit dem Autorenfilm war, war die Konfrontation des Schlagers und des alten Soldatenlieds mit den Werken der Liedermacher, die sich auf den Festivals auf der Burg Waldeck im Hunsrück konstituierten, wo man sich um die Entwicklung einer nichtfaschistischen Liedform bemühte.
»Stunde null« der Kunst
Jetzt endlich wurde auch die unerträgliche Elitenkontinuität offengelegt. Die war zwar in der DDR ein zentrales Thema gewesen. Die Intellektuellen, die sich dort damit beschäftigten, wurden dabei allerdings von Staats wegen gefördert, da mit der Aufdeckung dieser Zusammenhänge der Anspruch geltend gemacht werden konnte, das eigentliche »neue Deutschland« zu sein, um so nicht zuletzt dem außenpolitischen Ziel der völkerrechtlichen Anerkennung näherzukommen. So sorgten in der DDR eine Reihe von literarischen und filmischen Werken wie die Erzählung Michaels Rückkehr von Leonhard Frank (1882–1961) oder der auf einen von Frank verfaßten Roman zurückgehende Film Der Prozeß wird vertagt (1958) des DEFA-Regisseurs Herbert Ballmann (1924–2009), in denen die Elitenkontinuität thematisiert wurde, für Furore. Kurt Maetzigs Film Der Rat der Götter (1950) beruht auf den Prozeßakten von Nürnberg und Richard Sasulys IG-Farben-Dokumentation und problematisiert eindrucksvoll die System- und Elitenkontinuität am Beispiel des mit Auschwitz eng verknüpften Konzerns und seiner Nachfolgekonzerne Bayer, BASF, Wacker, Hoechst. Zudem wurden in der DDR seit 1955 systematisch Recherchen über die Nazi-Verstrickungen der BRD-Eliten vorgenommen und die Ergebnisse verbreitet. Sie gipfelten 1965 im Erscheinen des vielbeachteten und bereits erwähnten »Braunbuchs: Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in West-Berlin«, das in mehreren Auflagen belastende Informationen über 2300 Personen aus der BRD-Elite veröffentlichte. Eine spätere Untersuchung durch den Historiker Götz Aly ergab, daß die Irrtumsquote bei unter einem Prozent lag. Einige Falschinformationen und bewußte Fälschungen wurden von den BRD-Eliten zwar geschickt als Mittel benutzt, um sich einer Auseinandersetzung mit dem Material insgesamt zu entziehen. Tatsächlich führten die Anschuldigungen zum Teil eher zur Solidarisierung gegen die »Kommunisten« aus der »Zone«. In dem Maße jedoch, wie die jungen Intellektuellen jetzt auch im Westen die notwendigen Fragen stellten, franste der Mantels des Schweigens über die faschistische Vergangenheit und die Karrieren von Nazifunktionären in der BRD mehr und mehr aus.

Allein die unermüdliche Arbeit Thomas Harlans (1929–2010), dem ältesten Sohn von Veit Harlan, der in polnischen Archiven über die Vernichtungslager Treblinka, Sobibor, Kulmhof und Belzec recherchierte, führte in Zusammenarbeit mit dem hessischen Generalbundesanwalt Fritz Bauer, der gegen den Widerstand in breiten Teilen der Gesellschaft und der BRD-Justitz 1963 den ersten Auschwitzprozeß einleitete, zur Anklage von 2000 Kriegsverbrechern in der BRD. Die Bundesregierung reagiert auf diese Enthüllungen zunehmend autoritär. Das »Braunbuch« wurde bei seiner Vorstellung auf der Frankfurter Buchmesse 1967 komplett beschlagnahmt und aus dem Verkehr gezogen. Harlan wurde ausgerechnet von Globke, der jetzt engster Berater Adenauers geworden war, wegen Landesverrats angeklagt, und man verhinderte durch den Entzug des Reisepasses bis weit in die 70er Jahre seine Einreise in die BRD. Das indessen sollte die Entfremdungsprozesse in der kritischen Jugend befördern.

Die »Stunde null« der BRD-Kultur liegt irgendwo zwischen 1958 und 1968. Der Staat der BRD hat dazu nichts beigetragen. Im Gegenteil. Im Zuge der Westintegration und der Remilitarisierung unterließ er es, die Filmwirtschaft in Westdeutschland zu entnazifizieren und unternahm zudem große Anstrengungen, die Bevölkerung von den Bemühungen der DEFA-Regisseure um die Aufarbeitung des Faschismus abzuschirmen. Darüber hinaus reagierte er mit Unterdrückungsmaßnahmen auf die Enthüllungsversuche von seiten der linken Opposition und der DDR. All das legt den Schluß nahe, daß ohne diese Bemühungen von unten und von außen eine Entnazifizierung des Personals und der filmischen Ästhetik und eine Aufarbeitung des Faschismus auch im Westen nicht stattgefunden hätte. Angesichts der systemischen und personellen Kontinuität zwischen Faschismus und 1950er-Jahre-BRD konnte daran für die Eliten nicht das geringste Interesse bestehen.

Ingar Solty ist Mitarbeiter am Fachbereich Politikwissenschaften der York University in Toronto, Redakteur von Das Argument
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#68

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 18.01.2013 15:27
von Lisadill • 744 Beiträge

Der Feind steht links
Justiz setzt Zeichen: 22 Monate Haft ohne Bewährung für Neonazigegner. Rechtsanwalt wegen Widerstand gegen Polizeibeamte vor Gericht. Auch jW steht Prozeß bevor

Von Claudia Wangerin
Antifaschistische Organisationen sprachen am Donnerstag von einer »Drohkulisse« und einem »Exempel«, das vier Wochen vor dem alljährlichen Neonaziaufmarsch in Dresden statuiert werden solle, um Gegendemonstranten und Blockierer abzuschrecken: 22 Monate Haft ohne Bewährung hatte das Amtsgericht Dresden am Mittwoch gegen einen Mann verhängt, dem vorgeworfen wurde, er habe 2011 als »Rädelsführer« mit einem Megaphon dazu aufgerufen, Polizeiketten zu durchbrechen. Ein Mann gleicher Statur war auf dem Polizeivideo zu sehen, dessen Gesicht jedoch nicht erkennbar. Der Vorwurf gegen Tim H. lautete auf besonders schweren Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und Beleidigung, da dem mutmaßlichen »Rädelsführer« auch Verletzungen angelastet wurden, die Polizisten erlitten hatten, als andere Demonstranten deren Kette durchbrachen.

Laut den Worten seines Verteidigers konnte der Angeklagte Tim H. weder eindeutig als derjenige identifiziert werden, der die fragliche Durchsage gemacht hatte, noch konnte deren Wortlaut, die Menschenmenge solle »nach vorne« kommen, eindeutig als Aufforderung zur Gewalt verstanden werden. So spiegelte auch die mündliche Urteilsbegründung des Richters Hans-Joachim Hlavka eher dessen persönliche Meinung über das »gesunde Volksempfinden« wieder: »Irgendwann hat die Bevölkerung in Dresden es mal satt«, zitierte ihn die Tageszeitung Neues Deutschland (ND) am Donnerstag. Das historische Datum der Bombardierung der Elbmetronpole am 13. Februar werde »politisch von beiden Seiten ausgenutzt«. Verteidiger Sven Richwin sagte dem ND, es sei nicht nachvollziehbar, warum die Strafe für den 36jährigen Vater eines kleinen Kindes nicht wenigstens zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hoffe jetzt auf die nächste Instanz. Da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, blieb sein Mandant auf freiem Fuß.
Richwins Kollege Hans-Eberhard Schultz stand unterdessen am Donnerstag selbst wegen einer Auseinandersetzung im Zusammenhang mit Neonazis vor dem Berliner Landgericht: Er hatte Rechtsmittel gegen eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte eingelegt, zu der ihn das Amtsgericht Berlin-Tiergarten verurteilte. Hintergrund war eine Demonstration von Rechtsextremen vor dem Kriminalgericht Moabit unter dem Motto »Höchststrafe für Kinderschänder!«. Beim dazugehörigen Polizeieinsatz war der engagierte linke Anwalt nach einem Disput mit den Beamten gewaltsam von den Treppenstufen des Eingangs entfernt worden. Der Prozeß wird am 4. Februar fortgesetzt.

