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Offener Brief an Frau Merkel -Stuttgart 21 ist gescheitert

in unsere Regierung 19.02.2013 23:09
von Lisadill • 744 Beiträge

20.02.2013 / Schwerpunkt / Seite 3Inhalt
Richtlinienkompetenz
Bundeskanzlerin Angela Merkel soll das Tiefbahnhofprojekt »Stuttgart 21« endlich für gescheitert erklären und aufgeben. Offener Brief von Walter Sittler, Volker Lösch, Sabine Leidig und Egon Hopfenzitz
Oben bleiben: Schauspieler Walter Sittler (mit Hut) und Bernd Ri
Oben bleiben: Schauspieler Walter Sittler (mit Hut) und Bernd Riexinger, ­damals ver.di-Geschäftsführer des Bezirks Stuttgart, heute Linke-Vorsitzender, bei einer Sitzblockade vor dem noch intakten Kopfbahnhof (15. Juli 2011)
Foto: Ronald Wittek/dapd
Der bekannte TV- und Theaterschauspieler Walter Sittler hat zusammen mit drei weiteren prominenten »Stuttgart 21«-Gegnern – Volker Lösch (Regisseur am Staatstheater Stuttgart), Egon Hopfenzitz (ehemaliger Chef des Stuttgarter Kopfbahnhofs) und Sabine Leidig (Linke-Bundestagsabgeordnete und Mitglied des Bundesverkehrsausschusses) – einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschrieben. Die vier Unterzeichner fordern eindringlich, »Stuttgart 21« angesichts des technischen und finanziellen »Scheiterns jetzt aufzugeben«. jW dokumentiert das Schreiben gekürzt.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, im Gegensatz zu vielen offiziellen Verlautbarungen, wonach es sich bei »Stuttgart 21« ausschließlich »um ein eigenwirtschaftliches Projekt der Deutschen Bahn AG« handelt, wissen Sie so gut wie wir: »Stuttgart 21« war schon immer ein Projekt des Bundes. Und es ist heute mehr denn je Sache der Bundesregierung, zu »S21« eine definitive Entscheidung zu treffen. Daher wenden wir uns direkt an Sie mit der Aufforderung, dieses zerstörerische Projekt ohne Wenn und Aber zu beenden. (…)

Auch wenn, wie wir wissen, die große Politik und nicht zuletzt die Bundestagswahl eine maßgebliche Rolle dabei spielen, wie Sie in Sachen »Stuttgart 21« entscheiden, so wollen wir doch ausdrücklich die sachlichen Gründe kurz skizzieren, warum Sie den Ausstieg bei »Stuttgart 21« verkünden sollten und dabei sehr bewußt an Ihre Ratio appellieren.

Wir verstehen, wenn für Sie aktuell die Kostenfrage im Mittelpunkt steht. Tatsächlich ist seit dem 12. Dezember 2012 auch in einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, daß die »S21«-Kosten explodieren: Es sind laut Eingeständnis der Bahn derzeit mit bis zu 6,8 Milliarden Euro bereits dreimal mehr als bei der ersten Projektvorstellung vorgerechnet (laut Machbarkeitsstudie von 1995 »4,807 Milliarden« … DM!) und knapp doppelt so viel wie 2007 bei der Vertragsunterzeichnung vereinbart. Die aktuelle Kostenschätzung liegt aber auch um ziemlich genau 50 Prozent über dem Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro, der bei der Volksabstimmung vom November 2011 beschworen wurde, wobei dieser Betrag von Bahn-Chef Grube dutzendmal als »Sollbruchstelle« bezeichnet wurde. Wohlgemerkt: Wir reden von der Kostenschätzung noch vor dem eigentlichen Baubeginn.

Was wir in diesem Zusammenhang nicht verstehen, ist die Behauptung, die jüngst präsentierten Kostensteigerungen seien für Ihre Regierung und für die Bahn-Aufsichtsräte des Bundes »völlig überraschend«. Seit Sommer 2011 ist bekannt, daß Ihr Parteikollege, der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, bereits 2009 aufgrund einer Einsichtnahme in interne Unterlagen der Deutschen Bahn AG wußte, daß »S21« »mindestens 4,9 Milliarden Euro, wahrscheinlich aber 6,5 Milliarden Euro« kosten würde – so wurde es in den Akten des baden-württembergischen Verkehrsministeriums festgehalten. Dort findet sich noch der Zusatz, nach dem Willen des »Herrn MP« sollte diese Information intern bleiben, da sie »in der Öffentlichkeit schwer kommunizierbar« sei.
Sicherheitsrisiko
Der gesprengte Kostendeckel ist aber nur eines der sachlichen Argumente, die ein Aus bei »S21« begründen. Wir fordern Sie als Naturwissenschaftlerin, Sie tragen nicht umsonst den Doktortitel »rer. nat.«, sondern waren auch als Bundesumweltministerin entsprechend tätig und engagiert, dazu auf, die folgenden rein praktischen Argumente in Ihre Überlegungen einzubeziehen, die auf den Gebieten der Physik und Mathematik angesiedelt sind und deutlich gegen »S21« sprechen.

