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Feminismus/ ein interview mit Alice Schwarzer zum 70.Geburtstag
in Gesellschaft 29.11.2012 16:12von Lisadill • 744 Beiträge
„Ich fühle mich wie 40“
Frauenrechtlerin Keine Frau wurde in der alten Bundesrepublik so angefeindet wie Alice Schwarzer. Nun hat sie Geburtstag. Wir gratulieren mit einem großen Interview
Steile Treppen führen hoch über dem Rhein ins Allerheiligste. Im mittelalterlichen Kölner Bayenturm hat nicht nur die Frauenbewegung einen Gedächtnisort gefunden, dort wird auch Emma produziert. Ein Stockwerk unter den in den Himmel sich windenden Archivräumen residiert Alice Schwarzer. Ihr Büro wirkt bescheiden, rechterhand ein großes Porträt von Simone de Beauvoir. Die Chefin nimmt sich Zeit, obwohl die Schlussredaktion fürs neue Heft läuft. Nach unserem Gespräch werden wir die Titelseite begutachten. Ich bin gespannt, was am Ende am Kiosk liegen wird.
Der Freitag: In Ihrer Autobiographie erzählen Sie über ein Interview, das Sie 1978 mit Simone de Beauvoir über „Das Alter“ geführt haben. Sie wundern sich damals, dass Beauvoir, als sie 70 wurde, persönlich so gar nichts mit dem Thema zu tun haben wollte. Jetzt wird Alice Schwarzer 70. Haben Sie wie Beauvoir auch das Gefühl, dass man immer nur für die anderen alt ist oder stellt sich das Altersgefühl doch irgendwann ein?
Alice Schwarzer: Im Gegensatz zu Beauvoir, die den ersten Altersschock mit Mitte 50 erlebte und dann den Klassiker über „Das Alter“ geschrieben hatte, habe ich das enorme Glück zur rebellischen Generation zu gehören. Wir haben erreicht, dass sich in den letzten Jahrzehnten das Altwerden von Frauen, also die Phase, in der sie unter der erotischen Tarnkappe verschwinden, in mehreren Schüben um 30 Jahre nach hinten verschoben hat. Sodass ich derzeit gefühlte 40 bin. Klar, das Alter ist ja eine Tatsache, aber eben auch eine relative Kategorie. Für sich selbst bleibt man die, die man immer war, reicher an Erfahrung, aber innerlich das junge Mädchen oder die Dreißigjährige. Es ist der Blick von außen, der einem das Alter zuweist.
„Ich stehe auf den Schultern von Riesinnen“, haben Sie einmal in Bezug auf die weiblichen Vordenkerinnen gesagt. Fühlen Sie sich heute – nach 40 Jahren Frauenbewegung - selbst als eine solche Riesin? Und ist das nicht auch eine Bürde?
Natürlich ist das eine Bürde, wie Sie fast täglich in der Zeitung lesen können. Ich bin eine der Pionierinnen der zweiten Frauenbewegung und habe eine Menge zum Aufbruch der Frauen beigetragen und tue das bis heute. Also sprechen mich jetzt vor allem junge Frauen an. Ich bin eine Ermutigung für sie. Was mich freut. Aber es engt mich manchmal auch ein, ich muss diese Vorbildfunktion mit bedenken. Das kann lästig sein. Das ist das eine. Das andere sind die ewigen Frauenquerelen ...
Dazu kommen wir noch. Sie sagten, Sie seien eine der Pionierinnen, es gab ja sehr viele und auch bekannte. Sie gelten inzwischen aber als die Pionierin des Feminismus. Das ist doch eigenartig.
