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ich stelle das unter Glueck rein weil ich finde das Menschen mit diesem Syndrom eine Bereicherung sind und man sich einiges von Ihnen abkucken kann..emotionale Integritaet
Langsam lernen
Heute rufen die Vereinten Nationen erstmals zum Welt-Down-Syndrom-Tag auf
Von Michael Zander
»Mehr ein Charakteristikum als eine Krankheit« – Pablo Pineda, spanischer Schauspieler und der erste Europäer mit Down-Syndrom, der einen Universitätsabschluß hat (Szene aus dem Film »Yo también« m
Aya Iwamoto studierte an der Frauenuniversität Kagoshima Englische Literatur und übersetzt heute Bücher aus dem Japanischen; der Spanier Pablo Pineda ist Lehrer für Pädagogische Psychologie und Sonderpädagogik; nebenberuflich war er als Schauspieler tätig. Francesco Aglio arbeitet als Ökonom und für eine Beratungsfirma im italienischen Cremona. Die Berufswege der drei gelten als sensationell, da Iwamoto, Pineda und Aglio bisher weltweit die einzigen bekannten Menschen sind, die mit einer sogenannten Trisomie 21 geboren wurden und über einen Hochschulabschluß verfügen. Die Träger der auch als »Down-Syndrom« bekannten chromosomalen Besonderheit galten über lange Zeit als kaum bildungsfähig. Die Erfolge der drei Akademiker, so außergewöhnlich und selten sie sind, zeigen jedoch, daß das Down-Syndrom individuell sehr verschieden ausgeprägt sein kann und daß in der Vergangenheit die Entwicklungsmöglichkeiten der Betroffenen vielfach zu pessimistisch eingeschätzt wurden. Beeinträchtigungen sind eben nicht nur durch die Trisomie 21 verursacht, sondern oft auch die Folge gesellschaftlicher Ausgrenzung und mangelnder Förderung.
Anerkannte Würde
Die UNO hat den heutigen 21. März zum mehrfachen Feiertag erklärt. Begangen werden nicht nur der internationale Nouruz-Tag – Nouruz (auch: Newroz) ist im Iran, in Kurdistan und anderen Ländern der Region das Neujahrsfest – und der Tag für die Abschaffung der Rassendiskriminierung, sondern auch der Welt-Down-Syndrom-Tag (WDSD). 1995 richtete die Organisation Down Syndrome International erstmals den WDSD aus, 2011 übernahmen die Vereinten Nationen diesen Termin. In einer Resolution der UNO-Vollversammlung vom 19. Dezember heißt es, das Syndrom sei »eine natürlich auftretende chromosomale Anlage«, die stets ein Teil der Menschheit war, die weltweit existiert und die für die Individuen verschiedene Folgen hat in bezug auf die Art zu lernen, auf körperliche Charakteristika oder die Gesundheit. Für die Entwicklung der Individuen seien Frühförderprogramme und inklusive, d.h. eine auf die Bedürfnisse aller Kinder abgestimmte Bildung entscheidend. Man erkenne die Würde von Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen ebenso an wie deren Recht auf persönliche Autonomie und deren wertvolle Beiträge für das gesellschaftliche Wohlergehen. Ziel des WDSD sei es, für das Down-Syndrom zu sensibilisieren.
Man kann den heutigen Tag zum Anlaß nehmen, um nach der Geschichte des einst so genannten »Mongolismus« zu fragen und die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Menschen mit dieser Behinderung heute in der BRD leben, kritisch zu beleuchten. Dabei wird man auf eine paradoxe Entwicklung der letzten Jahre eingehen müssen: Einerseits sieht es so aus, als würde Diskriminierung mehr und mehr überwunden, als erführen Menschen mit Down-Syndrom zunehmend öffentlichen Respekt und als verbesserten sich stetig ihre gesellschaftlichen Möglichkeiten; andererseits sinkt ihre Zahl immer weiter, weil Schwangerschaftsabbrüche bei Trisomie 21 üblich geworden sind und die Anstrengungen, die für immer bessere pränatale Diagnoseverfahren aufgewendet werden, entsprechende technischen Möglichkeiten bereitstellen.
