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Gute Zeit für Reiche
Keine frohe Botschaft: Die Einkommensentwicklung in Deutschland signalisiert vertiefte soziale Spaltung. Wissenschaftler sehen Zusammenhang zur EU-Krise
Von Daniel Behruzi
Immer mehr Menschen in Deutschland sind arm trotz Arbeit, während die »Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen« überproportional steigen
Die Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich wachsen weiter. Diese unweihnachtliche Botschaft ist die Essenz des vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung vorgelegten »Verteilungsberichts 2012«. Die Autoren der in der Dezember-Ausgabe der WSI-Mitteilungen veröffentlichten Studie sehen einen Zusammenhang zwischen der wachsenden Ungleichheit hierzulande und den zunehmenden Ungleichgewichten innerhalb der Europäischen Union.
Im Aufschwung haben sich die Beschäftigteneinkommen auf den ersten Blick vergleichsweise positiv entwickelt. So sind die Bruttolöhne 2011 gegenüber dem Vorjahr nach Angaben des Statistischen Bundesamtes effektiv um drei Prozent gestiegen. Allerdings fällt dieser Wert mit 1,9 Prozent für sogenannte Minijobber deutlich niedriger aus. Zudem basiert die dreiprozentige Lohnsteigerung in Teilen auf überproportional erhöhten Sonderzahlungen, so daß die »reine« Zunahme bei 2,4 Prozent liegt. Da sich zur gleichen Zeit die Wochenarbeitszeit um 0,5 Prozent verlängert hat, beträgt die Erhöhung des Stundenverdienstes ohne Sonderzahlungen lediglich 1,9 Prozent – in Ostdeutschland nur 1,4 Prozent. Das bedeutet, daß die Schere zwischen Ost und West wieder weiter auseinandergeht. 2011 verdienten Ostdeutsche gut drei Viertel dessen, was ihre Kollegen im Westen pro Arbeitsstunde erhielten. Insbesondere in der ostdeutschen Industrie ist die Einkommenslücke gegenüber Westdeutschland deutlich gewachsen.
Arm trotz Arbeit
In den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen hat die Einkommensarmut – und das nicht einmal in erster Linie wegen der wachsenden Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse, sondern wegen der zunehmend schlechten Bezahlung in allen Beschäftigungsformen. Nach üblichen Meßstandards stieg die Armutsquote unter den hiesigen Beschäftigten zwischen 2004 und 2009 um 2,2 Prozentpunkte – und damit stärker als in der übrigen EU (außer Spanien). Mit einem Anteil von 7,1 Prozent der Beschäftigten, die in einem einkommensarmen Haushalt leben, liegt Deutschland inzwischen im europäischen Mittelfeld.
Der expandierende Niedriglohnsektor führt dazu, daß immer mehr abhängig Beschäftigte einen zusätzlichen Minijob ausüben müssen, um über die Runden zu kommen. Untersuchungen zeigen, daß der Zuwachs an Minijobs zwischen 2003 und 2011 zu 72 Prozent, seit 2006 gar vollständig auf diese Form der Nebentätigkeit zurückzuführen ist. Selbst mit dem zusätzlichen Einkommen bleiben die Betroffenen mit insgesamt 3035 Euro pro Monat aber noch unter dem Lohnmittel in »Normalarbeitsverhältnissen« von 3071 Euro (2010).
Die Einkommensspreizung nimmt zu. Das gilt zum einen innerhalb der arbeitenden Klasse. So wuchsen die Bruttomonatsverdienste aller Beschäftigten zwischen 2007 und 2011 um durchschnittlich 9,4 Prozent. Doch während leitende Angestellte mit 12,4 und herausgehobene Fachkräfte mit 9,8 Prozent über diesem Wert lagen, fiel das Lohnplus für Facharbeiter (8,3 Prozent) sowie Un- und Angelernte (8,0 bzw. 7,1 Prozent) unterdurchschnittlich aus.