Ja, das finde ich auch eigenartig. Und schade. Aber ich bin ja nicht nur Feministin, ich bin auch ein Individuum. Ich bin ich. In Österreich oder der Schweiz gibt es auch keine Alice Schwarzer, was dort von manchen beklagt wird. Grundsätzlich kann im Namen einer „Frauenbewegung“ seit Anfang der 1980er Jahre niemand mehr sprechen. Seither gibt es keine Bewegung im politischen Sinne mehr, also keine vernetzte Bewegung, die sich als solche versteht und so handelt. Seither ist der Feminismus den langen Weg in die Gesellschaft angetreten. Feministinnen sind Lehrerinnen geworden, Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen, Hausfrauen, sie engagieren sich lokal oder in beruflichen Zusammenhängen. Es gibt Tausende von engagierten Feministinnen in diesem Land. Nur: Die sind nicht auf dieser öffentlichen, medialen Ebene sichtbar. Ich bin ja Journalistin. Die Medien sind meine Profession.
Ach, und deshalb arbeiten Sie für Bild?
Was heißt arbeiten? Ich habe den unseligen Fall Kachelmann über Emma hinaus für dieses Blatt mit Millionen-Auflage kommentiert. Und darauf bin ich wirklich stolz! Stolz, mir nicht zu fein zu sein, auch in Boulevardmedien zu gehen, wenn es sein muss. Und in diesem Fall musste es sein. Denn hier geht es nicht nur um die anscheinend unlösbare Wahrheit dieser Nacht. Es geht um die ganze Art, wie der Fall in der Öffentlichkeit verhandelt wurde: einschüchternd für alle Opfer.
Kommen wir auf die Riesin zurück. Es gibt viele jüngere Frauen wie Charlotte Roche, die gar nicht auf Ihren Schultern stehen wollen.
Ich möchte Charlotte gar nicht auf meinen Schultern stehen haben. Aber es ist auch absurd, von den Jungen reden. Die sind so vielfältig wie die Älteren. Ich zum Beispiel mache seit Jahren die Erfahrung, dass sehr viele junge Frauen die Emma lesen, meine Bücher kaufen, zu meinen Lesungen kommen. Es gibt aber in der Tat so ein Dutzend Frauen in den Medien, die unter dem Label „jung“ segeln - obwohl sie oft auch schon Anfang oder Mitte 40 sind - und versuchen, sich durch die Abgrenzung von „der Schwarzer“ beliebt zu machen. Diese Strategie beobachte ich nun seit 20 Jahren zunehmend amüsiert. Es gibt ganze Frauen-Karrieren, die auf der Aussage beruhen: Ich finde Schwarzer scheiße. Dazu kann ich nur sagen: Mädels, existiert einfach selber! Macht euer eigenes Ding, statt euch wieder und immer wieder an mir abzuarbeiten, euch bei den Männern anzubiedern, indem ihr euch von mir distanziert. Diese Männer durchschauen das übrigens durchaus, und ihr steigt damit nicht unbedingt in ihrer Achtung. Hinzu kommen politische Differenzen. Ich gehöre keiner Partei und keinem Lager an, bin wirklich unabhängig. Das macht vogelfrei.
Für so wichtig angesehen zu werden, ist doch auch eine gewisse narzisstische Befriedung.
Es geht so. Ich brauche das nicht.
Aber ist es nicht ein Phänomen, dass junge Frauen, die für sich in Anspruch nehmen, mit den Männern gleichzuziehen, sich von einem Feminismus abgrenzen, der wie der Ihre nicht etwa die Differenz des Weiblichen betont, sondern auf Egalität setzt?
