UNSERE ZUKUNFTSelber denken und verantwortlich handeln. Lasst uns nachhaltig etwas bewegen! |
|
|
Proteste gegen die Verarmung der griechischen Bevoelkerung
in Gesellschaft 19.02.2012 21:37von Lisadill • 744 Beiträge
Ruf zur Solidarität
Demonstration am Eiffelturm am Samstag in Paris: Solidarität mit dem griechischen Volk
Foto: EPA
In zahlreichen Städten der Europäi schen Union und in Nordamerika beteiligten sich am Sonnabend unter dem Motto »We are all Greeks – Wir sind alle Griechen« Tausende Menschen an Solidaritätsdemonstrationen mit der griechischen Bevölkerung. Sie forderten ein Ende der Kürzungspolitik, die Griechenland von EU, Europäi scher Zentralbank und Internationalem Währungsfonds – der sogenannten Troika – auferlegt wird. In Spanien beteiligten sich am Sonntag Zehntausende in 57 Städten an Kundgebungen der Gewerkschaften gegen die sogenannte Arbeitsmarktreform der konservativen Regierung. Am Sonntag kam es in Athen zu weiteren Protestaktionen.
In Paris versammelten sich mehr als 2000 Menschen auf der Place Trocadéro und marschierten zur griechischen Botschaft. Kundgebungen fanden u.a. in London, Berlin, Amsterdam, Barcelona, Brüssel, Köln, Kopenhagen, Dublin, Lissabon, Stockholm und Nicosia statt. Demonstrationen wurden auch aus New York und Chicago gemeldet.
In der griechischen Hauptstadt folgten am Sonntag vormittag etwa 3000 Menschen einem Aufruf der Gewerkschaften. Für den Nachmittag waren Kundgebungen weiterer Organisationen geplant. Auf Spruchbändern kritisierten die Demonstranten die jüngsten Beschlüsse der Athener Regierung: »Armut und Hunger haben keine Nationalität«, war auf einem Transparent zu lesen, gefolgt von dem englischen Zusatz: »all of us we are Greeks, Merkel and Sarkozy are freaks« (Wir sind alle Griechen, Merkel und Sarkozy sind Freaks). »Wir schämen uns unserer Politiker«, stand auf einem orangefarbenen Schild, ein anderes forderte: »Laßt uns Griechenland neu erschaffen«.
Die griechische Regierung votierte am frühen Sonntag morgen für die letzten Einsparungen, die die internationalen Geldgeber als Bedingung für die Freigabe von 130 Milliarden Euro neuerlicher Kredite von Athen gefordert hatten. Die Maßnahmen sollen am heutigen Montag dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden, um die Euro-Finanzminister, die sich am selben Tag zu Beratungen treffen, vom »Reformwillen« Griechenlands zu überzeugen, erklärte Regierungs chef Loukas Papadimos. Aufgrund der Unterwerfung unter das Diktat der Troika erwartete Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Tagesspiegel am Sonntag, daß das »Hilfspaket« gebilligt werde. Experten des Bundeswirtschaftsministeriums kritisierten einem Bericht der Welt am Sonntag zufolge jedoch, Athen komme bei den versprochenen Reformen nicht voran. Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding, warnte ähnlich wie Schäuble davor, Gelder in ein »Faß ohne Boden« zu schütten. Sie sei aber »zuversichtlich«, daß die Finanzminister der Euro-Zone das »neue Rettungspaket« beschließen würden, sagte sie dem Wiener Kurier.
Auch in anderen EU-Staaten steigen die sozialen Spannungen. Aus Protest gegen die Liberalisierung des Arbeitsmarktes durch die Regierung gingen am Sonntag in ganz Spanien Tausende Menschen auf die Straße. Die größte Kundgebung fand in Madrid statt. Die Gewerkschaften stemmen sich gegen eine kürzlich eingeführte Regelung, die es spanischen Unternehmen angesichts schwindender Einnahmen erlaubt, aus Kollektivverträgen auszusteigen. Ihnen soll damit mehr Freiheit bei der Änderung von Dienstzeiten, Dienstorten und Gehältern ihrer Angestellten gegeben werden. Auch Kündigungen werden so für die Firmen billiger und einfacher. Mit der Maßnahme will die neue konservative Regierung die angeschlagene Wirtschaft des Landes ankurbeln.
RE: Proteste gegen die Verarmung der griechischen Bevoelkerung
in Gesellschaft 26.02.2012 19:36von Lisadill • 744 Beiträge
was der griechischen bevoelkerung angetan wird finde ich einfach widerlich!
27.02.2012 / Titel / Seite 1Inhalt
Nein zu Merkels Diktat
Von Herbert Wulff
Hat sich als Bankenretterin bewährt: Bundeskanzlerin Angela Merkel
Foto: Reuters
Der Bundestag soll heute mal wieder den Euro retten. Die Abgeordneten sind an diesem Montag aufgerufen, über die deutsche Beteiligung am neuesten »Hilfspaket« für das verschuldete Griechenland abzustimmen. Es wird – das deutete Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorsorglich schon mal an – nicht das letzte sein. Zugleich »empfahl« sein Kabinettskollege, Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), den Griechen als erstes deutsches Regierungsmitglied den Austritt aus der Euro-Zone.
Die mit dem »Hilfspaket« verbundenen Auflagen sind für Griechenland ein Programm der sozialen Verelendung. Bis 2015 sollen 150000 Stellen im öffentlichen Dienst vernichtet werden. Die Ausgaben für Medikamente werden binnen eines Jahres um eine Milliarde Euro gekürzt, die Preise im Nah- und Fernverkehr um mindestens 25 Prozent angehoben. Der bei nur 750 Euro liegende Mindestlohn wird um 22 Prozent gekürzt, bei Jugendlichen gar um 32 Prozent. In den kommenden zwei Jahren sollen die Lohnstückkosten in der gewerblichen Wirtschaft um 15 Prozent sinken. Vor allem aber wird die öffentliche Daseinsfürsorge den Profitinteressen internationaler Konzerne unterworfen: Bis Ende 2015 soll Staatseigentum von 15 Milliarden Euro privatisiert werden, mittelfristig von 50 Milliarden. Ob Flughäfen, Stromanbieter oder Verkehrsbetriebe – alles, womit sich Geld machen läßt, wird verscherbelt und »liberalisiert«. Zu dieser Renaissance des Kolonialismus paßt, daß dem Land ein Teil der Hoheit über den eigenen Haushalt entzogen und ein Sperrkonto für den Schuldendienst eingerichtet wird.
Noch weiter zurück als zu Kolo nialzeiten möchte die FDP, deren Thüringer Generalsekretär Patrick Kurth offenbar gleich das Mittelalter bevorzugt. Angesichts »antieuropäischer Beleidigungen und unappetitlicher Nazivergleiche« griechischer Demonstranten sei es »gerechtfertigt, die Daumenschrauben anzuziehen«, sagte er der Leipziger Volkszeitung (Montagausgabe). Höherrangige Vertreter der deutschen Politikelite finden das vielleicht zu martialisch, drohen aber zumindest mit dem Rausschmiß aus der Euro-Zone. »Außerhalb der Währungsunion sind die Chancen Griechenlands, sich zu regenerieren und wettbewerbsfähig zu werden, mit Sicherheit größer, als wenn es im Euro-Raum bleibt«, erklärte Innenminister Friedrich dem Spiegel. Daß dem Land dann eine dramatische Inflation und Kapitalflucht drohen, sagte er nicht.
