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Sozialforum in Porto Alegre versus Weltwirtschaftsforum in Davos
in News 24.01.2012 20:27von Lisadill • 744 Beiträge
Brutale Aggression«
Von André Scheer
Einwohner von Pinheirinho bringen sich vor der Militärpolizei in Sicherheit
Foto: Reuters
Im Schweizerischen Davos eröffnet Bundeskanzlerin Angela Merkel heute das »Weltwirtschaftsforum«, zu dem rund 2500 »Entscheidungsträger« erwartet werden. Im Mittelpunkt der Diskussionen in dem mondänen Kurort steht die Euro-Krise, während es »verhältnismäßig wenige Gespräche« zu sozialen Problemen und Umweltfragen geben wird, wie der Dekan der China European International Business School in Schanghai, John Quelch, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP einräumte.
Als Gegenveranstaltung zu diesem Bonzentreffen kamen am gestrigen Dienstag im brasilianischen Porto Alegre mehrere tausend Menschen zur Eröffnung des »Thematischen Sozialforums« zusammen. »Wir müssen die Welt neu erfinden. Von den etablierten Mächten haben wir keine wirksamen Antworten zu erwarten, « heißt es in dem Aufruf zu der Großveranstaltung, zu der insgesamt 30000 Teilnehmer erwartet werden, unter ihnen Staatspräsidentin Dilma Rousseff.
Überschattet wird das Sozialforum jedoch durch gewaltsame Auseinandersetzungen im gut 1000 Kilometer entfernten São José dos Campos, einer rund 600000 Einwohner zählenden Stadt im Bundesstaat São Paulo. Trotz eines entgegengesetzten Gerichtsurteils und Vermittlungsbemühungen der Zentralregierung begann die Militärpolizei am Sonntag, im dort gelegenen Pinheirinho gewaltsam eine seit acht Jahren bestehende Siedlung von 1500 Familien zu räumen. Dabei wurden Augenzeugenberichten zufolge mindestens drei Menschen getötet, unter ihnen ein kleines Kind. Zu den zahlreichen Verletzten gehörte auch der von Präsidentin Rousseff als Vermittler nach Pinheirinho geschickte Staatssekretär Paulo Maldos, der das Vorgehen der Polizei als »brutale Aggression« verurteilte. Die Bewohner der Siedlung wehrten sich mit Barrikaden, während die Beamten Jagd auf die »Anführer« der Widerstandsbewegung machten. Noch in der Nacht zum Dienstag kam es auch in benachbarten Stadtvierteln und Favelas zu Auseinandersetzungen. Autos, Geschäfte und Behörden gingen in Flammen auf. »Wir suchen derzeit nach Verschwundenen, Verletzten und eventuell weiteren Todesopfern«, berichtete ein Mitglied des linken Gewerkschaftsverbandes CTP-Conlutas der jungen Welt. Derzeit fehlt den Angaben zufolge von mehreren Aktivisten jede Spur, doch »die Militärpolizei weigert sich, Informationen über die Verschwundenen zu geben«. Die aus ihren Häusern vertriebenen Familien werden von den Behörden in einem Internierungslager festgehalten, Journalisten wird der Zugang verweigert.
Im Februar 2004 hatten sich in Pinheirinho zunächst rund 500 obdachlose Familien auf einem Grundstück des berüchtigten Finanzspekulanten Naji Nahas niedergelassen, der damals gerade wegen illegaler Finanzgeschäfte vor Gericht stand. Obwohl Nahas freigesprochen wurde, blieb er im Visier der Polizei und wurde 2008 im Rahmen einer Großoperation gegen Korruption und Veruntreuung öffentlicher Gelder erneut verhaftet. Mittlerweile ist er wieder auf freiem Fuß, der Prozeß gegen ihn ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Auf seine Freunde von der São Paulo regierenden rechtssozialdemokratischen PSDB kann sich Nahas aber offensichtlich trotzdem verlassen. Die mittlerweile 6000 Menschen, die auf dem sonst nicht genutzten Grundstück lebten und auf ihr in der brasilianischen Verfassung festgeschriebenes Recht auf Wohnraum pochen, sind Provinzgouverneur Geraldo Alckmin und Bürgermeister Eduardo Cury hingegen egal.
RE: Sozialforum in Porto Alegre versus Weltwirtschaftsforum in Davos
in News 27.01.2012 22:13von Lisadill • 744 Beiträge
»Das Stichwort von Porto Alegre ist Systemwechsel«
Das Weltsozialforum befaßte sich in dieser Woche mit nachhaltiger Entwicklung. Ein Gespräch mit Hugo Braun, Porto Alegre
Interview: Peter Wolter
Hugo Braun – z. Z. in der brasilianischen Stadt Porto Alegre – ist Mitglied im Koordinierungskreis des deutschen Zweiges von ATTAC
Das Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre versteht sich als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos und hat diese Woche zum elften Mal getagt. Worum ging es inhaltlich?
