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Strauss Kahn und die sexualisierte Gewalt gegen Frauen

in Scham & Ehre 10.08.2012 11:32
von Lisadill • 744 Beiträge

Kavaliere und Delikte
Der Skandal um Dominique Strauss-Kahn und die Verharmlosung sexualisierter Gewalt in den französischen Medien
Von Elisa Brinai

Die Journalistin Tristane Banon auf einer Demonstration von Feministinnen in Paris im September 2011. Sie erklärte, der Ex-IWF-Chef habe sie 2003 vergewaltigt

Seit mehr als einem Jahr erregen die kriminellen Verfehlungen bester Kreise unterhalb der Gürtellinie die französische Öffentlichkeit. Nicht weniger schockierend als deren Treiben ist die Behandlung des Themas durch die tonangebenden Medien. Kaum ein Klischee in bezug auf sexuelle Gewalt im Allgemeinen und die Vergewaltigung von Frauen im Besonderen wird ausgelassen.

Losgetreten wurde die Debatte mit der Verhaftung des Spitzenpolitikers der Sozialistischen Partei und Chefs des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn im Mai 2011 unter dem Verdacht der »sexuellen Nötigung und versuchten Vergewaltigung« eines Zimmermädchens in seiner New Yorker Luxussuite. Die Nachricht schlug in Frankreich ein wie eine Bombe. Die mögliche und wohl aussichtsreiche Präsidentschaftskandidatur von »DSK«, wie Strauss-Kahn hier genannt wird, platzte. Die Affäre kostete ihn Millionen und den Job. Was genau in Zimmer 2806 der Nobelabsteige vorging, wird wohl im dunkeln bleiben. Ein Zivilprozeß in den USA steht noch aus. Doch seit der Affäre sieht sich die politische Klasse des Landes mit der Offenlegung einer Kette ähnlicher Skandale konfrontiert. So erklärte die junge Journalistin Tristane Banon öffentlich, vom Ex-IWF-Chef bereits neun Jahre zuvor während eines Interviewtermins sexuell attackiert worden zu sein. Für die Justiz sind die Vorgänge allerdings verjährt.

Dafür hat die französische Rechtspflege »DSK« und etliche seiner Freunde aus gehobenen Kreisen von Wirtschaft und Politik wegen anderer Vorfälle »am Haken«. So sorgt seit Monaten die sogenannte Callgirlaffäre für Schlagzeilen. Es geht um Sexpartys mit Prostituierten im Luxushotel Carlton im nordfranzösischen Lille und weitere in anderen Orten des Landes und den USA, an denen der Expolitiker offenbar teilgenommen hat. Im Februar wurde er wegen des Vorwurfs der »organisierten Zuhälterei« bereits zwei Tage in Polizeigewahrsam genommen. Er erklärte, nicht gewußt zu haben, daß es sich bei den eingeladenen Frauen um Prostituierte gehandelt habe. Dennoch erhob die Staatsanwaltschaft Lille im März »vorläufige Anklage« gegen Strauss-Kahn. Im Mai kamen Vorermittlungen wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung hinzu. Eine Escort-Service-Mitarbeiterin hatte ausgesagt, sie sei bei einem jener Events im Dezember 2010 in Washington zu Sexspielen gezwungen worden. Eine andere Frau soll laut Spiegel online gewalttätige und »bestialische« Sexpraktiken während der Partys beschrieben haben.

Bezeichnend ist, welche Urteile und Meinungen über diese Vorfälle publiziert werden. In Endlosschleife werden sexistische Denkmuster verbreitet – und die Dinge selten beim Namen genannt, sondern mittels Euphemismen verschleiert. So wird eine Vergewaltigung nie als Verbrechen bezeichnet, sondern als »Sittenaffäre«. Der Tatbestand wurde zu einer Privatangelegenheit heruntergestuft, die die Gesellschaft nichts angeht. Kurz nach der Verhaftung von »DSK« in New York verfuhren mehrere namhafte Zeitungen nach der Devise, die die linksliberale Libération ausgab: »Information hört an der Schlafzimmertür auf«. Gleichzeitig wurde die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den Puritanismus der US-Amerikaner und das Aufbauschen von Sexskandalen durch die dortige Sensationspresse gelenkt. Strauss-Kahn, las man, sei kein Vergewaltiger, sondern ein »Libertin«, »Schürzenjäger«, »Verführer« (wenn wohl auch ein recht plumper) – alles, nur kein Krimineller. »Das ist nicht sein Stil«, hieß es über diese Spitzenkraft des französischen Establishments. Jean-François Kahn, Gründer der linken satirischen Wochenzeitung Marianne, äußerte im Rundfunk, er könne sich nicht vorstellen, »daß es einen Vergewaltigungsversuch« von seiten Strauss-Kahns gegeben hätte, sondern höchstens eine »Leichtsinnigkeit«, eine »Troussage de domestique« – sinngemäß: ein »Der-Zofe-unter-den-Rock-Greifen«. Ausgerechnet Kahn verharmloste so das alte, brutale Herrenrecht als Kavaliersdelikt.

Sexuelle Gewalt wurde auch von anderen immer wieder zu einer erotischen Spielart heruntergestuft. Daran hat sich trotz der Zunahme von Berichten über das Doppelleben der männlichen Elite wenig geändert. Frankreichs Feministinnen haben jedoch mit Nachdruck in die Debatte eingegriffen. Die Genderforscherin Christine Delphy ist daher optimistisch, daß es »ein Vor und ein Nach DSK« gibt. »Das ganze Land wurde von der schnellen Antwort der Feministinnen nicht weniger durchgerüttelt als vom Sexismus seiner ›Freunde‹«, meint sie. Frankreich hat trotzdem wohl noch einen weiten Weg vor sich, wenn es um die sexuelle Gleichheit geht.

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