Nicht zustimmen will geschlossen Die Linke, während in allen anderen Fraktionen deutliche Mehrheiten für das »Hilfsprogramm« erwartet werden. Sahra Wagenknecht, erste stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion erklärte am Sonntag, es gehe um eine Summe von insgesamt 165 Milliarden Euro, von der »kein Cent bei der griechischen Bevölkerung ankommt« und die die Insolvenz des Landes nicht aufhalten werde. »Der deutsche Steuerzahler trägt bei einer späteren Zahlungsunfähigkeit ein dreistelliges Milliardenrisiko allein, während Banken und private Gläubiger durch die Hilfe der Bundesregierung ihr Geld in Sicherheit gebracht haben werden.«
Ähnlich argumentiert der Arbeitskreis Europa im ver.di-Bezirk Berlin, der heute um 14.30 Uhr unter dem Motto »Heute Griechenland, morgen wir – Nein zu Merkels Spardiktat« zu einer Protestkundgebung direkt vor dem Bundestag mobilisiert. Die Auflagen der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds seien »ein Frontalangriff auf alle arbeitenden Menschen und Völker Europas«, dem die Beschäftigten mit internationaler Solidarität begegnen müßten.
RE: Proteste gegen die Verarmung der griechischen Bevoelkerung
in Gesellschaft 28.02.2012 15:37von Lisadill • 744 Beiträge
wer sich nicht wehrt lebt verkehrt!!(meine Meinung)
In grimmiger Routine
Obszönitäten und Gasmasken, aber der Spuk fängt erst an: Athen im Widerstand (Teil 1). Vom Schwabinggrad Ballett
Jugend auf dem Syntagma-Platz (syntagma, griech., »Verfassung«)
Foto: Reuters
Als das letzte Troika-Sparpaket das griechische Parlament passierte, recherchierte das Hamburger Künstlerkollektiv Schwabinggrad Ballett in Athen für eine Aktion, die im März vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt stattfinden soll. Die Hamburger berichteten in einem Blog über ihren zehntägigen Aufenthalt, in dessen Verlauf sie selbst aktiv wurden. Am 17. Februar zogen sie mit Transparenten wie »Zahlt erst mal eure Nazischulden, ihr Arschgeigen« vor die deutsche Botschaft, wo eine Protestnote verlesen und ein hartgekochtes Frühstücksei geworfen wurde. Bei der folgenden Rangelei ohrfeigte ein Botschaftsangehöriger einen Aktivisten, was einen Abgeordeten der SYRIZA (griechisches Linksbündnis) derart empörte, daß die Polizei sich gezwungen sah, den Ort zu räumen und die ganze Bagage mit auf die Wache zu nehmen. Der folgende Reisebericht des Kollektivs hat zwei Teile.
Erste Eindrücke auf der Fahrt vom Flughafen in die Athener Innenstadt: Riesige leere Billboards, als hätte es dem Kapitalismus die Sprache verschlagen. Auf der kurzen Taxifahrt vom Syntagma-Platz zum Stadtteil Exarchia kommt der Fahrer schnell zur Sache: Tiraden gegen die faulen Staatsangestellten, die großen Parteien PASOK und Nea Dimokratia, die deutschen und französischen Blutsauger. Einwände und Nachfragen unerwünscht.
Er sagt auch, daß die Offenlegung der Schweizer Konten, auf denen Milliarden der griechischen Bougeoisie lagern, nicht von Schweizer Seite blockiert wird, sondern von der politischen Klasse das Landes, die selber viel zu verstrickt ist.
Am Ende knöpft er uns den doppelten Fahrpreis ab, aber das bleibt ein Einzelfall. Später besteht ein Taxifahrer sogar darauf, uns eine Quittung zu geben: »Damit der Dicke sein Geld kriegt« – gemeint ist Finanzminister Evangelos Venizelos.
In der Woche vor der Abstimmung über das Sparpaket im Parlament folgt eine Demo der anderen. Auch kommunistische und Basisgewerkschaften marschieren strikt getrennt. In grimmiger Routine werden einstudierte Parolen gerufen. Die Musik – abgespielt über große Trichterlautsprecher– beschränkt sich auf historische Partisanen- und Protestlieder. Soundsysteme mit aktueller Musik gibt es nicht. Wir merken immer wieder: Die Protestcodes kennen hier kein Spiel mit den Formen. Alle politischen Akteure haben das Selbstverständnis, in ihrem Auftreten authentisch zu sein.
Ausgeprägt ist die Kultur der obszönen Beschimpfung. Am Rande einer großen Demo kommt vor dem Haus des ehemaligen Ministerpräsidenten Kostas Simitis zufällig eine Menschenmenge zusammen und skandiert: »Simitis, der, der ihn hinten reinbekommt, Hurensohn!«
Eine Beschimpfung mit explizit linkem Gestus lautet: »Ihr seid nicht die Söhne von Arbeitern, sondern die Hunde der Ausbeuter!« Oft treten auch einzelne hervor und beschimpfen Polizisten und Politiker im Freestyle.
Es fällt nicht schwer, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Ausnahmslos alle lehnen das Sparpaket ab und hassen die eigene und die deutsche Regierung. Nuancen gibt es bestenfalls im Grad der Obszönität der Wortwahl. »Who is the most sexiest lady in the world? Angela Merkel, everybody wants to fuck her.«
Der biedere Apotheker, bei dem wir uns mit Maalox eindecken, dem säurebindenden Wirkstoff gegen Tränengas, fragt freundlich-sarkastisch: »Wieso habt ihr der Merkel nicht gesagt, sie soll uns in Ruhe lassen?« Wir antworten: »Haben wir, aber sie hört nicht auf uns.«
Beim Kauf der Gasmasken gibt es eine ausführliche Fachberatung. Der ältere Herr meint, die Masken für acht Euro reichten für zirka sechs Demos – und wir bekommen Rabatt. Die Gasmasken sind Teil der Normalität im Ausnahmezustand. Auf großen Demos stellen sie sich mit Gasmasken in den Tränengasnebel und rufen: »Ihr verkauft, ihr verkauft, ihr werdet im Knast landen!« Oder »Bullen, Schweine, Mörder!« Frauen in Pelzmänteln genauso wie zottelige Anarchos.
Am Tag vor der Abstimmung im Parlament sehen wir, wie sich in einer Seitenstraße Polizisten der verhaßten Motorradeinheit Zeus mit einem Trupp anarchomäßig gekleideter Typen freundschaftlich abklatschen. Niemand von denen, die wir treffen, zweifelt daran, daß ein großer Teil der zu erwartenden Randale auf das Konto von Agents provocateurs gehen wird. Diese erstmal verschwöringstheoretisch anmutende Annahme wird mittlerweile auch in Blogs der konservativen Nea Dimokratia diskutiert. Auf Youtube kursieren seit längerem Videos der »parastaatlichen Kräfte«, wie man sie hier nennt.
Leute von Real Democracy, die letzten Sommer die Besetzung des Syntagma-Platzes organisierten und den Protest von politischen Organisationen freihielten, erzählen uns, wie damals das erste Sparpaket zustande kam. Das Papier über 2000 Seiten – sei den Politikern erst am Abend vor der Abstimmung vorgelegt worden. Anschließend gaben mehrere Abgeordnete vor laufenden Kameras zu, daß sie nicht wußten, für was sie da gestimmt hatten Abends sind die Straßen in der Innenstadt gespenstisch leer. Die jungen Polizisten, die vor dem Parlament den ganzen Tag über beschimpft und beleidigt wurden, stehen leger auf ihre Schilde gestützt. Wir fragen sie, wie sich das anfühlt und was sie von der Großdemonstration am Sonntag erwarten. Schlimmer als im Sommer 2011 könne es nicht kommen, antworten sie. Die Einschnitte – in ihrem Fall weitere 15 Prozent Lohnkürzungen – seien doch notwendig, um die griechische Wirtschaft wieder konkurrenzfähig zu machen. Weil wir Deutschen das schon hinter uns haben, ginge es uns jetzt doch so gut, oder? Anscheinend gibt es auf den Polizeischulen ideologisches Training.