Vom Optimismus zur »Euthanasie«
Der Name des Syndroms geht auf den britischen Arzt John Langdon Down (1828-1896) zurück, der 1866 in den London Hospital Reports erstmals auf einen »mongolischen Typ der Idiotie« aufmerksam machte. Down schlug vor, die »Schwachsinnigen« (feeble-minded) um »ethnische Standards« herum zu gruppieren. Unter ihnen gebe es »Kaukasier«, »Äthiopier«, »Malaien« und, wie er hervorhebt, Mitglieder der »großen mongolischen Familie«. Der Umstand, daß europäische Eltern Kinder bekommen könnten, die aussähen wie Mongolen, sei von »philosophischem Interesse«: Es gebe in der Fachöffentlichkeit die Tendenz, so der Arzt, verschiedene »Rassen« nicht als Varianten einer gemeinsamen »Menschheitsfamilie« zu betrachten, sondern deren Verschiedenheiten auf unterschiedliche Ursprünge zurückzuführen und nicht etwa auf klimatische Bedingungen. Wenn aber die »großen rassischen Unterteilungen fixiert und definitiv« seien, fragt der Autor, wie sei es dann möglich, daß Krankheiten diese Grenzen niederreißen könnten? Das Auftreten von »Degenerationen« quer zu den »Rassengrenzen«, so sein Fazit, liefere Argumente, die eine »Einheit der menschlichen Art« unterstützen.
Die Bezeichnung des »Mongolismus« geht also auf das Mißverständnis zurück, das der von Down vorgeschlagenen »ethnischen Klassifikation« zugrundeliegt. Der Begriff wurde bis in die 1980er Jahre verwendet, obwohl die Mongolische Volksrepublik bereits 1965 bei der Weltgesundheitsorganisation WHO seine Ersetzung anmahnte.
Aus heutiger Sicht ist Downs Charakterisierung »mongolischer« Kinder zweifellos sehr holzschnittartig und unbefriedigend. Aber immerhin finden sich in seinem Text auch positive Eigenschaften und Hinweise auf einen für die damalige Zeit bemerkenswerten therapeutischen Optimismus. Die von ihm beobachteten Kinder hätten eine »beträchtliche Fähigkeit zur Imitation«, die an Schauspielerei grenze; sie seien humorvoll und hätten einen »Sinn für das Lächerliche«. Aufgrund ihrer »dicken Zunge« sei ihre Sprache oft undeutlich, was aber durch »Zungengymnastik« gebessert werden könne; ihre motorischen Fähigkeiten seien beeinträchtigt, aber auch diese könnten durch Übung enorm gestärkt werden. Down selbst erzielte große praktische Erfolge, wenn er im Royal Earlswood Asylum nahe London und später im eigenen Normansfield Trainings Institute »mongolischen« Kindern aus Proletariat und Bürgertum Lesen, Schreiben oder auch das Spielen eines Musikinstruments beibrachte.
Wie die Biologin und Medizinhistorikerin Katja Weiske in ihrem Buch über »Die ärztliche Sicht auf Menschen mit Down-Syndrom« (Göttingen 2008) herausgearbeitet hat, verfolgten die publizierenden Ärzte gegen Ende des 19. Jahrhunderts diesen Ansatz nicht weiter, sondern zeichneten ein sehr viel negativeres und ressentimentgeladenes Bild des Syndroms. Sie stellten ihre Patienten auf die Stufe von Primaten und nannten sie »orangoid«, Förderversuche wurden als »reine Zeitverschwendung« abqualifiziert. Nach dem Ersten Weltkrieg gewannen »rassenhygienische« Forderungen starken Einfluß unter Medizinern. Ein über lange Zeit als »Standardwerk« geltendes deutsches Lehrbuch von 1923 diskutiert bereits den »humanen Gnadentod« für die angeblich »unglücklichen Geschöpfe«. Bekanntlich setzten die Nazis solche Ideen in die Tat um. Zwischen 1933 und 1945 wurden Menschen mit Down-Syndrom zwangssterilisiert und im Zuge von »Euthanasie«-Aktionen ermordet. Die genaue Zahl der Opfer ist bislang nicht bekannt, insgesamt wurden mindestens 160000 Kranke, Behinderte und »Asoziale« getötet. Soweit die Täter in der BRD überhaupt gerichtlich belangt wurden, kamen sie meist mit geringfügigen Gefängnisstrafen davon.
