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dieses interview hab ich der freitag.de entnommen
ich seh das ähnlich wie Fadi Saad.
Gewalttätern muss klar gemacht werden was sie da getan haben.
ich denke das kann auch therapeutisch helfen,denn Gewalt gegen Schwächere ist was gelerntes IMHO
Sonja Peteranderl
Nicht zu sanft
Porträt Fadi Saad will kriminellen Jugendlichen in Problembezirken helfen. Aber er sagt auch: Gewalttätern wird es heute oft zu leicht gemacht
Nicht zu sanft
Vom Gangmitglied zum Sozialarbeiter: Fadi Saad
Foto: Jennifer Osborne für der Freitag
Fadi Saads Nase erzählt von seiner Vergangenheit. Sie ist ein bisschen schräg und zu breit, eine Erinnerung an Faustschläge, die Saad nicht nur ausgeteilt, sondern auch eingesteckt hat. Mit breiten Schultern, in Pullover, Jeans und Turnschuhen sitzt Saad in seinem Büro in Moabit. Als Quartiersmanager vermittelt der 33-Jährige zwischen Behörden und Bürgern, organisiert Veranstaltungen und Projekte. Er wirkt gelassen. Heute redet er sich nur noch in Rage, wenn er über eine Jugendgewaltdebatte spricht, die sich auf Schuldzuweisungen beschränkt.
Der Freitag: Auf dem Alexanderplatz prügelten Jugendliche Mitte Oktober auf den 20-jährigen Jonny K. ein, der kurz darauf an seinen Verletzungen starb. Viele fragen sich nun wieder: warum?
Fadi Saad: Es ist schwer zu sagen, was in diesem Fall genau passiert ist. Aber es reichen kleine Auslöser. Du bist in der Gruppe unterwegs, und es ist wie beim Klassenclown, der sich ständig daneben benimmt: Du bekommst Applaus von der Gruppe, wenn du einen anmachst. Und wenn sich der andere wehrt, fühlst du dich provoziert. In Sekunden steigern die Jugendlichen sich da hinein.
Ohne nachzudenken, ohne Limit?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Tötungsabsicht vorher da war. Diese Jungs rechnen nicht damit, dass jemand stirbt, auch wenn sie ihm gegen den Kopf treten. Aber du gerätst in einen Rausch, aus dem du nicht mehr herauskommst. Zu meiner Gang-Zeit hat man aber auf einen, der am Boden lag, nicht stundenlang eingetreten.
Sind Jugendliche heute brutaler?
Die Zahl der Vorfälle hat abgenommen, aber die Taten sind brutaler. Die Bereitschaft, ein Messer, einen Schlagring mit sich zu tragen, ist gestiegen.
Spielen Drogen eine Rolle?
Was oft dazukommt, ist Tilidin. Für Krebskranke ist es ein Medikament, aber Jugendliche benutzen es als Waffe. Es putscht sie auf. Sie wissen genau, dass sie sich mit Tilidin für unverwundbar halten, sich mehr trauen.
Gewalt findet öffentlicher statt ...
Wenn wir uns früher geprügelthaben, dann möglichst ohne Publikum. Jemand hätte ja die Polizei rufen können, es hätte jemand einschreiten können. Heute kannst du dich an den Bahnhof Zoo stellen, auf einen eintreten, und es interessiert keinen. Das ist das Traurigste: diese Kultur des Wegschauens, die sich entwickelt hat.
Woher kommt die?
Manche wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Andere denken: Ein anderer wird schon helfen. Es gibt auch viele, die Angst haben, selbst angegriffen zu werden. Und: Sie haben Angst, als Zeugen auszusagen. Selbst wenn man sagt, Aussage und Adresse erhält nur der Anwalt – die Praxis sieht oft anders aus. Bis es zur Verhandlung kommt, wird immer wieder versucht, Leute einzuschüchtern.
Was kann dagegen getan werden?
Man muss sich der neuen Situation anpassen – sei es mit Sozialarbeit, mit Gesetzen, Möglichkeiten und Projekten. Man muss die Entwicklung begleiten, aber das passiert nicht. Wichtig ist es, Leute durch präventive Arbeit gar nicht in diesen Gewaltrausch kommen zu lassen. Da wird zu wenig Geld reingesteckt. Die Eltern haben sie nicht erzogen? Das ist Quatsch. Auch Amokläufer kommen aus gutem Elternhaus. Ich kenne Menschen, die in Clubs getreten haben, auch Deutsche, Frauen, Anwälte. Das ärgert mich an dieser Debatte: Es geht immer darum, wem man die Schuld zuschieben kann. Den Eltern? Der Schule? Wer hätte was machen sollen? Schwer zu sagen, wo man ansetzt. Aber wichtig ist: so früh wie möglich.