Der Verlagsgeschäftsführer dieser Zeitung, Dietmar Koschmieder, soll am 1. Februar um 9.00 Uhr vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten erscheinen – auch wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Hintergrund: Eine angemeldete NPD-Kundgebung, die im Sommer 2011 vor den Verlagsräumen stattfand, ohne daß die Polizei im Vorfeld die jW-Mitarbeiter informiert hatte. Einige von ihnen versammelten sich nach Dienstschluß auf dem Redak­tionsbalkon und setzten den Neonazis antifaschistische Parolen, Lärm und Spott entgegen. Auch Wasserbomben flogen in Richtung NPD. Nach ihrer Kundgebung wurden die Neonazis von der Polizei zum nächsten U-Bahnhof geführt. Weitere Beamte umstellten das jW-Redaktionsgebäude, nahmen Personalien von Mitarbeitern auf und fotografierten sie. Auch Koschmieder wurde vorübergehend in Gewahrsam genommen. Nach dem unfreiwilligen Fototermin hatte er blaue Flecken und Hautabschürfungen.

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#69

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 18.01.2013 21:00
von Lisadill • 744 Beiträge

Sachsen: Rechts vor links
»Rechtlich fragwürdig und politisch gefährlich«: Nach Haftstrafe für Antifaschisten und Bewährung für Neonazigruppe »Sturm 34« wächst Kritik an Dresdner Justiz
Von Rüdiger Göbel

Die vom Amtsgericht Dresden in dieser Woche verhängte Haftstrafe gegen einen antifaschistischen Demonstranten und Mitarbeiter der Linkspartei stößt auf immer heftigere Kritik. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) nannte das Urteil am Freitag gegenüber dapd »rechtlich fragwürdig und politisch gefährlich«. Statt etwas zu beweisen, habe das Gericht forsch gemutmaßt. Gefährlich sei die Entscheidung, weil offenbar ein Exempel statuiert werden sollte. Beides habe mit einem rechtsstaatlichen Verfahren nichts zu tun.

Der Vorsitzende Richter Hans-Joachim Hlavka hatte am Mittwoch einen Teilnehmer der Blockade eines Neonaziaufmarsches zu einem Jahr und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Ohne Bewährung. Der 36jährige Berliner Tim H. soll nach Einschätzung des Gerichts am 19. Februar 2011 mit einem Megaphon eine Menschenmenge aufgewiegelt und zum Durchbrechen einer Polizeisperre aufgefordert haben. Konkrete Beweise gab es dafür nicht. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen Körperverletzung, besonders schwerem Landfriedensbruch und Beleidigung sogar eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten gefordert. Vier Einsatzkräfte waren seinerzeit bei dem Durchbruch verletzt worden (jW berichtete).

Das in Köln ansässige Komitee für Grundrechte und Demokratie reagierte am Freitag mit Entsetzen. Das Urteil sei »unverhältnismäßig und abschreckend«, erklärte Komitee-Sprecherin Elke Steven. Mit Tim H. sei offenbar ein Angeklagter exemplarisch übermäßig bestraft worden, weil alle anderen bisherigen Verfahren gegen Teilnehmer von Sitzblockaden gegen den Aufmarsch von NPD und »Kameradschaften« im Februar 2011 hätten eingestellt werden müssen. Auch die polizeilichen Durchsuchungen von mehreren Räumen am Abend des 19. Februar wurden gerichtlich für rechtswidrig erklärt. Die Datensammlungen mittels Funkzellenabfrage wurden vom sächsischen Datenschutzbeauftragten ebenso eingestuft – für rechtens erklärt worden ist die Auswertung von 1,2 Millionen Kommunikationsverkehrsdaten dagegen von Richter Hlavka laut einem am 3. Januar 2013 unterzeichneten Beschluß.

Der Dresdner Juso-Vorsitzende Stefan Engel machte am Freitag »schwerwiegende demokratische Defizite im Freistaat« aus. Am selben Tag, da gegen Tim H. eine Haftstrafe ohne Bewährung verhängt wurde, habe das Landgericht Dresden die Verurteilung von fünf Rädelsführern der verbotenen Neonazigruppe »Sturm 34« wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu Bewährungs- und Geldstrafen bestätigt. Zeitgleich wurde außerdem bekanntgegeben, daß die Immunität des sächsischen Grünen-Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi wegen seiner Beteiligung an den Protestaktionen im Februar 2011 aufgehoben werden soll, was am Donnerstag vor dem zuständigen Ausschuß im sächsischen Landtag auch exekutiert wurde. »Offensichtlich ist es in Sachsen deutlich unproblematischer, Ausländer und Andersdenkende durch Kleinstädte zu jagen, als sich offensiv gegen Nazis zu engagieren«, so der Vorsitzende des SPD-Jugendverbandes.

Tim H. wird gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) sichert ihm Unterstützung zu: »Zivilcourage gegen rechts ist nicht kriminell. Naziaufmärsche blockieren ist unser Recht. Tim, die Überlebenden des Naziterrors stehen hinter dir.«

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#70

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 30.01.2013 09:33
von Lisadill • 744 Beiträge

8Inhalt
80 Jahre Mössinger Generalstreik
DGB, GEW, ver.di, IG Metall und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) rufen für den 2. Februar gemeinsam zu einer Demonstration in Mössingen auf. Andreas Gammel, Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes, erklärte den Veranstaltern, warum seine Partei diese nicht unterstützen will:


Seitens des CDU-Stadtverbandes Mössingen teile ich Ihnen mit, daß wir uns definitiv NICHT an der Veranstaltung am 2.2.2013 beteiligen werden und auch nicht zur Beteiligung aufrufen werden. (…)

Keiner verkennt das Unheil, das sich aus der Machtübernahme der Nazis entwickelt hat. Damit ist, im Nachinein betrachtet, alles, was diese Machtergreifung hätte verhindern können, á priori gut. Daß 1933 noch keiner wußte, was im Laufe der nächsten 12 Jahre geschehen sollte, ist eine Banalität, die Sie aber bei Ihrer Wertung der Ereignisse des 31.1.33 völlig ausgeblendet haben. Zwar ist (wieder aus der Sicht der Nachkriegszeit) aus Hitlers »Mein Kampf« alles bis hin zu Weltkrieg und Holocaust herauszulesen. Aber wieviel aus »Mein Kampf« tatsächlich umgesetzt werden würde, war Anfang 1933 noch völlig unvorhersehbar.

Sie behaupten, daß ein Scheitern der Machtergreifung Hitlers am 30.1.33 definitiv das »Dritte Reich« und den Weltkrieg verhindert hätte. Das ist plakativ, aber historisch unhaltbar, denn Sie bleiben die Antwort schuldig, wieso es keinen eventuell folgenden weiteren Versuch einer Machtergreifung der Nazis hätte geben können, oder ob nicht eine ganz andere (vielleicht linke?) Diktatur mit ähnlich furchtbaren Folgen entstanden wäre. Wer so vereinfacht, der muß natürlich die Mössinger Streikaktion glorifizieren.