(…) Im »S21«-Tiefbahnhof werden die Gleise eine Längsneigung – also ein Gefälle – von 15 Promille haben. Innerhalb der Bahnsteighalle mit einer Länge von 430 Metern ergibt dies einen Höhenunterschied von 6,5 Metern. Die Soll-Vorschrift in der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) nennt als höchstzulässige Längsneigung der Gleise in Fernbahnhöfen 2,5 Promille. Die Überschreitung des maßgeblichen Grenzwertes (…) wird durch die Topographie und die Baulichkeiten im Untergrund (U- und S-Bahn) erzwungen. (…) Damit ist mit dem Tiefbahnhof »S21« ein enormes Sicherheitsproblem verbunden; Züge könnten in diesem Bahnhof nicht ungebremst im Stillstand verharren. Eine solche Situation wäre einmalig unter den Fernbahnhöfen Europas. (…)
Kapazitätsabbau
Das Projekt »Stuttgart 21« wurde in der Öffentlichkeit immer damit begründet, daß die Kapazität des bestehenden Kopfbahnhofs zu klein für den in Zukunft weiter steigenden Eisenbahnverkehr und daß die Kapazität des Tiefbahnhof deutlich größer als die des bestehenden oberirdischen Hauptbahnhofs sein würde. Das macht ja auch Sinn – man reißt etwas Altes, aber zu Kleines ab, und schafft mit der Milliardeninvestition etwas Neues mit größerer Kapazität. Doch das Verblüffende kristallisierte sich in den letzten drei Jahren immer deutlicher heraus und ist inzwischen in allen Details belegt: »S21« wird weniger Kapazität haben als der bestehende Stuttgarter Hauptbahnhof heute hat. Und »S21« wird keine Reserven für weitere Kapazitätssteigerungen haben, wohingegen der bestehende Kopfbahnhof solche Reserven bereits unter Beweis gestellt hat. (…)

Ihr Kabinettskollege Ramsauer weiß, daß es sich hier um ein heißes Eisen handelt, weswegen er namens der Bundesregierung entsprechende parlamentarische Anfragen stereotyp wie folgt beantworten läßt: »Soweit sich bei der Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs (…) Genehmigungstatbestände gemäß § 11 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) erweisen sollten, wäre es ausreichend, die Verfahren zeitnah zur Veränderung der Betriebsführung zu führen.« (Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, DS 17/3333, Antwort auf Fragen 5 und 6.) Die Antwort lautet wohlgemerkt nicht, § 11 AEG spiele keine Rolle, da »S21« ja mehr Kapazität als der Kopfbahnhof habe. Vielmehr soll nur »zeitnah zur Veränderung der Betriebsführung« (an anderer Stelle antwortete die Bundesregierung: »… zeitnah zur Außerbetriebnahme des Kopfbahnhofs«) geprüft werden, ob es eine solche »mehr als geringfügige Verringerung der Kapazität« gibt.

Die Bundesregierung schreibt also schwarz auf weiß, daß man zuerst einmal für mindestens sechs, vermutlich aber viel mehr Milliarden Euro einen Tiefbahnhof bauen wolle und erst um das Jahr 2021 herum oder später, also »zeitnah« zur Stillegung des Kopfbahnhofs, prüfen werde, ob die Kapazität des Kellerbahnhofs kleiner als die des alten Kopfbahnhofs ist. Kein Unternehmer und schon gar nicht die viel zitierte »schwäbische Hausfrau« könnte und würde sich im normalen Leben ein solches Wirtschaften leisten.
Ausstiegskosten
Natürlich wissen wir, auch wenn die Sachargumente für einen Ausstieg bei »S21« Sie überzeugt haben sollten, würden die sogenannten Ausstiegskosten und die Behauptung, »Es gibt keine Alternative« als Gründe gegen einen solchen Ausstieg angeführt werden.

Zu den Ausstiegskosten haben Ihre drei Staatssekretäre [Hans Bernhard Beus aus dem Finanzministerium, Bernhard Heitzer aus dem Wirtschaftsministerium und Michael Odenwald aus dem Verkehrsministerium, jW] und Bahn-Aufsichtsräte im angeführten Gespräch mit Bahn-Chef Grube am 5. Februar 2013 deutlich gemacht, daß es »Grund zur Annahme« gebe, daß hier die »Preise künstlich hochgerechnet« worden seien (Spiegel 07/2013). Als reale Ausstiegskosten ermittelte die baden-württembergische Landesregierung 2011 einen Betrag von deutlich weniger als einer halben Milliarde Euro.

