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RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 13.04.2012 21:04von Jonas • 615 Beiträge
Über die Unterwanderungsversuche des Bio-Anbaus durch Rechtsextreme:
http://www.sueddeutsche.de/politik/unter...braun-1.1332321
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 16.04.2012 08:09von kein Name angegeben • ( Gast )
Generalabrechnung
Hilflos im Moralismus verharrend: Freerk Huisken über das Elend der Kritik am Neofaschismus und Demokratiegeplänkel antifaschistischer Gruppen
Von Markus Bernhardt
Mit seiner Veröffentlichung »Der demokratische Schoß ist fruchtbar – Das Elend der Kritik am (Neo-)Faschismus« greift der Publizist Freerk Huisken zum richtigen Zeitpunkt in die Debatte um den Zustand antifaschistischer Organisationen und bürgerlicher Neonazigegner ein. Hat sich doch spätestens seit der erstaunlichen Wortkargheit und Hilflosigkeit antifaschistischer Organisationen in Folge der Enthüllungen über die terroristischen Morde des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) gezeigt, wie inhaltlich defizitär die antifaschistische Bewegung mittlerweile aufgestellt ist.
In seinem neuen, im Hamburger VSA-Verlag erschienen Buch untermauert Huisken seine These, derzufolge Demokraten aller Couleur Neofaschisten nicht kritisieren könnten, da sie bei der »unerwünschten Konkurrenz« Einvernehmen mit dem eigenen höchsten politischen Ziel, nämlich dem Erfolg der Nation, entdecken würden. Harsch, aber stets untermauert von Argumenten, rechnet der 1941 geborene Huisken mit weiten Teilen der antifaschistischen Bewegung ab, der er unter anderem vorwirft, daß ihr »außer einer Neuauflage der juristischen Kriminalisierung der NPD und verstärkt auch ihres Umfeldes nicht viel einfällt«.
In einem eigenen Kapitel geht Huisken, emeritierter Professor für Politische Ökonomie des Ausbildungssektors im Fachbereich Erziehungswissenschaften der Universität Bremen, zudem auf das Unvermögen antifaschistischer Gruppen ein, dem zunehmend von neofaschistischen Organisationen propagierten rechten »Antikapitalismus« politisch etwas entgegenzusetzen. Dies liegt laut Huisken daran, daß die Antifa »sich in der Kritik an den ›Mißständen‹, die der Kapitalismus hervorbringt, zunächst einmal mit ihren politischen Gegnern einig« sei. »Überall dort, wo der Faschist diese Kritik mit moralischen Kategorien einleitet, weiß die Antifa dem nichts entgegenzusetzen«, so der Autor, der dem Gros der Antifaschisten vorwirft, »hilflos in ihrem Moralismus« zu verharren.
Neonazigegner seien mittlerweile »so sehr von der antifaschistischen Gesinnung des demokratisch erzogenen Volkes überzeugt, daß sie sich darüber glatt jedes Argument gegen Faschismus, Rassismus und Nationalismus ersparen«, lautet ein weiterer Vorwurf Huiskens, der antifaschistischen Gruppierungen rät, sich endlich zu entscheiden: »Entweder beschließen sie, als die letzten Überlebenden und Personifikationen der berechnend eingeführten Nachkriegsstaatsräson weiterzumachen, dann müssen sie in Deutschland alte und neue Nazis jagen, auch wenn regierende Demokraten längst dabei sind, Hitlers Visionen von deutscher Größe und Weltgeltung per Welteroberung überzuerfüllen. Dann aber behindern sie als Parteigänger der wahren Demokratie zugleich die Kampfansage an den Grund des Faschismus. Oder sie beginnen wirklich einmal damit, nach den Wurzeln des ›Nazismus‹ zu fragen«, wofür sie sich jedoch von »der Vorstellung lösen müssen, daß ein deutscher Staat, in welchem Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus verwurzelt ist, kein demokratischer sein kann; und dafür haben sie sich zugleich an den Gedanken zu gewöhnen, daß sich umgekehrt mittels erfolgreicher demokratischer Betreung einer kapitalistischen Ökonomie im In- und Ausland auch ganz ohne Faschismusimitat, also ohne Antisemitismus und KZ, ohne Euthanasie und Weltkriegsalleingänge, so einiges an Verheerungen an Mensch und Natur anrichten läßt«, so Huisken weiter.
Das neue Buch des Bremer Professors, der auch das Standardwerk »Erziehung im Kapitalismus« verfaßt hat, dürfte geeignet sein, autonome antifaschistische Aktivisten und Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), die sich mehrheitlich für ein Verbot faschistischer Organisationen und Parteien aussprechen, bis aufs Blut zu provozieren. Eben dies zeichnet den Band jedoch aus. So wirft Huisken Fragen auf, die in der antifaschistischen Bewegung – wenn überhaupt – einzig hinter vorgehaltener Hand diskutiert werden. Huiskens offensive und vollkommen rücksichtslose Kritik am mehrheitlichen Wirken der antifaschistischen Bewegung verdient daher in jedem Fall Beachtung. Der Autor verweist auf politische Defizite in deren Reihen und verweigert sich der antifaschistischen Selbstinzenierung als »guter Demokrat«.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Mordserie der Untergrundgruppe »NSU«, der Verstrickung der bundesdeutschen Geheimdienste in den rechten Terror, der imperialistischen Kriegspolitik Deutschlands und des maßgeblich antimuslimischen Rassismus in diesem Land, ist Huiskens politischer Debattenbeitrag kaum zu hoch zu bewerten. Mit »Der demokratische Schoß ist fruchtbar – Das Elend der Kritik am (Neo-)Faschismus« hat er ein weiteres Standardwerk verfaßt, das in das Bücherregal jedes Antifaschisten gehört.
Freerk Huisken: Der demokratische Schoß ist fruchtbar – Das Elend der Kritik am (Neo-)Faschismus. VSA Verlag, Hamburg 2012, 232 Seiten, 14,80 Euro
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 19.06.2012 20:40von Lisadill • 744 Beiträge
Beschränkt »unsterblich«
Von Claudia Wangerin
Opfermythos auf Schildern: Polizeibeamte beschlagnahmen am Dienstag in Lübbenau Material der »Widerstandsbewegung Südbrandenburg«
Foto: dpa
In Brandenburg ist eine aufstrebende Neonazivereinigung verboten worden. Über 260 Polizisten durchsuchten am Dienstag morgen 27 Objekte von Anhängern der »Widerstandsbewegung Südbrandenburg«, als Innenminister Dietmar Woidke (SPD) das Verbot vollstrecken ließ. Schwerpunkte der Razzia waren außer Cottbus die Landkreise Spree-Neiße und Dahme-Spreewald. Der »Widerstandsbewegung in Südbrandenburg« waren die Internetauftritte spreelichter.info und werde-unsterblich.info zuzuordnen. Auf den Propagandaseiten, die zunächst nicht abgeschaltet werden konnten, weil die Gruppierung einen Server im Ausland nutzt, war gegen sämtliche demokratischen Kräfte mobil gemacht worden, weil diese nach Ansicht der Betreiber gezielt den »Volkstod« durch Zuwanderung organisieren.
Die »Unsterblichen« waren seit einigen Monaten durch nächtliche Fackelzüge aufgefallen, bei denen schwarz gekleidete, mit weißen Masken vermummte Aktivisten Böller zündeten und rassistische Parolen riefen. Videos derartiger Aufmärsche waren auf besagten Internetseiten veröffentlicht worden.
Das brandenburgische Innenministerium erklärte dazu am Dienstag, die Vereinigung richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Zweck und Tätigkeit der Gruppierung liefen den Strafgesetzen zuwider. Ihr Vermögen werde eingezogen. Woidke sprach von einem »massiven Schlag gegen die rechte Szene in Südbrandenburg«. Die verfassungsfeindlichen Aktivitäten seien für den demokratischen Rechtsstaat nicht länger hinnehmbar gewesen. Die Vereinigung habe eine »Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus« erkennen lassen. Brandenburgs SPD-Generalsekretär Klaus Ness erklärte, das Signal sei klar: Das Land dulde keine Gruppierungen mit menschenverachtender und verfassungsfeindlicher Gesinnung.
Das Brandenburgische Institut für Gemeinwesenberatung (demos) bezeichnete das Verbot als notwendigen und folgerichtigen Schritt. Geschäftsführer Dirk Wilking sagte laut Nachrichtenagentur dapd, der »Widerstand Südbrandenburg« habe eine nicht unerhebliche Wirkung erzielt. Das Verbot werde seine Aktivitäten zumindest einschränken. Wilking fügte hinzu, die Gruppe habe vor allem eine »bildungsstarke Klientel« angesprochen. Zu den Anhängern gehörten viele Abiturienten und Studenten. Das Innenministerium hatte laut Verfassungsschutzbericht 2011 auch Erkenntnisse über ideologische Schulungen der »Widerstandsbewegung in Südbrandenburg«.
Aufmärsche der »Unsterblichen« hatte es allerdings nicht nur in Brandenburg und anderen östlichen Bundesländern gegeben. Bereits im Dezember 2011 waren die vermummten Gestalten in Hamburg-Harburg gesichtet worden. Aufgrund der Personalienfeststellungen nach der unangemeldeten Demonstration kam es dort im März 2012 ebenfalls zu Hausdurchsuchungen. Dabei stellten die Beamten eine Gaspistole, eine Axt, Masken, mehrere CDs mit rechtsextremen Inhalten sowie Fahnen und Aufkleber sicher. Hinzu kamen selbstgebaute Böller und Tränengasgranaten. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hatte es im Januar entsprechende Razzien gegeben, bei denen Hunderte Masken und Fackeln sichergestellt worden waren.
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 02.07.2012 22:14von Lisadill • 744 Beiträge
Fromm packt ein
Von Sebastian Carlens
Nix gewußt oder viel vertuscht? Fromm nimmt sein Wissen mit in die Rente
Foto: dapd
Mit Beschwichtigungen, Versetzungen und öffentlichem Bedauern war es nach dem Eklat um geschredderte Verfassungsschutzakten nicht mehr getan: Am Montag hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) das Gesuch des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm, um »Versetzung in den Ruhestand« zum Ende dieses Monats angenommen. Friedrich habe die Entscheidung Fromms, der seit 2000 Chef des Inlandsgeheimdienstes ist, »mit Respekt zur Kenntnis genommen«, teilte sein Sprecher am Montag in Berlin mit.
Fromm übernimmt damit die Verantwortung für die am vergangenen Mittwoch bekannt gewordenen Datenvernichtungen beim BfV (jW berichtete). Nach Informationen des Spiegel sollen nicht nur Daten über V-Leute des Verfassungsschutzes, die im Zusammenhang mit der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) stehen, nachträglich gelöscht, sondern auch Computerdateien absichtlich lückenhaft geführt worden sein. Aus einem Bericht, den das BfV bereits Ende 2011 erstellt habe, gehe hervor, daß die Werbungsdatei für V-Leute »nicht alle tatsächlich durchgeführten Werbungsfälle« enthalte, berichtet das Magazin in seiner aktuellen Ausgabe. Einige Fälle seien »nicht in die Datei eingetragen worden«, andere wurden »aus operativen Gründen« herausgehalten.
Fromms Rücktritt sei »konsequent«, befand der Grünen-Politiker Christian Ströbele: »Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat schwere Fehler gemacht.« Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy, sagte gegenüber Welt-online, Fromm sei »der erste Behördenvertreter, der bereits persönliche Konsequenzen aus dem Versagen seiner Behörde zieht«. Zugleich lobte Edathy Fromms Einsatz gegen rechts. Eine unter Innenminister Schäuble (CDU) forcierte Zusammenlegung der Abteilungen für Rechts- und Linksextremismus sei gegen den Widerstand Fromms durchgesetzt worden. Als »ehrenwerten Schritt« sieht der FDP-Vertreter im Untersuchungsausschuß, Hartfrid Wolff, Fromms Rückzug. Dieser lasse jedoch vermuten, daß »hinter der jüngst bekannt gewordenen Aktenvernichtung mehr steckt als bislang bekannt«.
