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die Bildzeitung-die Kultur des Ressentiments
in Gesellschaft 22.06.2012 21:59von Lisadill • 744 Beiträge
Menschenjagd für Auflage
Die Kultur des Ressentiments – das Markenzeichen der Bild. Das eigentliche Problem ist aber nicht das Boulevardblatt – es sind seine Sympathisanten
Von Wolfgang Storz
Ist Bild ein Riese oder nur einer, der auf tönernen Füßen steht? Es kann unterstellt werden: Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Springer-Konzerns, und Kai Diekmann, Herausgeber und Chefredakteur des Blatts, wollen mit ihm die politische Agenda dieser Republik mitbestimmen.
Bild inszeniert sich – das ist der wichtigste Punkt – als Stimme des deutschen Volkes. Immer noch mit einem gewissen Erfolg: 1985 gingen täglich etwa 5,5 Millionen Menschen an den Kiosk und holten sich die Tagesausgabe, heute sind es noch knapp 2,7 Millionen. Wie geht das? Damit das Volk »seine Stimme« auch kauft, muß der Preis klein, der Vertrieb perfekt und die Machart aufmerksamkeitsstark sein. Deshalb arbeitet Bild ganz selbstverständlich sehr oft mit den Instrumenten der Werbung, seltener mit denen des Journalismus. Und: Um die freie Kaufentscheidung zu ihren Gunsten ausfallen zu lassen, wenden die Redakteure Methoden an, die – gemessen an Werten von Aufklärung und Emanzipation – Gutes behindern und Schlechtes befördern. Das gilt publizistisch wie politisch.
Der zweite Chefredakteur Rudolf Michael (1952 bis 1959) hat das Konzept präzisiert, das im Kern bis heute das Blatt prägt: »Wir glauben, das aussprechen zu können, was Millionen in Deutschland fühlen, ohne daß ihnen im Augenblick die Worte zu Gebote stehen, mit denen man so etwas verständlich machen kann.« Heute preist sich Kai Diekmann so als Volksthermometer an: »Bild mißt die Temperatur im Lande. Wenn Zeitungen wie die FAZ schreiben, was passiert, dann schreiben wir, wie das, was passiert, sich anfühlt.« Aus dieser Gefühlswerkstatt stammen dann Wörter wie Döner-Mord, Pleite-Grieche, Teufels-Killer, Boxen-Luder ...
Bild schürft täglich tief – mit Können, Akribie, inzwischen großer Erfahrung – im Gefühlshaushalt der deutschen Nation nach Stereotypen, Vorurteilen und Abneigungen, um ihn auszuplündern. So wie das Blatt Anfang 2010 in der Griechenland- und Euro-Krise eine Kampagne gegen die Griechen führte, so wurden früher Kriege vorbereitet. Die Redaktion erfindet Ressentiments nicht, aktualisiert und radikalisiert sie jedoch, verleiht ihnen Ausdruck, verhilft ihnen damit zu gesellschaftlicher Macht, nimmt so Einfluß darauf, was als Normalität gilt.
Wir alle unterscheiden: Was kann der, wie sieht die aus, woher kommt der, warum hat die mehr Erfolg als ich. Unterscheiden gehört zu unserem Alltag. Bild macht daraus jedoch eine Waffe im Dienste des Ressentiments, um so maximale Aufmerksamkeit für sich zu erregen: Sie macht aus den Unterschieden Auf- und Abwertungen – der gute weiße Deutsche und der böse schwarze Ausländer, der rücksichtslose Faule und der fleißige Gute, der Allah-gläubige Frauenzerstückler und der autoritäts- und rechtsgläubige katholische Steuerzahler. Weil Bild Menschen auf- und abwertet wie Ratingagenturen Staaten, steckt für die Gesellschaft Zündstoff in diesem Geschäft. Diekmann fuchtelt täglich mit dem Benzinkanister. Wenn viele Menschen Angst haben, die Reichen zu reich, die Armen zu arm sind, wenn Sicherheiten schwinden, Konflikte schärfer werden, dann kann ein inszeniertes System aus Abwertungen in kurzer Zeit Minderheiten zu gehetzten Sündenböcken machen, kann morgen die Quoten- und Auflagenjagd via Abwertungsrigorismus von heute bereits Menschenjagd sein. Bild als menschen- und kulturverachtende Litfaßsäule.