Sonntag, 12. Februar, Tag der Abstimmung. Kurz nach 17.30 Uhr beginnt die Polizei ohne erkennbaren Anlaß mit der ersten Tränengasattacke. Mit einiger Gelassenheit weicht ein Teil der Menge auf die untere Ebene des Syntagma-Platzes aus. Oben, vor dem Parlament, wollte der 86jährige Mikis Theodorakis, der Protestaufruf unterstützt hatte, gerade zur versammelten Menge sprechen. Man gibt ihm eine Gasmaske und evakuiert ihn. Später fährt sein Auto im Schrittempo an uns vorbei. Ein Megaphon quäkt: »Geht nicht weg, bleibt hier! Mikis Theodorakis grüßt euch!«
Und so geht es die nächsten zehn Stunden weiter. Tränengasattacken, Hin-und-her-Wogen riesiger Menschenmengen. Wechselnde Kampfschauplätze in und um das Stadtzentrum. Brennende Barrikaden, debattierende Menschen aller politischer Richtungen. Schmährufe, Sprechchöre. Dazwischen paradieren wir, das Schwabinggrad Ballett, als Politsekte mit dröhnenden elektronischen Sitars, »Fuck«-Fahne und rosa-orangen Gewändern, auf denen Sprüche stehen: »Destroika«, »Chicago Boys, Rott in Hell!« oder »Hands off the people’s property!«
Mehr als einmal werden wir mißtrauisch gefragt, was es mit dieser Sitarmusik auf sich hat. Musik und Straßenkampf gehören hier einfach nicht zusammen. Je mehr wir vom Kampfgeschehen gezeichnet sind, um so mehr Sympathie schlägt uns entgegen. Offensichtlich sind wir die einzigen Teilnehmer dieser Demonstration, die sich als Nicht-Griechen zu erkennen geben. Man fragt uns immer wieder, was wir ausgerechnet als Deutsche auf dieser Demo machen. Neben vereinzelten Anfeindungen bedanken sich unzählige Leute für die solidarische Geste. Gegen zwei Uhr morgens laufen wir durch ein Trümmerlandschaft zum Hotel. 45 brennende Gebäude wird die Polizei vermelden. Am nächsten Tag glänzen die Glasfassaden der großen Hotels wieder, als sei ein böser Spuk vorbei. Die Leute sagen: Jetzt fängt der Spuk erst richtig an!
43 Politiker der Regierungsparteien haben mit Nein gestimmt und werden aus ihren Parteien ausgeschlossen. Die Polizei gibt die Zahl der Demonstranten mit 80000 an. Andere sprechen von einer Million Menschen – es sei die größte Demonstration seit der Ablösung der Junta gewesen. Das griechische Fernsehen zeigt keine Bilder des stundenlang überfüllten Syntagma-Platzes. Statt dessen sehen wir tagelang immer die gleichen Bilder brennender Häuser.
Eine Eigenheit der Fernsehberichterstattung ist die Aufteilung des Bildschirms. Auf einem Teil sieht man die Randale, auf dem anderen empörte, gut geschminkte Moderatorinnen mit teuren Frisuren.
Teil zwei morgen über die Gleichschaltung der Medien und einen Streik in einem Stahlwe
RE: Proteste gegen die Verarmung der griechischen Bevoelkerung
in Gesellschaft 28.02.2012 21:31von Lisadill • 744 Beiträge
Der Knackpunkt
Genosse, wie hältst du es mit dem Pleitegehen? Athen im Widerstand (Teil 2 und Schluß). Vom Schwabinggrad Ballett
Das Hamburger Künstlerkollektiv Schwabinggrad Ballett beteiligte sich vom 8. bis 18. Februar in Athen an den Protesten gegen das Sparpaket der Troika.
Die mediale Gleichschaltung in Griechenland schreitet voran. Anfang des Jahres stellte die linksliberale Zeitung Eleftherotypia ihr Erscheinen ein. Babis Agrolabos, Politikredakteur und einer von 800 Angestellten, die seit Monaten auf ihre Löhne warten, sagt, daß kritische, unabhängige Positionen aus den Massenmedien verschwinden. Das Verlagsgebäude ist verwaist, Heizung, Telefon und Internet sind abgestellt, doch ein Teil der Redaktion harrt aus. Diese Leute kämpfen dafür, die Zeitung kollektiv und in Eigenregie herausbringen zu können. Eleftherotypia wurde 1975 gegründet und ist die einzige unabhängige Tageszeitung des Landes. Unabhängig bedeutet in Griechenland, daß das Medium nicht einem großen Unternehmer gehört. Schon vor der Krise dienten die TV-Sender und Zeitungen ihren Eigentümern dazu, auf die Politik in ihrem Sinne Einfluß zu nehmen. Heute hat diese Verfilzung zur Folge, daß Alternativen zum Spardiktat – trotz aller Popularität! – massenmedial erst gar nicht erörtert werden. Für diese Art von Zensur braucht es kein Propagandaministerium, es reicht die Angst der griechischen Oligarchie vor der Staatspleite.
Die Situation erklärt den Erfolg des Dokfilms »Debtocracy« von Aris Chatzistefanou und Katerina Kitidi. Im Internet haben den schon rund zwei Millionen Menschen gesehen. Die Entstehungsgeschichte erzählt uns Chatzistefanou in einem Café. Vor zwei Jahren hat er eine Radiosendung über den Ausstieg Ecuadors aus dem IWF-Schuldendienst produziert, die unglaublich populär wurde – bis dato hatte niemand ein gangbares Gegenkonzept zum Spardiktat erörtert. So entstand die Idee, eine spendenfinanzierte Doku zum Thema zu machen. »Die Leute haben gar nicht aufgehört zu spenden, auch als wir bekanntgaben, daß wir kein Geld mehr annehmen.« Chatzistefanou hält sich, wie die meisten kritischen Journalisten, mit einem halben Dutzend Kleinjobs über Wasser und arbeitet mit Kitidi an einer neuen Doku mit dem Titel »Catastroika«. Seinen Job beim Radiosender »Sky 99.2« hat er verloren. »Da war ich eine Art linkes Alibi, aber sowas ist heute nicht mehr angesagt«, erklärt er. »Wer gegen das Sparpaket argumentiert, riskiert seinen Job.«
Daß die Medienoligarchie funktioniert, zeigt auch der Streik bei Elliniki Chalyvourgia. Rund 300 Arbeiter des Stahlwerks sind seit Ende Oktober im Ausstand. Darüber gibt es so gut wie keine Berichterstattung in den großen Medien. Die Löhne sollen um 40 Prozent gekürzt, die Arbeitszeiten völlig flexibilisiert werden – eine direkte Folge der Sparbeschlüsse, wie uns Streikposten am Werktor erklären. »Ich arbeite hier seit 14 Jahren und verdiene bisher tausend Euro im Monat«, sagt Charis. »Die Preise steigen, die Löhne sollen sinken, da können wir nicht mehr überleben. Also kämpfen wir.« Die Konzernleitung hat die Produktion verlagert und lehnt Verhandlungen ab. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Die Streikenden verkaufen Solidaritätscoupons und sind auf Lebensmittelspenden angewiesen. Eine der wenigen Frauen, Maria, erzählt von Lehrern, die Gratisnachhilfe geben und Ärzten, die unentgeltlich behandeln. »Wir sind die Vorhut der kommenden Arbeitskämpfe«, sagt sie. »Wenn sie in der Schwerindustrie Monatslöhne von 600 Euro durchsetzen können, was sollen dann die Supermarktangestellten sagen?« Alle, die wir nach Erfolgsaussichten und Perspektiven fragen, zucken mit den Achseln: »Es gibt keine Alternative.« Ausgerechnet dieser Satz, der seit Thatcher den neoliberalen Rollback begleitet hat!