Schon im März 2003 hat der Verfassungsschutz Hinweise auf rechtsterroristische Strukturen in der BRD erhalten, berichtete die Berliner Zeitung am Montag mit Bezug auf ein Schreiben, das der italienische Geheimdienst AISI an das BfV richtete. Aus dem Text gehe hervor, daß bei einem Treffen europäischer Neonazis in »vertraulichen Gesprächen« ein »halb im Untergrund befindliches« Netzwerk »militanter Neonazis« erwähnt worden sei. AISI meldete dem BfV zudem enge Kontakte der rechten Szene Thüringens und Bayerns nach Italien. So habe Ralf Wohlleben, der als mutmaßlicher Unterstützer der Zwickauer Terrorzelle in U-Haft sitzt, mehrfach an Zusammenkünften in Italien teilgenommen und Geld übergeben »für die Unterstützung von Kameraden, die sich in Schwierigkeiten befinden«.
Dem Rücktritt des BfV-Präsidenten war ein öffentlicher Vertrauensentzug aus den Regierungsparteien vorausgegangen. Der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer griff ihn in Bild (Samstagausgabe) direkt an: »Die Affäre wirft die Frage auf, ob Fromm den Verfassungsschutz noch im Griff hat.« Das Bauernopfer beim BfV klärt jedoch nichts – die sich aufdrängende Frage ist vielmehr, ob das SPD-Mitglied Fromm den Inlandsgeheimdienst jemals »im Griff« hatte: Welche Seilschaften, Fraktionen und Klüngel in den Ämtern ihrer ganz eigenen Agenda folgen, ist noch längst nicht aufgeklärt. Eine lückenlose Offenlegung könnte, so sie jemals stattfindet, Deutschland erschüttern
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 10.07.2012 21:55von Lisadill • 744 Beiträge
Wer warnte den V-Mann?
Spitzel Tino Brandt konnte sich Strafverfolgung entziehen – Erfurter Untersuchungsausschuß fördert Unglaubliches beim Landesverfassungsschutz zutage
Von Sebastian Carlens
Amt zwischen Wahnsinn, Suff und Willkür – der ehemalige Präsident Helmut Roewer im Jahr 2002, vor einem anderen Untersuchungsausschuß
Foto: dapd
Der ehemalige Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz (TLfV), Harm Winkler, hat dem Inlandsgeheimdienst am Dienstag vor dem Erfurter Untersuchungsausschuß zur Zwuckauer Terrorzelle einen desolaten Zustand bescheinigt. So seien Sicherheitsbedenken gegen Abteilungsleiter im Verfassungsschutz von seinen Vorgesetzten im Landesinnenministerium nie beantwortet worden. Ein Mitarbeiter habe den ehemaligen Innenstaatssekretär Michael Lippert gewarnt, daß ein Rechtsextremer in Thüringen eine Organisation gründen wolle. Der Staatssekretär habe ihn gefragt, ob er »nichts Besseres zu tun« habe, berichtete Winkler. Bereits am Montag hatte das Gremium Winklers Nachfolger, Helmut Roewer, befragt. Dessen Aussagen beförderten vor allem Skurrilitäten über das Geheimdienstgeschäft zutage. Roewer, der das Amt von 1994 bis zum Jahr 2000 leitete, schilderte seine Behörde als durchgehend inkompetent und unqualifiziert. Es sei »überhaupt nichts vorhanden« gewesen, als er die Stelle antrat, niemand habe eine entsprechende Ausbildung zum Verfassungsschützer gehabt, »außer ich« – »Ich galt als Spitzenkraft. So ist das.«
Etwas anderes als dieser Rundumschlag gegen die einstigen Kollegen blieb Roewer kaum übrig, denn vor ihm hatten zwei hochrangige ehemalige Mitarbeiter des TLfV ausgesagt, die ihrerseits kein gutes Haar an der Führung Roewers ließen (jW berichtete). Radfahrten auf den Behördenfluren, nackte Füße auf dem Schreibtisch und Candlelight-Dinners des Chefs mit Rotwein, Käse und sechs weiblichen Mitarbeiterinnen habe er erlebt, berichtete Karl Friedrich Schrader, einst Leiter des Referats 22, Abteilung Rechtsextremismus. Schrader war von Roewer ins Haus geholt worden. Nach ersten Dissonanzen verschlechterte sich das Verhältnis zum Chef jedoch; ein dreiseitiger Beschwerdebrief an Innenminister Christian Köckert (CDU) brachte keinen Erfolg: Disziplinar- und Strafverfahren und im Jahr 2000 ein Hausverbot waren die Konsequenzen für Schrader, der schließlich sechs Jahre lang bei vollen Bezügen zu Hause blieb. Die Amtsführung seines Chefs beschrieb er als nackte Willkür: »Roewer hatte eine eigene Quelle, die keiner kannte, die hieß Günther. Alle im Amt wußten von der Quelle Günther und daß die gut bezahlt wurde, aber keiner kannte sie«, gibt die Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König eine Aussage Schraders auf ihrer Webseite haskala.de wieder.
Norbert Wiesner, vom hessischen Landesamt in den Neunzigern nach Erfurt gewechselt und acht Jahre lang für die Werbung von V-Leuten zuständig, beschaffte dem TLfV seinen größten Trumpf: V-Mann Tino Brandt. Die Führungsfigur des »Thüringer Heimatschutzes« (THS) spitzelte seit 1994. In der Führung sei »viel schiefgelaufen«, resümierte auch Wiesner. V-Männer seien im Landesamt herumgeirrt, Beamte hätten ihre Spitzel privat zu Hause besucht, Intimitäten über Quellen seien schon mal beim Kaffee in der Frühstücksrunde ausgetauscht worden. »Der Roewer sollte mal aus dem Amt gedrängt werden, dafür wurde ein Dossier angefordert«, sagte Wiesner laut Katharina König. Das Papier kam jedoch nicht zustande, denn der damit beauftragte sei »kurzfristig nach einem Urlaub verstorben«.
Die Staatsanwaltschaft Gera, die jahrelang versuchte, Tino Brandt hinter Gitter zu bringen, strengte 35 Ermittlungsverfahren gegen den Rudolstädter Neonazi an. Ohne Erfolg, Brandt kam jedes Mal davon. Weil das Amt ihm geholfen habe, hieß es aus den Reihen der frustrierten Ermittler, die schon mal erleben mußten, daß ein Neonazi, der sich später als V-Mann entpuppen sollte, mit einer bereits ausgebauten Festplatte auf die Polizei wartete, als diese eine Hausdurchsuchung vornehmen wollte. Davon will der frühere Referatsleiter Schrader nichts wissen: Die 35 Ermittlungsverfahren gegen Brandt habe er mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. »Das wußte ich nicht«. Doch wer warnte Brandt dann? Das Amt stattete seinen Spitzel auch mit einem gefälschten Presseausweis aus, berichtete die Berliner Zeitung am Montag. Im Gegensatz zur Darstellung des scheidenden Chefs des Bundesverfassungsschutzes, Heinz Fromm, sei das Bundesamt sehr wohl über Brandts Tätigkeit für den Geheimdienst informiert worden, behauptete Wiesner. Die nach Aussage Fromms gemeinsam mit dem TLfV und dem MAD durchgeführte Operation »Rennsteig« sei nicht unter Beteiligung der Thüringer gelaufen, wurde dem Ausschuß mitgeteilt. Roewer selbst wollte keine Angaben zur Operation »Rennsteig« machen. Daran könne er sich nicht mehr erinnern.
Das Landesamt, ein Tollhaus? Immerhin wurde Roewer berufen und konnte sechs Jahre lang, unbekümmert von Dienstvorschriften, nach Gutsherrenart agieren. Die Ernennung selbst muß wohl in etwa so bizarr verlaufen sein wie die Jahre danach: »Wie ich Verfassungsschutz-Präsident wurde? Es war an einem Tag nachts um 23 Uhr, da brachte eine mir unbekannte Person eine Ernennungs-Urkunde vorbei, in einem gelben Umschlag«, erinnerte sich Roewer. Wer dies gewesen sei? »Es war dunkel, ich konnte sie nicht erkennen. Ich war außerdem betrunken.«
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 11.07.2012 20:34von Lisadill • 744 Beiträge
Selbstidiotisierung
Zwischen »blindem« und »tiefem« Staat bewegen sich bisher die medialen Erklärungsmuster zum Neonaziterror. Jetzt wird das Ruder herumgerissen
Von Wolf Wetzel
Plauen, 14. April: Hier sind nur Neonazis gemeint
Foto: dapd
Vor neun Monaten erfuhren wir, daß die zwei toten Männer im Campingwagen von Eisenach nicht nur routinierte Bankräuber, sondern vor allem Mitglieder einer neonazistischen Terrorgruppe namens »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) waren, von deren Existenz keine staatliche Stelle etwas gewußt haben will. Herrschte über ein Jahrzehnt Ahnungslosigkeit, so wurden wir in der Folgezeit mit einer Flut von Medienberichten konfrontiert. Nun scheint sich der Wind in vielerlei Hinsicht zu drehen: Zum einen gibt es jetzt doch Verantwortliche. Aktuell mußten der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und die Leiter des Thüringer sowie des sächsischen Landesamtes ihre Sessel aufgeben. Ein Dominoeffekt wird befürchtet, ein Systemabsturz. Denn die These, es handele sich bei alledem um Versäumnisse, Pannen und persönliche Unzulänglichkeiten, läßt sich kaum noch halten. Die Gefahr, daß man aus diesem organisierten Versagen eben nicht die Stärkung jener Geheimdienste ableiten kann, sondern ihre Auflösung, bringt nun Aufklärungs- und Verdunklungswillen wieder zusammen. Jetzt heißt es, als Regierung und Opposition zusammenzuhalten und das erschütterte Vertrauen in den Verfassungsschutz in einer Blitzheilung wiederherzustellen.
Regenschirmmann
Auch medial wird das Ruder herumgerissen. In der Politsendung »Panorama« vom 5. Juli kommt ausführlich das Ehepaar Temme zu Wort. Im Zentrum steht die Rolle des hessischen Exverfassungsschutzmannes Andreas Temme, der zu der Zeit in jenem Internetcafé in Kassel war, als der türkische Besitzer hingerichtet wurde. Läßt man die Bilder und Worte auf sich wirken, hat man nur eines: Mitleid mit einem Verfassungsschutzmann, der seinen Job verloren hat, mit seiner Ehefrau, die alles mit ertragen mußte und dennoch und jetzt erst recht zu ihm hält.
Am selben Tag überrascht die Süddeutsche Zeitung (SZ) mit einem ganzseitigen Artikel: »Chaostheorie – Gibt es in Deutschland einen ›Tiefen Staat‹ – also eine Zusammenarbeit von Behörden und Rechtsextremisten?« Der Titel liegt noch ganz auf der kritischen Linie der Redaktion und macht neugierig. Was dann jedoch folgt, ist eine ganzseitige Selbstidiotisierung, auf scheinbar hohem Niveau. Man läßt die Story im Jahr 1963 beginnen, als John F. Kennedy ermordet wurde. In der Elm Street in Dallas, wo das Attentat geschah, wurde ein Mann unter einem Regenschirm gesehen, der einzige an diesem recht warmen, himmelblauen Tag. Angeblich ranken sich um diesen »Umbrella man« zahlreiche Geschichten: »Eine der vielen bis heute umlaufenden Verschwörungstheorien besagt, daß Kennedy aus dem Regenschirm heraus erschossen wurde.«
Dann folgt ein großer Zeitsprung und wir landen im Jahr 2012, in Deutschland. Die Redakteure John Goetz, Hans Leyendecker und Tanjev Schultz wollen zwei Wiedergänger ausfindig gemacht haben. Der erste »Umbrella man« ist der Leiter der Referatsgruppe 2b im Bundesamt für Verfassungsschutz, der die Vernichtung der Akten über die »Operation Rennsteig« auf sich genommen hat. Der zweite ist Temme. Was sollen alle drei gemeinsam haben? Das verrät ganz am Ende der Plot: »Jahre nach dem Attentat in Dallas auf den damals mächtigsten Mann der Welt sagte er (der ›Umbrella man«, d.V.) im amerikanischen Kongreß aus. Er brachte seinen Schirm mit und erklärte, er habe ihn damals nur als Zeichen des Protests verwendet.« Was will uns diese Parabel sagen? Der »Umbrella man« in den USA, der BfV-Referatsleiter und der hessische Verfassungsschutzmitarbeiter sind Opfer mißverständlicher, unglücklicher Umstände. Ganz in diesem Sinne hat Temme auch das letzte Wort: »Ich war ganz einfach der falsche Mann am falschen Ort.«
Ganz einfach!?