Was heißt abgrenzen? Der Feminismus, der das Egalitätsprinzip vertritt - gleiche Chancen, Rechte und Pflichten für Frauen wie Männer - hat sich durchgesetzt! So versteht eine überwältigende Mehrheit im Land Emanzipation. Gleichzeitig bin ich seit 40 Jahren aber auch das böse Mädchen, von dem man sich distanzieren muss. Der öffentliche Umgang mit mir soll Angst machen, Frauen sollen begreifen, dass ihnen ein so unabhängiger Feminismus Ärger einbringt, dass er sie unbeliebt macht. Es geht also bei der Distanzierung von mir weniger um das, was ich wirklich denke oder schreibe, sondern es geht um die Distanzierung vom Klischee Schwarzer, vom unbequemen Feminismus. Kürzlich habe ich eines der ehemaligen so genannten Alphamädchen auf einer Tagung getroffen. In der Pause kam sie zu mir und sagte, dass sie heute vieles anders sehe, sie habe jetzt ein Kind, ihre Situation habe sich geändert. Sie würde das Buch heute nicht mehr so schreiben. Das heißt, so manche jüngere Frau hat Illusionen und hofft, durch Anbiederung weiterzukommen – und dann landet sie in der Realität.
Ich habe mich oft gefragt, ob nicht nur die Frau Alice Schwarzer, sondern auch Ihr Thema, Sexualität, das so besonders Provozierende ist.
Ohne jeden Zweifel! Ich habe im Kleinen Unterschied ja die Rolle von Liebe und Sexualität im Leben einer Frau und in ihrer Beziehung zu Männern analysiert, da geht es natürlich ans Eingemachte. Ich lag sozusagen jahrelang auf der Ritze der Ehebetten: Für oder gegen Alice Schwarzer?! Das war ja von Anbeginn an das zentrale Thema der Neuen Frauenbewegung. Ich stehe da in der Tradition einer Kate Millett oder Shulamith Firestone. Ich habe den Zwang zum Koitus analysiert und was das für weibliche Sexualität und das Monopol von Männern über Frauen bedeutet. Wir Feministinnen haben die wahre sexuelle Revolution gemacht. Und wenn das heute in der Sexualität auch zwischen Frauen und Männern besser läuft, ist das vor allem unser Verdienst.
Der „primäre Grund für Sexualstörungen von Frauen“, so eine These in Der kleine Unterschied, „ist ihre Abhängigkeit vom eigenen Mann.“ Nun sind die Frauen heute objektiv und subjektiv erheblich unabhängiger als damals – was aber nicht heißt, dass Frauen keine so genannten „Sexualstörungen“ mehr haben.
Abhängigkeit schließt Liebe aus. Je unabhängiger, umso liebesfähiger. Zugenommen hat darum die so genannte einvernehmliche Sexualität zwischen Männern und Frauen, das ist ein großer Fortschritt. Aber wie das immer mit Fortschritten ist, es gibt auch Rückschläge. Und einer heißt Pornografie. Die findet nicht mehr nur in Schubladen und schmutzigen kleinen Filmen statt, sondern ist allgegenwärtig. Wir haben es heute mit einer pornografisierten Kultur und Mode zu tun, die die Fantasien der jungen Männer und Frauen vergiftet. Mir kommen die Tränen, wenn ich mich an meinen ersten Kuss und die ersten Flirts erinnere und an die heutigen 14- oder 17-Jährigen denke und die Bilder, die ihr Begehren geprägt haben. Sie müssen wir schützen. Wir brauchen übrigens dringend eine große Studie über das Sexualverhalten junger Menschen heute, um belegen zu können, was passiert, wenn befreite Sexualität und Pornografie aufeinander treffen.
Gibt es nicht auch wieder einen neuen sexuellen Leistungszwang?
Und eine erneute Fixierung auf den Koitus. Meine Generation hatte ja entdeckt, dass sexuell vieles Spaß machen kann. Wir waren viel experimentierfreudiger. Dass das wieder verloren gegangen ist, hat etwas mit der Bumskultur zu tun, die uns via Pornografie eingehämmert wird. Eine der Folgen übrigens ist, dass der Orgasmus, wie Umfragen belegen, von Frauen wieder viel öfters vorgetäuscht wird. Sie müssen jetzt Lust haben.
Was halten Sie in diesem Zusammenhang von den neuen Formen der Körperzurichtung? Von Ganzkörperrasur über Tatoos bis hin zur Pille als Lifestyle-Produkt?