Eine Frage der Selbstachtung
»Unzumutbar«? – Sozialer Druck sorgt für eine starke Zunahme von Schwangerschaftsabbrüchen bei einer Down-Diagnose (Material für Pränataldiagnostik mittels Bluttest)
Foto: Reuters
Die Ursache des Down-Syndroms wurde erst ein knappes Jahrhundert nach dessen klinischer Erstbeschreibung entdeckt. Down hatte bereits erkannt, daß der »Mongolismus« angeboren war, wenngleich es mit einer größeren Anfälligkeit durch bestimmte erworbene Erkrankungen wie Tuberkulose einhergehe. 1959 wies der Genetiker Jérôme Lejeune (1926–1994) die sogenannte Trisomie 21 nach. Er zeigte, daß bei einem Menschen mit Down-Syndrom das Chromosom 21 dreifach statt doppelt in den Körperzellen zu finden ist. Die Trisomie kann von bestimmten Erkrankungen begleitet sein, etwa einem Herzfehler oder einer Beeinträchtigung des Gehörs, die aber mittlerweile medizinisch gut zu behandeln sind. Die Wahl des 21.3. zum WDSD spielt übrigens auf die Verdreifachung des Chromosoms 21 an.
Wie bei Katja Weiske nachzulesen ist, wurde die unter Medizinern international übliche »therapeutische Resignation« bezüglich des Down-Syndroms in den 1970er Jahren allmählich überwunden. In damaligen Lehrbüchern betonen Autoren einerseits die Notwendigkeit von Förderung, andererseits warnen sie vor einer belastenden »Therapie rund um die Uhr«. Allerdings dominiert immer noch ein medizinisch verengter Blick auf tatsächliche oder vermeintliche Defizite.
Heute ist es sehr fraglich, ob »geistige Behinderung« eine geeignete Bezeichnung für das Down-Syndrom ist. Umstritten ist dieser Begriff nicht nur deshalb, weil die Betroffenen sehr unterschiedliche kognitive Fähigkeiten haben können und die von ihnen besuchten Bildungsinstitutionen von Sonder- über Regelschulen bis hin zu – in den oben genannten seltenen Fällen – Universitäten reichen können. Die Organisation Mensch zuerst (People First) kritisiert die Sammelbezeichnung für verschiedene Beeinträchtigungen grundsätzlich: »Früher hat man uns viele Namen gegeben: Irre, Idioten, Geisteskranke oder Schwachsinnige. Diese Wörter sind sehr schlimm. Sie machen uns schlecht. Später hat man uns den Namen ›geistig Behinderte‹ gegeben. Man hat gemeint, der Name ist besser als die anderen Wörter. Wir (…) finden, daß die Wörter ›geistig behindert‹ uns auch schlecht machen. Sie passen nicht dazu, wie wir uns selbst sehen. Bei den Worten ›geistig behindert‹ denken viele Menschen, daß wir dumm sind und nichts lernen können. Das stimmt nicht. Wir lernen anders. Wir lernen manchmal langsamer oder brauchen besondere Unterstützung. Deshalb wollen wir Menschen mit Lernschwierigkeiten genannt werden. Wir fordern, daß die Wörter ›geistig behindert‹ nicht mehr benutzt werden!«
Man sollte diese Stellungnahme nicht als Ausdruck einer »political correctness« abtun, eine Reaktion, die ohnehin oft konservative Implikationen birgt. Es ist eine Frage der Selbstachtung, mit Namen und Bezeichnungen angesprochen zu werden, in denen man sich wiedererkennen kann. Zudem muß berücksichtigt werden, daß die alten Begriffe auch eine allgemeine Erkenntnisschranke repräsentieren, wurden sie doch zu einer Zeit geprägt, in denen man die gesellschaftliche Dimension von kognitiven Behinderungen radikal unterschätzte oder gänzlich negierte.