Keine Fragen
Beginnen wir mit dem ersten Wiedergänger, mit dem BfV-Referatsleiter: Was hat dieser Mann, der hochrangig zur Bekämpfung des »Rechtsterrorismus« eingesetzt war, mit dem »Umbrella man« gemein? Nichts. Der Referatsleiter hat keinen Regenschirm aufgespannt, der fälschlicherweise für die Mordwaffe gehalten wurde, sondern hat Akten vernichtet, als die Generalbundesanwaltschaft bekanntgab, die Ermittlungen an sich zu ziehen. Die Handlung des Referatsleiters wurde nicht fälscherlicherweise für bedrohlich gehalten und in ihrer Bedeutung überhöht, sondern als das bezeichnet, was sie ist: die vorsätzliche Vernichtung von Beweismaterial in Verbindung mit einer Falschaussage.
Was es mit dem zweiten Wiedergänger des »Umbrella man« auf sich hat, Temme, ist sicherlich um einiges schwieriger. Dabei greifen die SZ-Autoren auch auf die »Panorama«-Sendung zurück. Noch einmal kommt Temme zu Wort: »Ich war das angreifbarste Opfer.« Noch einmal wird betont, daß der Internetcafébesuch des hessischen Staatsschützers an dem Tag, wo sich der Mord ereignete, eine »Chat-Affäre« war, hinter der »Verschwörungstheoretiker bis heute eine große Staatsaffäre« vermuten.
Abgesehen davon, daß die SZ-Autoren ihren eigenen investigativen Ehrgeiz lächerlich machen, geht es bei den Fragen nach der Rolle eines Staatsschützers, der vor und nach dem Internetcafébesuch mit (von ihm geführten) Neonazis Kontakt hatte, um etwas anderes. Daß eine Fernsehsendung ausführlich Frau und Herrn Temme zu Wort kommen läßt, ist gut und richtig. Bemerkenswert ist jedoch, daß die Redakteure an keiner Stelle die Aussagen des Ehepaars Temme mit bisher unbestrittenen Tatsachen konfrontieren. Warum haben sie diese Gelegenheit nicht genutzt? Temme stellte sich in der Sendung als ein Opfer dar, dem seine neofaschistischen »Jugendsünden« nachgetragen werden, und sagt dazu lediglich, daß all das lange her sei. Warum haben die Redakteure Temme nicht damit konfrontiert, daß 2006 in seiner Wohnung Auszüge aus »Mein Kampf«, Papiere neonazistischer Gruppen und Schriften zum »Dritten Reich« gefunden wurden? Temme beschreibt seine Seelenqualen, daß er von dem Mord nichts mitbekommen habe, daß er die Schüsse nicht gehört habe und die Mörder nicht hat fliehen gesehen. Warum konfrontieren ihn die Redakteure nicht mit den Feststellungen aus den Untersuchungsberichten, daß es schier unmöglich ist, an der Theke des Internetcafés zu bezahlen, ohne den ermordeten Cafébesitzer dahinter liegen zu sehen?
Staatsinteresse
Ein anderer Ablauf der mörderischen Ereignisse ist wahrscheinlich, wenn nicht gar naheliegender. Und die Verfolgungsbehörden hatten die abgetauchten Mitglieder des »Thüringer Heimatschutzes« nicht verloren, sondern pflegten zahlreiche Kontakte zu ihnen. Aber viel schwerwiegender ist die Frage: Wenn es »ganz anders« war – welche politischen Motive, welche staatlichen Interessen stecken dahinter, über zehn Jahre eine neofaschistische Terrorgruppe zu schützen? Erfahrungsgemäß kann man darauf in zehn, zwanzig Jahren eine beweiskräftige Antwort geben, wenn Dokumente freigegeben werden, die heute niemand einsehen oder einfordern kann. Wir können nicht in die Zukunft schauen, sehr wohl aber in die Vergangenheit.
Als es in den 70er und 80er Jahren immer wieder zu neofaschistischen Mord- und Bombenanschlägen in Europa kam (Bombenanschlag in Bologna am 2. August 1980, Anschlag auf das Oktoberfest in München am 26. September 1980), kam der Verdacht auf, daß viele dieser neofaschistischen Anschläge im Schutz staatlicher Stellen und Dienste begangen wurden. Hinweise, die bereits damals diese Mutmaßung stützten, wurden jedes Mal als bösartige Verleumdungen und aberwitzige Unterstellungen zurückgewiesen. Es dauerte über 20 Jahre, bis Licht in die verdunkelten Zusammenhänge drang. Daniele Ganser, Historiker und Friedensforscher an der Universität Basel, hatte das Glück, in Akten Einsicht nehmen zu können, die in der Schweiz freigegeben wurden. Er kam zu dem Schluß, daß die NATO eine Stand-behind-Armee aus neofaschistischen Gruppen aufgestellt hatte, um diese im Zweifelsfall als faschistische »Reserve« einzusetzen. Als Reaktion auf die Veröffentlichung gab das US-Außenministerium eine umfangreiche Pressemitteilung heraus. Darin wurde die Existenz der Geheimarmeen sowie die zentrale Rolle der NATO und die Beteiligung der CIA indirekt bestätigt. (Daniele Ganser: NATO’s Secret Armies: Operation Gladio and Terrorism in Western Europe: An Approach to NATO’s Secret Stay-Behind Armies. London 2005, Seite 25)
Dieser Text basiert auf einer sechsmonatigen Recherche, die im Internet nachzulesen ist: wolfwetzel.wordpress.com/2012/01/30/thesen-zur-neonazistischen-mordserie-des-nationalsozialistischen-untergrundes-nsu/
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 16.07.2012 20:07von Lisadill • 744 Beiträge
Burschenschafter wehren sich gegen Neonazis in ihrem Dachverband. Doch Bundesregierung ignoriert rechtsextreme Bestrebungen
Von Ulla Jelpke
Burschenschafter wehren sich gegen Neonazis in ihren Reihen
Foto: dapd
Während selbst Burschenschafter neonazistische Aktivitäten in ihrem Dachverband beklagen, will die Bundesregierung dort weiterhin keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen erkennen. »Zum jetzigen Zeitpunkt liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß der Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind«, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei mit dem Titel »Rassismus und rechtsextremistische Tendenzen der deutschen Burschenschaft«.
In der DB sind rund 115 Studentenbünde mit 9000 Mitgliedern zusammengefaßt. Weite Teile der DB – insbesondere die 42 zur »Burschenschaftlichen Gemeinschaft« gehörenden Bünde – stehen offen in der Tradition völkischen Denkens. Im Handbuch der Deutschen Burschenschaft von 2005 werden territoriale Ansprüche auf ehemalige »deutsche Ostgebiete« erhoben und faschistische Kriegsverbrechen relativiert. Doch der Bundesregierung sind nur »vereinzelte Äußerungen« bekannt, in denen »im Zusammenhang mit dem abstammungsbezogenen Volkstumsbegriff teilweise fremdenfeindliche Argumentationsmuster verwendet« werden. Während Burschenschaften immer wieder Neonazis als Redner engagieren, will die Regierung lediglich »vereinzelte Kontakte bzw. Doppelmitgliedschaften« erkennen. Die überwiegende Mehrzahl der Mitgliedsburschenschaften unterhalte keine Kontakte zu Rechtsextremisten.
Das sieht eine »Initiative Burschenschaftler gegen Neonazis« offenbar anders. »Jetzt wird endgültig deutlich, daß rechtsextreme Burschenschaftler die Macht im Verband übernommen haben«, hatte deren Sprecher Justus Libig nach dem Burschentag Anfang Juni in Eisenach erklärt. Dort war es zum offenen Richtungsstreit zwischen rechtsgerichteten und sich als liberal verstehenden Bünden gekommen, nachdem der durch rechtsextreme Äußerungen aufgefallene Funktionär Norbert Weidner erneut mit 85 zu 76 Stimmen zum hauptamtlichen »Schriftleiter« der Verbandszeitschrift Burschenschaftliche Blätter gewählt wurde. Fünf Mitglieder des erweiterten Vorstandes der DB hatten daraufhin ihren Rücktritt erklärt, mehrere Mitgliedsbünde denken nun an einen Austritt aus dem Dachverband.
Weidner hatte Anfang der 90er Jahre später verbotenen Naziorganisationen wie der Wiking Jugend und der Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP) angehört. Dann zog er sich nach eigenen Angaben von der neonazistischen Szene zurückzog und trat 1999 in die FDP ein. Daß damit ein großer Gesinnungswandel verbunden war, darf bezweifelt werden. So hatte Weidner in einem Leserbrief an die Mitgliederzeitung seiner Verbindung, der »Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn«, im vergangenen Herbst den 1945 in einem Konzentrationslager ermordeten Pfarrer und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer einen »Landesverräter« und dessen Verurteilung zu Tode »rein juristisch gerechtfertigt« genannt. Die Bonner Staatsanwaltschaft ermittelt daher seit März 2012 wegen des Verdachts auf Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Schon im vergangenen Jahr hatten die »Raczeks«, deren Vorstand Weidner angehört, auf dem Burschentag einen »Ariernachweis« als Aufnahmekriterium für Neumitglieder eingefordert, dafür aber keine Mehrheit gefunden.
Das Bonner Landgericht urteilte vergangene Woche, daß der ebenfalls den Raczeks angehörende Mitbegründer der Initiative Burschenschafter gegen Neonazis, Christian J. Becker, Weidner als »einen der Köpfe der rechtsextremen Bewegung aus Burschenschaften, NPD und Kameradschaften« bezeichnen und behaupten dürfe, er strebe die Gründung einer rechtsextremen Studentenpartei an.
Kritischer als das für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zuständige Bundesinnenministerium scheint Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer den Zustand der DB zu sehen. So hat sich der CSU-Politiker, der als einziger Bundesminister einer Burschenschaft angehört, laut Antwort der Bundesregierung der Initiative »Burschenschafter gegen Neonazis« angeschlossen.
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 18.07.2012 13:04von Lisadill • 744 Beiträge
Denunziantentum
Der Sprecher des Bremer Friedensforums, Hartmut Drewes, richtete am Dienstag einen offenen Brief an den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann und wandte sich gegen die Antiislamismus-Initiativen des Bundeslandes:
Mit Bestürzung haben wir Ihre Initiativen wahrgenommen, Menschen aus dem Bereich Wirtschaft, Schule und Justiz aufzufordern, den Bevölkerungsteil in Deutschland, der zum Islam gehört oder aus dessen Kultur er kommt, kritisch zu beobachten. Dazu haben Sie kürzlich als Handreichungen u.a. für Unternehmer, Juristen, Eltern und Schüler die beiden Broschüren »Islamismus: Entwicklungen – Gefahren – Gegenmaßnahmen« und »Radikalisierungsprozesse im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus« herausgegeben.
Das Bremer Friedensforum protestiert aufs Schärfste gegen diese Initiativen aus drei Gründen:
1. Ein großer Bevölkerungsteil in Deutschland wird damit als eine öffentliche Gefahr dargestellt und gettoisiert.
2. Ihre Initiative öffnet dem Denunziantentum Tür und Tor. Historiker haben festgestellt, daß in der NS-Zeit neben den faschistischen Institutionen wie der Gestapo unzählige Denunzianten zur Verfolgung, Verhaftung und Ermordung vieler Menschen geführt haben. Das Denunziantentum ist eine Wegbereitung zum Polizeistaat.
3. Der mit ihrer Initiative verbundene Antiislamismus vergiftet nicht nur das Miteinander der Menschen in diesem Lande, sondern hat darüber hinaus negative Auswirkungen auf das friedliche Zusammenleben der Völker.
Wir fordern von Ihnen im Sinne des Humanismus und der Menschenwürde, daß Sie diese Initiative beenden und die Broschüren vernichten.
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 18.07.2012 20:53von Lisadill • 744 Beiträge
gutes statement!
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Droht ein neuer NSU?
