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Vom Widerstand gegen ein Atomkraftwerk
in alles Andere 22.08.2012 21:53von Lisadill • 744 Beiträge
Vorherige Kinorezension Nächste 23.08.2012 / Feuilleton / Seite 13Inhalt
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Die Atomaussteiger
Allein ist man nur eine Schneeflocke im Wind: Ein Dokfilm über den Widerstand gegen das AKW Brokdorf
Von Michael Zander
Am Brokdorfer Elbstrand wurde man zum politischen Menschen
Foto: Promo
Zwischen Hamburg und dem Meer zeichnet sich eine für europäische Maßstäbe beispiellose Konzentration von Kernkraftwerken ab«, schrieb der Spiegel am 28. Oktober 1974. »Ein gutes Dutzend ist geplant«, heißt es weiter, »und die meisten von ihnen sollen jeweils mehr Strom (1300 Megawatt) erzeugen als die zur Zeit stärksten Kernkraftwerke der Welt. Das erste, in Stade, arbeitet bereits.« In der »Ölkrise«, in der die OPEC ihren Einfluß gegenüber den NATO-Staaten geltend machte, strebten die Landesregierungen Niedersachsens und Schleswig-Holsteins sowie die Betreiberfirmen Energieexporte an.
Doch der westdeutsche Obrigkeitsstaat hatte seit einigen Jahren Risse bekommen. Nicht alle Menschen akzeptierten, was ihnen von ihren angeblichen Repräsentanten zugedacht wurde. Eine kleine Gruppe demonstrierte 1976 gegen die ersten Arbeiten an einer Anlage in der Gemeinde Brokdorf. Sie bildete die Keimzelle einer bedeutenden und bis heute aktiven Protestbewegung.
Die Protagonisten von damals kommen nun in einem Film der Regisseurin Antje Hubert zu Wort. Sie sind Bauern, Handwerker, Angestellte und Akademiker, die zunächst nicht auf ihre Rolle als außerparlamentarische Opposition vorbereitet waren. »Wir waren an und für sich ja ganz konservative Bürger«, sagt Renate Bolten über sich und ihren Mann. »Durch die Anti-AKW-Aktivität bin ich zu einem politischen Menschen geworden«, erinnert sich Karsten Hinrichsen. »Viele haben überhaupt zum ersten Mal in größeren Zusammenhang über Rechtsstaat, Weltwirtschaft und ähnliches nachgedacht.« Eggert Block, über drei Jahrzehnte Bürgermeister von Brokdorf, schwärmt von den »wunderschönen Arbeitsplätzen«, die entstanden seien. »Kann man doch nicht ablehnen, sowas.« Er ist Mitglied der CDU, einer Partei, die behauptet, man könne Atommüll über mehrere zehntausend Jahre hinweg sicher lagern.
Dem Film gelingt es in beeindruckender Weise, gestützt auf Aussagen von Zeitzeugen sowie auf Archivmaterial, Stück um Stück eines Gesamtbildes zusammenzutragen, das seinerseits nur einen Ausschnitt aus einer landesweiten Bewegung zeigt. Produktionsfirma ist die »Thede«, eine Vereinigung von Filmschaffenden, die sich 1980 »zwecks emanzipatorischer Medienarbeit« gegründet hat.
Einige Bürgerinitiativen scheiterten mit einer Klage gegen das Bauprojekt. Politik und Justiz verändern beziehungsweise interpretieren 1980 das Gesetz so, daß ein bloß angekündigtes Endlager ausreicht, um den Betrieb des Meilers zu genehmigen. »Da war der Traum vom demokratischen Rechtsstaat geplatzt«, resümiert Ali Reimers, einer der Aktivisten, bitter. Für ihn blieb es jedoch selbstverständlich, sich zu organisieren. »Alleine ist man eine kleine Schneeflocke im Wind.«
In Brokdorf und Umgebung gab es immer wieder Besetzungen und Massendemonstrationen mit bis zu 100000 Teilnehmern. Die Polizei setzte Schlagstöcke, Wasserwerfer, Hunde, Pferde und Hubschrauber gegen die Menschen ein, die bald lernten, sich mit Friesennerz und Schwimmbrille zu schützten. Zugereiste wußten, wie man eine Tränengasgranate gekonnt zurückwirft und Löcher in den Stacheldraht am Bauzaun schneidet.
Einige Interviewpartner Antje Huberts verhehlen ihre Gefühle nicht. Sie sind noch heute wütend und traurig darüber, daß sie die Inbetriebnahme des AKW 1986 nicht verhindern konnten, obwohl sie diesem, ihnen aufgezwungenen Konflikt viel Lebenszeit geopfert haben. Bei ihnen hinterließen die Angriffe der Gegenseite bleibende Wunden. Sie wurden von Zivilpolizisten und privatem Wachschutz bespitzelt, man horchte sie mit Richtmikrofonen aus und überwachte ihre Telefone. Ihre Mitbürger hetzten gegen sie als angebliche Kommunisten, die man am nächsten Baum aufhängen solle. »Adolf«, hieß es, müsse wieder her, der habe gewußt, was mit Aufrührern zu machen sei.
Auch wenn sie nicht mehr so jung und zuversichtlich sind wie einst, geben die Brokdorfer ihren Widerstand nicht auf. Sie machen Geschichte. Leuten wie ihnen und nicht den Regierungen wird es zu verdanken sein, wenn in Deutschland eines Tages keine Kernenergie mehr produziert wird. Vom offiziellen »Atomausstieg« lassen sie sich nicht blenden. »Bis 2022 kann noch viel passieren«, sagt Ali Reimers. »Und der Müllberg wächst und wächst.« Deshalb hißt er auch heute noch die Fahne der Anti-Atomkraft-Bewegung auf seinem Hof.
»Das Ding am Deich. Vom Widerstand gegen ein Atomkraftwerk«, Regie: Antje Hubert, Deutschland 2012, 96 min, Kinostart: heute
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