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Judith Butler bekommt den Adorno-Preis
in Gesellschaft 09.09.2012 21:50von Lisadill • 744 Beiträge
Schmutzkampagne
Morgen soll die Philosophin Judith Butler mit dem Adorno-Preis ausgezeichnet werden. Der Zentralrat der Juden und neokonservative Israel-Freunde laufen Sturm
Von Markus Bernhardt
Palästinensische Jugendliche protestieren gegen die Ausweitung der Siedlung Kidumim im Westjordanland (22. Juni 2012)
Foto: AP
In Erinnerung an den Philosophen Theodor W. Adorno verleiht die Stadt Frankfurt am Main alle drei Jahre einen mit 50000 Euro dotierten Preis. Er soll der Förderung und Anerkennung hervorragender Leistungen in den Bereichen Philosophie, Musik, Theater und Film dienen. In diesem Jahr hat sich das Kuratorium des Adorno-Preises, das unter der Leitung des Kulturdezernenten der Main-Stadt, Professor Felix Semmelroth (CDU), steht, für die amerikanische Philosophin und Literaturwissenschaftlerin Judith Butler als Auszuzeichnende entschieden. Butler, so heißt es in der Begründung des Kuratoriums, sei »eine der maßgeblichen Denkerinnen unserer Zeit«. »Für Fragen über Identität und Körper sind ihre Schriften maßgeblich und werden weltweit rezipiert. Als Vordenkerin eines neuen Verständnisses von Kategorien wie Geschlecht und Subjekt, aber auch der Moral ist sie immer dem Paradigma der kritischen Autonomie verpflichtet. Spurenelemente von Butlers Theoriegebäude finden sich in Werken der zeitgenössischen Literatur, dem Film, dem Theater und der Bildenden Kunst«, heißt es dort weiter.
Während der Preis der Philosophin am morgigen Dienstag im Rahmen einer feierlichen Zeremonie in der Frankfurter Paulskirche verliehen werden soll, läuft der Zentralrat der Juden in Deutschland – unterstützt von wortgewaltigen neokonservativen Splittergrüppchen, die den »Antideutschen« zuzurechnen sind, sowie aggressiven Pro-Israel-Lobbygruppen wie Honestly Concerned und »Scholars for Peace in the Middle East in Deutschland« – Sturm gegen die Ehrung. Butler habe, so der Vorwurf der Freunde der nahöstlichen Besatzungsmacht, zur Unterstützung eines gegen Israel gerichteten Boykotts aufgerufen und Organisationen wie Hamas und Hisbollah als legitime soziale Bewegungen bezeichnet. Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden, nannte sie eine »bekennende Israel-Hasserin«. Selbstverständlich darf auch der mittlerweile inflationär gebrauchte Vorwurf des Antisemitismus nicht fehlen, der gegen die jüdische Philosophin in Stellung gebracht wird. Eine für Dienstag angekündigte Protestaktion steht denn auch unter dem Motto »Kein Adorno-Preis für Antisemiten«.
Butlers »Vergehen« besteht darin, sich mit den von Israel unterdrückten Palästinensern solidarisiert zu haben und die Initiative »Boycott, Divestment and Sanction« (BDS) zu unterstützen, die dazu aufruft, israelische Waren aus den besetzten Gebieten nicht mehr zu kaufen. Obwohl die Wissenschaftlerin, die in zahlreichen akademischen Projekten mit Israelis zusammenarbeitet, erst kürzlich konstatiert hatte, besagte Boykottkampagne »nicht ohne Vorbehalte« zu unterstützen und »anders als der BDS« die »Diskriminierung einzelner Personen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit« abzulehnen, bezichtigen die selbsternannten Freunde Israels die Philosophin des Antisemitismus und der Unterstützung der Hamas und der Hisbollah. Butler hatte die beiden Organisationen einmal als Teil der »globalen Linken« und »soziale Bewegungen« bezeichnet, um sie politisch einzuordnen und nicht etwa, wie nunmehr bewußt fälschlich behauptet wird, um ihre Unterstützung für die besagten Gruppierungen zu erklären.
»Ich sympathisiere mit solchen Projekten, die ihr Sprechen und Handeln mit der ethisch inspirierten Hoffnung verbinden, daß es eine politische Zukunft für Israel-Palästina gibt, in der die Grundprinzipien einer Demokratie verwirklicht sind: Gleichheit, Recht und Freiheit für alle, die hier leben und die aus ihrer Heimat vertrieben wurden«, entgegnete die Professorin, die sich selbst dem linksliberalen politischen Spektrum zuordnet, ihren Kritikern in einer Ende August veröffentlichten Stellungnahme. »Wenn einige Angehörige der deutschen Linken denken, daß eine reflexhafte Verteidigung Israels das einzige Mittel gegen den Antisemitismus sei, dann müßten sie augenblicklich jeden Kontakt mit der jüdischen Linken abbrechen«, äußerte Butler in Richtung ihrer Kritiker aus der »antideutschen« Ecke.
Kuratorien in Deutschland müßten die Frage aushalten, »was denn hinter dieser deutschen Vorliebe steckt, Jüdinnen und Juden auszuzeichnen und zu ehren, die für eine Form der Israel-Kritik stehen, die vor Einseitigkeit und politischer Blindheit nur so strotzt«, ätzte dagegen Kramer und kündigte an, daß die Repräsentanten des Zentralrats und auch die Jüdische Gemeinde in Frankfurt am Main die Preisverleihung boykottieren würden.
Mittlerweile rufen unter anderem die Wissenschaftler und Publizisten Dario Azzellini, Micha Brumlik und Diedrich Diederichsen zur Unterstützung Butlers auf. Diese sei eine »der wichtigsten kritischen Denkerinnen unserer Zeit« und eine Intellektuelle, die »auch den unbequemen Fragen der Gegenwart nicht ausweicht und diese öffentlich in einer Weise thematisiert, die dazu herausfordert, selbst Position zu beziehen und sich in den entsprechenden Auseinandersetzungen zu engagieren«.
Im Campus-Verlag ist gerade das Buch »Judith Butler. Eine Einführung« von Paula-Irene Villa in einer aktualisierten Auflage erschienen. Von Judith Butler selbst liegt dort vor: »Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen
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