Blutige Erkenntnis: Nach neun getöteten Migranten dämmert auch dem Verfassungsschutz, daß Rassisten und Neonazis einer mörderischen Ideologie anhängen
Von Sebastian Carlens
Beschränkt erkenntnisbereit: Innenminister Hans-Peter Friedrich und Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm am Mittwoch in Berlin
Foto: dapd
Mit einer Warnung vor Nachahmern des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) hat sich der zum Monatsende in den vorzeitigen Ruhestand gehende Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm, am Mittwoch in Berlin verabschiedet. Gemeinsam mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat Fromm den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2011 vorgestellt, zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt für sein Amt: Anfang November vergangenen Jahres flog der NSU auf. Korrekt müßte es lauten: Er enttarnte sich durch den mutmaßlichen Selbstmord zweier seiner Mitglieder selbst, denn von einem Beitrag des Staates oder seiner Behörden zum Ende der rechten Terrorbande kann keine Rede sein. Mehr noch: Die mögliche Mitschuld des Verfassungsschutzes am NSU-Mordfeldzug ist derzeit Thema von vier Untersuchungsausschüssen, einer Bund-Länder-Kommission und Sonderermittlern auf Bundes- und Landesebene. Drei Geheimdienstchefs und der Leiter des Bundeskriminalamtes stürzten bereits über die Affäre. Innerhalb des BfV laufen zur Zeit drei Disziplinarverfahren gegen einen Referatsleiter, der Akten zum NSU schreddern ließ, und seine direkten Vorgesetzten. Die Debatte über die Zukunft der Ämter hält unvermindert an.
Dazu kommen die krassen Fehleinschätzungen der Vergangenheit. Noch im vorigem Jahr waren sich die Geheimdienstler einig: »Auch 2010 waren in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen erkennbar«, so der damalige Bericht des Bundesamtes. Mehr daneben konnte man kaum liegen, bewegte sich doch der NSU damals vollkommen unbehelligt in der Bundesrepublik. 2011 klingt die Einschätzung der Geheimen denn auch grundsätzlich anders: »Da Fremdenfeindlichkeit ein wesentliches Grundelement des Rechtsextremismus ist, sind Nachahmungstaten denkbar. Der unvermittelte Angriff auf Menschen, die dem Feindbild der rechtsextremistischen Szene entsprechen, könnte von potentiellen Nachahmern als Strategie nach der vom NSU verwandten These ›Taten statt Worte‹ verstanden werden«, heißt es etwas gewunden im neuen Bericht. Eine überraschende Erkenntnis: Ein rassistisches Menschenbild scheint Neonazis also dazu zu treiben, Angriffe auf Leib und Leben ihrer erklärten Feinde in Betracht zu ziehen. Um auch dem Amt zu dieser Einsicht zu verhelfen, mußten neun Migranten sterben.
Der neue Verfassungsschutzbericht referiert, auf welche Resonanz die Taten des NSU in der neofaschistischen Szene der BRD stießen: T-Shirts mit dem Aufdruck »Killerdöner nach Thüringer Art«; eine zynische Verwendung des »Paulchen Panther«-Motivs aus dem Comic, den die NSU-Terroristen für ihr Bekennervideo zweckentfremdeten; Slogans wie »Zwickau rulez« auf nazistischen Webseiten. »Ein gewisser Reiz geht davon aus«, warnte Fromm. »Hier ist hohe Aufmerksamkeit gefordert«. Das mag stimmen, doch die Behauptung, erst durch Nachahmungstäter sei ein tödliches Gefährdungspotential entstanden, ist eine bodenlose Beschönigung der deutschen Zustände: Mord an als »minderwertig« eingeschätzten Menschen zählt für Rassisten und Neofaschisten schließlich zu den Mitteln ihrer Wahl, seit es sie gibt. Rund 180 Opfer rechtsmotivierter Gewalt hatte die BRD zwischen 1989 und 2011 zu verzeichnen, haben das Magazin Stern und die Amadeu-Antonio-Stiftung errechnet. Daß der Staat diese Opferzahl auf 58 Tote herunterrechnet, macht den Skandal nicht kleiner. Es ist ein eigenenger.
Droht tatsächlich ein neuer »Nationalsozialistischer Untergrund«; gar ein Netz von Terrorzellen, quer durch die Republik? Die Antwort auf diese Frage hat sich weder durch die Enttarnung des NSU im November 2011 noch durch die letzten Erkenntnisse des Verfassungsschutzes geändert. Diese Gefahr besteht nach wie vor und nicht zuletzt deshalb, weil im Rahmen der – auch vom Verfassungsschutz und seinen akademischen Claqueuren gepflegten – »Extremismusdoktrin« schwerste neofaschistische Verbrechen mit jugendlichen Steinewerfern und Graffitisprühern aus dem »linken Spektrum« gleichgesetzt werden. Weil Faschismus nicht prinzipiell und ohne falsche Toleranz als das verfolgt wird, was er ist: keine Meinung, auch keine »extremistische« – sondern ein Verbrechen.
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 20.07.2012 13:58von Lisadill • 744 Beiträge
Was wußte Friedrich?
Von Sebastian Carlens
Muß der Datenvernichtungswut der Behörden per Moratorium ein Riegel vorgeschoben werden? Der Untersuchungsausschuß des Bundestages, der sich mit dem »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) beschäftigt, geht unterdessen von einer ganz gezielten Spurenvernichtung in den Ämtern aus: »Heute ist nachdrücklich klar geworden: Es gab eine Vertuschungsaktion«, sagte der Ausschußvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) am Rande einer nichtöffentlichen Sondersitzung des Gremiums. In Bezugnahme auf – unmittelbar nach Auffliegen des NSU – vom Verfassungsschutz gelöschte V-Mann-Akten teilte der Grünen-Obmann Wolfgang Wieland mit, daß das Innenministerium davon ausgehe, »daß das absichtlich und planvoll geschah«. Ausschußmitglieder aller Parteien fordern unterdessen ein Moratorium, welches die Vernichtung weiterer Aktenbestände in allen Behörden unterbinden soll.
Eigentlich sollte der Ausschuß trotz Sommerpause des Bundestages nur deshalb zusammentreten, um den von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) eingesetzten Sonderermittler Hans-Georg Engelke zu hören. Engelke untersucht, warum es zur Löschung von Akten mit Bezug zum NSU kommen konnte. Gegen einen Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungssschutz (BfV), der wenige Tage nach Auffliegen der Terrorzelle einen Ukas zur Aktenvernichtung erteilte, und gegen zwei seiner direkten Vorgesetzten laufen derzeit Disziplinarverfahren. Doch die Erkenntnisse über immer neue Vorfälle treffen schneller ein, als der Sonderermittler arbeiten kann: Einem Bericht der Stuttgarter Nachrichten vom Donnerstag zufolge hat auch das Bundesinnenministerium nur zehn Tage nach Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle einen Befehl zur Löschung von Protokollen erteilt, die Abhörmaßnahmen gegen Neofaschisten enthielten. Die neuerliche Löschaktion, die nach Informationen der jungen Welt von einem Sachbearbeiter direkt aus Friedrichs Haus angeordnet worden sein soll, habe nichts mit dem NSU-Komplex zu tun, teilte das Innenministerium mit. Es habe sich um eine »Routinemaßnahme« nach einer »fristgerechten Sammelanordnung für Löschungsfälle nach Ablauf der Speicherfrist« gehandelt; die zeitliche Nähe zum Ende des NSU sei »Zufall«, zitierte Spiegel online das Ministerium.
Doch daran zweifelte nicht nur Sebastian Edathy. Nach jW-Informationen soll es sich bei den sechs gelöschten Abhöraktionen gegen deutsche Neonazis, die durch das BfV durchgeführt wurden, um sogenannte »G10-Maßnahmen« gehandelt haben. Das »G10-Gesetz« regelt Ausnahmen vom Post- und Fernmeldegeheimnis nach Artikel 10 des Grundgesetzes, die nur bei terroristischen Anschlägen, bewaffneten Angriffen auf die Bundesrepublik Deutschland, Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und ähnlich schweren Delikten zur Anwendung kommen. Im Gegensatz zu üblichen polizeilichen Telefonüberwachungen, den sogenannten »TKÜ-Maßnahmen«, dürfen per Gesetz G-10-Überwachungen lediglich von den Militär-, In- und Auslandsgeheimdiensten beantragt werden.
Die Löschung der sechs Dossiers sei kein Einzelfall, berichtete Spiegel online am Donnerstag: In einer Aufstellung über Vernichtungen von G-10-Protokollen falle auf, daß ab dem Auffliegen der Terrorzelle vergleichsweise viele Dossiers aus dem »Phänomenbereich Rechtsextremismus« gelöscht worden sein sollen. Im November und Dezember 2011 seien weitere 19 Löschungen vorgenommen worden, so das Internetmedium.
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 23.07.2012 23:32von Lisadill • 744 Beiträge
07.2012 / Schwerpunkt / Seite 3Inhalt
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Mord aus Konsens
Führt eine Spur von der staatlich verordneten Entwürdigung von Flüchtlingen zu der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrundes«?
Von Wolf Wetzel
Nach dem Pogrom: Die damalige Bundesjugendministerin Angela Merkel (CDU) trifft sich am 31. August 1992 mit rechten Jugendlichen in einem Klub nahe dem Asylbewerberheim Rostock-Lichtenhagen
Foto: dpa
Am 18. Juli 2012 erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVG), daß das Asylbewerberleistungsgesetz aus dem Jahr 1993 verfassungswidrig ist. An diesem Gesetz hatten alle »Volksparteien«, von CSU/CDU, FDP bis SPD mitgewirkt. Mehr noch: Welche Regierung auch seither an der Macht war, sie verschärfte die Regelungen. Als Begründung für diese fortgesetzte, parteiübergreifende, verfassungswidrige Praxis wurde angegeben, daß man alles dafür tun wolle, um einen »Bleibewunsch« der Flüchtlinge nicht zu befördern.
Den Gesetzentwurf hatte 1992, also kurz nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen, die CSU/CDU-Fraktion eingebracht: »Der wirtschaftliche Anreiz, nach Deutschland zu kommen, muß gemindert werden«, sagte Ex-CSU-Generalsekretär Bernd Protzner damals im Bundestag. Von der Beschränkung auf Sachleistungen erhoffte sich seine Fraktion eine »Eindämmung des ungebremsten Einwandererzustroms« (taz vom 18. Juli). Dieses Ziel verfolgten in der Praxis – entsprechend ihrem rassistischen und neonazistischen Weltbild – die führenden Mitglieder des »Thüringer Heimatschutzes«, die fünf Jahre später in den Untergrund gingen, um ihre mörderischen Absichten in die Tat umzusetzen.
Pogrome
Selbstverständlich ist es nicht dasselbe, ob man das Leben der hier schutzsuchenden Flüchtlinge zur Qual macht oder ob man sie umbringt. Gemeinsam ist diesen Handlungen jedoch die Matrix, daß Menschen, die nicht deutsch genug sind, minderwertig sind, also weder die gleichen Rechte, geschweige denn die gleiche Menschenwürde haben dürfen. Daß hier Menschen leben, die »zu viel« sind, »hier nichts zu suchen haben«, ist keine neonazistische Erfindung, sondern der breite Konsens, aus dem das Asylbewerberleistungsgesetz schöpft.
Anfang der 90er Jahre wurde generalstabsmäßig eine »Asyldebatte« entfacht. Die dabei beschworene »Asylflut« führte geradewegs zu der Schlußfolgerung »Das Boot ist voll« (Der Spiegel). Allgegenwärtigkeit und Medienpräsenz dieser Kampagne lagen nicht in den Händen neonazistischer Organisationen. Sie wurde von etablierten Parteien, von der großen Koalition aus CSU/CDU/FDP/SPD und fast allen bürgerlichen Medien ins Leben gerufen – auf deren rassistischen Gehalt sich immer wieder lächelnd neonazistische Kader bezogen, wenn ihnen Anstiftung, Mordaufrufe und Pogrome zur Last gelegt wurden.
Viele politische Enttäuschungen und soziale Unzufriedenheiten, aber auch der von allen Parteien wieder aufpolierte Stolz, ein Deutscher zu sein, bekamen ein staatlich zugewiesenes, rassistisch markiertes Opfer: Die Ausländer, die Flüchtlinge, die »Scheinasylanten« und die Juden, die in allen stecken, hinter allem stehen. Eine ungeheure Pogromwelle zog durch das vereinte Deutschland, eine Mordwelle, die bereits in den ersten beiden Jahren nach 1990 über dreißig Menschen das Leben kostete und denen, die gemeint waren, das Leben zur Hölle machte.