Weitaus bedeutender ist aber zum anderen die langfristig wachsende Kluft zwischen Arbeitseinkommen und Gewinnen: 1991 lag die Bruttolohnquote, also der Anteil der Beschäftigten am Volkseinkommen, noch bei 70,8 Prozent. 1980 hatten die Beschäftigten in Westdeutschland gar einen Anteil von mehr als 75 Prozent am Volkseinkommen. 2011 lag diese Quote in Gesamtdeutschland bei nur noch 66,9 Prozent. Die Bruttogewinnquote stieg entsprechend.
Manager zocken ab
Geradezu explodiert ist die Diskrepanz zwischen Managergehältern und Beschäftigteneinkommen. Allein 2011 legten die Vorstandsvergütungen in den 30 deutschen DAX-Unternehmen um 7,9 Prozent zu. Mit 3,1 Millionen Euro im Jahr verdient ein DAX-Vorstand heute rund 54mal soviel wie der durchschnittliche Angestellte in einem solchen Unternehmen. 1987 lag diese Relation bei 14 zu 1.
Die »Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen« sind in den vergangenen zwei Dekaden nach Angaben der Bundesbank ebenfalls überproportional gestiegen. Zugleich hat eine bemerkenswerte Verschiebung zwischen den Kapitalfraktionen stattgefunden. Denn die Bundesbank hat auch »eine Wende von der unternehmerischen Außen- zur Innenfinanzierung« festgestellt. Das bedeutet, daß die Konzerne ihre Investitionen zunehmend aus eigenen Gewinnen und Abschreibungen und weniger stark mit Hilfe von Krediten finanzieren. Dadurch hat die Abhängigkeit der Produktionsunternehmen von den Banken abgenommen. Mehr noch: Da die Bruttoinvestitionen zwischen 2002 und 2008 zwar kontinuierlich gewachsen, aber hinter der Summe aus einbehaltenen Gewinnen und Abschreibungen zurückgeblieben sind, bleibt den Konzernen noch etwas übrig. Diese Überschüsse haben sie nach Einschätzung der WSI-Forscher »teils an ihre Eigner ausgeschüttet, vor allem aber angelegt, darunter in alten oder neuen Unternehmenstöchtern im Ausland bis hin zu spekulativen Anlagen auf den Finanzmärkten«. Schon das zeigt, daß die von manchen vorgenommene Trennung in »gute« Kapitalisten in der Produktion und »schlechte« Spekulanten in der Finanzbranche nicht greift.
Ungleiche Entwicklung
Die Autoren des gewerkschaftsnahen Instituts betonen den Zusammenhang zwischen gewachsener Einkommensungleichheit hierzulande und der Krise bei den europäischen Nachbarn: »Zwar fußt die aktuelle Euro-Krise auch auf politisch-historischen Versäumnissen bei der Aufnahme a priori wettbewerbsschwacher Länder (…). Aber sie ist vor allem durch die extrem gestiegene Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nach Gründung der Euro-Zone entstanden.« Hintergrund der enormen deutschen Exportüberschüsse sei »die wirtschafts- und fiskalpolitisch befeuerte Ungleichheitsentwicklung in Deutschland durch moderate generelle Lohnsteigerungen, den wachsenden Niedriglohnsektor, sinkende Steuern und Sozialabgaben von Unternehmen und weiteres mehr.« Ihr Fazit: »Soziale Ungleichheit in Deutschland erzeugt allein durch den Exportüberschuß soziale Probleme auch anderswo.«
WSI Mitteilungen 8/2012. Jahresabo: 88,20 Euro; www.wsi-mitteilungen.de
Generation Working Poor
Von Jörn Boewe
Obwohl die Jugendarbeitslosigkeit offiziell gesunken ist, gibt es in Deutschland mehr als eine halbe Million 15- bis 24jährige, die auf die staatliche Grundsicherung (Hartz IV) angewiesen sind. Dies geht aus einer Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes hervor, berichtete die Süddeutsche Zeitung am Donnerstag.