Wer sich dagegen die Mühe macht, etwas in die Tiefe zu gehen, kann leicht erkennen: das eigentliche Ziel der Streikenden war nicht die Verteidigung der Weimarer Verfassung. Im Gegenteil sollte diese zugunsten einer Räterepublik gestürzt werden. Ihr Flugblatt übergeht dies einfach. Aber wer zudem, wie viele alte Mössinger, das gewaltsame Vorgehen mancher Streikführer in der Firma Merz miterlebt hat oder aus erster Hand geschildert bekam, der kann dies nicht einfach achselzuckend beiseite schieben. Für diese Menschen ist die unreflektierte Heldenverehrung, die aus Ihrem Aufruf spricht, nur schwer zu ertragen. Und auch viele der Menschen, die die Verwirklichung der Ziele der Mössinger Streikführer in den Jahren nach 1945 (in der DDR nämlich) erlebt haben, sind entsetzt und zurecht verletzt von der Einseitigkeit Ihrer Sichtweise. (…)

Das örtliche Tagblatt kommentierte am 25. Januar:


(…) Die jüngsten Beiträge von Teilen des Mössinger Gemeinderats stellen nichts infrage. Sie machen Stimmung. Sie führen uns gewaltbereite Dörfler als Kommunisten mit konkreten revolutionären Zielen vor. Dem ’33er-Aufstand wird das nicht gerecht. So machten bereits Nachkriegs-Richter die kommunistische Gesinnung, wo sie vorhanden war, sogar zum entscheidenden Kriterium, die Demonstranten nachträglich vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freizusprechen. Die handfeste Aktion galt fürderhin als legitimer Widerstand gegen ein drohendes Unrechtsregime, das sich zu diesem Zeitpunkt seinerseits bereits unzweideutig als gewaltbereit geoffenbart hatte. Bei all den Fragen – diese ist schon lang beantwortet

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#71

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 30.01.2013 22:25
von Lisadill • 744 Beiträge

31.01.2013 / Abgeschrieben / Seite 8Inhalt
Bedauern und große Empörung
Stellungnahme der Ortsverbände Glienicke und Mühlenbecker Land der Partei Die Linke zum Verlauf der Gedenkveranstaltung für die Opfer des deutschen Faschismus am 27. Januar 2013 in Glienicke:


Seit 1996 ist der 27. Januar als Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus ein gesetzlich verankerter Gedenktag. Am 27. Januar 1945 befreiten Truppen der Roten Armee die Häftlinge des Vernichtungslagers Auschwitz. Wir gedenken an diesem Datum über alle weltanschaulichen und religiösen Unterschiede hinweg gemeinsam als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes der Millionen Opfer in der Einsicht, daß sich das von 1933 bis 1945 unfaßbare Geschehen nie wiederholen darf. Die Opfer von Faschismus und Krieg verdienen eine würdige Erinnerung an jedem Ort der Bundesrepublik Deutschland.

Die Aufgabe eines Vorsitzenden der Gemeindevertretung ist die Repräsentation aller Bürgerinnen und Bürger und der von ihnen gewählten politischen Kräfte. (…) Mit tiefem Bedauern und großer Empörung mußten wir aber am 27. Januar erfahren, daß dieser Gedenktag vor allem durch den Vorsitzenden der gastgebenden Glienicker Gemeindevertretung, Herrn Martin Beyer, im Sinne einer CDU-Wahlkundgebung mißbraucht wurde. Schon der Hinweis auf eine angebliche Miturheberschaft des damaligen Kanzlers Helmut Kohl (CDU) an der Einführung dieses Gedenktages war völlig unangemessen. Kraft seines Amtes als Bundespräsident gebührt allein Roman Herzog dieses Verdienst.

Wir schämen uns dafür, daß es dem Ehrengast Peter Neuhof, dem Sohn des in Sachsenhausen ermordeten Widerstandskämpfers Karl Neuhof, Kommunist und Mitglied der jüdischen Religionsgemeinschaft, von Herrn Beyer zugemutet wurde anzuhören, daß angeblich »zwei gewaltbereite politische Bewegungen« den Faschismus möglich gemacht hätten. Die KPD hat den Aufstieg des Faschismus von Anfang an bekämpft, sie und ihr Mitglied Karl Neuhof der Mitschuld am Faschismus zu bezichtigen ist eine Schmähung, die ihresgleichen sucht. Nicht die Wähler von SPD und KPD haben die NSDAP stark gemacht, vielmehr liefen die Anhänger der liberalen, bürgerlichen und konservativen Parteien in Massen zu Hitler über, und im Verein mit rechtskonservativen Eliten wurde Hitler an die Macht gebracht! Peter Neuhof tat das einzig Richtige, er verließ die Glienicker Kirche nach diesem unwürdigen Vorgehen! (…)

Beschämend ist es auch, daß es Herrn Beyer nicht gelang, die Rolle des Widerstandes gegen Hitler explizit zu würdigen. In der Aufzählung der Opfer des Faschismus kamen die ermordeten Vertreter der deutschen Arbeiterbewegung überhaupt nicht vor. Mutige Männer und Frauen der Gewerkschaften, der SPD, der KPD, der SAP und anderer Arbeiterorganisationen zahlten einen hohen Blutzoll für ihren Kampf gegen ein menschenvernichtendes Regime. Sie nicht erwähnt zu haben ist schlicht und einfach ein Skandal. (…)

Wir verwahren uns gegen Belehrungen aus den Unionsparteien über den Umgang mit der NPD. Auch hier war sich Herr Beyer nicht zu schade, den entsetzten Gästen die Position des Bundesinnenministers Friedrich (CSU) nahezulegen, die NPD solle doch besser nicht verboten werden. (…)

Welches Kalkül auch immer Herrn Beyer zu dieser unsäglichen Fehlleistung veranlaßt haben mag, er sollte darüber nachdenken, ob er noch die richtige Person für dieses Amt ist. (…)

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#72

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 08.02.2013 18:48
von Lisadill • 744 Beiträge

Der Geheimdienst nützt letztlich den Nazis«

NPD-Landesvorsitzender der Spitzeltätigkeit verdächtig. Linke-Politikerin fordert Auflösung des Verfassungsschutzes. Ein Gespräch mit Kerstin Köditz
Interview: Markus Bernhardt

Kerstin Köditz ist Sprecherin für ­antifaschistische Politik der Linksfraktion im sächsischen Landtag

Holger Szymanski, Vorsitzender der sächsischen NPD, soll für das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen gespitzelt haben. Er selbst bestreitet dies bisher. Welche Erkenntnisse haben Sie?
Als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission bin ich zur Geheimhaltung verpflichtet, darf Ihnen also nichts zu möglichen Erkenntnissen über eine frühere V-Mann-Tätigkeit des jetzigen NPD-Landesvorsitzenden sagen. Allerdings hat ausgerechnet der Präsident des Landesamtes selbst diese Geheimhaltungspflicht gebrochen, indem er gegenüber den Medien eine solche Spitzeltätigkeit von Holger Szymanski faktisch bestätigt hat. Die Details, die er dabei preisgegeben hat, lassen eigentlich keinen anderen Schluß zu als den, daß es sich bei der fraglichen Person tatsächlich um den frisch gekürten Landesvorsitzenden der NPD handelt.

Daß er selbst dies dementiert, kann kaum überraschen. Er weiß natürlich genau, daß den Beweis für seine Jahre als V-Mann nur der Geheimdienst selbst erbringen könnte. Der jedoch kann genau dies nicht tun, da der Schutz von Quellen auch nach ihrer Abschaltung oberste Priorität hat.

Wie reagiert die NPD selbst auf die Vorwürfe?
Der NPD-Landesvorstand hat ihm zwar einstimmig das Vertrauen ausgesprochen, aber immerhin gut zwei Stunden Diskussion benötigt, um sich zu diesem Schritt durchzuringen. Das Verhalten des Präsidenten des Geheimdienstes ist schlicht unverzeihlich. Er verrät damit nicht nur Dienstgeheimnisse, sondern er betreibt direkt Politik gegen eine Partei. Das aber ist dem Geheimdienst ausdrücklich nicht gestattet.

Szymanski, der erst im Januar an die Spitze des sächsischen NPD-Landesverbandes gewählt wurde, wurde maßgeblich von NPD-Bundeschef Holger Apfel protegiert. Könnten die nun erhobenen Beschuldigungen gegen Szymanski auch innerparteiliche Probleme für Apfel mit sich bringen?
Bei den Neonazis der »Freien Kräfte« gilt die NPD ja ohnehin bereits als »Spitzelpartei«. Um den Vorwurf abzuwehren, hatten sich die im Januar neu gewählten Landesvorstandsmitglieder verpflichten müssen, 15000 Euro zu zahlen, wenn sie doch Kontakte zu einem Geheimdienst haben oder hatten.