Einzelfälle
Inbegriff dieser mörderischen Allianz wurde Rostock-Lichtenhagen 1992. Dort wurde ein Flüchtlingsheim tagelang belagert. Als es lichterloh brannte, machten bereitstehende Hundertschaften »Pause« bzw. »Schichtwechsel«. Die (außerparlamentarische) Linke war diesem Bündnis aus Regierungspolitik und deutschnationaler Pogromstimmung nicht gewachsen. Wenn sie intervenierte, Schutz von Flüchtlingsheimen organisierte, stand sie regelmäßig einem Großteil der Bevölkerung, Lokalpolitikern und aus dem Boden schießenden neonazistischen Schlägertrupps gegenüber. Diese konnten in erschreckend kurzer Zeit »national befreite Zonen« schaffen, in denen linke »Zecken« und alles, was nicht »deutsch aussieht und fühlt«, bedroht waren.
Zwei Jahre lang – bis zum Mordanschlag in Mölln am 22. November 1992 – galt als Regierungsstil die Beileidsbekundung: Zuerst bedauerte man den neuesten »ausländerfeindlichen Übergriff«, je nach Verletzungsgrad, auch mit Entsetzen, um im zweiten Halbsatz die Dringlichkeit einer Grundgesetzänderung, die Abschaffung des Asylrechts ins Zentrum der eigentlichen Aussage zu rücken.
1993 war es dann soweit: Was Neonazis und »anständige« Deutsche, mit Springerstiefeln und im Anzug, mit Haß und »verständlicher« Sorge jahrelang, unter Schirmherrschaft einer großen Koalition im »Einzelfall« betrieben, wurde systematisiert, verstaatlicht, verrechtlicht: Am 26. Mai 1993 verabschiedete der Deutsche Bundesstag mit einer satten Zweidrittelmehrheit die de facto Abschaffung des Asylrechts (Grundgesetzartikel 16). Fortan war Deutschland von erfundenen »sicheren Drittstaaten« umgeben, in die Flüchtlinge sofort abgeschoben werden konnten. Für sie war Deutschland auf dem Landweg nicht mehr erreichbar. Schafften sie es dennoch per Flugzeug, erwartete sie eine bis auf 98 Prozent ansteigende Ablehnungsquote von Asylanträgen – die sichere Rückkehr in Hunger, Folter und Tod.
Zweidrittelmehrheit
Aufgrund extrem hoher Zahlen von »Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund« wurde in Sachsen-Anhalt eine landesweite Kampagne gegen neonazistische Gewalt gestartet, unter dem Motto: »Nicht weggucken«. Was darunter der Polizeichef in Dessau, Hans-Christoph Glombitza verstand, hielten Beamte in einem Gesprächsprotokoll vom 5. Februar 2007 fest: »Das ist doch nur für die Galerie.« Anschließend gab er seinen Untergebenen Anweisungen, wie man zumindest die Statistik aufs unauffällige Mittelmaß drücken und damit das Ansehen des Bundeslandes wieder liften könne: Erstens gäbe es die Möglichkeit, »daß man nicht alles sehen müsse« und zweitens könne man einen Bericht »auch langsamer schreiben«. Selbstverständlich handelt es sich dabei, laut Innenminister Holger Hövelmann (SPD) um einen bedauerlichen Einzelfall. Am 8. Juni 2007 wurde im selben Bundesland, in Halberstadt, eine Theatergruppe von einer Horde Neonazis zusammengeschlagen. Die gerufene Polizei befolgte geradezu vorbildlich das oben beschriebene Drehbuch: Man hielt so lange die Personalien der Opfer fest, bis die Täter ausnahmslos geflüchtet waren. Ist das nicht das Drehbuch, nach dem auch die NSU-Morde »aufgeklärt« werden?
Ist es ein Zufall, daß der »Thüringer Heimatschutz«, aus dem der NSU hervorging, seine Wurzeln in jener Zeit hat, wo kaum ein Tag verging, wo nicht ein Flüchtling, ein Mensch, der nicht deutsch genug aussah, bedroht bzw. angegriffen wurde? Ist es richtig, daß die Evakuierung des Flüchtlingsheimes in Hoyerswerda 1991 nach tagelanger Belagerung als ein Sieg derer zu verstehen ist, die Flüchtlinge zum Teufel wünschten? Was sollten neonazistische Gruppierungen für einen Schluß ziehen, wenn Flüchtlingsheime belagert, angegriffen und niedergebrannt wurden und die Polizei zuschaute, nicht eingriff? Welchen Schluß sollten neonazistische Gruppen aus dem Fakt ziehen, daß alle Parteien (mit Ausnahme der Grünen und der PDS) die Flüchtlinge als ein Problem definierten? Welchen Schluß sollten neonazistische Gruppen aus dem Umstand ziehen, daß nach den zahlreichen Pogromen, denen Dutzende zum Opfer fielen, eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag die Abschaffung des Asylrechts beschloß?
Bestätigt die Tatsache, daß Flüchtlinge bewußt menschenunwürdigen Umständen ausgesetzt werden, kaserniert, der Residenzpflicht unterworfen werden (ein besserer Hausarrest), statt mit Geld mit Sachgutscheinen an der Kasse bezahlen müssen, neonazistische Gruppen nicht in ihrer Überzeugung, daß Nicht-Deutsche Menschen zweiter Klasse sind?
Welchen Schluß sollten neonazistische Gruppen aus der Erfahrung ziehen, daß nicht sie verfolgt und kriminalisiert wurden, sondern antifaschistische und antirassistische Gruppen, die versuchten, gegen diese Pogromstimmung Widerstand zu leisten? Gibt es irgendeinen Grund, nicht anzunehmen, daß die Abschaffung des Asylrechts, die Institutionalisierung rassistischer Grundannahmen, die systematische Entwürdigung von Flüchtlingen, die Denunziation der Schutzsuchenden als »Wirtschaftsflüchtlinge« neonazistische Gruppen beflügelt, getragen, bestätigt hat, weiterzumachen, bis das Wirklichkeit wird, was sie schon immer forderten: Deutschland den Deutschen?
Könnte es sein, daß die Zweidrittelmehrheit, die sich für die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl, für die Verabschiedung und Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes eingesetzt hat, daß diese Zweidrittelmehrheit auch in den staatlichen Verfolgungsbehörden zu finden ist, die dafür gesorgt haben, daß der neonazistische Terror des NSU nicht verhindert, nicht gestoppt werden konnte? Also alles andere war als eine Aneinanderreihung von individuellen Unzulänglichkeiten und Pannen, sondern Ausdruck einer komfortablen Mehrheit – auch in den Verfolgungsorganen?
Wolf Wetzel ist Autor des Buches: Geschichte, Rassismus und das Boot. Edition ID-Archiv, Berlin 1992. Einige Texte aus dem Buch im Internet: wolfwetzel.wordpress.com/
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 03.08.2012 21:33von Lisadill • 744 Beiträge
Tief im braunen Sumpf
Kollegen von ermordeter Polizistin waren Ku-Klux-Klan-Mitglieder. NSU-Attentat 2007 in Heilbronn wirft neue Fragen auf
Von Markus Bernhardt
Die Skandalserie bezüglich der Verstrickungen und Vertuschungsversuche von Polizei und Geheimdiensten in den braunen Terror des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) reißen nicht ab. Wie jetzt bekannt wurde, hat das Thüringer Landeskriminalamt bereits vor sieben Jahren die Hauptakte zur Sonderkommission »Rechte Gewalt« gelöscht. Auch die Vermerke über die Löschaktion wurden von den Beamten vernichtet.
Während das Bekanntwerden dieser neuerlichen Vertuschungsaktion bei Fachleuten und Oppositionspolitikern auf Unverständnis stößt, nahm der Thüringer Innenminister Jörg Geibert (CDU) die Datenvernichtung am Donnerstag in Schutz. Diese sei »fristgerecht und nach bestehender Rechtslage« durchgeführt worden, behauptete er.
In besagter Akte hatten sich Informationen einer eigens eingesetzten Sonderkommission (SoKo) befunden, die zwischen 2000 und 2002 den Auftrag hatte, den neofaschistischen »Thüringer Heimatschutz« (THS), aus dessen Personenkreis auch die NSU-Mitglieder stammten, auszuforschen. Aufgrund der angeblich erfolglosen Ermittlungsarbeit war die SoKo jedoch aufgelöst worden.
Für weitere politische Auseinandersetzungen sorgt indes die frühere Mitgliedschaft zweier baden-württembergischer Polizeibeamter im deutschen Ableger des rassistischen US-Geheimbundes Ku-Klux-Klan (jW berichtete). So äußerte André Schulz, Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BDK) am Donnerstag, daß »Extremisten« in der Polizei »nichts zu suchen« hätten.
Gegen die besagten Beamten, die noch immer im Dienst sind, waren 2003 und 2004 zwar Disziplinarverfahren wegen ihrer Mitgliedschaft im sogenannten »European White Knights of the Ku Klux Klan« eingeleitet worden. Diese seien jedoch eingestellt worden, da die Polizisten angeblich nicht gewußt hätten, daß es sich beim Ku Klux Klan um eine faschistische Vereinigung handelen würde.
Die früheren Aktivitäten der Beamten in der rechten Szene sollen indes nach der Sommerpause auch im NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestages Thema werden. »Ich will wissen, ob das Einzelfälle waren«, äußerte der Ausschußvorsitzende und SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy. »Beamte, die Mitglied einer dezidiert antidemokratischen, extremistischen Organisation sind oder waren, müssen aus dem Polizeidienst entfernt werden«, forderte der SPD-Politiker außerdem und bezeichnete den Vorgang als »nur noch grotesk«.
Hingegen versuchte ein Sprecher des Innenministeriums in Stuttgart, den Vorgang herunterzuspielen. So habe das damals eingeleitete Disziplinarverfahren ergeben, daß sich die Beamten »eindeutig von den Umtrieben distanziert haben und nicht wußten, daß es ein rassistisches Bündnis ist«, so der Ministeriumssprecher.
Für besondere Brisanz sorgt indessen die Information, daß es sich bei einem der beiden Beamten um den ehemaligen Gruppenführer der 2007 von NSU-Mitgliedern erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter handelt. Bis heute ist unklar, welches Motiv Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die Hauptakteure der faschistischen Terrororganisation, für das Attentat auf Kiesewetter und ihren Kollegen hatten. In der Vergangenheit hatten Politiker und Behörden dafür einen angeblich vorhandenen Haß der Terroristen auf »Repräsentanten der Demokratie« ausgemacht. Anderenorts wurde spekuliert, daß es sich um eine »Beziehungstat« gehandelt haben könnte, oder die NSU-Mitglieder die Waffen der Beamten hätten erbeuten wollen. Letzteres dürfte indes eher unwahrscheinlich sein, da Böhnhardt und Mundlos zum Zeitpunkt der Schießerei über ein gut ausgestattetes Waffenarsenal verfügten. Aufgrund der neuen Erkenntnisse stellt sich die Frage, welche Verbindungen es zwischen den beiden Ku-Klux-Klan-Mitgliedern der Polizeieinheit von Kiesewetter sowie ihrem Kollegen und den NSU-Terroristen gab.
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 08.08.2012 09:29von Lisadill • 744 Beiträge
Provotour in Berlin
Die Rassistenpartei »Pro Deutschland« will vor Moscheen und linke Projekte in der Hauptstadt ziehen. Antifaschisten rufen zu Protesten und Festival gegen Rassismus auf
Von Markus Bernhardt
»Pro Deutschland«-Kundgebung am 5. Mai auf dem Potsdamer Platz in Berlin
Foto: Christian Ditsch/Version
Die rechtsextreme Partei »Pro Deutschland« hat erneut Provokationen gegen in der Bundesrepublik lebende Muslime angekündigt. Vom 17. bis 19. August wollen die Rassisten vor verschiedenen Moscheen in Berlin öffentlich Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed zeigen (jW berichtete). Eigenen Angaben zufolge wollen sie mit dieser Aktion für ihren kürzlich beschlossenen Antritt zur Europawahl werben. Unter dem Motto »Der Islam gehört nicht zu Europa – Islamisierung stoppen!« sollen mehr als 15 Redner von in Europa aktiven rechtsextremen Parteien auftreten und die bundesdeutsche Bevölkerung vor der angeblichen »Islamisierung« Deutschlands warnen. Dabei nehmen die Rechten nicht nur gewalttätige Auseinandersetzungen in Kauf, sondern provozieren diese ganz bewußt, um ihre Verleumdungsstrategie gegen Muslime zu unterfüttern.
