für mich bemerkenswert:
Kinorezension
Eine Mündung im Kaukasus
Wenn die Dinge ins Rutschen kommen: »The Loneliest Planet« im Kino
Von André Weikard
Ein Paar aus den USA macht vor der Hochzeit einen Trip durch den Kaukasus. Mit Rucksäcken erklimmen die beiden unter Anleitung eines Bergführers grüne Hügel, balancieren über provisorische Brücken, kauern unter pechschwarzem Himmel am Lagerfeuer. Sie haben Sex in verfallenen Häusern und ihrem Zelt, lachen viel, machen Yoga-Handstände vor imposanten Bergkulissen und Klimmzüge an den Haltestangen der rostigen Busse, mit denen sie durch Georgien reisen. Gesprochen wird wenig. Statt dessen sind Hani Furstenberg und Gael Garcia Bernal etwa beim Zusammenlegen der Zeltplane zu sehen, im Hintergrund rauscht ein Gebirgsbach. 40 Minuten lang lullt Regisseurin Julia Loktev den Zuschauer ein. Der Pärchentrip ist von betäubender Harmlosigkeit. Untermalt wird er mit einem säuselnden Cello. Dann, in einer einzigen Sekunde, gerät alles aus dem Gleichgewicht.
Das Paar, dem Khaki gut steht, trifft auf zwei Fremde, kann sich nicht verständigen und blickt auf einmal in eine Gewehrmündung. In diesem Moment packt er sie und hält sie vor sich, um mit ihr wie mit einem Schild die Kugel abzufangen. Starre. Das Gewehr wird gesenkt, ohne daß sich ein Schuß gelöst hätte. Die georgischen Jäger ziehen weiter. Zurück bleibt eine erschütterte Zweisamkeit. Im Bergidyll geht ein Herz zu Bruch. Ein Reflex, ein Augenblick des Eigensinns und das Glück ist dahin.
»The Loneliest Planet« ist ein beklemmendes Beziehungsdrama. Was die Liebenden am anderen Ende der Welt über sich erfahren, entfernt sie voneinander. Der Bergführer erzählt im Lagerfeuerschein als Kriegsveteran in Army-Jacke davon, daß früher die Schafe kastriert worden seien, indem man ihnen mit zwei Steinen die Hoden zertrümmerte. 1000 Stück am Tag habe man so entmannt. Dann sei einer aus der Wilnis gekommen, der 10000 Tiere am Tag geschafft habe, indem er die Hoden einfach abbiß.
Unter Regenplanen hocken die drei in einem Unwetter am einsamsten Ort der Welt. Vorwürfe bleiben unausgesprochen, Anklagen stumm. Es wird weitergewandert. Als winzige Punkte verschwinden die drei in Landschaftstotalen. »The Loneliest Planet« braucht ein Publikum, das Stille ertragen kann, Verzögerung und Langeweile aushält. Am Ende bleiben einige Bilder haften. Die wenigen Szenen, in denen die Dinge ins Rutschen geraten, glimmen noch Tage und Wochen später.
»The Loneliest Planet«, Regie: Julia Loktev, D/USA 2012, 113 min, bereits angelaufen