Statt dessen stellt man sich nach außen geschlossen vor einen Verdächtigten. Ein Teil der Gegner Apfels sammelt sich bereits in den »Freundeskreisen Udo Voigt«. Die Initiatoren kommen ausgerechnet aus Apfels Landesverband. Es handelt sich um das ehemalige Parteivorstandsmitglied Frank Rohleder aus Chemnitz sowie zwei Funktionäre aus dem Vogtland. Aus diesem Kreis hat auch der langjährige Kreisvorsitzende Unterstützung signalisiert, die derzeitige Kreisvorsitzende dagegen wurde nicht erneut in den Landesvorstand gewählt. All das läßt nur den Schluß zu: es herrscht heftige Unruhe auch in der sächsischen NPD.

Fürchten Sie Konsequenzen für ein kommendes NPD-Verbotsverfahren, wenn es tatsächlich zutreffen sollte, daß Szymanski im Dienst der Spitzelbehörde stand?
unbenannt
Foto: www.kerstin-köditz.de
Nach meinen Informationen wird er nicht im Material zum Verbotsverfahren namentlich zitiert. Das sagt aber in diesem speziellen Fall nichts, denn als Pressesprecher war er selbstverständlich mitverantwortlich für die Formulierungen in zitierten Äußerungen von anderen Funktionären.

Insofern handelt es sich um eine weitere Klippe. Die NPD kann das nur freuen. Insgesamt habe ich meine Zweifel an der Qualität des vorgelegten Beweismaterials.

Mitunter wirkt es, als hätte es die neofaschistische Partei niemals in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern geschafft, wenn sie nicht – sowohl finanziell als auch personell – derart von den Inlandsgeheimdiensten alimentiert worden wäre …

Es gibt leider in Deutschland kontinuierlich einen relativ hohen Prozentsatz an Menschen, die das menschenfeindliche und rassistische Gedankengut der NPD teilen. Wenn wir uns die Zustimmung für Sarrazin ansehen, dann wissen wir, daß er deutlich größer ist als die Wählerschaft der NPD. Meiner Ansicht nach ist die staatliche Verantwortung vielmehr darin zu sehen, daß eine rassistische Politik betrieben wird, die den Nazis den notwendigen Auftrieb gegeben hat und noch gibt.

Fernab des von der politischen Mitte betriebenen Rassismus: Der Zustand der NPD gilt als vollkommen desolat. Die Partei scheint noch immer durchsetzt von V-Leuten, und es stehen diverse Strafzahlungen an, die die Partei wegen falscher Rechenschaftsberichte an die Bundestagsverwaltung zurückzuzahlen hat. Ist ein Verbotsverfahren gegen die NPD vor diesem Hintergrund überhaupt noch notwendig?
Es gibt gute Gründe, die für ein Verbot der NPD sprechen. Und es gibt gute Gründe, die dagegen sprechen. Unstrittig ist wohl, daß ein Scheitern des Verfahrens der NPD erheblichen Auftrieb geben würde. Die Gefahr eines solchen Scheiterns ist nicht unerheblich. Nicht zuletzt sorgt der desolate Zustand der NPD dafür, daß das Verfahren spätestens in Strasbourg abgewiesen würde. Ich glaube nicht, daß die Innenminister in einer solchen Konstellation klug beraten waren, das Verfahren zu forcieren.

Im Rahmen der Enthüllungen über die vom neofaschistischen Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) verübten Morde und Bombenanschläge wurde Gordian Meyer-Plath als neuer Präsident des sächsischen Geheimdienstes eingesetzt. Hat sich unter seiner Führung etwas positiv geändert?
Kein Gebrauchtwagenhändler wird seinen Ladenhüter als verrottete Karre anpreisen. Statt dessen wird er ihn auf Hochglanz polieren, die dringend notwendigen Reparaturen dagegen unterlassen. Das ist die bisherige Rolle von Meyer-Plath. Das Landesamt in Sachsen ist also so inkompetent wie eh und je. Sollte sich dann auch noch bestätigen, daß ausgerechnet Meyer-Plath der V-Mann-Führer des brandenburgischen Spitzels »Piato« gewesen ist, glaube ich nicht einmal mehr, daß der Wille zur Veränderung gegeben ist.

Man könnte fast zu dem Schluß kommen, daß mehr Gefahr von den Verharmlosern und Förderern der Neofaschisten in den Geheimdienstzentralen als von der Naziszene selbst ausgeht …
Ich spekuliere eigentlich nicht gerne, ob die Pest oder ob die Cholera gefährlicher ist. Für mich ist die entschiedene Bekämpfung der Neonazis und jeglichen menschenfeindlichen Gedankenguts notwendig, und für mich ist die Abschaffung des Inlandsgeheimdienstes dringlich. Beide sind eine Gefahr für die Demokratie. Es hat sich in der Geschichte der Bundesrepublik gezeigt, daß der Geheimdienst letztlich den Nazis nützt. Herausragendes Beispiel ist das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren. Dort war der Einfluß des Bundesamtes und der Landesämter so groß, daß das Gericht der NPD »mangelnde Staatsferne« attestieren mußte. Eigentlich ist das der Super-GAU: sowohl für den Geheimdienst als auch für eine Partei, die sich als systemoppositionell darstellt.

Unbestreitbar ist, daß die Einigung der zersplitterten thüringischen Neonaziszene zum »Thüringer Heimatschutz« ohne die Ämter sehr viel schwieriger gewesen wäre. Und auch bei der Nutzung des Mailboxnetzwerkes »Thule« gab es Hilfestellung vom VS. Von den Spitzelgeldern, die in die Szene geflossen sind, will ich gar nicht erst reden. Mein Fazit: wenn wir die Geheimdienste abschaffen, machen wir auch den Nazis das Leben schwerer. Zwei Fliegen mit einer Klappe, so nennt man das wohl.

Auf welche Vorgänge in Sachen NSU und militante Nazis werden Sie sich in den kommenden Wochen konzentrieren?
Jetzt steht erst einmal der 13. Februar in Dresden vor der Tür. Stoppen wir auch in diesem Jahr dort die Nazis, könnte das das endgültige Ende für den Marsch dort bedeuten. Die Beteiligung zeigt aber auch, daß wir uns durch die staatliche Repression nicht einschüchtern lassen. Und dann kommt der 5. März zum gleichen Thema in Chemnitz. Die Mobilisierungsfähigkeit der Nazis läßt zwar nach, wie in Magdeburg zu sehen war, aber das liegt nur daran, daß sich unsere Gegenwehr verstärkt hat. Wir dürfen also nicht nachlassen.

Was das Netzwerk NSU und den Untersuchungsausschuß betrifft, so fürchte ich, daß sich das öffentliche Interesse in den kommenden Monaten auf den Prozeß in München konzentrieren wird. Dort geht es um die strafrechtliche Aufarbeitung. Die politische Aufarbeitung in den Ausschüssen und die Konsequenzen daraus sind aber ebenso wichtig.