Nicht ohne Erfolg. Als »Pro Deutschland« Anfang Mai Kundgebungen vor Moscheen in Solingen und Bonn abhielt, kam es zu Gewaltszenen zwischen Rechten, Muslimen und Polizeibeamten. Danach ging es in der öffentlichen Debatte nicht mehr darum, wer wen provoziert hat, sondern es wurde eine Repressionswelle gegen Salafisten losgetreten. Es folgten Razzien und Verhaftungen, verbunden mit einer Verbotsdebatte gegen die radikalen Islamisten. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag nannte den Ruf vor allem von Unionspolitikern nach Härte gegen Salafisten »Stammtischpopulismus«. Denn Abschiebungen und Ausweisungen sogenannter »Haßprediger« und »Gefährder« seien seit Jahren gängige Praxis.
Antirassistische Organisationen wollen die aktuelle Hetzkampagne in Berlin nicht unbeantwortet lassen. So rufen sowohl die Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB), als auch DKP und SDAJ sowie Migrantenverbände zu Protesten gegen gegen »Pro Deutschland« und die europäischen Bündnispartner der wortgewaltigen Kleinstpartei auf. »Wir bekämpfen Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem, egal wo, wann oder unter welchem Deckmantel er in Erscheinung tritt«, kündigten zudem verschiedene linke Gruppierungen, Gewerkschaftsvertreter und schwul-lesbische Migrantenorganisationen an. Dazu haben die Neonazigegner selbst Busse angemietet, mit denen sie in Berlin an die Stellen fahren wollen, an denen »Pro Deutschland« versuchen will, mit antimuslimischer Stimmungsmache bei potentiellen Wählern zu punkten. Als Antwort auf die Mohammed-Karikaturen der Rechten wollen sie eine mobile Karikaturenausstellung zum Thema »Nazis, Rassisten und Pro-Deutsche« in einem ihrer Busse zeigen.
Nach bisherigem Stand wollen die Anhänger der extrem rechten Partei am 18. August (ab 12 Uhr) vor der As-Sahaba-Moschee Wedding, (ab 14 Uhr) vor der Al-Nur-Moschee in Neukölln und ab 16 Uhr an der Flughafenstraße/Ecke Herrmannstraße in Neukölln aufmarschieren. Am 19. August planen sie ab 11 Uhr eine Kundgebung vor dem Rathaus in Kreuzberg. Danach wollen sie vor verschiedenen besetzten Häusern bzw. alternativen Projekten aufmarschieren, um gegen die politische Linke der Stadt zu Felde zu ziehen. Betroffen sind z.B. das Hausprojekt »Köpi« in der Köpenicker Straße 137, sowie Objekte in der Liebigstraße im Bezirk Friedrichshain.
Daß es »Pro Deutschland« gelingen wird, mehr als 100 Rassisten auf die Straße zu bringen, darf durchaus bezweifelt werden. So machte die Splitterpartei in der Vergangenheit etwa in Nordrhein-Westfalen von sich reden, als sie wortgewaltig Großaufmärsche mit mehreren hundert Personen und der Unterstützung anderer europäischer Rechtsparteien ankündigte, an denen jedoch nur wenige Dutzend Rechte teilnahmen.
Ebenfalls an dem genannten Wochenende findet in Berlin das »Festival gegen Rassismus« mit zahlreichen Diskussionsrunden und Kulturbeiträgen statt. Die Organisatoren, darunter Gays & Lesbians aus der Türkei/ Türkiyeli Escinseller Dernegi (GLADT e.V.), der Kurdistan Kultur- und Hilfsverein (KKH e.V.), der Migrationsrat Berlin Brandenburg (MRBB), die Opferberatung ReachOut und die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), sehen die Veranstaltung als Teil des Widerstands gegen »Pro Deutschland«. Das Festival findet vom 17. bis 19. August am Kreuzberger Blücherplatz statt und soll eine »Gegenöffentlichkeit zu rassistischer Diskriminierung und Ausgrenzung herstellen«, wie es im Aufruf heißt. Selbst nach der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) habe in Deutschland keine öffentliche Diskussion über Rassismus in der Gesellschaft stattgefunden, lautet ein Vorwurf der Veranstalter. Absehbar sei eine weitere Zuspitzung der Situation durch fortschreitende soziale Ungleichheit als Folge der anhaltenden Krise.
festivalgegenrassismus.wordpress.com
prodeutschlandtourvermasseln.blogsport.de
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 12.08.2012 12:33von Jonas • 615 Beiträge
Widerstand im Osten gegen Rechtextremismus:
http://www.taz.de/Protest-gegen-NPD-Pres...asewalk/!99433/
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 12.08.2012 19:38von Lisadill • 744 Beiträge
Normalisierungsstrategie der NPD ist gescheitert«
Deutschlandtour der Neonazipartei war ein Flop. Anders verpackt ist rechtsextreme Ideologie salonfähig. Gespräch mit Markus Tervooren
Interview: Claudia Wangerin
Markus Tervooren ist Geschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) in Berlin
Bis zu 2000 Menschen haben am Wochenende gegen das Pressefest der NPD im mecklenburgischen Viereck demonstriert. An vielen Stationen ihrer Deutschlandtour wurde die Neonazipartei von Hunderten ausgepfiffen. Selbst konnte sie meist nur 15 Anhänger aufbieten. Ist das vor allem ein Erfolg antifaschistischer Mobilisierung, oder spielen andere Faktoren eine Rolle?
Einerseits liegt es vielen NPD-Wählern wohl eher nicht, auf eine Kundgebung zu gehen und sich ausbuhen zu lassen. Andererseits dürfte diese Deutschlandtour auch für den militanteren Teil der Neonaziszene nicht besonders attraktiv gewesen sein. Das Konzept des »seriösen Radikalismus«, mit dem der neue Parteichef Holger Apfel hausieren geht, kommt in den Kameradschaften nicht so gut an. Die Propagandatour mit dem von der NPD als »Flaggschiff« bezeichneten LKW war Teil einer Normalisierungsstrategie – die NPD wollte zeigen, daß sie ganz normal im öffentlichen Raum auftreten kann, daß sie dazugehört wie jede andere Partei. Diese Normalisierungsstrategie ist gescheitert. Es hat sich gezeigt, daß sie zumindest im Moment nicht dazugehört, sondern ihre Auftritte vom Protest eines sehr breiten demokratischen Spektrums begleitet sind. Insofern hat sie sogar unfreiwillig der Zivilgesellschaft einen Dienst erwiesen. Für die NPD selbst war es ein Flop, andererseits kann sie nach innen sagen, »wir tun was« und im Internet darüber berichten.
Gemessen an dem kläglichen Bild, das die NPD auf dieser Tour abgegeben hat, ist mit rechtsextremer Ideologie ja in Deutschland kein Blumentopf zu gewinnen. Ist dem auch wirklich so?
Nein, wie gesagt, der normale NPD-Wähler fährt auf solche Kundgebungen nicht ab, das bedeutet aber nicht, daß er dieser Partei seine Stimme nicht mehr gibt. Auf der anderen Seite haben sich an den Protesten gegen die NPD-Tour Parteien wie SPD, Grüne und teilweise sogar CDU-Mitglieder beteiligt, die selbst nicht für eine konsequent antirassistische Politik stehen, sondern den Rassismus der Mitte mittragen.
Selbst der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer von der CSU ist aber einem NPD-Verbot nicht abgeneigt. Wie stehen aus Ihrer Sicht die Chancen für ein neues Verbotsverfahren?
Schwierige Frage. Aus den Unionsparteien werden ja auch immer wieder Zweifel an den Erfolgsaussichten angemeldet. Nach wie vor gibt es das hausgemachte Problem, an dem schon das letzte NPD-Verbotsverfahren gescheitert ist: Die Rolle des Verfassungsschutzes in dieser Partei. Nach wie vor ist in vielen Fällen unklar: Waren es jetzt unabhängige Neonazis oder solche, die sozusagen vom Staat geführt werden? Insofern sieht es erst mal schlecht aus – aber wir fordern natürlich ganz klar ein Verbot der NPD. Was über sie bekannt ist, reicht aus. Zwischen diese Partei und die terroristischen Kameradschaften paßt kein Blatt Papier. NPD-Kader gehörten ganz klar zum Umfeld des »Nationalsozialistischen Untergrunds« – siehe Ralf Wohlleben. Die hohe Präsenz von V-Leuten macht das nicht besser, sondern schlimmer.
Welche Rolle spielt die antimuslimische Gruppierung »Pro Deutschland« – welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es aus Ihrer Sicht zur NPD?
Das ist eine Art modernisierter Faschismus, der mit der NPD relativ wenig zu tun hat. Obwohl es, wenn man genau hinschaut, auch bei »Pro Deutschland« Leute gibt, die aus dem gleichen Stall kommen. Für die – wir haben es früher »Braunzone« genannt – zwischen Ultrakonservativen und Neonazis bietet sich »Pro Deutschland« an. Auf der anderen Seite wird versucht, an Meinungsmehrheiten anzuknüpfen. Vom 17. bis zum 19. August will »Pro Deutschland« vor Moscheen in Berlin provozieren, indem antimuslimische Karikaturen gezeigt werden.
Wie rechts ist, davon abgesehen, die »Mitte«, wenn CSU-Politiker einerseits ein NPD-Verbot fordern, andererseits aber im Zusammenhang mit dem Spardiktat der EU an Griechenland ein »Exempel statuieren« wollen, wie Bayerns Finanzminister Markus Söder?
Sicher gibt es eine Sorte Wähler, um die kleine Parteien vom rechten Rand mit der CSU konkurrieren. Und letztendlich ist klar: Was ist ein Neonaziaufmarsch gegen die Verschärfung von Ausländergesetzen?
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 15.08.2012 09:19von Lisadill • 744 Beiträge
Dann ziehen Sie doch weg!«
Deutschland ist nicht sicher: Amadeu-Antonio-Stiftung veröffentlicht Report über rechte Alltagsgewalt und ignorante Behörden
Von Sebastian Carlens
Zehn Jahre nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen erinnerte am 24. August 2002 ein Friedensfest an die Opfer der rassistischen Krawallen. Heute, zwanzig Jahre später, ist der Osten Deutschland faktisch »migrantenfrei«
Foto: dapd
Im Januar 2012 verhandelt das Verwaltungsgericht Chemnitz den Fall eines Asylbewerbers, der zum Opfer neofaschistischer Gewalttäter wurde. Die Richter ordnen die Abschiebung des Mannes an. Begründung: Deutschland sei offenkundig für den Asylsuchenden zu unsicher. Eine Provinzgroteske, nur ein besonders bizarres Beispiel für eine bürokratisierte Justiz? Nein: Deutsche Normalität, vielerorts. Diese und etliche weitere wahre Geschichten aus dem Alltag derjenigen, die zur Zielscheibe von Neonazis werden, hat die Amadeu-Antonio-Stiftung in ihrem neuen Report »Das Kartell der Verharmloser« gesammelt, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Die Erfahrungen eines Gastronomen, der – nur zufällig ebenfalls in Chemnitz – ein koscheres Restaurant namens »Schalom« betreibt, sind ebenso bezeichnend für die übliche Umkehr der Täter-Opfer-Rolle wie der Asylbewerber, der zu seinem eigenen Schutz abgeschoben wurde: Mehr als 40000 Euro Schaden hat der Wirt des »Schalom« bisher zu verbuchen; dazu zählen eingeschmissene Scheiben, regelmäßige Hakenkreuzschmierereien und Schweinsköpfe vor seinem Geschäft – und die Attacken nehmen kein Ende. Mittlerweile weigert sich die Versicherung, für weitere Sachschäden aufzukommen. Die Polizei konnte keinen einzigen Täter fassen. »Wenn Sie ein Unternehmen mit so einem Logo führen, müssen Sie sich über so eine Aufmerksamkeit nicht wundern«, beschied ein Beamter dem Restaurantbetreiber lapidar. Schuld sind also nicht die alten und neuen Nazis, die durch alltäglichen Terror ganze Regionen zu »national befreiten Zonen«, zu »No-Go-Areas« für Andersdenkende und -aussehende machen. Schuld sind diejenigen, die sich der rechten Hegemonie nicht unterordnen können oder wollen, die das »falsche« Aussehen, die »falsche« Religion haben. Die staatliche Ordnungsmacht, überfordert oder blind gegenüber der Gefahr von rechts, rät in solchen Situationen immer wieder zur Flucht: Eine Familie ist zur Zielscheibe neofaschistischer Gewalttäter geworden? »Dann ziehen Sie doch einfach weg!« Gelegentlich sind es auch die Polizisten selbst, die – nach einem Notruf bedrängter Menschen – einen »Türkenwitz« reißen. Oder die Neonazibande, die sich vor einem alternativen Wohnprojekt zusammengerottet hat, per Handschlag begrüßen.
