Totale Gleichsetzung
Von Rüdiger Göbel
Bundesweit ist am Freitag auf Gedenkveranstaltungen an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 und die Verbrechen des deutschen Faschismus erinnert worden. Bei dem vom Hitler-Regime orchestrierten Terror vor 74 Jahren waren 1200 Synagogen in Brand gesteckt, Tausende Geschäfte geplündert, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstört worden. Die Pogrome waren der Auftakt zur systematischen Verfolgung und Vernichtung von sechs Millionen Juden.
Während in Greifswald zum Jahrestag der Pogromnacht gewaltsam »Stolpersteine« entwendet wurden, die in der Stadt zur Erinnerung an die Opfer des deutschen Faschismus verlegt waren, entsorgte die Staatsspitze die deutsche Geschichte auf ihre Art. »Die Ereignisse der Pogromnacht vom 9. November 1938 und der Fall der Mauer vor 23 Jahren sollten nach Ansicht von Bundespräsident Joachim Gauck nicht getrennt voneinander betrachtet werden«, meldete dapd am Freitag. Es sei zwar richtig, niemals zu vergessen, »was die Nazibarbarei gemacht hat«. Ebenso wichtig ist laut Gauck jedoch, »die glückhafte Geschichte des Mauerfalls« am 9. November 1989 darzustellen. Wenn Jugendliche ausschließlich die Geschehnisse im Dritten Reich betrachteten, »dann würden sie die Wirklichkeit Deutschlands verfehlen«, so der Bundespräsident beim Besuch eines jüdischen Gymnasiums in Berlin-Mitte. Der Zufall wollte es dann auch, daß er beim Besuch der Ausstellung »7 x jung« des Vereins »Gesicht zeigen!« einen Stoffhocker mit der Aufschrift »Glück« zum Sitzen bekam.
Später sagte Gauck laut dapd, er habe die Schüler »mit Blick auf die Geschehnisse von damals« zu Zivilcourage aufgerufen. Einige hätten aber Bedenken geäußert, ob »ich als einzelner überhaupt fähig bin, mich Schlägertypen in den Weg zu stellen«. Man könne nicht immer stark genug sein, »um eine fünfköpfige Clique in ihre Grenzen zu weisen«, soll der Bundespräsident geantwortet haben. Dies könne der Staat auch nicht verlangen: »Aber wir können Zeuge sein.« So war in der Gauck’schen Geschichtsstunde alles zusammengerührt, der deutsche Faschismus und die Totschläger vom Berliner Alexanderplatz …
Es oblag am Freitag Stefan Kramer vom Zentralrat der Juden in Deutschland, an den organisierten rechten Terror der Gegenwart zu erinnern. Den Ermittlungsbehörden warf er die mangelhafte Aufklärung der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) vor. Statt für eine umfassende Untersuchung des Falls zu sorgen, werde »vertuscht, beschönigt und geschreddert«, rügte Generalsekretär Kramer bei einer Gedenkveranstaltung in Erinnerung an die Pogromnacht von 1938 in Weißenfels in Sachsen-Anhalt. Es gebe bislang auch kein schlüssiges Konzept, wie derartige Fälle künftig verhindert werden könnten.
Das frühere Mitglied des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, machte eine »Enthemmung in der Mitte der Gesellschaft« aus. Rassisten und Antisemiten agierten heute »unverschämter, sie sind lauter und sichtbarer«, sagte Friedman dem Kölner Stadt-Anzeiger (Freitagausgabe). Namentlich griff der Publizist die Schriftsteller Martin Walser und Günter Grass scharf an: »Früher hat der Spießbürger seinen Rassismus und Antisemitismus in verrauchten Hinterzimmern ausgetobt. Mittlerweile macht er das beim Champagner-Empfang oder verfaßt – wie Martin Walser und Günter Grass – Pamphlete in Rede- oder Gedichtform.« Damit wiederum waren Pogromnacht und Israel-Kritik gleichgesetz