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#73

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 08.02.2013 23:59
von Lisadill • 744 Beiträge

Tiefbrauner Vorwand
Hetzschrift unter falschem Namen: Offensichtliche Neonaziprovokation führte in München zu Hausdurchsuchung bei bekanntem linken Aktivisten
Von Claudia Wangerin
Noch Fragen, wo der Feind steht? Landesinnenminister Joachim Her
Noch Fragen, wo der Feind steht? Landesinnenminister Joachim Herrmann stellte 2011 das Internetportal »Bayern gegen Linksextremismus« vor
Foto: Peter Kneffel dpa/lby
Walter Listl ist in München als langjähriger Aktivist und Sprecher des Bündnisses gegen Krieg und Rassismus sowie als Bezirkssprecher der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) bekannt. Zuletzt zitierten ihn Medien als Kundgebungsredner bei den Protesten der Friedensbewegung gegen die Münchner »Sicherheitskonferenz«. Das von der CSU-dominierten Staatsregierung betriebene Portal »Bayern gegen Linksextremismus« nennt ihn namentlich als »maßgeblichen Aktivisten« des Bündnisses, in dem »neben demokratischen auch linksextremistische Parteien und Gruppierungen« vertreten seien. Dennoch kam es weder der Staatsanwaltschaft München I noch dem zuständigen Ermittlungsrichter des Amtsgerichts unlogisch vor, daß ausgerechnet in Listls Namen ein Neonazipamphlet verschickt wurde. In Maschinenschrift hatten der oder die unbekannten Verfasser »Millionen Asylbetrüger, Zigeuner und Juden« sowie einen »linksvertrottelten Polit- und Medienmob« gegeißelt. Wegen des Elaborats mit der Überschrift »Hallo multikulturellbereicherte Kanaken- und Judenbüttel« wurde gegen Listl ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet, das am Donnerstag zu einer Hausdurchsuchung führte.

Die Beamten suchten nach einer nicht vorhandenen Schreibmaschine, beschlagnahmten dann aber Listls Terminkalender mit Telefonverzeichnis. Der Betroffene äußerte am Freitag gegenüber junge Welt den Verdacht, die Hetzschrift sei nur ein willkommener Vorwand für die Durchsuchungsaktion gewesen, da über seine Aktivitäten in antifaschistischen und antirassistischen Zusammenhängen genug Erkenntnisse bei Justiz und Polizei vorlägen. Es handle sich ganz offensichtlich um eine Provokation von Neonazis. »Man kann davon ausgehen, daß dies auch der Ermittlungsrichter erkennen mußte«, so Listl in einer Beschwerde an das Amtsgericht. Mit der Polizeiaktion gegen ihn sei für die Rechtsextremen bereits ein Teilerfolg zu verbuchen.

Briefe gleichen antisemitischen Inhalts wurden auch mit dem Absender des 87jährigen Münchner Antifaschisten und KZ-Überlebenden Martin Löwenberg verschickt, der in seiner Jugend während des Hitlerfaschismus nach den Nürnberger Gesetzen selbst als »jüdischer Mischling ersten Grades« eingestuft war. Sowohl Listl als auch Löwenberg standen mehrfach als Verantwortliche im Sinne des Presserechts mit vollem Namen und Adressen auf antifaschistischen Flugblättern. Auch der Name der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.) wurde für den Versand von Hetzschriften mißbraucht, ebenso die Personalie eines für a.i.d.a. tätigen Journalisten. Mitarbeiter der Archivstelle wollen nun Anzeige gegen Unbekannt erstatten. Zu Hausdurchsuchungen kam es bei ihnen und Martin Löwenberg in diesem Zusammenhang nicht. Zur Durchsuchung bei Listl aufgrund der Hetzschrift, die »legitime Notwehr gegen diesen zunehmenden Kanaken- und Judenstaat« propagiert, erklärte am Freitag das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus: »Kein auch nur mit etwas Vernunft ausgestatteter Mensch käme auf die Idee, daß dieses Nazipamphlet von einem der angegebenen Absender stammen könnte.« Bündnissprecher Claus Schreer warf Polizei, Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichter vor, »Nazis als Hilfstruppe für ihre eigenen Zwecke« zu nutzen – »für ihre Repressionsmaßnahmen gegen Linke und Antifaschisten«.

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#74

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 10.02.2013 19:10
von Lisadill • 744 Beiträge

Gesegnete Nazis
Karlheinz Deschners Buch über Vatikan und Faschismus ist neu erschienen
Von Frank-Rainer Schurich
Im Gespräch mit Naziaußenminister Joachim von Ribbent
Im Gespräch mit Naziaußenminister Joachim von Ribbentrop: Der päpstliche Nuntius Cesare Orsenigo beim Neujahrsempfang Hitlers in der Reichskanzlei in Berlin (12.1.1939)
Foto: Bundesbildarchiv/ Bild 183-H26878
Dem Berliner Kirchenkritiker und Publizisten Peter Gorenflos ist es zu verdanken, daß Karlheinz Deschners fundamentales Werk »Mit Gott und den Faschisten« nach 47 Jahren wieder in einer unveränderten Ausgabe erschienen ist. Mit der ersten Auflage 1965 sowie seinem Buch »Abermals krähte der Hahn« (1962) hatte sich Deschner den Zorn der katholischen Kirche und des bundesdeutschen Regimes zugezogen; es hetzte wegen Gotteslästerung seine Justiz auf ihn. Deschner war aber wegen seiner kirchenkritischen Arbeiten im In- und Ausland bereits so bekannt, daß er vor Verurteilung und Inhaftierung geschützt war.
Massenverbrechen
Der Autor recherchiert genau, belegt alle Quellen, präsentiert präzise und detailreich die historischen Fakten. Selbst ärgste Feinde konnten ihm nie Fehler nachweisen. Deschner zeigt, daß die katholische Kirche den faschistischen Regierungen Europas nicht nur treue Hilfe leistete, sondern in ihrem Schutz auch ungeheure Verbrechen beging, z.B. auf dem nördlichen Balkan, wo in Kroatien mit der Abschlachtung von 750000 Serben eines der vielleicht am meisten verschwiegenen Massenverbrechen der Neuzeit mit dem Segen der Kurie stattfand. Er entlarvt die Mär vom katholischen Widerstand, die gleich nach dem Untergang des Hitler-Reiches geboren wurde und immer noch verbreitet wird.

Nach dem Ersten Weltkrieg, weist Deschner nach, ergriff die katholische Kirche die Gelegenheit, um gemeinsam mit dem aufkommenden Faschismus das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Die Angst vor einem Sieg der Arbeiterbewegung in ganz Europa nach dem Vorbild Rußlands war in Rom so groß, daß der Vatikan mit dem reaktionären Großbürgertum Italiens und dessen Handlangern, den Faschisten, ein Bündnis einging, das allen Seiten eine dauerhafte Existenz sichern sollte. »Diese unheilige, katholische Allianz mit dem angeblich kleineren – faschistischen – Übel«, schreibt Gorenflos im Vorwort zur Neuauflage, »führte in die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte: den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust (…) Bei diesem von der Catholica herbeigesehnten ›Weltanschauungskrieg‹, wie ihn Hitler auch nannte, wurde der Holocaust als eine Art nicht unwillkommener Kollateralschaden in Kauf genommen.«

Deschner wiederum bedauert in seinem Vorwort die Unkenntnis vieler darüber, daß die katholische Hierarchie sämtliche faschistische Staaten von deren Anfängen an systematisch unterstützt hat und so entscheidend am Tod von 60 Millionen Menschen im Zweiten Weltkrieg mitschuldig wurde. Er untersucht im ersten Kapitel die »freundschaftlichen« Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem italienischen Faschismus. Der »Duce« wußte, wofür die katholische Kirche nützlich ist, und der Vatikan begriff, daß sein Partner die Träger jeglichen Fortschrittsdenkens physisch ausrotten würde. In Italien wie in Deutschland betrieb der Papst die Auflösung der katholischen Partei, um Mussolini und Hitler in den Sattel zu helfen. So konnte z.B. der Abessinienkrieg 1935 mit päpstlichem Segen geführt werden.
Antibolschewismus
»Der Vatikan und der spanische Bürgerkrieg« heißt das zweite Kapitel. Bereits zwischen 1936 und 1939 kamen ungefähr 600000 Spanier ums Leben, danach ging das Schlachten weiter. Vatikan-Staatssekretär Eugenio Pacelli, ab 1939 Papst Pius XII., hielt schon während des Putsches 1936 fest zu General Francisco Franco. Thema des dritten Kapitels ist »Der Vatikan und Hitlerdeutschland«. Am 20. Juli 1933 wurde das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich geschlossen – Hitlers erster völkerrechtlicher Vertrag. Fast zwei Drittel der 34 noch heute gültigen Artikel sicherten kirchliche Privilegien.