Dabei ist der Begriff »Ausstiegskosten« wahrlich irreführend. Denn ein Ausstieg erspart ja gewaltige zusätzliche Kosten. Die in diesem Zusammenhang zitierten Kosten sind vielmehr Folge des unverantwortlichen Einstiegs in das Projekt. Es gab in diesem Land mehrere Großprojekte, die politisch beendet wurden, und bei denen eine entscheidende und gemeinsame Lehre gezogen werden kann: Als 1983 beim Atomkraftwerk im badischen Wyhl, als 1989 bei der atomaren Wiederaufbereitungsanlage im bayerischen Wackersdorf und als 1991 beim Schnellen Brüter im niederrheinischen Kalkar der Ausstieg beschlossen wurde, stellte sich jeweils heraus, daß die behaupteten hohen Ausstiegskosten binnen weniger Wochen nach der politischen Entscheidung zusammenschnurrten. Schließlich wollten die beteiligten Unternehmen »im Geschäft bleiben«. Genauso wird es sich bei einem Aus für »S21« verhalten. (…)

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Frau Dr. Merkel, Sie haben nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und nach den in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz für Ihre Partei verlorenen Landtagswahlen vom 27. März 2011 in Sachen Atomkraft eine radikale Kehrtwende vorgenommen, die viele Ihrer politischen Freunde einigermaßen konsterniert zur Kenntnis nahmen. Sie haben damals unter Beweis gestellt, daß Sie zu einer politischen Neupositionierung bereit und in der Lage sind, wenn die politischen Verhältnisse auch aus Ihrer Sicht eine solche Wende nahelegen, ja notwendig machen. (…)

»Stuttgart 21« ist gescheitert, das ist inzwischen mehr als offensichtlich. Wir fordern Sie mit allem Nachdruck dazu auf, dieses sinnlose und zerstörerische Projekt sofort zu beenden.

Vollständiger Wortlaut ist als pdf-Datei zum Download diesem Artikel beigefügt.
Download-Dokumente:

Offener Brief an die Bundeskanzlerin

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#2

RE: Offener Brief an Frau Merkel -Stuttgart 21 ist gescheitert

in unsere Regierung 05.03.2013 18:52
von Lisadill • 744 Beiträge

»Stuttgart 21« verantwortungslos
Das Bündnis »Bahn für alle« und das Kampagnennetzwerk »Campact« haben am Dienstag die Entscheidung des Bahn-Aufsichtsrates, trotz der Kostenexplosion an »Stuttgart 21« festzuhalten, scharf kritisiert:
»Die Entscheidung des DB-Aufsichtsrates, Stuttgart 21 trotz der Kostenexplosion weiterzubauen, ist verantwortungslos. Der Bahn-Aufsichtsrat verbuddelt auf Geheiß der Bundeskanzlerin Unsummen im Milliardengrab Stuttgart 21. Statt dessen bräuchten wir dieses Geld dringend für einen besseren öffentlichen Nahverkehr und ein modernes Schienennetz«, sagte Christoph Bautz vom Kampagnennetzwerk »Campact«. »Eine Modernisierung des bestehenden Kopfbahnhofes wäre viel kostengünstiger und ließe sich schrittweise realisieren.«

Bernhard Knierim vom Bündnis »Bahn für alle« wies darauf hin, daß das Projekt Stuttgart 21 auf allen Ebenen gescheitert sei: »Stuttgart 21 ist nicht nur ein finanzielles Desaster, sondern hier wird ein Bahnhof geplant, der weder eine ausreichende Kapazität für einen zukünftigen Schienenverkehr hat, noch essentiellen Sicherheitsstandards genügt. Aber statt das einzugestehen, vertuscht und betrügt die Bahn lieber weiter, und der Aufsichtsrat trägt das entgegen seiner Aufgabe auch noch mit.«
Die Entscheidung des DB-Aufsichtsrats zu »Stuttgart 21« wurde von Mat­thias von Herrmann, Pressesprecher der Parkschützer, am Dienstag als »in höchstem Maße unverantwortlich« gewertet:
»Die Aufsichtsräte haben nicht einmal auf die Berechnungen des Bundesrechnungshofs gewartet. Die Ausstiegskosten, die die Bahn benennt, sind vollkommen unrealistisch hoch, ebenso wie schon jetzt klar ist, daß die wahren Projektkosten weit über den jetzt zugegebenen Kosten liegen – politisch gewollte Zahlendreherei und ein Hohn für alle Steuerzahler. Kanzlerin Merkel wird sich noch wundern, wie ihr diese Entscheidung im beginnenden Wahlkampf auf die Füße fallen wird, denn der Protest gegen Stuttgart 21 wird weitergehen, schon am nächsten Montag mit der 164. Montagsdemo gegen S 21. Und das Tunnelprojekt Stuttgart 21 wird an seinen unzähligen technischen Problemen scheitern – vom mangelhaften Brandschutz über unbeherrschbare geologische Risiken bis hin zu ungezählten Planungsfehlern.«

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