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Verdrängte Lehrer
Eine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste zeigt John Cage im Kontext der bildenden Kunst
Von Florian Neuner
Noch nie sind einem Exponenten der musikalischen Nachkriegs-Avantgarde so große, weltweite Huldigungen zuteilgeworden wie John Cage (5.9.1912–12.8.1992) im Jahr seines 100. Geburtstags. Dies liegt an der enormen Anschlußfährigkeit seines Œuvres in so gut wie alle Richtungen und in allen Künsten. Man muß nicht einmal Werke des US-Amerikaners kennen, um mitreden zu können, Stichworte genügen: »4’33’’«, präpariertes Klavier, alles ist Musik, »I Ching«, der Zufall entscheidet. Cage hat mit seinem Denken und seinen Konzepten zweifellos stärker gewirkt als mit seiner Musik. Sein entwaffnender Gleichmut und sein unbedingter Wille, sich mit Geschmack und Urteilen ganz zurückzunehmen, scheinen zudem jegliche Aneignung zu legitimieren. Und Cage war auch ein großer Pragmatiker: Für Hausbesetzer in Hanau komponierte er ebenso wie für das Arditti Quartet, sein Werk inspirierte marxistische Deutungen ebenso, wie es Sinnsucher jeder Couleur und Esoteriker der Stille auf den Plan rief.
Die Berliner Akademie der Künste hat bereits im vergangenen September mit ihrem einjährigen Cage-Marathon begonnen und im Haus am Hanseatenweg einen »Raum für John Cage« eingerichtet. Dort fand schon eine Reihe bemerkenswerter Aufführungen statt, allein, was bisher zu sehen war, hinterließ einen eher zwiespältigen Eindruck: Eine Xenakis-Ausstellung war eher notdürftig zu einer Ausstellung über Iannis Xenakis und Cage erweitert worden, Akademiemitglieder setzten sich unter dem Deckmantel Cage vor allem selbst in Szene. Aber all das ist längst vergessen, jetzt leistet die Akademie mit einer von Wulf Herzogenrath kuratierten Ausstellung über den bildenden Künstler John Cage einen wirklich substantiellen Beitrag zum Jubeljahr. Der langjährige Leiter der Bremer Kunsthalle darf als der beste Cage-Kenner unter den Museumsleuten gelten, zeigte 1978 in Köln die erste Einzelausstellung Cages in Europa und betreute 1987 seine Klanginstallation auf der documenta 8. Seine Berliner Cage-Schau beleuchtet nun vor allem die Anfänge dieses Komponisten, der auch bildender Künstler und viel mehr war, neu.
John Cage war kein die Grenzen zwischen den Künsten überschreitender Avantgardist im geläufigen Sinne. Seine konzeptuellen Arbeiten seit den fünfziger Jahren setzen auf einer abstrakten Ebene an, die an kein Medium gebunden ist. Mit seinen Zufallsoperationen konnte er Tonfolgen genauso festlegen wie Buchstabenkombinationen oder die Verteilung von graphischen Zeichen auf dem Papier. Begonnen hat Cage in den 1930er Jahren freilich als Maler. Über diese Anfänge in Kalifornien ist wenig bekannt, und so muß die Ausstellung mit einer Leerstelle beginnen. Herzogenrath berichtet, daß Cage sich auf direkte Nachfragen einsilbig zeigte und dieses Frühwerk offenbar vergessen machen wollte. Der Initiationsmythos seiner Künstlerwerdung ist vielmehr das immer wieder kolportierte Versprechen, sein Leben der Musik zu widmen, das er Arnold Schönberg 1935 gegeben haben will. Im selben Jahr schrieb Cage allerdings auch – auf Deutsch – an Alexej von Jawlensky, von dem er um 25 Dollar ein kleines Bild gekauft hatte: »Sie sind mein Lehrer.« Auch später, in New York, dominierten bildende Künstler seinen Freundeskreis.
John Cage, lachend, New York, 1990
Foto: Wulf Herzogenrath
Das von Emigranten geprägte kulturelle Klima Kaliforniens und eine frühe Europa-Reise bringen Cage in Berührung mit den Bauhaus-Ideen und Dada, mit den Malern des »Blauen Reiter« und Oskar Fischinger. Eine wichtige Rolle spielt auch die von Eugene Jolas edierte Zeitschrift Transition, in der Kurt Schwitters und Hugo Ball ebenso abgedruckt sind wie »Finnegans Wake« von James Joyce als work in progress, Arbeiten von László Moholy-Nagy und Marcel Duchamp. Das Schöne an der Berliner Ausstellung ist nun, daß diese Bezüge durch Gegenüberstellungen wirklich vor Augen geführt und nicht nur in Begleittexten behauptet werden. An einer Wand etwa verwirren sich suggestiv Knoten- und Knäuelstrukturen von Cage, Paul Klee und Anni Albers. Besonders Anni und Josef Albers, der oft auf seine Quadrate reduziert wird, werden hier als wichtige Ideengeber präsentiert. Die Einflüsse der Maler Mark Tobey und Morris Graves, die Cage Ende der dreißiger Jahre in Seattle traf, werden vorgeführt, außerdem ist die documenta-Klanginstallation in verkleinerter Form erlebbar.
Wulf Herzogenrath streicht heraus, daß es sich bei der Berliner Präsentation – aus Raum- und Geldnot – nur um die »Skizze« zu einer Ausstellung handelt, die im Sommer in Salzburg weiter entfaltet wird. Dort wird dann auch ein »Museumscircle« in Szene gesetzt, in dem der Kurator Cages radikalstes Konzept erblickt – in dessen Konsequenz die Rolle der Kunsthistoriker und Kuratoren in Frage gestellt, wenn nicht ganz abgeschafft wird: Nach dem Zufallsprinzip und kommentarlos werden Exponate verschiedenster Museen – und eben nicht nur aus Kunst-, sondern auch aus naturhistorischen und anderen Museen – durcheinandergewirbelt. Seinen Reim darauf muß sich der Betrachter dann schon selbst machen. Um die Befreiung des Interpreten und des Hörers war es dem Komponisten Cage ja auch immer gegangen. Wir sollten in diesem Cage-Jahr auf den politischen Gehalt vergessen, den Heinz-Klaus Metzger in seinem allerersten Aufsatz über Cage 1959 so pointierte: »Die Idee der Freiheit wird als Theaterstück vorgespielt – draußen gälte es unterdessen den Dirigenten umzubringen und die Partitur zu zerreißen, nach der die Welt sich aufführt.«
»›John Cage und …‹. Bildender Künstler – Einflüsse, Anregungen« noch bis zum 17. Juni in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Berlin-Tiergarten, ab dem 14. Juli im Museum der Moderne, Salzburg
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