Auf dem Rückweg in die Innenstadt sitzen im Bus vor allem Pakistanis, Bangladeshi und Afrikaner. Von den Migranten ist in der Krise am wenigsten die Rede, dabei trifft es sie am härtesten. Die Bedingungen in den Auffanglagern werden noch mieser, die Jobgelegenheiten rarer. Für die Regenschirme, Taschen oder Blumen der Straßenverkäufer ist immer weniger Geld übrig. Die Übergriffe nehmen zu. Nationalisten und Faschisten hetzen mehr denn je.
Tage später stoßen wir auf ein Youtube-Video, das eine Delegation der faschistischen Partei Chrysi Avgi (»Goldene Morgenröte«), deren Emblem eine Swastika-Stilisierung ist, beim Besuch des bestreikten Stahlwerks zeigt. Ein Typ mit Bürstenschnitt und Fliegersonnenbrille kann ungehindert das Wort ergreifen: »Auch wir sind Arbeiter.« Dann erklärt Cristos, Vorsitzender des Streikkomitees, eingerahmt von den Faschos,: »Wir haben ganz Griechenland auf unserer Seite.« Die Delegation hat Lebensmittelpakete mitgebracht, auf denen Sticker kleben: »Ich wähle Chrisi Avgi, um das Land vom Dreck zu befreien.« Was ist da los? Sind die Streikenden zu feige oder zu mürbe, um sich von Faschisten zu distanzieren? Wollen sie tatsächlich Teil der »unnachgiebigen nationalistischen Bewegung« sein, von der das Fascho-Video schwafelt? Uns gegenüber hatten sie ihre Nähe zur kommunistischen Partei KKE und deren Gewerkschaft Pame betont.
Eine Parole der KKE lautet: »Der Volkszorn wird die Regierung PASOK-ND zerschmettern«. Wir hören immer wieder: Man nimmt den linken Parteien übel, daß sie die Verantwortung für den Regierungssturz an die außerparlamentarische Protestbewegung delegieren, anstatt ihm auch eine parlamentarische Perspektive zu geben. Die KKE, das Linksbündnis Syriza und die gemäßigte Abspaltung Dimokratiki Aristera (Dimar) könnten laut Umfragen auf 42 Prozent oder mehr der Stimmen kommen und nach Neuwahlen die Regierung stellen. »Viele Menschen, Linke, aber auch Nicht-Linke, die jetzt nach links schauen, wollen, daß die sich einigen«, sagt Alexandra Pavlou, die in Exarchia Stadtteilversammlungen mitorganisiert. Auf einer seziert ein Podium aus Journalisten und Unidozenten im vollbesetzten »Floral«, einem linken Café, die Konfliktlinien zwischen den linken Parteien und innerparteilichen Strömungen.
Knackpunkt ist die Frage, wie man es mit dem Pleitegehen hält. Die Zahl derer, die den Austritt aus Euro und EU fordern, steigt ständig. Viele sehen die Zukunft des Landes in der Drachme. Undogmatische Linke setzen schon länger auf die Selbstorganisation von unten. Auf der Versammlung in Exarchia geht es um den Boykott der Sondersteuer auf Immobilien, bei deren Nicht-Zahlung der Strom abgeklemmt werden soll. Die lokalen Netzwerke wappnen sich. Alexandra Pavlou: »Wir haben kollektiv ein Handy gekauft, da kann man anrufen, wenn der Strom gekappt wird – dann kommt ein Elektriker und klemmt ihn wieder an. Wir kleben einen Aufkleber von der Vollversammlung auf den Zählerkasten, damit niemand alleine dasteht. Es gibt viele Familien mit Kindern, die keinen Strom haben, weil sie ihn nicht bezahlen können. Und es werden immer mehr.«
Neben aller Ratlosigkeit liegt im aufgewühlten Athen auch die Ahnung eines großen Umbruchs in der Luft. Alle scheinen zu debattieren, wie eine andere Gesellschaft aus der Asche der Krise aufgebaut werden könnte. Offensichtlich hält man die gerade im Parlament beschlossene Übergabe der Souveränität an den supranationalen finanz-technokratischen Apparat für irreal. Sie ist es auch – um so mehr angesichts des sich überall bildenden Widerstands.
RE: Proteste gegen die Verarmung der griechischen Bevoelkerung
in Gesellschaft 29.02.2012 00:24von Jonas • 615 Beiträge
"...
Andere Grünen-Abgeordnete sahen das genauso: „Gysi entgleist im Bundestag“, twitterte der Abgeordnete Oliver Krischer. Und auch sein Fraktionskollege Sven-Christian Kindler meinte: „Versailles und Marshallplan, das geht echt nicht!“
Wirklich nicht? Einmal abgesehen davon, dass dem historischen Vergleich als rhetorischer Figur immer etwas Vereinfachendes, ja Verzerrendes beiwohnt, weil sich Geschichte nun einmal nicht als Kontinuum im Kreisverkehr bewegt, ist der von Gysi vorgetragene Gedanke weder neu noch absurd.
..."
http://www.taz.de/Debatte-Griechenland-/!88651/
RE: Proteste gegen die Verarmung der griechischen Bevoelkerung
in Gesellschaft 29.10.2012 21:33von Lisadill • 744 Beiträge
Kein Schnitt für Athen
Rückkauf der Verbindlichkeiten statt neuer Schuldenerlaß: Bundesregierung sucht nach anderem Geschäftsmodell für Griechenland-»Hilfe«. Die Linke: »Veruntreuung«.
Kein neuer Schuldenerlaß für Athen, sagt die deutsche Bundesregierung. Eine derartige Maßnahme, von der vor allem öffentliche Gläubiger Griechenlands betroffen wären, komme »aus unserer Sicht nicht in Frage«, bekräftigte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums bestätigte diese Auffassung. Beide verwiesen zur Begründung auf die Bundeshaushaltsordnung, wonach Kredite nur gewährt werden dürften, wenn die Rückzahlung wahrscheinlich sei. Ein Schuldenschnitt bedeute aber einen Ausfall. Somit könne Griechenland danach wegen mangelnder Kreditwürdigkeit nicht mehr mit frischen Darlehen unterstützt werden. »Wir würden uns da selber die Hände binden«, sagte Seibert.
Es sollen die Troika-Prüfer sein, die einen derartigen Schritt zur Lösung der hellenischen Finanzprobleme, empfehlen. Von deren Votum war lange Zeit die Zustimmung zur Auszahlung weiterer sogenannter Hilfsgelder abhängig gemacht worden. Der längst überfällige Bericht der Vertreter von EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) über die Umsetzung von Auflagen durch die Regierung Griechenlands soll Medienberichten zufolge eigentlich fertig sein und den zuständigen Gremien der Euro-Gruppe bis zum Euro-Finanzministertreffen am 12. November vorgelegt werden. Allerdings wurde dies am Montag in Berlin nicht bestätigt – wann der Bericht vorliege, sei nicht bekannt, so die Regierungssprecher.