Mediale Wahrnehmung
Erst in den letzten Jahren setzt sich in der Öffentlichkeit langsam die Einsicht durch, daß Menschen mit Down-Syndrom nicht nur Patienten sind, deren Angelegenheiten bloß Fachleute etwas angingen. Als wichtige Entwicklungshilfe für die gesellschaftliche Wahrnehmung fungiert die zunehmende mediale Präsenz der mit dem zusätzlichen Chromosom Geborenen. Bekannt wurden dem deutschen Publikum beispielsweise die bereits 1988 gegründete Hamburger Band Station 17, die Berliner Theatergruppe RambaZamba oder die Schauspielerin Juliana Götze und ihr Auftritt in der Fernsehserie »Polizeiruf 110«.
Besonders hervorzuheben ist die Zeitschrift Ohrenkuss – da rein, da raus, die zweimal im Jahr erscheint und von Menschen mit Down-Syndrom produziert wird. Für den heutigen Tag ist ein Heft zum Thema »Skandal« angekündigt, das Beiträge zur SPD, Prinzessin Diana und zu der Frage enthält, ob auch Männer Putzfrauen sein können. 2005 reiste die Redaktion in die Mongolei und berichtete später in zumeist diktierten Texten über ihre Erfahrungen. Angeführt wird das Heft von einem literarischen Zitat: »›Wie traurig muß es sein‹, sagte die Frau, ›nicht als Mongole geboren zu sein!‹ – ›Gewiß‹, bestätigte der Alte, ›es ist ein Unglück; aber welch ein Glück für ihn, daß er den Weg zu uns gefunden hat!‹« Silvia Jasmin Krüger erzählt im Ohrenkuss über das Bogenschießen: »Bevor ich geschossen habe, hat Katja mir den Deel (einen mongolischen Mantel – d. A.) angezogen. Der ist blau mit Blumen drin. Ich hab’s zum ersten Mal an. Ich fühlte mich wohl und edel (…). Am Arm ist ein Seil geschnürt. Und dann habe ich geschossen. Ich hab eigentlich nicht geglaubt, daß ich schießen kann. Ich habe nie geglaubt, daß ich Kraft habe. Ich bin wirklich stolz.« Und bei Angela Fritzen heißt es: »Zuerst haben die Männer (…) geschossen. Und wir haben zugeguckt, wie die Männer schießen. Danach kamen die älteren Frauen dran. Und die jüngeren Frauen kamen danach. Und ich kam erst als letzte dran. Weil ich die jüngste bin. Die haben anders die Bogen geschossen. Andere Haltung. Zuerst habe ich meine Version gemacht, ein bißchen anders haben die das gemacht. Die ziehen die Sehne mit dem Daumen. (…) Bei uns ist der Pfeil auf dem Handrücken. (…) Ich schieße mit links. Weil ich Linkshändler bin.«
International für Aufsehen sorgte der Spielfilm »Yo, también« (dt. »Me too – Wer will schon normal sein?«, 2009), der durch die Biografie des Hauptdarstellers Pablo Pineda beeinflußt ist. Die Liebesgeschichte zwischen den mit unterschiedlich vielen Chromosomen ausgestatteten Arbeitskollegen Daniel (Pineda) und Laura (Lola Dueñas) wird, wie Der Freitag (4.8.2010) schrieb, »weder auf asexuelle Weise ›herzlich‹ (…) noch übertrieben optimistisch erzählt (…). In der täglichen Arbeit haben Daniel und Laura Zeit für Beobachtungen, Zeit für gemeinsames Kopieren, Zeit für Fragen, für Blicke.« Jone Karres fügte in der jungen Welt (5.8.2010) hinzu, daß der Film über Humor verfügt. In der Tat. Laura, verlegen wegen der zwischen ihnen entstehenden Nähe: »Hast du es schon mal mit Prostitution versucht?« Daniel: »Meinst du, die Frauen würden mich bezahlen?«