Nun ist die Frage: Warum hat ein solches Blatt überhaupt Macht, und wenn ja, wieviel? Macht hat Bild, weil die anderen der Gazette diese Macht zubilligen. Weil Teile der Bevölkerung glauben, daß die Sensationspresse Einfluß auf die Politik hat und diese wiederum glaubt, Bild verkörpere Einstellungen und Denken von Volksmehrheiten und habe zudem Einfluß auf sie. Dazu eine Frage: Bild behauptet, Volkes Stimme zu sein und verkauft gerade noch 2,7 Millionen Exemplare in einem 80-Millionen-Einwohner-Land, in dem zunehmend mehr Nationalitäten leben. Ist dieser Anspruch nicht von vornherein irre? Solange jedoch alle ob dieser Anmaßung in Ehrfurcht erstarren und nicht in Hohngelächter ausbrechen, so lange hat das Blatt Macht.
Noch eine Frage: Warum glauben denn viele Politiker, Bild werde wegen seiner politischen Themen und Kampagnen gekauft? Das ist durch nichts belegt; das Gegenteil allerdings auch nicht. Mehr spricht dafür, daß das Springer-Organ vor allem wegen seiner Sportberichte, der Unterhaltung und seiner Rolle als Ratgeber für den Alltag Aufmerksamkeit erntet und gekauft wird. Mit anderen Worten: Die Macht von Bild beruht allein auf Inszenierung. Und mit der Zunahme oder Abnahme des Glaubens daran ist sie riesig oder steht auf tönernen Füßen.
Das Problem: Der Glaube an diese inszenierte Macht wird fester. Bild wird mehr denn je ernstgenommen – von den Journalisten und den Eliten dieses Landes. Die Gazette ist nicht mehr in der »Schmuddelecke«, sie ist kein »Outlaw« mehr. Sie genießt mehr denn je Reputation, und Reputation bedeutet Einfluß. Kaum ein Sportler, Künstler, Politiker und Manager, der sich einer Imagekampagne von Bild verweigert – die wenigen, die es tun, sind an einer Hand abzuzählen. Sie ist in der Medienbranche und unter Journalisten längst zum Leitmedium aufgerückt. Das belegen wissenschaftliche Umfragen, das symbolisieren die renommierten Journalistenpreise, die Bild inzwischen immer wieder verliehen bekommt; von Jurys, in denen Chefredakteure der angesehensten und einflußreichsten Medien sitzen. Der ehemalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder adelte das Blatt, von Angela Merkel ist bekannt, sie achte auf jede Bild-Regung. Mitarbeiter dieser Redaktion machen seit Jahren selbstverständlich Karrieren als Chefredakteure von angesehenen Regionalzeitungen, gelangen in führende PR- oder Pressesprecherpositionen, ob im Kanzleramt, bei Unternehmen oder in Gewerkschaftszentralen.
Wenn Bild überhaupt ein Problem für diese Republik ist, dann ist es nicht das Blatt selbst. Es sind die Sympathisanten. Denn sie erst verleihen der Bild-Kultur des Ressentiments Wirkung und Weihen.
Wolfgang Storz war von 2002 bis 2006 Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, an der die SPD-Medienholding beteiligt war. Auf Betreiben von SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier wurde er entlassen. Sie hatte von ihm vergeblich eine negative Berichterstattung über die Linkspartei verlangt.
Im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung hat Storz gemeinsam mit Hans-Jürgen Arlt die Studien »›Bild‹ und Wulff – Ziemlich beste Partner« sowie »Drucksache Bild – eine Marke und ihre Mägde« verfaßt. (www.bild-studie.de)
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