Es gilt als offenes Geheimnis: Spekuliert wird nicht mehr darüber, wie schlecht der Troika-Report ausfällt bzw. ausgefallen ist – das gilt als sicher. Strittig ist bei den Beteiligten offenbar nur, wie mit den Ergebnissen umgegangen wird und in welcher Form sich eine weitere notwendige Alimentierung des Krisenstaates am besten bewerkstelligen läßt. Berlin sucht anscheinend nach einem neuen Geschäftsmodell für die »Griechenland-Rettung«.
In der BRD-Regierung wird dabei offenbar das Prinzip »linke Tasche – rechte Tasche« favorisiert. Finanzminister Wolfgang Schäuble soll für einen Rückkauf der Schulden sein. Athen könnte demnach günstige Kredite erhalten, um die derzeit weit unter Nennwert gehandelten Anleihen »an den Märkten« aufzukaufen. Das werde geprüft, hieß es von Schäubles Sprecherin am Montag.
Griechenland will Fristen zur Erreichung der festgesetzten Sanierungsziele um zwei Jahre strecken. Und dazu bedarf es einer zusätzlichen Finanzspritze von etwa 30 Milliarden Euro. Wie das alles gehen soll, wird derzeit ausgehandelt. Am Dienstag trifft sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Chefs großer internationaler Organisationen, die in unterschiedlichem Ausmaß in die »Rettungsmaßnahmen« involviert sind. Am Montag waren die Repräsentanten von IWF, Weltbank, OECD (Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), ILO (Internationale Arbeitsorganisation) und Welthandelsorganisation WTO bei Frankreichs Präsident Francois Hollande vorstellig geworden. Offiziell geht es um europäische Wirtschaftspolitik sowie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, konkret wohl um Maßnahmen zur Stabilisierung Griechenlands und der Euro-Zone.
Das Ganze wird weiter hauptsächlich zu Lasten der Steuerzahler in Westeuropa geschehen, kritisierte die Vizefraktionschefin der Partei Die Linke im Bundestag, Sahra Wagenknecht, am Montag. »Griechenland wird seine Schulden auf Dauer nicht bedienen können. Für den Milliardenschaden, der den öffentlichen Haushalten dann entsteht, ist die Bundesregierung verantwortlich. Was Merkel & Co. in vollem Bewußtsein betreiben, ist Veruntreuung von Steuergeldern«, wird die Wirtschaftsexpertin in einer Pressemitteilung ihrer Partei zitiert.
Die Verantwortlichen hätten »Banken, Hedgefonds und private Gläubiger fast vollständig aus der Verantwortung entlassen und die griechische Wirtschaft durch ein unverantwortliches Kürzungsdiktat in eine katastrophale Rezession getrieben«, so Sahra Wagenknecht weiter: »Das Gerede von Finanzminister Schäuble über einen Schuldenrückkauf als möglichen Ausweg ist ein Täuschungsmanöver.« Nur noch ein geringer Teil der Schulden befinde sich in privaten Händen. »Damit ließe sich die Schuldenquote von derzeit über 170 Prozent lediglich um ungefähr zehn Prozentpunkte senken. Statt dessen muß weiterer Schaden für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler durch eine europaweite Vermögensabgabe für Millionäre und einen Schuldenschnitt in Höhe der Bankenrettungskosten vermieden werden«, fordert die Politikerin.
RE: Proteste gegen die Verarmung der griechischen Bevoelkerung
in Gesellschaft 29.10.2012 23:00von Jonas • 615 Beiträge
Die Kritik, dass die kleinen Leute die ganze Suppe auslöffeln müssen stimmt sicher,
aber der Trick mit dem Schulden abkaufen funktioniert doch ohne private Schuldner nur noch besser:
1 Schuldschein in deutscher Hand an Griechenland verkauft zum halben Preis (mit neuen Schulden)
macht nur noch halbe Schulen, und das ganz ohne formalen Schuldenschnitt. Realisiert werden
die Verluste dann halt nicht als Schnitt, sondern als ganz banaler Wertverlust (für den auch der
Steuerzahler aufkommt). Verkauft wird an dieser Stelle der Steuerzahler, und zwar für dumm.
Die privaten Schuldner stören im Gegenteil: sie könnten bei plötzlich wieder steigenden Chancen
auf Rückzahlung statt auf Totalverlust oder gar spekulativ den Preis zum Steigen bringen,
dann würde der Trick nicht funktionieren. Andererseits braucht man die Privaten, sonst
könnte man ja nicht trickhalber sagen, dass der "Marktpreis" nicht mehr hergibt ...
Kreativ sind die ja schon. Am Sachverhalt (Geld weg) ändert sich nichts.
RE: Proteste gegen die Verarmung der griechischen Bevoelkerung
in Gesellschaft 09.11.2012 10:27von Lisadill • 744 Beiträge
Merkel rastet aus
Von Arnold Schölzel
»Austerität tötet«: Am Mittwoch im Europap
Am Mittwoch abend beschloß das griechische Parlament weitere Massenentlassungen, Steuererhöhungen, drastische Kürzungen von Gehältern und Renten sowie Einschnitte im Sozial- und Gesundheitswesen. Gegen das sogenannte Sparpaket richteten sich ein 48stündiger Generalstreik und eine Kundgebung mit mehr als 70000 Menschen in Athen (siehe Seite 6). Fast zur gleichen Zeit hielt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor dem Europaparlament in Brüssel eine »Grundsatzrede«. In der Aussprache beantwortete sie von Abgeordneten geäußerte Kritik an ihrer Haltung zu Griechenland mit einem Ausbruch über »die Griechen«: »Man muß ihnen sagen: Es ist nicht in Ordnung, daß ich jedes Mal einen Streik mache, wenn eine Privatisierung erfolgen soll; es ist nicht in Ordnung, daß ein Eisenbahnsystem über die Fahrkartenpreise nicht mal so viel einbringt, daß man davon die Beschäftigten bezahlen kann; es ist nicht in Ordnung, wenn die Regierungsministerien nicht miteinander zusammenarbeiten; es ist nicht in Ordnung, wenn man ein Steuersystem hat, aber keine Steuern zahlt.«
Der Fraktionschef der EU-Sozialdemokraten, der Österreicher Hannes Swoboda, hielt ihr vor: »Sie verlangen mit Unterstützung der Troika etwas, was sie in Deutschland nie verlangen würden: nämlich die Zerstörung von sozialen Netzen!« Die Linke-Abgeordnete Gabi Zimmer ergänzte: »Austerität tötet! Was nützt uns Wettbewerbsfähigkeit, wenn dabei Menschen zugrunde gehen?« Die Grünen-Vorsitzende Rebecca Harms sprach von der Knechtung Unschuldiger und Merkels griechischer »Schande«. Deren Replik: Wer bestreite, daß die Schuldigen für das griechische Drama in Griechenland selbst zu suchen seien, der »versündigt sich an den Gewerkschaftern und Arbeitnehmern in Europa. Ich werde da sehr leidenschaftlich!« Was den Griechen abverlangt werde, sei schmerzhaft, hart und nicht immer fair, weil die Vermögenden mit ihrem Geld »längst über alle Berge« getürmt seien. Auch Deutschland habe Hartz IV, Sozialproteste, Wutbürger, Abwahl von SPD und Grünen nach der Agenda 2010 gehabt. Aber: »Wir haben fünf Jahre abwarten müssen, dann haben sich die Wirkungen eingestellt.«
Ganz im Sinn der damit gemeinten Umverteilung von unten nach oben hatte sie sich zuvor für »Durchgriffsrechte« der EU-Kommission gegenüber dem Haushaltsrecht nationaler Parlamente eingesetzt. Wörtlich: »Ich bin dafür, daß die Kommission eines Tages so etwas wie eine europäische Regierung ist.« Sie wolle, daß eine vertiefte Währungsunion »nicht zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten führt, sondern eine Union mit doppelter Kraft schafft«.