Das Eingeständnis des Scheiterns der Freizügigkeit, die jedem Menschen in Deutschland durch das Grundgesetz zugesichert wird, als Konsequenz aus Neonaziterror? Über ein halbes Jahr nach der Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU), der eine Blutspur des Terrors durch Deutschland zog, ist von den großen Vorhaben der Regierung nicht mehr viel zu spüren. »Wir alle sind gefordert zu handeln – überall dort, wo Rechtsextremisten versuchen, gesellschaftlichen Boden zu gewinnen«, hieß es in einem gemeinsamen Entschließungsantrag sämtlicher Bundestagsfraktionen vom 22. November 2011, wenige Wochen nach Auffliegen des NSU. Doch das Muster, das auf öffentliches Entsetzen über neofaschistische Straftaten folgt, gleicht sich seit vielen Jahren, und auch der Fall der NSU-Zelle scheint diesen Bahnen zu gehorchen: Als 1992 und 1993 die Asylbewerberheime brannten, in Rostock, Solingen und Mölln Menschen in den Flammen starben, zogen sich Lichterketten gegen rechte Gewalt durch das Land. Gleichzeitig nutzte die Politik die rassistischen Anschläge, um das Asylrecht de facto abzuschaffen. Als im Jahr 2000 ein Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge verübt wurde, rief der damalige Kanzler Gerhard Schröder zum »Aufstand der Anständigen« auf; die Bundesregierung strengte ein NPD-Verbotsverfahren an. Ohne Erfolg: Wegen des Verdachts auf Fremdsteuerung der Nazipartei durch staatlich gedungene Einflußagenten stellte das Bundesverfassungsgericht das Verfahren im Jahr 2003 ein. Die NPD ist durch die V-Mann-Praxis der deutschen Behörden praktisch unverbietbar geworden.
Was sind die Lehren aus dem Terrorfeldzug des NSU? Initiativen gegen rechts werden mit Distanzierungserklärungen »gegen jede Form von Extremismus« schikaniert, ohne deren Unterzeichnung sie keine finanzielle Unterstützung mehr erhalten. Die Reform der Sicherheitsapparate ist drauf und dran, das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten durch die Hintertür aufheben – und damit den Sumpf, aus dem der NSU entstand, geradewegs zu stärken. Zwanzig Jahre nach den Brandanschlägen von Rostock ist Deutschlands Osten heute »weiß«, beinahe migrantenfrei. Wie wird dieses Land zwanzig Jahre nach Ende des NSU aussehen?
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 25.08.2012 14:15von Lisadill • 744 Beiträge
Zielgruppen des Mobs
Ganz normale Nachbarn, »arme Schweine« und fleißige Vietnamesen: Stimmungsbilder 20 Jahre nach dem rassistischen Gewaltexzeß von Rostock-Lichtenhagen
Von Claudia Wangerin
Ruhige Tristesse in Rostock-Lichtenhagen
Foto: Claudia Wangerin
»Schreiben Sie was Neues, schreiben Sie was Positives«, sagt der grauhaarige Mann in Freizeitklamotten. Er stellt sich als »Kurt« vor und will endlich mal einen Artikel lesen, in dem steht, wie gut sie sich hier mit den Vietnamesen verstehen. Er und seine Nachbarn, 20 Jahre danach. Zum Beispiel mit dem jungen Paar, das im asiatischen Schnellimbiß vor dem »Sonnenblumenhaus« arbeitet. Mehrere Deutsche sitzen am Tisch, vor allem Männer ab 50, und trinken Rostocker Export. Mit den vietnamesischen Vertragsarbeitern, die damals beinahe verbrannt wären, hätten die Anwohner nie ein Problem gehabt, sagt Kurt. »Mit denen haben wir ja immer schon zusammen gelebt.«
Als »arme Schweine« beschreibt er die Menschen, die im Spätsommer 1992 vor der überfüllten Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst) in Rostock-Lichtenhagen kampieren mußten, zum Großteil Sinti und Roma aus Rumänien. Schleuser hätten sie hergebracht, sie hätten ja gar nicht gewußt, was sie erwartet. Er schimpft nicht über die Flüchtlinge, die hier tagelang ohne Toiletten und Duschgelegenheit warten mußten – für die Reaktion vieler Anwohner, die in den hygienischen Verhältnissen nur die Bestätigung rassistischer Vorurteile sahen, zeigt er dennoch Verständnis. »Das ging vier Wochen so. Da sind die Leute eben sauer geworden.«
Er selbst sei geschäftlich in St. Petersburg gewesen, als es los ging. »Ich habe das dort im Fernsehen gesehen.« Er spricht nicht aus, was. »Das ist mein Freund«, sagt er über den Vietnamesen, der ihm gerade ein Bier aufgemacht hat. Er weiß allerdings nicht, wo die beiden wohnen. Hier jedenfalls nicht. Hier wohnen keine Vietnamesen mehr. »Kein Mensch weiß, wo.« Es sind größtenteils nicht dieselben wie damals. Die Vietnamesen wüßten aber sehr genau, »daß sie nicht die Zielgruppe waren«, betont Kurt. Für die Anwohner sei doch alles geklärt gewesen, als die ZAst geräumt worden war.
»Der Vater des Ganzen«
Gespräche über »Ausländer« und schlecht geparkte Wasserwerfer am vietnamesischen Schnellimbiß
Foto: Claudia Wangerin
Am Angriff auf die Vietnamesen hätten sich nur Radikale von außerhalb beteiligt. Der »Vater des Ganzen« sei »ein überkandidelter Jurastudent aus Hamburg« gewesen. Gemeint ist Michael Andrejewski, der heute für die NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern sitzt. 1992 verfaßte er ein Flugblatt mit der Überschrift »Widerstand gegen die Ausländerflut«, das wenige Tage vor dem Pogrom in großer Auflage verteilt wurde.
Ein klassischer sozialer Brennpunkt war die Siedlung nicht. Während die Altstadt noch nicht saniert war, gab es hier zu DDR-Zeiten gut ausgestattete Neubauwohnungen. »Da wohnte der Herr Doktor neben dem Werftarbeiter«, erinnert sich Hanne Frenz, die inzwischen weggezogen ist. 1992 hatten viele Werftarbeiter bereits ihren Job verloren.
In dem langgestreckten, elfstöckigen Plattenbau, der den Namen »Sonnenblumenhaus« einem Kachelmotiv auf der Seitenwand verdankt, mußten sich Anfang der 1990er Jahre alle Asylbewerber registrieren lassen, die dem neuen Bundesland zugewiesen wurden. Die ZAst war überlastet; seit Monaten gab es Beschwerden von Anwohnern. Die Verantwortlichen der Stadt weigerten sich, Toiletten aufzustellen – um die Zustände nicht zu »legalisieren«, hieß es.
Am 22. August versammelten sich über 2000 aufgebrachte Demonstranten vor dem »Sonnenblumenhaus«. Parolen wie »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« wurden gerufen. Ab dem frühen Abend flogen Steine; und Anwohner applaudierten. Die wenigen Einsatzkräfte der Polizei zogen sich überfordert zurück. Erst gegen zwei Uhr morgens trafen Wasserwerfer aus der Landeshauptstadt ein. Doch die Polizei bekam die Lage nur kurzfristig in den Griff; auch am nächsten Tag versammelte sich der Mob. Erst am dritten Tag wurden die Asylbewerber evakuiert. Die vietnamesischen Vertragsarbeiter im Wohnheim nebenan jedoch nicht. Über 100 Menschen hielten sich im Haus auf, als Brandsätze in die unteren Etagen flogen. Sie konnten sich im letzten Moment über das Dach retten, als sich die Flammen nach oben fraßen.
Fast alle Ermittlungsverfahren wurden eingestellt. 2002 endete der letzte Prozeß gegen drei Angreifer mit Bewährungsstrafen. Auch Hanne Frenz kann sich nicht vorstellen, daß Anwohner am Angriff auf die Vietnamesen beteiligt waren.
Ein braungebrannter Mann mit kurzem Schnauzbart, Sonnenbrille und Vokuhila-Frisur, der sein Bier am vietnamesischen Schnellimbiß trinkt, regt sich heute noch fürchterlich auf – über die Polizei. Die hätte ihre Wasserwerfer doch woanders parken können, meint er. So sei er mit dem Auto nicht vorbeigekommen. »Ich kam von der Schicht und konnte keinen Feierabend machen!«
»Nichts gegen Ausländer«
Zeitzeuge Ly Van Hoa mit einem Stammgast in der Zigarettenpause vor seinem Lokal in Rostocks nördlicher Altstadt
Foto: Claudia Wangerin
Ein 70jähriger beginnt in breitem Sächsisch über »die Ausländer« zu schimpfen – gegen die er selbstverständlich nichts habe: »Wenn sie als Touristen kommen oder hier studieren und dann wieder gehen.« Für solche, die bleiben wollen, hat der Chemnitzer Schwager eines Anwohners wenig Verständnis. »Die werden eingestellt, und unsere Leute liegen auf der Straße«, beginnt er eine längere Litanei. »Die mein’ ich nicht«, sagt er, auf die Vietnamesen angesprochen, an deren Imbiß er sein Bier trinkt. Die junge Frau ist hochschwanger und ruht sich etwa zwei Meter abseits auf einem Plastikstuhl aus. Wieviel sie von dem Gespräch versteht, läßt sich an ihrem Gesicht schwer ablesen. Sie sieht blaß und nicht gerade fröhlich aus, könnte aber auch einfach nur müde und abgespannt sein. Sie spricht nur wenige Worte Deutsch und möchte nicht fotografiert werden.
Auf der Grünfläche hinter dem »Sonnenblumenhaus« hat die Initiative »Lichtenhagen bewegt sich« ein Zirkuszelt aufgeschlagen. Hier sollen am 25. August Theaterworkshops und eine Podiumsdiskussion stattfinden. Motto: »Zum Glück geht es anders – wie wollen wir miteinander leben.« Einen Tag später will Bundespräsident Joachim Gauck hier zum Gedenken eine 20jährige Eiche pflanzen – ein fragwürdiges Symbol, finden Rostocker Antifaschisten.
»Nur Gastarbeiter«
Abenddämmerung in Lichtenhagen, August 2012: Das »Sonnenblumenhaus« wurde nach dem Pogrom renoviert und von deutschen Mietern bezogen
Foto: Claudia Wangerin
Der ehemalige Vertragsarbeiter Ly Van Hoa hat vor zehn Jahren ein Asia-Snack-Restaurant in der nördlichen Altstadt in Hafennähe eröffnet. 1992 wohnte er im siebten Stock des »Sonnenblumenhauses«. Er drückt sich vorsichtig aus, weil er auf die Entfernung nicht so genau sehen konnte, wer selbst Steine oder Brandsätze warf, wer die Täter vor der Polizei schützte und wer ihnen nur applaudierte. Was er sehen konnte, war eine Menge, die sich in der Sache einig war. »Ich glaube, das waren unsere Leute«, sagt Ly Van Hoa – und meint Leute aus der Gegend. Für ihn gab es also bis zu diesem Tag ein »wir«, das die deutsche Nachbarschaft einschloß.
Kurz bevor die ersten Steine flogen, habe er mit seiner deutschen Freundin Geburtstag gefeiert. Das erste gemeinsame Kind war damals zwei Jahre alt – das habe ihn hier gehalten. Ein zweites Kind sei 2001 geboren worden. Die meisten seiner vietnamesischen Kollegen seien schon in den 1990er Jahren zu ihren Familien in der Heimat zurückgekehrt. »Wir sind nur Gastarbeiter«, sagt Ly Van Hoa, formal Unternehmer, aber mit einem Zwölf-Stunden-Tag. Er kocht und bedient selbst, geht zwischendurch nur mal kurz vor die Tür, um eine Zigarette zu rauchen. Eine scharf-saure Suppe kostet hier 1,50 Euro, Hühner- und Schweinefleischgerichte um die vier Euro, Bangkok-Ente 6,50. Bei der Einführung der Hartz-IV-Gesetze seien die Einnahmen gesunken, die Pacht sei hoch, aber er könne davon leben, sagt Ly Van Hoa. Neben vietnamesischen Porzellanfiguren schmücken Poster und Wappen des FC Hansa Rostock das Lokal. Er selbst hat aber keine Zeit, sich die Spiele anzusehen. »Ich schaue mir nur die Zusammenfassungen an.«
Der moderne Nützlichkeitsrassismus verschont Menschen wie ihn, die hart arbeiten. Das Image der Vietnamesen, von denen viele kleine Betriebe gegründet haben und preiswerte Dienstleistungen anbieten, ist vergleichsweise gut; sie werden als Köche und Änderungsschneider geschätzt. Was sie in ihrer Freizeit tun und ob sie überhaupt Freizeit haben, steht auf einem anderen Blatt. Aber es gibt auch noch die völkische Variante des Rassismus. »Für Nazis bin ich einfach Ausländer, mit meinem Aussehen«, sagt Ly Van Hoa.
