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Für den aufsässigen Geist
Die Erde ist da für dich und mich: Wenzel würdigt Woody Guthries Hundertsten
Von Gerd Schumann
Wenzel: Wessen Amerika, verdammt!?
Vor gut zehn Jahren trieb sich Hans-Eckardt Wenzel in New York herum. Spurensuche. Es hieß, in der Mermaid Avenue auf Coney Island hätte Woody Guthrie in den 1940ern seine vielleicht produktivste Phase als Poet, Erzähler, Dichter gehabt. Doch waren die meisten Texte des, ja, Folksängers ohne Musiken geblieben. Noten kannte er nicht, Tonaufnahmen gab es nur wenige.
Billy Bragg, dem hemdsärmeligen Engländer und elektrifizierten Liedermacher, war es zunächst vorbehalten, sich um diesen wertvollen Stoff zu kümmern. Nora, Guthries Tochter, hatte ihn gefragt, wie sie später Wenzel fragte. Wilco, die formidablen Leute von der Countryside, stieg ein. Die Mermaid-Avenue-Sessions entstanden, zwei inzwischen legendäre Platten, »California Stars« wird immer noch im Radio gedudelt. Ohrwurm, später Ruhm für Woody, den 1967 verstorbenen Polit-Hobo.
Aber Woody in eine andere Sprache hinüberzugedichten – geht das überhaupt? Wenzel stöberte, sichtete 3000 Texte, wählte 30 aus, schrieb und tat und legte mit »Ticky Tock« 2002 eine Platte vor – oder vielmehr: je eine auf deutsch und auf amerikanisch. Sie hievte Guthrie nicht nur musikalisch – zwischen relaxter Ruhe, tschechisch-balkanisch-jüdischer Unrast und der Weisheit des Blues – ins Hier und Jetzt: In seine eigene, unverwechselbare philosophische Tiefe, mit starken Bildern spielend und im »archäologischen Auftrag« (Wenzel) feinfühlig, den Urheber und dessen Intentionen erspürend.
Wie im »Neunzig Meilen Orkan« (Ninety Mile Wind), der New York am 12. September 1944 überfällt – Natur und Geschichte –, und den Woody doch nicht so sehr fürchtet »wie die Habgier unserer Herrn«. Oder mit »Jinnga Linng«: »Die Welt wird von Räubern gedreht und gerollt / Sie rauben mit dem Füller und sie rauben mit dem Colt« (This world run full of robbin men / They’ll rob witha gun or a founten pen) und dem heftigen Antifa-Liebeslied »Deine Augen« (Blue Eyes). Zeitloses aus einer Zeit.
Auch einige liebevoll-klare Kinderlieder, wunderbare Vorlagen, »zärtlichst, utopischst, kühnst« plaudert Wenzel in einer der Ansagen seiner jüngsten Produktion »Woody 100« – ein Konzertmitschnitt aus dem Berliner Kesselhaus im Februar ergänzt um zwei Aufnahmen einer WDR 5-Veranstaltung mit Billy Bragg aus dem Mai. Guthrie/Braggs »Eisler on the run« von der ersten Mermaid Avenue-Produktion jetzt auch »auf Wenzel«.
Der Deutsche mit den DDR-Wurzeln hat viel zu Eisler gearbeitet, sich gerieben, die Widersprüche der Geschichte versucht zu fangen. Eisler im Exil, Eisler rausgeschmissen aus den USA – McCarthy! –, Eisler in der DDR, keine Debatte scheuend- Stichwort Faustus I bis III. Doch das ist ein anderes Thema.
»Auch der große Bob Dylan ist gestartet als Woody-Imitator«, sagt Wenzel und nimmt sich – sozusagen als Beweis – dessen »Song for Woody« von 1962 vor die Brust. Aber wieso »auch«? Sicher dachte der »Song and Dance Man«, wie sich Dylan einst selbst bezeichnete, an die, die sich wie Guthrie auf endlos-staubigen Straßen trafen, an Cisco und Sonny und Leadbelly. Heute hier – morgen geht’s weiter, Hannes. Und, logisch, Woody hat Einfluß genommen auf sie alle, Dylan dann wiederum auf die danach – und schwankte und wankte und verdrängte irgendwann die Masters of war, die Kriege, den Hunger, das Elend. Armer Bob.
Nein, die Antwort ist nicht in den Wind geschrieben. Sie macht nur manchmal in ihrer monströsen Gewaltigkeit verdammt ratlos. Die Gesellschaft subsumiert selbst Gegnerschaft »zur Feier der eigenen Toleranz« und läßt sie solange gelten, «wie es im Rahmen bleibt«, sagte Wenzel im Interview mit dieser Zeitung (21.2.2003). Er sieht in Guthrie einen Mann, der »den ewig diskutierten Widerspruch zwischen ›Kunst und Leben‹ aufzuheben vermochte mit einfachsten Mitteln.« Dessen Sachen überdauern.
Gilt das auch für den alten Lagerfeuer-Gassenhauer »This land is your land«? Für Woodies berühmte Antwort auf Irving Berlins knochig-schwülstiges »God bless America« – »Gott segne Amerika, mit einem Licht geführt durch die Nacht«? Wessen Amerika, verdammt!? Guthrie konnte diesen zur inoffiziellen Nationalhymne erhobenen Unfug einfach nicht mehr ertragen und schrieb eine Anti-Hymne – die für Arme. Wenzel erfühlt sich diese für die Gegenwart – ein fulminanter Konzertbeginn, weit weg von allen Agitprop-Aufführungen der vergangenen 50 Jahre, die einen wünschen ließen, doch bitte das knarzige, verwaschene Original mit Woodys konservierter Stimme hören zu dürfen.
Wenzel dagegen traut sich, was für Künstler in Tagen der angepaßten Beliebigkeit alles andere als selbstverständlich ist. Er weiß, er muß aufrichtig bleiben, um zu überdauern. »Die Erde ist da für dich und mich« klingt im Titel holprig, hat es als Song jedoch in sich. Ein dialektisches Meisterwerk, erstmals auf Platte, wie auch das »Lied für Woody«, »Schlechter Ruf«, ein harter Brocken, vor allem jedoch »Ease my revolutionary mind«, das Tom Morello, Gitarrist der letzten großen Polit-Rock-Crossover-Band Rage against the machine rausdrückt und bespielt. Wenzel mittendrin will »Eine Frau für meinen aufsässigen Geist«, eine Revolutionärin, kein Heimchen, keine Angie oder sonstige reaktionäre Tussi. Klassenkampf!
Doch tragen Live-Produktionen ein Restrisiko in sich: Einer klatscht immer zu demonstrativ und zu nah am Aufnahmegerät.
Wenzel und Band: »Woody 100« (Matrosenblau / Indigo)
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