Linksparteichef Bernd Riexinger kritisierte am Donnerstag in Berlin den Auftritt der Kanzlerin: »Noch nie hat Merkel so offen gezeigt, daß sie nichts mit den demokratischen Wurzeln der europäischen Idee am Hut hat.« Ihre Vision von Europa sei »ein Kontinent ohne Sozialstaat und Demokratie«. Unter ihrer Führung sei es ein Kontinent geworden, »in dem Politik mit Erpressungen, Drohungen und Angst gemacht wird. Das ist Europa zum Abgewöhnen.« Er forderte »einen demokratischen Neuanfang für Arbeit und soziale Gerechtigkeit« und fügte hinzu: »Europa braucht mehr Demokratie und weniger Merkel.«
RE: Proteste gegen die Verarmung der griechischen Bevoelkerung
in Gesellschaft 30.11.2012 14:13von Lisadill • 744 Beiträge
Michael Krätke
30.11.2012 | 12:29 1
Der Rattenkönig regiert
Euro Der Bundestag hat die neuen Griechenland-Hilfen gebilligt – einen Wust von Teiloperationen. Die eigentlichen Lösungen wagt immer noch keiner anzupacken
Der Rattenkönig regiert
Nun hat auch der Bundestag den neuen Griechenlandhilfen mit breiter Mehrheit zugestimmt und das Ergebnis durchgewunken, das die Euro-Finanzminister vorgelegt haben. Offiziell ging es nach dem Troika-Bericht, der Griechenlands Regierung Wohlverhalten attestiert, um weitere Kredittranchen aus dem schon beschlossenen Hilfsprogramm – genau 43,7 Milliarden Euro. Die sollen bald ausgezahlt werden. Das schwache Kabinett Samaras braucht frisches Geld.
Eigentlich nötig wäre darüber hinaus ein zweiter Schuldenschnitt, doch der käme einem Aderlass gleich. Inzwischen ist das Gros der griechischen Verbindlichkeiten bei öffentlichen Gläubigern wie der EZB und den Zentralbanken der Euroländer geparkt. Der IWF plädiert trotzdem für eine solche Zäsur, die Bundesregierung ist dagegen, würde Deutschland doch etwa 17,5 Milliarden Euro verlieren. Wie soll man das im Wahlkampf vertreten?
In der Populismusfalle
Kanzlerin Angela Merkel droht der eigene Populismus auf die Füße zu fallen. Wie kann es sein, dass die Griechen so viel kosten? Hieß es nicht immer, sie werden diszipliniert und müssen zurückzahlen, womit ihnen geholfen wird? Unter anderem wegen dieser unangenehmen Fragen gibt es bis zur Bundestagswahl keinen zweiten Schuldenschnitt.
Stattdessen hat der Brüsseler Berg einen wahren Rattenkönig geboren: ein Wust von Teiloperationen, zusammengehalten von frommen Wünschen und Worten. Die EZB wird ein wenig von den Gewinnen abgeben, die sie mit griechischen Staatsanleihen macht. Der Euro-Rettungsfonds wird ein paar Milliarden verleihen, damit Griechenland Anleihen zum heutigen Marktwert günstig zurückkaufen kann. Die öffentlichen Gläubiger können niedrigere Zinsen und längere Laufzeiten für griechische Schuldverschreibungen in ihrem Besitz verabreden. Auf dem Papier kommen die Milliarden zusammen.
Und im wahren Leben? Wieder werden wirksame Anti-Krisen-Akte wie Eurobonds blockiert – zugunsten von hoch komplexen Maßnahme-Bündeln, die den meisten EU-Bürgern so unverständlich bleiben wie etlichen Urhebern. Das muss Abgeordnete verwirren. Vom Unmut der Öffentlichkeit ganz zu schweigen.
www.der freitag.de
RE: Proteste gegen die Verarmung der griechischen Bevoelkerung
in Gesellschaft 05.12.2012 18:47von Lisadill • 744 Beiträge
Spendenaufruf
Die Vorsitzenden der Partei Die Linke, Katja Kipping und Bernd Riexinger, riefen am Dienstag mit folgendem Text zu einer Solidaritätskampagne für Griechenland auf:
Liebe Genossinnen und Genossen, Die Linke steht in der Tradition der europäischen Arbeiterbewegung. Oft sagen wir diesen Satz. Konkret ist das, was er heute von uns verlangt. Immer mehr Länder im Süden Europas werden durch brutale Kürzungsdiktate in eine soziale Katastrophe getrieben. Hunger und Hoffnungslosigkeit kehren nach Europa zurück. Chauvinismus und Gewalt werden nicht lange auf sich warten lassen, wenn wir es nicht schaffen, praktische und solidarische Alternativen zum Abbau von Demokratie und Sozialstaat zu entwickeln.
Am meisten hat die neoliberale Schocktherapie bisher in Griechenland gewütet. Das, was bisher als »Griechenlandhilfe« vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde, verdient diesen Namen nicht.
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler Europas werden geschröpft. Den Griechinnen und Griechen wird buchstäblich das letzte Hemd geraubt. Und wo ist das ganze Geld gelandet? In den Taschen von privaten Banken und Hedgefonds. Griechenland steht längst nicht mehr nur am Rand einer humanitären Katastrophe.
Hungernde Kinder, obdachlose Rentnerinnen und Rentner, Kranke, die notwendige Medikamente nicht bekommen – das sind die Ergebnisse einer in Europa beispiellosen Serie von gesetzlich verordneten Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen.
Wir haben uns entschlossen, in Kooperation mit unseren griechischen Freundinnen und Freunden von SYRIZA noch vor Weihnachten einen Spendenaufruf zu starten. Wir sammeln Spenden für konkrete soziale Hilfe und Projekte der Selbstorganisation in Griechenland. Der Name von SYRIZA garantiert für die Seriosität der Hilfsprojekte und die ordentliche Verwendung der gesammelten Gelder. Wir bitten um Eure Spende für Kinderkrankenhäuser und Volksküchen, nicht, um es an Banken und Hedgefonds zu überweisen.
Wir rufen Euch auf: Spendet für Griechenland! Redet mit Euren Verwandten, Freundinnen und Freunden, Nachbarinnen und Nachbarn, werbt auf Eurer Arbeitsstelle oder im Sportverein für Spenden. Jede Spenderin und jeder Spender ist ein Mensch mehr, den wir davon überzeugt haben, daß ein neues Europa nur durch Solidarität von unten wächst.
Die Spenden sammelt der gemeinnützige Verein Friedens- und Zukunftswerkstatt e.V. Die Kontoverbindung und den Spendenaufruf von SYRIZA findet Ihr anbei (www.die-linke.de).
Wir bedanken uns herzlich für Eure Unterstützung!