Mit 14 Jahren gehörten Sie zur Gang „Araber Boys 21“ – wie kam das?
In der Gang erfährst du Anerkennung und Zusammenhalt. Das fehlte mir damals. In der Grundschule gab es noch viel Anerkennung, meine Leistungen waren gut. Später war es interessanter, unterwegs zu sein als im Unterricht. Ein Teufelskreis: Du lernst Chaoten kennen, gerätst in Sachen hinein, die du nicht planst. Die Araber Boys hingen im Jugendclub herum. Sie hatten die hübschesten Mädchen, das größte Ansehen, man machte ihnen den Weg frei, den Kickertisch. Irgendwann wollte ich dazugehören.
Was mussten Sie dafür tun?
Als Aufnahmeritual musste man zwei Minuten lang einen Kampf mit drei Gangmitgliedern überstehen. Du durftest dich wehren, aber wenn du gewonnen hast, konntest du davon ausgehen, dass du vom Rest auf die Fresse bekamst.
Und nach der Aufnahme?
Du willst etwas Besonderes sein, du willst dir in der Gang und außerhalb einen Namen machen.
Wer waren die Feinde?
Zu unserer Zeit vor allem die Polizei. Wir haben gesagt: Guck mal, wie die mit uns umgehen, die mögen uns Ausländer nicht. Du erlebst täglich Diskriminierungen: Du steigst in den Bus, der Busfahrer lässt alle durch, dich fragt er nach dem Fahrausweis. Beim Einkaufen kommt dir der Detektiv ständig hinterher. Du bist das typische Bild eines Verbrechers.
"In der Gewaltdebatte
wird die Schuld nur
hin- und hergeschoben"
Wie sahen Sie selbst die Polizei?
Ich hatte eine Riesenwut. Auch wenn du nichts gemacht hattest, zu dritt herumstandest, gab es eine Personenkontrolle. Selbst die Sozialarbeiter und Schulen haben lange den Kontakt mit der Polizei vermieden. Erst 1992 hat sich die Operative Gruppe Jugendgewalt der Polizei gegründet. Wenn man das Gespräch sucht – so wie heute oft –, bekommt man aber Respekt.
Also funktioniert das nun besser?
Die Polizei müsste noch mehr Bürgernähe zeigen. Das bedeutet, dass sie nicht nur mit dem Streifenwagen durch den Kiez fahren. Das bedeutet: aussteigen, die Leute kennenlernen. Aber die Begegnungen finden oft nur bei Veranstaltungen und Demos statt.
Sie plädieren für eine engere Zusammenarbeit mit der Polizei.
Wir haben beim Mai-Fest die Jugendlichen als Ordner bei den Bühnen miteinbezogen, das Fest zu ihrem Fest gemacht. Die Strategie ist aufgegangen. Wenn palästinensische Demos sind, gehe ich als Ordner mit und versuche die Brücke zwischen Polizei und Jugendlichen zu stellen. Das gelingt mir nicht immer, aber zu einem Konflikt gehören meistens zwei.
Was versuchen Sie den Jugendlichen mitzugeben?
Ich bin oft an Schulen und lese aus meinem Buch, erzähle aus der Praxis und versuche klarzumachen, dass jeder schnell in eine Mutprobe gerät. Es beginnt immer mit dem Satz: „Wetten, dass du es nicht kannst?“ Ich versuche, die Jugendlichen zu stärken, Nein zu sagen. Und ich bringe sie in die Position, mir etwas beizubringen oder zu zeigen. Darauf sind sie stolz.
Welche Rolle spielt die Schule?
Den Eltern wird immer die Hölle heiß gemacht, aber auch die Schulen sind in der Pflicht. Ich möchte als Vater sofort erfahren, wenn mein Kind fehlt, nicht Wochen später. Als ich Berufsvorbereitungskurse gegeben habe, wussten die Schüler: Egal, was im Unterricht passiert, die Eltern werden informiert, und zwar umgehend. Ich drohe nichts an, was ich nicht umsetze, und kläre alle vorher über Konsequenzen auf.
Fehlen klare Ansagen?
Oft. Schüler sagen mir, „Beweg deinen Arsch raus“ funktioniere besser als: „Könntest du bitte aus der Klasse gehen?“
Verfängt so eine Ansprache bei allen Jugendlichen?