Während des Zweiten Weltkrieges, zeigt das vierte Kapitel, unterstützten die deutschen Bischöfe Hitler noch intensiver als zuvor. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion erklärten sie am 10. Dezember 1941: »Mit Genugtuung verfolgen wir den Kampf gegen die Macht des Bolschewismus.« Ein Jahr später befanden sie, daß ein Sieg über den Bolschewismus gleichbedeutend mit dem Triumph der Lehren Jesu über die der Ungläubigen wäre. Bis 1945 und darüber hinaus gewährte der Vatikan Schutz und Schirm für die Faschisten.

Pius XII. segnete auch einen der größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts, den kroatischen Ustascha-Führer Ante Paveli, mit dem sich Deschner im fünften Kapitel »Der Vatikan und die Kroatengreuel« befaßt.

Deschners spannendes und verständlich geschriebenes Buch erscheint noch genauso aktuell wie vor 47 Jahren, denn die »Hirnzermanschungsmaschine« (Fritz Erik Hoevels im Nachwort) arbeitet noch immer auf vollen Touren. Es ist ein Stück Aufklärung.

Karlheinz Deschner: Mit Gott und den Faschisten. Der Vatikan im Bunde mit Mussolini, Franco, Hitler und Paveli. Ahriman-Verlag, Freiburg 2012, 227 Seiten, 19,80 Euro

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#75

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 17.02.2013 19:15
von Lisadill • 744 Beiträge

Gauck abgeblitzt
Am heutigen Montag empfängt Bundespräsident Joachim Gauck in Berlin Hinterbliebene von Opfern der Mordserie, die dem »NSU« zugeschrieben wird
Die Schwester des 2001 in Hamburg ermordeten Süleymann Tasköprü, Aysen Tasköprü, sagte Gauck in einem Brief ab:



Sehr geehrter Herr Bundespräsident Gauck, vielen Dank für die Einladung. Ich habe über meine Anwältin gehört, daß Sie nicht wünschen, daß die Rechtsbeistände der Nebenkläger bei dieser Einladung dabei sind. Sie möchten nur Ihre Empathie ausdrücken, aber keine Anwälte auf diesem Treffen sehen. Es wäre empathisch von Ihnen gewesen, nicht darauf zu bestehen, daß ich alleine ins Präsidialamt komme. Ich fühle mich dem nicht gewachsen und werde daher Ihre Einladung nicht annehmen können.

Da Sie ja aber so daran interessiert sind, wie es uns geht, werde ich Ihnen gerne schildern, wie es uns geht. Im Sommer 2001 töteten die Neonazis meinen Bruder. Im Spätsommer 2011 – zehn Jahre später – klingelte die Kripo bei mir. Sie brachten mir die persönlichen Gegenstände meines Bruders. Ich fragte die Beamtin, warum jetzt die Sachen kämen; ob es etwas Neues gibt. Sie sagte nur, man habe nur vergessen mir die Sachen zurückzugeben. Dann ging sie wieder. Ich habe stundenlang vor den Sachen meines toten Bruders gesessen; ich habe tagelang gebraucht, um mich zu überwinden meinen Eltern davon zu erzählen, daß seine Sachen wieder da sind. Ich war völlig am Ende. (…)

Ich wurde 1974 in der Türkei geboren; seit 1979 lebe ich in Deutschland. Ich bin hier zur Schule gegangen, habe meine Ausbildung gemacht und gearbeitet. Mein Sohn wurde hier geboren und ich fühlte mich als Deutsche mit türkischen Wurzeln. Noch im März 2011 konnte ich darüber lachen, als eine Sachbearbeiterin im Rathaus zu meinem Sohn sagte, er sei kein Deutscher. Der Kleine war ganz erstaunt und erklärte ihr sehr ernsthaft, daß er sehr wohl Deutscher sei, er habe schließlich einen deutschen Paß. Wie gesagt, ich lachte und sagte meinem Sohn, ich würde ihm das zu Hause erklären. Heute kann ich darüber gar nicht mehr lachen. Ich hatte mal ein Leben und eine Heimat. Ich habe kein Leben mehr. Ich bin nur noch eine leere Hülle, die versucht, so gut wie möglich zu funktionieren. Ich bin nur noch unendlich traurig und fühle mich wie betäubt. Ich habe auch keine Heimat mehr, denn Heimat bedeutet Sicherheit. Seitdem wir wissen, daß mein Bruder ermordet wurde, nur weil er Türke war, haben wir Angst. Was ist das für eine Heimat, in der du erschossen wirst, weil deine Wurzeln woanders waren? (…)

Alles was ich noch möchte, sind Antworten. Wer sind die Leute hinter dem NSU? Warum ausgerechnet mein Bruder? Was hatte der deutsche Staat damit zu tun? Wer hat die Akten vernichtet und warum? (…) Und auch Ihnen, Herr Bundespräsident Gauck, ist mein Bruder doch nur wichtig, weil die NSU ein politisches Thema in Deutschland ist. Was wollen Sie an unserem Leid ändern? Glauben Sie, es hilft mir, wenn Sie betroffen sind? Ich würde mir wünschen, daß Sie als erster Mann im Staat mir helfen könnten, meine Antworten zu finden. Da helfen aber keine empathischen Einladungen, da würden nur Taten helfen. Können Sie mir helfen? Wir werden sehen.

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#76

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 21.02.2013 21:06
von Lisadill • 744 Beiträge

Praktische Solidarität gefragt
Caren Lay wertet die Immunitätsaufhebung als »verheerendes politisches Signal, das alle entmutigt, die sich gegen Nazis engagieren«:

(…) Die Bundeskanzlerin, der Bundespräsident und auch alle anderen politischen Würdenträgerinnen und Würdenträger betonen immer wieder, wie wichtig es sei, sich den Nazis in den Weg zu stellen. Der Bundestag hätte heute die Chance gehabt zu signalisieren, daß es ihm damit wirklich ernst ist.

Besonders das Verhalten von SPD und Grünen hat mich erstaunt und schockiert. Immerhin rufen auch zahlreiche Politikerinnen und Politiker aus ihren Reihen zu Protesten in Dresden und anderswo auf. Ihre Argumentation, die Immunität privilegiere Abgeordnete gegenüber anderen Demonstrantinnen und Demonstranten, ist fadenscheinig. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Herstellung unserer Immunität wäre praktische Solidarität für alle anderen friedlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einer Blockade.


zuletzt bearbeitet 21.02.2013 21:06 | nach oben springen

#77

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 05.03.2013 18:50
von Lisadill • 744 Beiträge

Rechte Identitätsprobleme
Die »Identitären« warnen vor »manischem Antifaschismus« und setzen vor allem auf antiislamische Parolen
Von Lenny Reimann
Frei dem Motto »Alter Wein in neuen Schläuchen« machen seit geraumer Zeit rechte Aktivisten von sich reden, die sich selbst »Identitäre Bewegung« nennen. Nach dem Vorbild der französischen »Génération identitaire« wurde die »Identitäre Bewegung Deutschland« 2012 auch in der Bundesrepublik gegründet. Mittlerweile bestehen in mehreren Großstädten Ableger des Zusammenschlusses, die jedoch – mit Ausnahme einiger Flashmobaktionen – mehr im Internet als im realen Leben aktiv sind.

Während die Anhänger der besagten Gruppierung offiziell behaupten, nicht rassistisch zu sein, sprechen die Veröffentlichungen der Gruppe, die politisch im Spektrum der Neuen Rechten zu verorten ist, eine gänzlich andere Sprache. So setzt diese nicht nur auf die traditionellen Themen der politischen Rechten, indem sie etwa eine angebliche Entwertung des Staates, der Religion und der Familie beklagt. Vielmehr sprechen sich die Kulturkrieger auch für den »Erhalt unserer ethnokulturellen Identität« aus, die sie »heute durch den demographischen Kollaps, die Massenzuwanderung und die Islamisierung bedroht« sehen.