Empfänger: Friedens- und Zukunftswerkstatt e.V.; Verwendungszweck: Griechenland; Bank: Frankfurter Sparkasse; Bankleitzahl (BLZ): 50050201; Kontonummer: 200081390
Die Friedens- und Zukunftswerkstatt e. V. ist gemeinnützig. Der Verein stellt eine Zuwendungsbescheinigung für das Finanzamt aus, wenn die Adresse des Spenders mitgeteilt wird: Friedens- und Zukunftswerkstatt e.V, c/o Gewerkschaftshaus Frankfurt, Wilhelm-Leuschner-Straße 69–77, 60329 Frankfurt am Main, Tel.: 069/242-49950; Fax: 069/242-49951; E-Mail: frieden-und-zukunft@t-online.de
RE: Proteste gegen die Verarmung der griechischen Bevoelkerung
in Gesellschaft 27.12.2012 18:51von Lisadill • 744 Beiträge
Zu den Griechenlandgeschäften der Deutschen Bank
Am Freitag vergangener Woche beantwortete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Steffen Kampeter (CDU), schriftlich Fragen des Bundestagsabgeordneten Diether Dehm (Die Linke) zu den Griechenlandgeschäften der Deutschen Bank:
Ihre Fragen,
1. »Ist der Bundesregierung bekannt, in welcher Höhe der Deutschen Bank AG die Organisation des griechischen Schuldenrückkaufprogramms vergütet wurde, und in welcher Größenordnung (Nennwert in Euro) die Deutsche Bank AG selbst vom Schuldenrückkauf betroffene griechische Staatsanleihen bei Auftragserteilung hielt?«
2. »Wer hat die Deutsche Bank AG und Morgan Stanley nach welchen Kriterien mit der Umsetzung des Schuldenrückkaufprogrammes für Griechenland beauftragt?«
3. »Hat die Bundesregierung sich in irgendeiner Weise für die Auftragsvergabe der Umsetzung des Schuldenrückkaufprogrammes Griechenlands an die Deutsche Bank AG eingesetzt?«
beantworte ich zusammenfassend wie folgt: Griechenland hat die Euro-Gruppe am 27. November 2012 darüber informiert, daß es Maßnahmen zum Schuldenabbau in Erwägung ziehe, die einen Schuldenrückkauf für die verschiedenen Kategorien von Staatschuldverschreibungen umfassen könnte. Die Euro-Gruppe hat dies grundsätzlich begrüßt. Bei der Umsetzung des Schuldenrückkaufs und der Beauftragung der Berater waren die Mitgliedstaaten der Euro-Zone nicht involviert. Die Kriterien für die Beauftragung und deren Konditionen sind der Bundesregierung nicht bekannt. Die Bundesregierung hat auch keine Kenntnis darüber, ob und in welchem Umfang die Deutsche Bank AG griechische Staatsanleihen hält oder bei der Auftragsvergabe gehalten hat.
RE: Proteste gegen die Verarmung der griechischen Bevoelkerung
in Gesellschaft 30.12.2012 19:47von Lisadill
»Den Leuten hier geht es wirklich dreckig«
Die EU hat Griechenland eine rabiate Kürzungspolitik aufgezwungen. Deren Auswirkungen auf den Alltag der Bevölkerung sind dramatisch. Ein Gespräch mit Georg Pieper
Interview: Ralf Wurzbacher
Georg Pieper ist Psychologischer Psychotherapeut und betreibt eine Praxis für Trauma- und Streßbewältigung in Gladenbach bei Marburg (Lahn). Unter anderem hat er Angehörige der Opfer des Grubenunglücks in Borken, des ICE-Unglücks in Eschede und des Amoklaufs von Erfurt betreut. Im Oktober weilte er in Athen, um vor Ort Psychologen, Psychiater und Ärzte in Sachen Traumatherapie fortzubilden. Im Knaus-Verlag erschien von ihm gerade das Buch: »Überleben oder Scheitern. Die Kunst, Krisen zu bestehen und daran zu wachsen.«
Sie hatten im Oktober die Gelegenheit, die Krise in Griechenland persönlich in Augenschein zu nehmen. Was war der Zweck Ihres Aufenthalts?
Ich bin dort mit Psychologen, Psychiatern und Ärzten zusammengetroffen, die in der Vergangenheit bei mir eine Ausbildung in Traumatherapie absolviert hatten. Die Traumatherapie ist ein relativ junges und noch recht wenig verbreitetes Fach. In Griechenland leiste ich seit 2005 so etwas wie Pionierarbeit auf dem Gebiet. Mein Seminar im Oktober habe ich unentgeltlich abgehalten, auch als Zeichen der Solidarität der deutschen Psychologen mit ihren griechischen Kollegen. Wir haben gemeinsam Fälle besprochen, wie es sie in Griechenland seit Ausbruch der Wirtschaftskrise immer mehr und häufiger gibt. Dabei habe ich viel über die Sorgen und Nöte von Patienten und eben auch darüber erfahren, unter welch schlimmen Bedingungen viele Griechen heutzutage zu leben haben.
Werden Leute Ihres Faches gegenwärtig in Griechenland besonders dringend gebraucht?
Der Bedarf für psychotherapeutische Betreuung ist in der Tat immens gestiegen. Allerdings ist die Psychotherapie anders als in Deutschland nicht als Kassenleistung anerkannt und muß auf private Rechnung bezahlt werden. Und weil das so ist, bleiben leider massenweise Bedürftige ohne professionelle Betreuung.
Mit welchen Fällen haben Ihre griechischen Kollegen täglich zu tun?
Es geht einmal um Menschen, die Opfer von Gewaltübergriffen, von sexuellem Mißbrauch, schweren Unfällen oder von Brandkatastrophen geworden sind. In der Bevölkerung herrscht aufgrund der Krise eine große Frustration, und es entwickelt sich ein Aggressions- und Gewaltpotential. Außerdem birgt die Not ganz neue Gefahren für Leib und Leben. Es gibt ganze Wohnviertel, die im Winter von der Öllieferung abgeschnitten sind. In den Haushalten wird deshalb in kleinen Öfen geheizt, mit Holz, das eigenhändig und illegal im Wald geschlagen wurde. Damit steigt natürlich das Brandrisiko. Viele Erkrankungen kommen aber vor allem daher, daß die Betroffenen beruflich aus der Bahn geworfen wurden. Dabei suchen auffällig viele Männer die Therapien auf, häufig mit Depressionen und Angststörungen. Das sind zwei Krankheitsbilder, die bei Griechenlands Männern stark zunehmen. Diese Entwicklung ist neu, normalerweise holen sich deutlich mehr Frauen psychotherapeutischen Beistand.
Warum ist das jetzt anders? Was macht den Männern konkret zu schaffen?
Die Männer erleben, daß ihre Arbeit viel weniger wertgeschätzt wird als noch in Vorkrisenzeiten. Wer heute überhaupt noch einen Beruf ausübt, erhält im Schnitt nur noch die Hälfte an Lohn. Millionen haben gar keine Arbeit mehr und auch keine Aussicht auf eine neue Stelle. Gerade Männer, die sich viel stärker als Frauen über ihren Marktwert definieren und sich traditionell als Ernährer der Familie sehen, verlieren ohne Arbeit den Boden unter den Füßen und gehen ihrer ganzen Identität verlustig. Dazu paßt: Die Selbstmordrate in Griechenland ist mittlerweile doppelt so hoch wie noch vor drei Jahren, und drei Viertel der Suizide begehen Männer. Die Frauen zeigen sich dagegen flexibler, wenn es darum geht, ihre Rolle zu wechseln und es zum Beispiel plötzlich heißt, das Überleben der Kinder zu sichern.
Welchen Reaktionsmustern begegnet man bei den Männern?
