Haudraufundschluß
Alis Auftritt vor olympischer Fahne
Von Colin Goldner
Wie pervers war das denn? Nein, nicht der Blick in die königliche Loge mit all den Geisterbahnfiguren, die da rumstanden – das war nur gruselig. Auch nicht Mr.Bean, der, haha, beim Auftritt des London Symphony Orchestra herumblödelte – das war nur, ja eben, blöde. Nein, pervers war der Auftritt des Muhammad Ali, des einstmals »Größten«, der die Eröffnungsfeier der XXX. Olympischen Spiele emotional unterfüttern sollte.
Ali, der unter fortgeschrittener Demenz leidet und augenscheinlich keine Ahnung hatte, wo er sich gerade befand, wurde vorgeführt wie ein Zirkusaffe: In weißem Frack tapperte er am Arm seiner Frau Lonni zur Olympischen Fahne, die an ihm vorbeigetragen wurde, um den geheiligten Wedel kurz zu berühren. Wow, welch ein »Gänsehautmoment für die 62000 Zuschauer im Olympiastadion und geschätzte vier Milliarden am TV«, wie die internationale Journaille jubilierte.
Nein, es war einfach nur pervers. So wie es auch 1999 grotesk war, als das Internationale Olympische Komitee Muhammad Ali zum »Sportler des Jahrhunderts« kürte. Ali ist allenfalls das »Sportopfer des Jahrhunderts«, er leidet nicht an der Parkinsonschen Krankheit, wie immer wieder behauptet wird, vielmehr leidet er am sogenannten »punch-drunk-syndrom«, einer chronisch traumatischen Enzephalopathie als Folge der zahllosen Schläge gegen den Kopf, die er im Laufe seiner Karriere bezogen hat. Symptome dieser unter Medizinern als »Dementia pugilistica« bekannten neuralen Dysfunktion sind fortschreitende Einschränkungen der Motorik, der Sprechfähigkeit und der Kognition. Die Schädigungen des Gehirns sind irreversibel.
Die Behauptung, Ali leide nicht an diesem unter Ex-Boxern weitverbreiteten Verblödungssyndrom, sondern »nur« an Parkinson, wurde und wird wesentlich von Ehefrau Lonni gestreut, die ein »Muhammad Ali Kulturzentrum« in Louisville / Kentucky betreibt und fleißig Spenden einsammelt. »Muhammad ist so überwältigt«, flötete sie in alle Mikrophone, die ihr hingehalten wurden, was wohl heißen sollte, er sei zu überwältigt, als daß er was sagen könne. Nein, er kann nichts mehr sagen, weil sein zermatschtes Gehirn das nicht mehr zuläßt. Eine Tragödie, ja, zumal Ali gesellschaftspolitisch viel bewegte in den Jahren nach seinem Olympia-Sieg von 1960, aber keine, die vom Himmel gefallen ist, sondern das Ergebnis zahlloser Kämpfe im Boxring darstellt.
Schon am Tag nach dem umjubelten Auftritt Alis bei der Eröffnungsfeier begann das Olympische Boxturnier, bei dem sich junge Männer – erstmalig diesmal auch Frauen – gegenseitig auf die Glocke hauen. Ein paar davon werden mit Medaillen dekoriert nach Hause fahren, was sie aber nicht dagegen feit, eines Tages genauso starr im Rollstuhl zu sitzen, wie der ehedem »Größte«, der ein Mahnmal sein sollte für den Irrwitz dieser als Sport kaschierten Schlägerei