Der Hauptdarsteller Pineda erklärt im Interview mit der österreichischen Presse (18.7.2010), er habe den Film auch deshalb gemacht, weil es zwar »viele medizinische Berichte« über Menschen mit seiner Behinderung gebe, aber »auf der affektiven Ebene des Mediums Film fast nichts …« Die Trisomie sei »viel mehr ein Charakteristikum als eine Krankheit. (…) Es war die Medizin, die damit begonnen hat, den Begriff im Diskurs als Krankheit zu prägen.« Gefragt nach seinem persönlichen Werdegang nennt er sich einen »großen Verteidiger der Integration behinderter Kinder in das öffentliche Regelschulsystem. Kein Kind mit Down-Syndrom sollte in eine Sonderschule abgeschoben werden.« Es stimme nicht, daß sie in Sonderschulen besser aufgehoben seien. »Diese Trennung dient doch allein dazu, diese Institutionen zu rechtfertigen. Den Betroffenen bringt das jedoch gar nichts. Ganz im Gegenteil: Für die Betroffenen ist es besser, wenn sie mit den anderen Leuten zusammen sind. Denn genau durch diesen Kontakt lernen sie. (…) All die Erfahrungen, die ich in meiner Kindheit und Jugend machen durfte, habe ich nur der öffentlichen Schule zu verdanken. (…) Nicht jeder Mensch mit Down-Syndrom kann studieren, aber er kann lernen. Und die jeweilige Grenze in dieser Hinsicht sollte nicht durch die Gesellschaft gesetzt werden …«
Während allerdings in Spanien und anderen Ländern etwa 85 Prozent aller Down-Kinder eine Regelschule besuchen, ist es in der BRD nur eine Minderheit. In Bremen gehen immerhin 45 Prozent der Schüler mit Förderbedarf mit ihren nichtbehinderten Altersgenossen zur Schule, in Niedersachsen sind es nur fünf Prozent. Der gemeinsame Unterricht wird hierzulande häufig nach der Grundschule abgebrochen, auch gegen den ausdrücklichen Wunsch der Kinder und der Eltern. Selbst da, wo »Inklusion«, also eine Schule für alle, angestrebt wird, fehlt es oft an den notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen, die eigentlich aus den Sonderschulen abgezogen und dorthin umgeleitet werden müßten.
Bluttest für das Glück?
Der zunehmend aufgeschlossenen Medienöffentlichkeit und den trotz des rückständigen Schulsystems verbesserten Fördermöglichkeiten scheint ein anderer Trend entgegenzustehen. Mindestens neunzig Prozent der schwangeren Frauen, die nach einer Pränataldiagnostik gesagt bekommen, ihr Kind werde eine Trisomie 21 haben, lassen einen Abbruch vornehmen – Tendenz steigend. Martin Spiewack vermutete in der Zeit (12.3.2009), dies sei vielleicht kein Widerspruch; Paare könnten einem Kalkül folgen: »Nach einer Abtreibung können wir es erneut versuchen und ein anderes, gesundes Kind bekommen. Ist der Mensch jedoch da, unternehmen wir alles, um ihm die Welt so weit wie möglich zu öffnen.« Was Spiewack weiter berichtet, ist mit dieser These allerdings kaum zu vereinbaren. Nicht eine scheinbare Nutzenmaximierung beschäftigt die Eltern nach der Diagnose, sondern begreifliche Emotionen, der erste Schock, Enttäuschung, Trauer, Wut, Schuldgefühle. Viele Ärzte raten zu einer Diagnostik, weil sie fürchten, im Fall eines behinderten Kindes haftbar gemacht zu werden. Oft legen sie Schwangeren einen Abbruch nahe, ungeachtet der Tatsache, daß schätzungsweise fünf bis 13 Prozent einen »falsch-positiven« Befund erhalten; in diesen Fällen wird eine Trisomie 21 diagnostiziert, die in Wirklichkeit gar nicht vorliegt. Versuchen die werdenden Eltern, sich selbst zu informieren, stoßen sie leicht auf eine Unmenge zirkulierenden Materials, das sich auf negative Aspekte wie gesundheitliche Risiken konzentriert. Die Alternative zum Abbruch kann oft erst erwogen werden, nachdem sich der unmittelbare Schrecken gelegt hat und die Vorfreude auf den Nachwuchs zurückkehren kann. Derartige Prozesse spielen mitunter auch nach der Geburt eine Rolle, wie die Literaturwissenschaftlerin Aya Iwamoto berichtet: »Meine Geburt muß eine sehr große Freude für meinen Vater und meine Mutter gewesen sein. Allerdings entwickelte ich die Gelbsucht und kam deshalb für ungefähr zwei Wochen in einen Brutkasten. Als wir das Krankenhaus verließen, teilte der Arzt meiner Mutter mit, daß ich das Down-Syndrom hatte. Meine Mutter sagt, sie kann sich nicht daran erinnern, wie sie nach diesem Schock nach Hause kam.«