Bezeichnenderweise stammt die Schamrasur aus der Pornografie, wo man rasiert, um die Genitalien sichtbarer zu machen. Diese zugerichteten Körper zielen ja ausschließlich auf Äußerlichkeit – Sexualität aber hat vor allem mit Gefühlen zu tun. Die spielt sich im Kopf ab.
Und trotzdem gibt es unter jüngeren Frauen ein neues Einverständnis mit Pornografie, wenn wir an Bücher wie „Feuchtgebiete“ und ähnliches denken.
Das ist ja eher ein sehr trauriges Buch. Charlotte Roche kokettiert nur mit der Pornografie, eigentlich ist das Buch ein einziger Schrei nach Aufmerksamkeit. Und das darin beschriebene, extrem spießige Szenario ist das Gegenteil von erotisch. Roche versucht zu provozieren, aber das verzweifelte Leben bricht durch. Marktanalysen belegen übrigens, dass vor allem ältere Männer das Buch gekauft haben. Mit einer Befreiung für Frauen hat das wenig zu tun.
So wie die barbusige junge Frau von den ukrainischen „Femen“ auf der Titelseite der Emma? Früher hatten Sie mal Kampagnen gegen nackte Mädchen auf Titelblättern angeführt.
Wir haben nichts gegen Nacktheit oder Erotik! Es geht doch nur darum, dass man Frauen nicht zu Objekten degradiert. In der Pornografie geht es um die Verknüpfung von sexueller Lust mit Lust an Erniedrigung und Gewalt. Davon kann bei den Femen nicht die Rede sein, auch wenn sie ihre Brüste zeigen. Ich persönlich habe dafür plädiert, dass die Femen Anfang des Jahres bei Emma eine Titelgeschichte wurden. Denn ich finde es wirklich subversiv, wie sie einerseits die mediale Geilheit nach Entblößung bedienen – und ihnen gleichzeitig ihre Forderungen nach Abschaffung der Prostitution und gegen „die Frau als Ware“ entgegenhalten. Jetzt gibt es ja auch eine Femen-Gruppe in Deutschland. Gerade gestern haben die vor dem Fließband-Bordell „Pascha“ in Köln protestiert.
Ich würde gerne noch einmal auf etwas zurückkommen, was wir im Hinblick auf Sexualität diskutiert haben, nämlich Selbstbestimmung. Selbstbestimmte Sexualität und Mutterschaft waren der Ausgangspunkt aller §218-Kampagnen. Aber der Begriff der Freiwilligkeit wird inzwischen doch immer mehr politisch missbraucht.
Das stimmt. Freiwillig ist ein heikler Begriff geworden. All diese hehren Begriffe wie Frieden, Menschenrechte, Selbstbestimmung. Ich beobachte seit 10, 15 Jahren, wie diese Begriffe pervertiert wurden und für das Gegenteil eingesetzt. So genannte Friedenstruppen intervenieren im Namen von Menschen- oder Frauenrechten in Ländern, die noch zerstörter zurückbleiben als vorher. Und auch die individuelle Freiwilligkeit ist nicht selten zum nackten Zynismus verkommen. Was Frauen im Namen der Freiwilligkeit alles tun:, Sie shoppen freiwillig, sie verstümmeln ihre Körper freiwillig, sie prostituieren sich freiwillig.
Und die Mädchen umgeben sich wieder mit rosa Lillifee-Produkten, als habe es nie eine Debatte über geschlechtsspezifische Sozialisation gegeben. Ist das nur eine marktorientierte Revitalisierung des Weiblichen oder steckt da mehr dahinter?
Aber natürlich steckt mehr dahinter. Nach meiner Erfahrung sticht Ideologie Profit. Wenn beides zusammengeht, ist das natürlich ideal. Wir haben in Emma in den vergangenen Jahren viel über die Pink-Industrie mit ihren Milliarden-Umsätzen berichtet, die die Kinder verblödet. Und unsere kluge Kollegin Susan Faludi hat diesen Backlash ja schon vor Jahrzehnten am Beispiel der Mode analysiert.