Noch deutlicher werden die rechten Aktivisten auf ihrer Internetseite, wo sie behaupten, daß in der Bundesrepublik »ein manischer Selbsthaß und eine neurotische Angst davor« bestünde, die »identitäre Frage anzusprechen, die uns in die Islamisierung und damit den Untergang treiben« würde. Wie auch die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit haben die »Identitären« eine angeblich vorhandene »political correctness« als »herrschende Ideologie« ausgemacht und schwadronieren des weiteren von einem »ethnische(n) Masochismus«, einer »Ideologie der totalen Gleichmacherei, des schrankenlosen Globalismus« und »eines manischen Antifaschismus«.

Indes sollte die »Identitäre Bewegung«, die sich im Internet wortgewaltig aufplustert, keineswegs überschätzt werden. Schließlich sagt die Unterstützung in sogenannten sozialen Netzwerken wie Facebook erst einmal wenig über den Rückhalt in der Bevölkerung aus. Bedacht werden sollte jedoch, daß es den Kulturkriegern unter Umständen gelingen könnte, an rechte Splittergruppen wie etwa »Pro Deutschland« anzuknüpfen und diesen biederen und strukturkonservativen Rechten ein moderneres Image zu verschaffen.

Erst kürzlich warnte auch der Bremer Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Joachim von Wachter, vor der selbsternannten Bewegung. »Wir haben Hinweise darauf, daß es Überschneidungen mit der rechtsextremen Szene gibt«, so von Wachter. In der Vergangenheit hatte es tatsächlich eine »identitäre Aktion« der militanten »Nationalen Sozialisten Rostock« gegeben, die sich zu einer Flashmobaktion in der dortigen Innenstadt zusammengefunden hatten. Antifaschistische Beobachter gehen indes – allen anderslautenden Beteuerungen der Rechten zum Trotz – davon aus, daß in der »Bewegung der Identitären« vom Neofaschisten bis zum Burschenschaftler jeder Platz habe.

nicht mit Facebook verbunden
Facebook "Like"-Dummy

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#78

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 09.03.2013 18:54
von Lisadill • 744 Beiträge

Frei.Wild raus
Die Deutsche Phono-Akademie hat die Band Frei.Wild aus Südtirol von der Liste der Nominierten für den Musikpreis Echo genommen. Zuvor hatte es Protest von anderen Bands, die in der gleichen Kategorie Rock/Alternativ National nominiert sind, gegen die Musikgruppe gegeben, die sie als rechtsradikal begreifen – die NPD hat eine Mahnwache für die Band bei der Verleihung der Echos am 21. März in Berlin angekündigt. (dapd/jW)

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#79

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 19.03.2013 09:30
von Lisadill • 744 Beiträge

ich hab versucht mir diesen Film anzuschauen, es hat nciht geklappt von wegen ehrlicher Film,lachhaft!!

Das hat Methode

50000 Platzpatronen sind nicht der Krieg: Zum ZDF-Dreiteiler »Unsere Mütter, unsere Väter«
Von Kurt Pätzold

Von Bild bis FAZ wurde der ZDF-Dreiteiler »Unsere Mütter, unsere Väter« vorab mit Lorbeer überhäuft. Der Spiegel schrieb vom »TV Ereignis des Jahres«. Nie sei der Krieg wahrer gezeigt worden, befanden die Rezensenten, als in dieser »neue (n) Art von Zeitgeschichtsdrama«, diesem »Bravourstück«, das »eine Zeitenwende für das deutsche Fernsehen« einleite, das fürderhin »mehr solche (r) Weltkrieg-Eventmovies« herstellen möge. Eine einzige Stimme in der Süddeutschen hielt es nicht für völlig ausgeschlossen, daß Zuschauer vor dem morgigen Abschluß des 15-Millionen-Euro-Spektakels, in dem 50000 Platzpatronen verschossen werden sollen, kriegsmüde kapitulieren.

Die höchste Erwartung aber hat sein Produzent Nico Hofmann geäußert. Mit dem Dreiteiler, der eine »radikale Qualität« besitze, solle das Schweigen zwischen den Generationen gebrochen werden – die Dabeigewesenen mögen nun endlich den Nachgeborenen von den Zeiten und von sich in diesen Zeiten erzählen, rückhaltlos, ungeschönt, ehrlich. Mit diesem Film werde ein Angebot für derlei Gespräche unterbreitet.

War der Mann vom Unterricht im Rechnen in den frühen Klassen beurlaubt? Die im Film 1941 Krieg spielen, sollen 20 Jahre alt sein. Die das waren, überlebt haben und noch leben, sind über 90. Sie bilden den Rest derer, die Historikern als Zeitzeugen gelten. Ihre Mehrheit ringt bei geringen Anstrengungen nach Luft und führt an Familientischen oder in Altersheimen kaum Gespräche über diesen Krieg und ihre Rolle in ihm. Es sind weniger »unsere Väter und Mütter«, von denen der Film handelt. Erzählt wird von Omas und Opas. Die haben nur in Ausnahmefällen über das Erlebte, Getane und Unterlassene gesprochen. TV-Rezensenten schrieben es deren Scham zu. Woher kömmt ihnen diese Erkenntnis? Wieso hat die faschistische Gesellschaft diese Leute geprägt, während von der bundesrepublikanischen Prägung keine Rede ist? Was ist mit den Jahren, in denen der erste Bundeskanzler der soeben gegründeten Republik forderte, doch nicht immer von Kriegsverbrechern zu sprechen, das seien doch ganz wenige gewesen?

Nun also wird als Fortschritt gefeiert, wenn ein Film zeigt, daß aus einem Krieg niemand so herauskommt, wie er in ihn hineinging, und dies zumal aus jenem, den die Deutschen von 1939 bis 1945 führten. Das hat vor nahezu zwei Jahrzehnten etwa die sogenannte Wehrmachtsausstellung bewiesen, was Proteste bis in deutsche Parlamente auslöste. Und daß Soldaten Mörder sind, wollte Tucholsky schon nach dem Ersten Weltkrieg den Deutschen beibringen. Wer dieses Diktum illustriert haben wollte, könnte zu Romanen Remarques, Pliviers oder Arnold Zweigs greifen.

Der ZDF-Film sei, hieß es in Vorschauen, so nahe an der geschichtlichen Wirklichkeit wie keiner zuvor. So offenbart sich Unkenntnis. Während die Einblendungen von Orten und Daten des Eroberungszuges diese Nähe vortäuschen, wird eine alte Nazilegende wieder hervorgekramt, die den Generalen Schlamm und Winter das Verfehlen des Angriffsziels Moskau zuschreibt (dessen Erreichung für den Kriegsverlauf insgesamt so wenig bedeutet hätte wie der Einzug Napoleons in die Stadt 1812). Und wieder einmal beginnt der Widerstand des Gegners erst vor Moskau. Was westwärts davon Rote Armee war, ging nach diesen Bildern in Gefangenschaft. In Wahrheit haben, trotz der Millionen, denen das geschah, die sowjetischen Divisionen von den ersten Tagen an einen Widerstand geleistet, über dessen Stärke sich in den internen Informationen der Wehrmacht ebenso nachlesen ließe wie in Briefen deutscher Soldaten – wenigstens den beratenden Historikern hätten diese Verzeichnungen aufstoßen können.

