UNSERE ZUKUNFTSelber denken und verantwortlich handeln. Lasst uns nachhaltig etwas bewegen! |
|
|
Marsch der Würde
Flüchtlinge kämpfen gegen erbärmliche Lebensbedingungen in Deutschland
Daniel Bratanovic
Sie sind 600 Kilometer gelaufen. Von Würzburg nach Berlin. Aufbruch zum Marsch als Zeichen des Widerstands. Eine neue Etappe der Flüchtlingsproteste in der Bundesrepublik. Ende Januar entleibte sich der Iraner Mohammed R. in einem Würzburger Flüchtlingsheim, am 19. März begann der Hungerstreik der Leidensgenossen in mehreren Lagern, einige nähten sich die Münder zu. Mehrere Protestcamps entstanden. Dann der Entschluß zum Fußmarsch, der sich Anfang September unter bewußtem und vorsätzlichem Bruch mit der Residenzpflicht in Bewegung setzte. Es soll Schluß sein mit dem Verbot, den Landkreis zu verlassen, mit der Unterbringung in Lagern, mit den Abschiebungen. Weithin beachtet konnten Asylbewerber selten zuvor so deutlich auf ihre disparate Situation in Deutschland aufmerksam machen. Die Ankunft in Berlin am 6. Oktober markierte jedoch keineswegs das Ende ihrer Aktivitäten. Seither steht auf dem Kreuzberger Oranienplatz ein Camp, deren Bewohner nicht erkennen lassen, ihre Zelte alsbald abzubrechen. 5000 Demonstranten zogen am vergangenen Samstag zum Bundestag und untermauerten noch einmal die Forderungen der Flüchtlinge. Ihr Motto: »Willkommen in Berlin! Für einen menschenwürdigen Aufenthaltsstatus in Deutschland«. Am Montag dann die versuchte Besetzung der nigerianischen Botschaft. Etwa 20 Menschen drangen in das Gebäude ein und skandierten: »No border, no nation, stop deportation!« Die Vertretung des westafrikanischen Landes arbeitet am effektivsten mit dem deutschen Staat zusammen und wickelt die meisten Abschiebungen nach Afrika ab, weiß der Sprecher des Aktionsbündnisses »Refugee Protest March«, Thomas Ndindah. Die Polizei nahm eigenen Angaben zufolge 15 Personen fest und verbrachte sie zur Verwahrung nach Tempelhof. Daraufhin formierte sich eine spontane Demonstration zur sofortigen Freilassung der inhaftierten Flüchtlinge, der sich rund 1000 Menschen anschlossen.
Die Lebensbedingungen der Asylbewerber und der alltägliche, institutionalisierte Rassismus der deutschen Behörden – der Mantel des Schweigens, der sich üblicherweise über diese Angelegenheit legt, hier wurde er wenigstens kurzzeitig gelüftet. Die Flüchtlinge ihrerseits haben erkannt, daß ihr Problem kein partikuläres ist, sondern im Zusammenhang gesehen werden muß. »Wir Flüchtlinge sind keine Opfer mehr. Wir haben den Stempel des Opferseins abgelegt. Wir sind aktiv in die gesellschaftlichen Kämpfe hier in Deutschland eingetreten und kämpfen Schulter an Schulter gemeinsam mit allen hier für eine menschliche und freie Gesellschaft.«
Polizeischikanen gehen weiter
Berlin. Die hungerstreikenden Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor machen weiter. Die Polizei mit ihren Schikanen auch. Seit sechs Tagen und Nächten harren die 20 Streikenden auf dem Pariser Platz trotz weiter sinkender Temperaturen aus. Unterstützer berichteten via Twitter, daß einer der Aktivisten von einem Rettungswagen abgeholt werden mußte, da er über Bauchschmerzen geklagt habe.
Einen angemessenen Kälteschutz gewährt die Polizei nicht. Immer wieder haben Beamte Flüchtlingen Schlafsäcke, Isomatten und andere wärmende Utensilien mit der Begründung weggenommen, deren Nutzung sei vom Versammlungsrecht nicht gedeckt. Am Montag morgen sollen Polizisten nach Angaben einer Unterstützerin auch vorhandene Ersatzkleidung beanstandet haben, da diese der »Bequemlichkeit von Versammlungsteilnehmern« dienen könnte. Dirk Stegemann, Anmelder des Hungerstreiks, der bis zum 5. November genehmigt wurde, nannte diese Argumentation »einen blanken Zynismus«.
Stegemann hat erneut »eine unbefristete, an der Anmeldungssituation späterer anderer Veranstaltungen anpaßbare Genehmigung zur Sondernutzung für den derzeit angemeldeten Versammlungsort« beantragt. Eine solche Sondernutzung gestattete den Flüchtlingen den Schutz vor Kälte durch Zelte, Schlafsäcke oder ähnliches. Derweil hat Hakan Tas, Mitglied der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, die Möglichkeit eines Ausweichplatzes in der Nähe des Brandenburger Tors ins Spiel gebracht. Der partizipations- und flüchtlingspolitische Sprecher erklärte, »der Umgang der Behörden mit den Flüchtlingen (…) ist unmenschlich.« Das Vorgehen der Polizei nannte er »verantwortungslos«, zudem täten Senat und der Bezirk Mitte nichts für die gesundheitliche Versorgung im Protestcamp. Tas kündigte an, die Angelegenheit im Innenausschuß zur Sprache zu bringen.
Mit der Verweigerung der Nahrungsaufnahme wird die sofortige Abschaffung und Beendigung der Abschiebungen, der Residenzpflicht sowie der Flüchtlingslager und Sammelunterkünfte gefordert.
Unklar blieb bis zuletzt, ob der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten und die angekündigte Gegendemonstration, die am Mittwoch mittag vor dem Brandenburger Tor beginnen soll, Auswirkungen auf das kleine Camp der Hungerstreikenden haben wird. Die Polizei jedenfalls hatte am Montag stapelweise Absperrgitter angekarrt
Besucher
0 Mitglieder und 6 Gäste sind Online |
Forum Statistiken
Das Forum hat 1058
Themen
und
5119
Beiträge.
|
Forum Software ©Xobor.de | Forum erstellen |