Gleichzeitig gibt es den Zwang zur ständigen Selbstoptimierung und die Vorstellung des anything goes ...
Wir leben in sehr widersprüchlichen Zeiten. Es gibt einerseits einen enormen Fortschritt. Junge Frauen haben heute Möglichkeiten, von denen ich in ihrem Alter nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Die Welt steht ihnen offen, zumindest theoretisch. Sie sind auf dem Weg in die Welt. Doch dann kommt da diese Unterwelle des Backlash, der ihnen die Füße weg schlägt. Der harte Kern dieses Rückschlags sind die Pornografisierung der westlichen Welt sowie der religiöse Fundamentalismus. Das sind zwei Seiten einer Medaille: Entblößung oder Verhüllung. Und da sind die Islamisten zurzeit führend im Weltmaßstab, die fundamentalistischen Christen aber folgen ihnen auf dem Fuße. Ich finde also, dass junge Frauen es heute schwerer haben als wir damals. Warum? Als meine Generation jung war, haben wir Hürden überwunden, Türen eingetreten, die Welt erobert. Jeder Schritt war ein Schritt nach vorne. Wir konnten nur gewinnen. Wir kamen aus der Dunkelheit und gingen ins Licht. Die Jungen heute stehen im gleißenden Licht und hinter ihrem Rücken lauert die Dunkelheit. Ich als Ältere und Erfahrenere fühle mich darum in der Pflicht, ihnen die Hand zu reichen, ihnen Angebote zu machen. Keine Vorschriften oder Normen, sondern unseren Erfahrungen und Erkenntnissen bereitzustellen und zu sagen: Macht was draus! Dass da etwas anderes dabei herauskommt als bei uns, ist doch klar. Die Verhältnisse haben sich ja geändert. Ich plädiere also einerseits gegen den Verlust von Erkenntnis sowie ein Bewusstsein für die eigene Geschichte, und andererseits für die Ermächtigung zum eigenen Handeln. Wir haben vorhin über Selbstbestimmung gesprochen. Ich bin selbstverständlich weiterhin uneingeschränkt für das Recht auf Abtreibung. Doch schon 1971 habe ich gewarnt, dass manche Männer irgendwann sagen könnten: Schwanger? Kannst ja abtreiben! Aus allen neuen Freiheiten können neue Zwänge werden – wenn das Bewusstsein fehlt.
Die allermeisten Frauen haben aber auch heute noch ziemlich wenig Möglichkeiten. Die Schriftstellerin Mely Kiyak hat diesen ganzen neueren Frauengenerationen-Streit einmal als eine ausschließlich christliche Mittelstands-Veranstaltung kritisiert.
Gut, dass Sie darauf zu sprechen kommen. Ich bin ja wirklich dafür, dass die Frauen Karriere machen und zur Macht greifen. Und ich finde es auch gut, dass die Jungs in den Chefetagen von ihren Stühlen geschubst werden. Doch langsam geht mir das Gerede über die Karrierefrauen auf die Nerven. Es handelt sich da um eine Minderheit, die meine besten Wünsche hat. Aber die Mehrheit, insbesondere der Frauen, muss sich doch schon freuen, wenn sie überhaupt Arbeit hat und ist privilegiert, wenn es nicht eine entfremdete, sondern irgendwie sinnvolle und auch noch halbwegs einträgliche Arbeit ist. Dieser Ego-Trip mit Blick auf Vorstandsetagen und Chefsessel, der die anderen Frauen vergisst, das ist mit mir nicht zu haben. Ich habe zwar auch die Linke immer scharf angegriffen für ihren Machismo und werde das weiterhin tun, aber wir wollen doch die Klassenfrage nicht vergessen. Es ist an der Zeit, es wieder deutlich zu sagen: Ich bin eine linke Feministin, die sich über die Interessen ihrer eigenen Peergroup hinaus selbstverständlich auch für die Lage der weniger Privilegierten im eigenen Land und der oft unmenschlich unterdrückten Frauen in Afrika oder in den islamistisch beherrschten Ländern engagiert.