Wie Leser und Zuschauer neuerdings vorzugsweise um die historische Wahrheit betrogen werden, hat Methode. Der Krieg, in der Presse als »sinnlose Vernichtungsschlacht« oder »das große kriegerische Morden« gefaßt, wird auf eine einzige Abfolge persönlicher Erlebnisse eingedampft. Die sind nicht erfunden, aber in all ihrer Furchtbarkeit und Grausigkeit nicht der Krieg. Zu dessen Geschichte und Vorgeschichte gehören eine Gesellschaft, ein Staat, Menschengruppen mit Interessen, Kriegsziele und einiges weitere mehr. Dies alles verschwindet hinter dem Krachen der Geschosse, dem Schreien der Verwundeten, dem Röcheln der Sterbenden, den Massakern an Unbeteiligten, dem unaufhaltsamen Fortschreiten der Verrohung. So wird, das mag ein Verdienst genannt werden, Abscheu vor Kriegen erzeugt, wiewohl es dazu solcher Spielfilme nicht bedarf, denn er läßt sich aus den täglichen Nachrichten von den Kriegen unserer Tage beziehen. An Erkenntnissen oder auch nur Einsichten ist damit nichts gewonnen.

Wie wenig dieser Film zum Nachdenken herausfordert, machte nach dem ersten Teil am Sonntag eine Gesprächsrunde klar, deren älteste Herren bei Kriegsende 1945 fünf bzw. ein Jahr alt waren. Nach dem rasch übergangenen Einwurf, daß mit der Kriegserfahrung in der DDR doch nicht ganz genauso umgegangen worden sei wie im deutschen Westen, landete das Gespräch bei der schwerwiegenden Erörterung, was der Mensch sei; und der Antwort: Nie ganz gut und nie ganz böse. Schließlich unternahm die Leiterin des Geplänkels einen Rettungsversuch und richtete eine Frage aus den Schulgeschichtsbüchern an die jüngste Teilnehmerin: Ob sie sich gefragt habe, wie sie sich in solcher Kriegssituation verhalten haben könnte? Sie erhielt die Auskunft, dies sei doch nicht zu klären. Das gilt nicht für die Frage: Wie verhaltet ihr euch im Alltag gegenüber einzelnen oder Organisationen, die sich nicht vom Prinzip der Gleichheit aller Menschen leiten lassen? Die steht aber nicht in den Schulbüchern.

Abschließend noch ein Wort zu einer abstrusen Konstruktion im ersten Teil des ZDF-Films. Ganz selbstverständlich gehört ein Jude da 1941 zu einem Freundeskreis von zu »Ariern« erklärten Altersgenossen. Die Wege der im Deutschen Reich so Sortierten hatten zu diesem Zeitpunkt längst weit auseinandergeführt. Diese waren in der Hitlerjugend und besuchten Schulen, die jenem verwehrt waren, »Deutsche« wurden zum Arbeitsdienst eingezogen, besuchten Schwimmbäder, die Juden verboten waren. All das schien an den vier vorbeigegangen zu sein. Sie zeigten sich auf offener Straße mit dem Juden als ein Bund. Von einer antinazistischen Erziehung, die ihren Mut hätte erklären können, war keine Rede. Den Machern scheint auch entgangen zu sein, daß die Juden Mitte 1941 ihre Wohnungen verlassen mußten und in Judenhäuser gepfercht wurden. Ohne Bedenken lassen sie den Juden in einem Aufzug durch Berlin gehen, in dem er heute in Tel Aviv nicht auffiele, damals in der Reichshauptstadt aber gewiß angepöbelt worden wäre.

Mancher Zuschauer hat – wie es nur die Süddeutsche nicht ausschließen mochte – den ersten Teil nicht durchgehalten. Wer Bild aus ästhetischen und anderen Gründen meidet, muß nicht auf ihr Niveau hinabsteigen, nur weil es in bewegten Bildern dargeboten wird.


zuletzt bearbeitet 19.03.2013 09:32 | nach oben springen

#80

RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland

in Gesellschaft 27.03.2013 20:32
von Lisadill • 744 Beiträge

V-Mann auf NSU-Liste
Hitler-Verehrer arbeitete für Sachsens Verfassungsschutz. Ehemaliger NPD-Abgeordneter zählt auch zum Umfeld der rechten Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund«
Von Markus Bernhardt
Peter »Paul Panther« Klose (letzte Reihe links) und
Peter »Paul Panther« Klose (letzte Reihe links) und die NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag (10. Mai 2007)
Foto: Matthias Hiekel/lsn
Die Serie von Erkenntnissen über Verstrickungen des Verfassungsschutzes in das mörderische Treiben des neofaschistischen Terrornetzwerkes »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) reißt nicht ab. Nach dem sächsischen NPD-Chef Holger Szymanski ist nun auch der ehemalige NPD-Landtagsabgeordnete Peter Klose aus Zwickau als V-Mann des Verfassungsschutzes aufgeflogen. Ermittlungsbehörden rechnen letzteren zum NSU-Umfeld. So findet sich Kloses Name auf der kürzlich bekanntgewordenen Liste mit 129 Personen wieder, die laut Bundesanwaltschaft die drei NSU-Haupttäter Beate Zschäpe, Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos unterstützt haben sollen. Auf einer vorangegangenen Liste mit 100 Kontaktleuten fehlte Kloses Name hingegen noch.

Klose selbst ist in der rechten Szene alles andere als das, was man ein unbeschriebenes Blatt nennen könnte. Der Hitler-Verehrer rückte im Dezember 2006 für den sächsischen NPD-Abgeordneten Matthias Paul in das Landesparlament nach. Der hatte sein Mandat zurück- und alle Parteiämter aufgegeben, nachdem bekanntwurde, daß gegen ihn wegen Besitzes und Verbreitens von Kinderpornographie ermittelt wird. Nach Verwerfungen mit der NPD trat Klose, der mittlerweile aufgrund eines Schlaganfalles nicht mehr ansprechbar ist, im April 2011 aus der Partei aus. Im November 2011 hatte der überzeugte Neonazi neuerlich für Schlagzeilen gesorgt. Klose präsentierte sich – wohlgemerkt noch vor den Enthüllungen über den NSU-Terror – im Internetportal Facebook unter dem Namen »Paul Panther«, als Profilfoto verwendete er die Zeichentrickfigur »Paulchen Panther«. Dieser Vorgang sorgte damals für Spekulationen, inwiefern Klose von den NSU-Verbrechen gewußt hat. Schließlich hatten die NSU-Terroristen die Zeichentrickfigur in ihrem später bekanntgewordenen Bekennervideo genutzt.

Dafür, daß Klose selbst in das NSU-Unterstützernetzwerk verstrickt war, spricht auch, daß er eine Bindegliedfunktion zwischen verschiedenen neofaschistischen Gruppierungen und Personen ausfüllte. So galt er unter anderem als Unterstützer der Gruppe »Nationale Sozialisten Zwickau«. Der soll auch André Eminger angehört haben, der sich ab April als NSU-Unterstützer auf der Anklagebank im Münchner Oberlandesgericht wiederfindet. Auch zu Thomas »Ace« Gerlach, der mit der mutmaßlichen NSU-Helferin Mandy Struck liiert war, soll Klose Kontakt gepflegt haben.

Kritik am Verfassungsschutz übte am Mittwoch Kerstin Köditz, Landtagsabgeordnete der sächsischen Linksfraktion und deren Sprecherin für antifaschistische Politik: »Der ehemalige sächsische Geheimdienstchef Reinhard Boos stellte auf meine Frage im NSU-Untersuchungsausschuß, weshalb Peter Klose nicht als Kontaktperson dem Generalbundesanwalt zugearbeitet worden sei, dessen Relevanz in Frage. Der stellvertretende Verfassungsschutzpräsident Olaf Vahrenhold hat immer betont, es gäbe keine sächsischen V-Leute auf der Hunderterliste. Hat man vielleicht Klose bewußt weggelassen, um nicht die Unwahrheit zu sagen?« Gegenüber junge Welt erklärte Köditz, sie fühle sich durch diesen neuen Fall in zwei Aussagen bestätigt, »die ich schon lange als bewiesen ansehe: Erstens war das Umfeld der Helfer und Kontaktleute so groß, daß man unmöglich von Einzeltätern oder einer Zelle sprechen kann, und zweitens wimmelte es in der Nähe des NSU von staatlich bezahlten Spitzeln.«

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