Die Teilnehmer haben sich damit befaßt, die für Juni angesetzte UN-Konferenz über Nachhaltige Entwicklung vorzubereiten. Sie ist als Nachfolgeveranstaltung des Umweltgipfels von 1992 geplant und soll ebenso wie dieser in Rio de Janeiro stattfinden. Es geht darum, zu bewerten, was sich in den vergangenen 20 Jahren in der Umweltpolitik getan hat – die Konferenz wird deswegen auch »Rio+20« genannt.
Kurz gesagt: Nachhaltige Entwicklung hat in dieser Zeit nicht stattgefunden, unsere Umwelt hat noch mehr Schaden genommen, die Armen sind noch ärmer und die Reichen noch reicher geworden. All das war in dieser Woche Thema in Porto Alegre.
Die Forderungen des Umweltgipfels von 1992 wurden also nicht ernst genommen. Meinen Sie, daß der Gipfel 2012 besser davon kommt?
Nicht unbedingt, wir haben auch keine allzu hohen Erwartungen. Ein Bericht, den die UN vorgelegt hat, fordert zwar eine »grüne Ökonomie« – die ist aber nichts anderes als ein grüner Anstrich für eine neoliberale Politik.
Der Hausherr des WEF, Klaus Schwab, hatte kürzlich in Davos mit seiner Erkenntnis Aufsehen erregt, der Kapitalismus habe in seiner gegenwärtigen Form ausgedient. Das ist nicht weit entfernt von Positionen, die auch auf dem Sozialforum eine Rolle spielen …
Schwabs Erkenntnis kommt reichlich spät, die sozialen Bewegungen und auch ATTAC wissen das seit langem. Es hat sich bei uns immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt, daß dieses Wirtschaftssystem nicht reparierbar ist und daß die sozialen Bewegungen keine Reparaturkolonnen des Kapitalismus sein dürfen. Das Stichwort heißt system change – Systemwechsel also.
Über das Weltsozialforum liest man in deutschen Medien recht wenig. Welche Resonanz hat es in Lateinamerika?
So weit ich das überblicken kann, ist es zumindest in den brasilianischen Medien ein Top-Thema.
Schlägt sich dieses Interesse auch in der Umwelt- und Sozialpolitik Brasiliens nieder?
Unsere brasilianischen Freunde sehen das kritisch – die Industriepolitik der gegenwärtigen Regierung ist alles andere als begrüßenswert. Der Regenwald z.B. wird weiter abgeholzt, es werden auch Staudämme gebaut, die nicht nur die Umwelt schädigen, sondern auch den Lebensraum der Urbevölkerung zerstören.
Wie wirkt das, was auf dem Sozialforum diskutiert wird, auf die sozialen Bewegungen ein?
Ich will keineswegs behaupten, daß die Diskussionsergebnisse die Volksmassen ergreifen. Die Diskussion findet natürlich überwiegend unter Intellektuellen statt – dazu zählen aber auch sehr viele Gewerkschafter. Die Beteiligung ist jedenfalls riesig, es dürften insgesamt wohl um die 40000 Menschen sein, die an den Veranstaltungen des Sozialforums in Porto Alegre selbst sowie in Nachbarstädten teilnahmen.
Welche Rolle spielt ATTAC in Porto Alegre?
Ich habe hier ATTAC-Freunde aus aller Welt getroffen. In den Veranstaltungen war ihre Kompetenz sehr gefragt – vor allem, wenn es um Finanzmärkte, den zusammenbrechenden Euro und um Strategien und Auswege aus der Krise geht.
Das Sozialforum sollte an diesem Samstag zu Ende gehen – gibt es eine gemeinsame Resolution?
Zum Abschluß wird mit Sicherheit ein Programm für die nachhaltige Entwicklung verabschiedet.
Resolutionen sind ganz nett – aber dienen sie nicht letztlich dazu, sagen zu können: Hauptsache, wir haben darüber geredet?
Das Alternativ-Programm der sozialen Bewegungen wird jedenfalls im Juni beim Umweltgipfel in Rio zur Diskussion gestellt.
Wie erklären Sie sich, daß die Sozialforumsbewegung in Europa nicht so richtig Fuß fassen konnte – anders als in Lateinamerika?
In Europa und speziell in Deutschland konnten wir uns bisher nicht auf gemeinsame Strategien einigen, das ist unsere Schwäche. Die sozialen Bewegungen auf unserem Kontinent bestehen aber aus vielen Einzelteilen, die durchaus aktiv und ständig präsent sind. An dem gemeinsamen Dach arbeiten wir noch.
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