Wir haben in der neuen Frauenbewegung schmerzhaft lernen müssen, dass es das proklamierte Wir so wenig gibt wie selbstverständliche Solidaritäten. In den neueren Selbstverständigungsbüchern stoße ich immer wieder auf dieses „wir“. Mich irritiert das.
Da bin ich nicht Ihrer Meinung. Es gibt dieses Wir über alle Schichten, Generationen, Ethnien usw. hinweg. Das ist der Kerngedanke des Feminismus. Wir Frauen können alle gedemütigt, zum Objekt degradiert und vergewaltigt werden. Das ist universell. Aber gleichzeitig können wir die, die weniger privilegiert sind, nicht im Regen stehen lassen. Es macht sich eine Kälte breit bei dieser Quotendebatte, die mich frösteln macht.
Bei der Vorstellung Ihres Buches im Deutschen Theater sagten Sie, Sie hätten eigentlich nicht viel falsch gemacht. Aber Sie haben sich auch mit vielen Menschen, insbesondere Frauen gezofft, zuletzt mit Ministerin Schröder. Angenommen, Sie würden todkrank auf dem Sterbebett liegen: Könnten Sie sich vorstellen, dass es jemanden gäbe, mit dem Sie sich versöhnen wollten?
So ein Kitsch! Ich würde meine Katze auf den Schoß nehmen und die mir liebsten Menschen um mich versammeln. Was heißt denn hier auch versöhnen? Es geht doch nicht um persönliche Differenzen, es geht um Politik. Und Menschen wie etwa Frau Schröder haben einfach andere Interessen als ich. Ich hätte mir gewünscht, die Kanzlerin hätte keine so ahnungslose, angepasste junge Frau zur Ministerin gemacht. Es gibt zwar viele ahnungslose, angepasste Blondinen ...
Sie haben doch nicht etwa was gegen Blondinen?
Nein, nein, ich bin bekanntermaßen ja selbst eine. Aber nicht alle Blondinen müssen gleich Ministerinnen werden.
Dann frage ich noch mal anders: Gibt es etwas, das Sie bedauern? Sie zitieren Beauvoir, die bedauert, zu Lebzeiten keine Bilanz ihrer Sexualität gezogen zu haben. Das gilt ja auch für Sie.
Für Simone de Beauvoir ist das richtig, sie war ja eine exhibitionistische Autorin, die ihr eigenes Leben zum Stoff gemacht hat. Ich sage das völlig wertfrei. Aber das ist überhaupt nicht meine Sache. Ich habe meine Erfahrungen zu einer Haltung gemacht, aber mein Leben nicht zum Stoff. Übrigens bereue ich schon deshalb nichts, weil ich überhaupt nicht in Endzeitstimmung bin. Ich mache gerade die nächste Emma-Ausgabe. Wir haben beschlossen, dass die Zeitschrift wieder alle zwei Monate erscheint. Das ist eine Herausforderung für unser kleines Team. Ich bin also vom aktuellen Geschehen und täglichen Geschäft voll in Beschlag genommen und habe, ehrlich gesagt, wenig Muße, Lebensbilanzen zu ziehen. Wenn Sie in zehn, zwanzig Jahren wieder kommen, können wir vielleicht darüber reden.
www.freitag.de
RE: Feminismus/ ein interview mit Alice Schwarzer zum 70.Geburtstag
in Gesellschaft 10.02.2013 22:51von Lisadill • 744 Beiträge
http://www.youtube.com/watch?v=K9rf6NbbT...re=results_main
Alice Schwarzers Kritik (verpönt in linken Kreisen)am Islamismus hat durchaus Substanz.
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