Viele ziehen sich in sich zurück, zeigen sich handlungsunfähig, hilflos, apathisch oder flüchten sich in Alkohol. Dazu steigt die Gewaltbereitschaft. Innerhäusliche Übergriffe auf Frau und Kinder nehmen zu, es gibt immer mehr Straßenbanden, über die Hälfte der Jugendlichen hat keinen Job. Dazu wächst die Empfänglichkeit für politische Verführer. Die Nazipartei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) liegt in der Wählergunst bereits an dritter Stelle. Für mich war Griechenland, das ich seit 40 Jahren kenne, immer das Land mit der größten Gastfreundschaft und Lebensfreude in Europa. Jetzt haben mich meine Kollegen davor gewarnt, abends oder nachts allein auf die Straße zu gehen.
Hatten Sie dennoch Kontakt mit den »einfachen« Menschen?
Georg Pieper
Georg Pieper
Foto: Privat
Ich hatte gleich am Anfang ein Schlüsselerlebnis, bei der Fahrt vom Flughafen zum Hotel. Freunde hatten mir geraten, für die Taxifahrt nicht mehr als 30 Euro zu zahlen. Als ich das sagte, hatte der Fahrer auf Anhieb etwas Aggressives und Feindseliges in den Augen. Als er mich fragte, woher ich denn komme, habe ich mich lieber nicht als Deutscher geoutet, sondern als Herkunftsland Norwegen angegeben, wo meine Frau herstammt. Er beschimpfte mich trotzdem, weil es nicht angehen könnte, daß ich als Bürger eines so reichen Landes um den Taxipreis feilschen würde. Er wolle 35 Euro, weil er sonst seine Kinder nicht ernähren könnte, und er habe die ganze Nacht im Auto verbracht, um die erste Fahrt zu kriegen. Dieser Mann war so außer sich und aufgebracht, daß mir sofort klar wurde: Den Leuten hier geht es wirklich dreckig.
Welches Bild haben Sie von den gesellschaftlichen Institutionen gewonnen, etwa vom Gesundheitssystem?
Das öffentliche Gesundheitssystem ist komplett zusammengebrochen. Staatliche Kliniken verfügen in der Regel über keine Medikamente mehr, die muß man sich als Patient irgendwie selbst besorgen. Die Ärzte sagen auch klipp und klar, daß sie nicht adäquat pflegen und behandeln können. Die Leute müssen sich ihre Bettwäsche und ihr Essen selbst mitbringen. Die hygienischen Bedingungen sind verheerend, es fehlt an Einweghandschuhen und Kathetern. Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern müssen selbst putzen, weil das Reinigungspersonal entlassen wurde. Selbst hochschwangere Frauen werden mitunter abgewiesen, weil man ihnen nicht helfen kann oder sie nicht versichert sind. Und private Kliniken kann sich kaum ein Mensch leisten. Wer zum Beispiel gerade einen schizophrenen Schub hat und unbedingt behandelt gehört, den würde dies 3500 Euro kosten. Weil die wenigsten das zahlen können, bleiben viele Krankheiten unbehandelt, sie chronifizieren und werden zu einem großen Problem für die Gesellschaft.
Haben Sie das Gefühl, daß von den Milliardensummen, die als Hilfskredite nach Griechenland fließen, etwas bei der einfachen Bevölkerung ankommt?
Ich habe mit vielen Beschäftigten in öffentlichen Einrichtungen gesprochen, die zum Teil seit Monaten gar kein Geld gesehen haben oder mit spärlichen Abschlagszahlungen abgespeist wurden. Die Leute machen sich keine Illusionen mehr. Sie wissen: Von den EU-Milliarden bekommen sie nichts ab, das geht für die sogenannte Bankenrettung und die Sicherung von Privatanlagen drauf. Eine Musiklehrerin, die ich traf, erwartet ihre nächste Gehaltszahlung im März 2013. Und das ist noch höchst ungewiß.
Wie schätzen die Menschen die Aussichten für die kommenden Monate und Jahre ein?
Die Lage ist ja schon katastrophal, aber die Leute rechnen mit noch Schlimmerem. Hier entsteht eine hochexplosive Mischung aus tiefer Depression und kalter Wut. Die richtet sich natürlich gegen die EU, aber auch gegen die eigenen Politiker. Die haben ihr Vertrauen komplett verspielt, über 50 Prozent der Bevölkerung wollen nicht mehr zur Wahl gehen. Besagter Taxifahrer sprach davon, daß er sich am liebsten eine Pistole besorgen wolle, um alle Politiker zu erschießen. Wenn nicht rasch etwas gegen diese kollektive Verzweiflung unternommen und den Menschen nicht bald geholfen wird, dann könnte es zu einem Bürgerkrieg kommen. Das ist meine große Angst.
Wie bewerten Sie es aus Sicht des Psychologen, daß wir als Medienkonsumenten von all dem Elend praktisch nichts mitbekommen und wohl auch nichts mitbekommen sollen?
Das ist eine gewaltige Verdrängungsleistung, und es wirkt so, als hätte das System. Dem Ottonormalverbraucher in Deutschland wird täglich weisgemacht: Unsere Steuermilliarden werden nach Griechenland geschaufelt, und die Griechen kriegen es nicht geregelt. Dabei kommt das Geld gar nicht bei den Menschen an, ihnen geht es im Gegenteil immer schlechter. Hier ist eine ganze Gesellschaft im Begriff zusammenzubrechen, und die sozialen Beziehungen unter den Menschen drohen, immer weiter zu verrohen. Ich bin kein Ökonom, aber die Lösung besteht ganz bestimmt nicht darin, nur die Banken zu retten. Aus psychologischer Sicht braucht es jetzt dringend eindeutige Zeichen der Solidarität.
Geldwerte Solidarität?
Auch, aber nicht nur. Noch einmal zurück zu diesem Taxifahrer: Als er gerade mit einer Hand am Steuer und 140 Sachen wildgestikulierend durch eine Kurve raste und ich Todesängste ausstand, fragte er, was ich in Athen mache. Als er hörte, daß ich ohne Bezahlung aus Solidarität mit meinen Kollegen ein Seminar abhalten wolle, wurde er mit einem mal viel ruhiger. Später haben wir uns sogar per Handschlag
verabschiedet, und er verlangte auch nicht mehr als 30 Euro. Auch meine Kollegen habe ich bei der ersten Begegnung durch und durch hoffnungslos und tief deprimiert angetroffen. Nachdem ich ihnen die Solidarität der deutschen Psychologen übermittelt hatte, hellte sich ihre Stimmung merklich auf. Und nach drei Tagen hatte ich das Gefühl, daß sie tatsächlich neuen Mut und neue Kraft geschöpft hatten. Die Leute müssen einfach spüren, daß man sie und ihre Nöte ernstnimmt, daß man ihnen helfen will.
Ganz hoffnungslos sind Sie also nicht?
Es bedürfte Zeichen der Solidarität auf der großen politischen Bühne. Die Leute müßten spüren: Deutschland ist interessiert an den Menschen in Griechenland, nicht nur an irgendwelchen Banken. Nur so könnten die Kräfte mobilisiert werden, die es braucht, eine solche Krise zu bestehen. Momentan sind die Kräfte der Menschen aber völlig lahmgelegt, weil sie seit Jahren allein gelassen werden und sie sich vorkommen müssen wie die letzten Trottel in Europa.
Besucher
0 Mitglieder und 13 Gäste sind Online |
Forum Statistiken
Das Forum hat 1058
Themen
und
5119
Beiträge.
|
Forum Software ©Xobor.de | Forum erstellen |