Indes verspricht die biotechnische Industrie ein planbares Kind und verdient damit Geld. Für 2012 hat die Konstanzer Firma LifeCodexx die Einführung eines Bluttests angekündigt, der die Trisomie 21 zuverlässig bereits vor der zehnten Schwangerschaftswoche nachweisen soll. Gefördert wurde das Verfahren mit 300000 Euro vom Bundesforschungsministerium, im Rahmen des Programms »Kleine und mittlere Unternehmen – innovativ«. Während sich die Ministerin Annette Schavan (CDU) gegen die Präimplantationsdiagnostik bei künstlicher Befruchtung ausgesprochen hat, die nur wenige hundert Fälle im Jahr betrifft, unterstützt ihr Haus eine Technik, die viel weiterreichende Folgen haben wird. Dies betrifft nicht nur das Down-Syndrom, obwohl sich die Forschung von Life Codexx sich derzeit darauf konzentriert. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis andere genetische Charakteristika des Embryos auf diese Weise identifizierbar werden. Ein Mitarbeiter der Firma gab sich bei der Ankündigung im vergangenen Jahr neutral und erklärte: »Unsere Methode ist keine Aufforderung, das Kind abzutreiben, es geht nur darum, Klarheit zu schaffen.« Man fragt sich allerdings, wofür genau Klarheit erreicht werden soll. Die Planbarkeit des Lebens bleibt jedenfalls Fiktion. Kinder- und Elternglück kann der Bluttest nämlich nicht vorhersagen, dies hängt wesentlich von den gesellschaftlichen Verhältnissen ab.
Das Deutsche Down-Syndrom-Center will am heutigen UNO-Tag eine Postkartenaktion mit dem Titel »unzumutbar?« starten und zur öffentlichen Diskussion über die Pränataldiagnostik anregen. Erschwert werden solche Debatten regelmäßig durch das Auftreten von christlichen Fundamentalisten. Die »Lebensschützer« machen Stimmung gegen das Recht auf Abtreibung und bringen so auch fortschrittliche Kritik, die die Befürchtungen und Interessen der Schwangeren nicht einfach negiert, in den Verdacht, reaktionär zu sein.
Gefragt nach seiner Haltung zum Schwangerschaftsabbruch bei einer Down-Diagnose erklärte Pablo Pineda im Interview mit Welt online (10.6.2009): »Ich bin gegen die Abtreibung. Aber nicht aus moralischen Gründen, sondern aus Gründen der Erfahrung. Es sind harte Erfahrungen, aber extrem bereichernde, die man durch eine Abtreibung eines behinderten Kindes niemals erleben würde. Eltern mit Kindern, die ›anders‹ sind, verbessern sich auch als Eltern. Sie werden toleranter und solidarischer. Das ist doch eine Chance, die man nützen sollte. Die Auswahl des Kindes à la carte ist nicht gut. (…) Der Drang zur sozialen Homogenisierung ist ein Übel der Gesellschaft.«
Was der Welt-Down-Syndrom-Tag der Vereinten Nationen gegen dieses Übel auszurichten vermag, muß erst noch bewiesen werden.
Michael Zander ist Psychologe, Aktivist in der Behindertenbewegung und lebt in Berlin. Von ihm erschien zuletzt (zusammen mit Thomas Wagner): Sarrazin, die SPD und die Neue Rechte, edition ost, Berlin 2011, 9,95 Euro (auch im jW-Shop erhältlich)
Theaterrezension
18.03.2013 / Feuilleton / Seite 13Inhalt
Gib mir drei!