Wenn du in einem sozialen Brennpunkt bist, gibt es kaum Unterschiede zwischen deutschen, arabischen oder türkischen Jugendlichen. Weil bei allen die Unterstützung von Zuhause gering ist, es ähnliche Konflikte wie Arbeitslosigkeit und Schulden gibt. Der einzige Erzieher ist dort oft der Fernseher. Und es gibt Schulen, die mit den Kindern üben, wie man Hartz-IV-Anträge ausfüllt. Du wirst ja fast zum Versagen genötigt, wenn dir vermittelt wird: Aus dir wird sowieso nichts. Das habe ich früher auch oft gehört.
Was muss sich an den Schulen ändern?
Wir brauchen kleinere Klassen und junge Lehrer, die das Geschehen und die Sprache der Jugendlichen verstehen – damit meine ich nicht Türkisch oder Arabisch. Und die Jugendlichen müssen Konsequenzen spüren. Es wird ihnen oft zu leicht gemacht. Wenn du vor Gericht kommst, musst du deinen Mund nicht aufmachen. Du hast einen Anwalt, der für dich spricht, die Jugendgerichtshilfe, dann kommen Sozialarbeiter dazu, meist die Eltern, die um ihren Sohn betteln. Der Junge sitzt da und amüsiert sich. Er hat das Recht, nichts zu sagen. Aber warum? Der soll reden, klar und deutlich Stellung nehmen.
Werden Straftäter zu schnell aufgrund ihrer sozialen Herkunft entschuldigt?
Die Suche nach Entschuldigungen ärgert mich am meisten. Es gibt Gründe, die einen Jugendlichen dazu bringen, zu saufen und nicht mehr in die Schule zu gehen. Aber wenn ich Party mache und dann auf jemand eintrete, hat das nichts mit meiner Kindheit und meinem sozialen Umfeld zu tun.
Finden Sie Forderungen nach härteren Strafen gerechtfertigt?
Warum härtere? Wir haben Strafen, die nur angewendet werden müssen. Das heißt nicht, denjenigen in irgendeinen Kurs zu stecken. Wenn man bedenkt, wer wie viel Geld mit einem Kriminellen verdient, frage ich mich, wer überhaupt Interesse hat, dass sie nicht mehr kriminell werden. Es gibt zig Einrichtungen, Träger, Familien- und Einzelfallhelfer.
Es gibt wirtschaftliche Konkurrenz um schwierige Jugendliche?
Familien und Jugendliche werden als Produkte, als lukratives Geschäft betrachtet. Solange das der Fall ist, wird sich nichts ändern.
Was halten Sie von der Forderung, Jugendliche bei kleineren Delikten schneller zu bestrafen?
Strafe bringt etwas, wenn sie sofort passiert. Wenn du nach Monaten vor Gericht kommst, weißt du nicht mehr weswegen. Die Verhandlungen habe ich früher locker genommen. Was sollte passieren? Du darfst Ziegen füttern gehen, in einem sozialen Training lernen, mal still zu sitzen. Da denkst du dir: Wow, was muss ich tun, damit ich eine richtige Strafe bekomme?
"Solange kriminelle
Jugendliche ein Geschäft
sind, ändert sich nichts."
Was war für Sie der Wendepunkt?
Ich habe einen Arrest bekommen. Das hat mich überrascht. Es gab einen Richter, der sich das getraut hat. Ich hatte drei Tage Zeit zum Nachdenken, der Aufenthalt in der Zelle war schlimm. Mir wurde klar: Eigentlich wollte ich nie kriminell werden, meine Eltern sollen stolz auf mich sein. Und die Araber Boys haben sich dann aufgelöst, die Polizei hat härter durchgegriffen.
Der mutmaßliche Haupttäter vom Alexanderplatz war zuvor mehrfach auffällig. Kann man Mehrfachtäter noch erreichen?
Das ist schwer. Du musst ihn aus seinem Umfeld herausnehmen. Du kannst auch keinem Alkoholiker sagen: „Hör auf damit“ – wenn er jeden Tag in der Kneipe sitzt. Kanufahren reicht nicht. Beim Boxcamp von Lothar Kannenberg müssen die Jugendlichen etwa im Schlamm wühlen, zum ersten Mal im Leben ihr Bett machen, es gibt einen klaren Tagesablauf. Das Camp ist ein Ersatz: Anerkennung, Wertschätzung, wie bei einer Gang. Es ist abgelegen, keine Eltern, keine Kumpel – es geht nur um dich. Da gibt es eine Chance.
Das Gespräch führte Sonja Peteranderl
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