Im Rostocker Stadtteil Toitenwinkel wurde Mehmet Turgut am 25. Februar 2004 bei der Arbeit an einem Imbiß erschossen, weil er leicht als »Ausländer« zu identifizieren war. Erst Ende 2011 ist das rassistische Motiv der Mordserie, der er zum Opfer fiel, offiziell bekannt geworden.
Anders als Toitenwinkel gilt die Hafengegend nicht als Neonazihochburg. Die meisten Restaurants sind hier deutlich teurer als das von Ly Van Hoa. Um die Ecke entstehen Eigentumswohnungen, zum Teil über 200 Quadratmeter groß. An die DDR erinnert noch die Gedenkstätte revolutionärer Matrosen am Warnowufer. Zwei unbewaffnete Männer, die sich auf einem Trümmerberg erheben, einer mit hoch gestreckter Faust. Die monumentale Ästhetik gefällt heute auch nicht allen Linken. Aber immerhin wurde hier ein Aufstand gegen deutschen Größenwahn gefeiert – neun Meter »verordneter Antifaschismus«.
Alternative Zentren
Im Biergarten des Peter-Weiss-Hauses treffen sich Aktive des Bündnisses »20 Jahre nach den Pogromen – Das Problem heißt Rassismus«. Schöner wäre es aus ihrer Sicht, das Problem aus den Köpfen zu bekommen – zur Not würden sie aber »verordneten Antifaschismus« einem Exzeß wie dem in Rostock-Lichtenhagen vorziehen. Stattdessen habe der Mob mit der Änderung des Asylrechts im Jahr 1993 faktisch seinen Willen bekommen, bilanzieren sie. Das sei auch von der Politik gewollt gewesen. Seither schotte sich Deutschland mit der Drittstaatenregelung und dem Flughafenverfahren immer mehr gegen Flüchtlinge ab. Schon einen Monat, nachdem die Sinti und Roma aus der ZAst evakuiert werden mußten, sei mit dem deutsch-rumänischen Rücknahmeabkommen ihre Abschiebung besiegelt worden.
Verfehlt sei aber auch die Ausländerpolitik der DDR gewesen. »Diese Politik hatte den Namen verdient. Das war keine Integrationspolitik«, sagt Robbe, der 1976 geboren und in der Schule früh politisiert wurde. Der entwicklungspolitische Ansatz, in der DDR Fachkräfte auszubilden, die anschließend in ihren Ländern Aufbauarbeit leisten sollten, sei nicht falsch gewesen. In den 1980er Jahren sei aber das Versprechen auf Ausbildung in vielen Fällen nicht mehr eingelöst worden. Stattdessen hätten die Betroffenen »die Arbeit gemacht, die die Deutschen nicht machen wollten«. Schwangere Vertragsarbeiterinnen seien zeitweise vor die Alternative »Abtreibung oder Ausweisung« gestellt worden.
Rund 20 Zuhörer haben sich im August 2012 an einem der heißesten Tage des Jahres zu der Podiumsdiskussion im Garten des Peter-Weiss-Hauses eingefunden. Mit Kritik an »der Zivilgesellschaft« und ihrem Alltagsrassismus wird nicht gespart. Von einer Dominanz der örtlichen Neonaziszene könne aber in Rostock nicht gesprochen werden. Die braune Szene habe mit dem Brandanschlag auf den Verein »Alternatives Wohnen in Rostock« (Awiro) einige Tage zuvor zeigen wollen, daß sie handlungsfähig sei, sagt ein Aktivist des antirassistischen Bündnisses. Aber im großen und ganzen sei Rostock »eine linksalternative Studentenstadt«.
Das ist sicher nicht böse gemeint, läßt aber die vietnamesischen Kleinunternehmer und Gastronomiebeschäftigten ebenso außen vor wie die Sorte Lichtenhagener, deren Hauptproblem an einem rassistischen Gewaltexzeß die Parkposition der Wasserwerfer war.
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 26.08.2012 20:06von Lisadill • 744 Beiträge
Deutsche Eiche statt Asyl
Von Rüdiger Göbel
Demonstration am Samstag vor dem »Sonnenblumenhaus« in Rostock-Lichtenhagen
Eine deutsche Eiche soll fortan an die rassistischen Angriffe auf das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 erinnern. Der zur »Mahneiche« deklarierte alte Baum wurde am Sonntag während der offiziellen Gedenkfeier in der Nähe des »Sonnenblumenhauses« gepflanzt, das damals tagelang von Neonazis und einem ausländerfeindlichen Mob belagert und schließlich angezündet worden war, ohne daß die Polizei eingeschritten wäre. Die 20 Jahre alte Eiche ist versehen mit einer Plakette, die ein Zitat aus der UN-Menschenrechtscharta enthält: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.« Und den kurzen Zusatz: »In Gedenken an die Ausschreitungen vom August 1992.«
Bundespräsident Joachim Gauck machte sich neben der deutschen Eiche für einen »wehrhaften Staat« stark. Wenn die Demokratie Bestand haben solle, dürfe sie sich »das Gewaltmonopol nicht aus der Hand nehmen lassen«, erklärte der frühere Rostocker Pfarrer bei der zentralen Gedenkkundgebung am Sonntag. Die Demokratie brauche beides: Mutige Bürger, die nicht wegschauen, aber vor allem auch einen Staat, der fähig ist, Würde und Leben zu schützen. Zum 1992 vom Bundestag ausgehebelten Asylrecht äußerte sich der Bundespräsident nicht. Kritische Begleiter seiner Rede, die »Heuchler«, »Heuchler« riefen und ein Transparent mit dem Slogan »Rassismus tötet« hochhielten, setzte Gauck mit Neonazis gleich. Darauf machte die Thüringer Linke-Landtagsabgeordnete Katharina König per Twitter aufmerksam. Mecklenburg-Vorpommerns Linke-Chef Steffen Bockhahn erklärte zunächst staatstragend, ebenfalls per Twitter: »Es ist nicht der Ort für Proteste gegen Gauck«, um dem Bundespräsidenten zu bescheinigen: »Aber die Antifa mit den Nazis gleichzusetzen, ist absolut krank.«
Im Gegensatz zu Gauck machten sich mehrere tausend Bürger in Rostock für das Grundrecht auf Asyl stark. Nach Veranstalterangaben waren am Samstag 6500 Demonstranten dem Aufruf des Bündnisses »20 Jahre nach den Pogromen – Das Problem heißt Rassismus« in die Hansestadt gefolgt. »Nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen wurde das Asylrecht faktisch abgeschafft. Seither werden Flüchtlinge systematisch diskriminiert. Der rechte Mob hat seinen Willen bekommen – bis heute. Das ist der Skandal dieses Jahrestags«, erklärte das Bündnis. Daß im Andenken an das »deutsche Pogrom« von 1992 ausgerechnet eine deutsche Eiche gepflanzt werde, »offenbart die politische Ignoranz der Volksvertreter«.
Die Rostocker Linke-Politikerin Ida Schillen, Mitglied im Bundesvorstand ihrer Partei, hätte der Eiche mit Plakette auch ein anderes Signal vorgezogen: »Ich hätte es bevorzugt, wenn der Bundestag 20 Jahre danach das individuelle Grundrecht auf Asyl wieder hergestellt und wirkungsvolle Zeichen gesetzt hätte, Asylsuchenden ein menschenwürdiges Leben in Deutschland zu garantieren, ohne Residenzpflicht und ohne Arbeitsverbot«, erklärte Schillen vergangene Woche im jW-Gespräch.
In Stuttgart ging am Samstag morgen ein Asylbewerberheim in Flammen auf. Bei dem Brand in dem dreistöckigen Gebäude wurden neun Menschen verletzt. Hinweise auf einen Anschlag gebe es nicht, teilte die Polizei der baden-württembergischen Landeshauptstadt umgehend mit – obwohl mit den Ermittlungen zur Brandursache erst am heutigen Montag begonnen wird.
RE: Braunes" Gedankengut" in Deutschland
in Gesellschaft 29.08.2012 21:46von Lisadill • 744 Beiträge
Deutsche Eiche gefällt
Die am Wochenende in Rostock gepflanzte deutsche Eiche ist gefällt. Das Onlineportal linksunten.indymedia.org veröffentlichte am Mittwoch ein Bekennerschreiben:
Wir haben in der Nacht vom 28. auf den 29. August, gegen halb 2, in etwa einem Meter Höhe, die Eiche neben dem Sonnenblumenhaus abgesägt. Denn dieses Symbol für Deutschtümelei und Militarismus ist für die Menschen, die 1992 dem Mob in Rostock-Lichtenhagen ausgesetzt waren, ein Schlag ins Gesicht.
Auch daß dieser Baum in der Zeit des Nationalsozialismus als sogenannte Hitlereiche gepflanzt wurde, macht ihn unvertretbar. Daß ausgerechnet Joachim Gauck, der Sarrazin einen mutigen Man nennt und der Meinung ist, daß das Wort Überfremdung legitim sei, auf einer der Veranstaltungen reden durfte, zeigt für uns, wie fehlerhaft und falsch der momentane Ansatz einer offiziellen Aufarbeitung in Rostock ist. Daß zwei Mitgliedern des deutsch-afrikanischen Freundeskreises Daraja e. V. trotz offizieller Einladung und ohne Begründung der Einlaß zu dieser Gedenkveranstaltung verwehrt wurde, setzt dem Ganzen nur noch die Krone auf.
Rostock-Lichtenhagen, 20 Jahre nach Pogrom
Arbeitsgruppe antifaschistischer Fuchsschwanz
Die Aktion sorgte bei linksunten.indymedia.org für eine rege Diskussion:
Pirat: Es haben ja alle darauf gewartet, und ihr habt’s jetzt getan. Was für ein Bärendienst! Natürlich ist es etwas unglücklich, einen Baum zu pflanzen, der gemeinhin auch als »deutsche Eiche« betrachtet wird, aber das ist allenfalls ein Faux pas und keinesfalls ein beabsichtigtes Symbol.
– Bäume haben keine Nationalität.
– Bäume sind kein Symbol für Militarismus.
– Bäume sind kein Symbol für Deutschtümelei.
– Ich sehe keinen Beleg, daß die 1992 Betroffenen es als Schlag ins Gesicht ansehen.
– Zwei Äußerungen Gaucks (den ich auch nicht eben mag) außerhalb des Kontextes reichen nicht aus, ihm eine nationalistische Gesinnung zu unterstellen. Er ist darum auch kein Heuchler. Wann werdet ihr endlich merken, daß es wichtig ist, Menschen zu überzeugen und daß derartige Aktionen dafür nicht hilfreich sind?
Umweltaktivist: Ein Baum ist ein Baum und ein Tier ist ein Tier und kann NICHT Rassistisch sein. (…) Ich dachte Linke, achten im Gegensatz zu Rechte auf Menschen und Tierrechte? (…)
Anonym: Danke für den Mut und die Courage der Aktivist_innen!!
Anonym: »Bäume sind Militaristen«, sagt also eine Gruppe, die sich »Fuchsschwanz« nennt. Das Symbol des sexistische Blondinenwitze erzählenden Mantafahrers. Wissen auch die wenigsten.
Anonym: klar kann ein baum nicht rassistisch sein, die hintergründe seiner pflanzung aber schon. mit der aktion ist es gelungen, in den mainstream-medien wenigstens für eine randnotiz zu sorgen, in der die widersprüchlichkeit deutscher politik genannt wird, wenn sie einerseits lichtenhagen offiziell gedenken, andererseits schweigen, wenn es um lagerhaft, residenzpflicht und abreitsverbot für asylsuchende geht! danke dafür!
Anonym: Das war genau die richtige Aktion gegen diese unerträgliche Heuchelei!
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