Ein neues Stück des Berliner Theaters RambaZamba über den Kinderwunsch von Menschen mit Trisomie 21
Von Anja Röhl
Das RambaZamba ist ein Theater, das Benachteiligte zu Subjekten ihres künstlerischen Handelns macht. Es hat viel erreicht: Menschen mit Down Syndrom wurden hauptberufliche und ernstzunehmende Schauspieler und Tänzer. Das Publikum hat nicht nur begriffen, daß diese Menschen ein Gewinn für die Welt sind; es ist ihm auch der Begriff »geistig behindert« fragwürdig geworden, weil die Spieler in der Lage sind, Repertoirestücke zu verinnerlichen, Musikinstrumente zu beherrschen und tiefe Ausdruckskraft auf die Bühne zu bringen. Das neue Stück »Am liebsten zu dritt« (Regie: Gisela Höhne) thematisiert nun die Problematik des Kinderwunschs dieser besonderen Menschen: Männer mit Trisomie 21 hält man für unfruchtbar, während man den Frauen meist ab dem zwölften Lebensjahr die Pille gibt, damit ja nichts passiere.
Eine Gruppe von Menschen mit Tiermasken überfällt ein Hotel und nimmt die Gäste als Geiseln. Dann Abreißen der Masken und wütend-kämpferischer Gesang: »Wir sind die mit der Drei, drei Ohren, Augen, Chromosomen – die, die nicht geboren werden sollen. Wir wollen nicht aussterben!« Dazu ein wilder Tanz.
Im Hotel residieren Direktoren, Manager, Politiker: DasÜberfallkommando jagt deren Frauen in Schlafhemdchen hinaus, fesselt die verdatterten Männer. Bald wird klar, um was es geht: Die Trisomie-Frauen wollen sich die fruchtbaren Männer als Samengeber ausborgen und mit ihrer Hilfe eigene Kinder zeugen, um den Abtreibungen entgegenzuarbeiten. Klingt makaber, wird aber sehr einfach und selbstbewußt mitgeteilt. Dazu ein Tanz, Musik, Kreuzberger Klänge: »Das ist unser Haus!« und die Melodie von »Wehrt euch, leistet Widerstand!« Der große, tiefe Wunsch nach einem Kind wird nachfühlbar, eine ergreifende Szene.
Daß die Frauen, die alle ihre Liebsten dabeihaben, nun aber mit diesen fremden Männern schlafen sollen, wird zum nicht einfach zu bewältigenden Problem. Zeugung läßt sich schwer von Sex und Sex schwer von Liebe und Zuneigung trennen. Annäherungsszenen, die von den Frauen ausgehen, sorgen für einen Spannungsbogen. Die an Stühle gefesselten Hotelmänner finden das Ganze allmählich gar nicht mehr so schlimm, damit sind Verwicklungen vorbestimmt. Wunderbare Szenen, in denen die Frauen ihre Reize und Verführungskünste ausspielen.
Am Ende ist das Werk irgendwie vollbracht. Eine der Trisomie-Frauen (wunderbar gegeben von Julia Goetze) hat sich aber doch ein wenig verliebt. Sie und der Mann kehren etwas traurig zu ihren angestammten Partnern zurück. Am Ende sieht man alle Trisomie-Schauspieler mit aus Gips gebastelten Babywickelkindern im Arm glücklich und stolz posieren. Einige der Kinder haben einen aufgemalten Kopf, einige zwei, einige drei Augen, was macht’s, die Menschen sind halt verschieden. Daran können nur Zwangsneuotiker etwas auszusetzen haben, die in diesem Theater aber sicher auch ihren Platz finden würden. Abschließend etwas zur Inklusion: »Wir sind wie ihr?/ Nein!/ Wir sind nicht wie ihr! / Wir sind anders und das wollen wir auch! (…) Wir wollen alles überfluten mit süßen Babys, die die DREI haben!«
Nächste Vorstellungen: heute, 12 Uhr, 19. bis 22.3., 19 Uhr
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