Immer häufiger ist Bedürftigkeit nicht die Folge von Jobverlust, sondern Konsequenz niedriger Erwerbseinkommen, von denen immer mehr Menschen abhängig sind: Sei es, daß die Heranwachsenden selbst nur noch im Dumpinglohnsektor unterkommen, sei es, daß schon ihre Eltern Probleme haben, mit ihrer Arbeit die Familie zu ernähren. Der DGB-Auswertung zufolge waren »nur« 300000 der insgesamt 534000 Hartz-IV-Bezieher im Alter von 15 bis 24 Jahren arbeitslos gemeldet. »Das Verarmungsrisiko dieser Jugendlichen ist offensichtlich längst nicht immer Ausdruck nur eigener beruflicher Integrationsprobleme, sondern relativ oft auf das Fehlen existenzsichernder Arbeitsplätze der Eltern zurückzuführen«, bewerten die Autoren die Zahlen.
Die wachsende Armut verschlechtert zudem die Bildungschancen. »Eltern armer Kinder entscheiden sich häufiger gegen weiterführende Schulen, weil ihre Kinder früher Geld verdienen sollen. Aber auch finanzieller Streß und familiäre Konflikte gehen schnell mit schulischem Versagen einher«, schreibt der DGB-Arbeitsmarktexperte Wilhelm Adamy in der Analyse. Die Armutsquote unter Hauptschülern sei dreimal so hoch wie unter Besuchern anderer Schulen. Rund 17 Prozent der erwerbslosen Jugendlichen im Hartz-IV-Bezug haben der Studie zufolge keinen Schulabschluß. Bereits ein Drittel der 18- bis 24jährigen Hartz-IV-Bezieher habe Schulden.
Das Risiko, von staatlicher Hilfe abhängig zu sein, ist regional sehr unterschiedlich. In München betrifft es laut DGB-Studie nur 5,1 Prozent dieser Altersgruppe. Bundesweit lag der Schnitt Mitte des Jahres bei 8,8 Prozent. Spitze unter den Großstädten ist Berlin mit 19,2 Prozent, gefolgt von Duisburg mit 17,4 Prozent, noch vor Dortmund und Bremen.
Indessen will der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, bei den Hartz-IV-Regeln für kleine Selbständige »nachbessern«. »Wir haben bei manchen Selbständigen mit Hartz-IV-Bezug den Eindruck, daß der Bezug der Grundsicherung zum Geschäftsmodell gehört«, wird Weise in einem von verschiedenen Tageszeitungen am Donnerstag aufgegriffenen Gespräch mit dpa zitiert. Dem BA-Chef zufolge beziehen rund 127000 Selbständige solche Leistungen. Seit 2007 habe sich die Zahl verdoppelt.
Das ver.di-Beratungsnetz für Solo-Selbständige mediafon.net bezeichnete Weises Äußerungen als »pure Stimmungsmache«. Die vermeintliche »Explosion« sei darauf zurückzuführen, daß die Statistik seit 2007 Einkünfte von weniger als 100 Euro im Monat erfaßt habe, die früher nicht berücksichtigt wurden. Seit 2010 stagnierten die Zahlen.
Ein Anfang Dezember veröffentlichter Bericht des BA-eigenen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatte festgestellt, daß bei etwa einem Viertel der »aufstockenden Selbständigen« schon ein geringfügig höherer Bruttoverdienst dazu führen würde, daß sie für die ganze Familie private Krankenversicherungen abschließen müßten, womit ihnen unter dem Strich netto weniger Geld übrig bleiben würde. »Um diese Anreizlage zu verändern«, heißt es in dem Bericht, »bedürfte es vermutlich einer sehr weitreichenden Reform des Krankenversicherungssystems oder der Hinzuverdienstregelungen.«
Ich hab auch einen SZ-Bericht über das mit den Selbständigen gelesen und mich ziemlich aufgeregt (s.u.):
Wenn jemand sagen wir mal 160 Euro im Monat erwirtschaftet, dann ist das ca. so viel, wie ein 1-Euro-Job.
Wenn die BA dann diese 160 Euro nicht bezahlen muss (sondern nur aufstocken), dann kann sie doch froh sein?
Stattdessen wird diese selbstbestimmte Erwirtschaftung abgelehnt und man muss den 1-Euro-Job
in abhängiger Arbeit machen: selbständig 160 Euro erwirtschaften ist nicht erlaubt, in Zwangsarbeit schon ...
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Oder, um einen Kommentar zum SZ-Bericht zu zitieren:
"Eine dauerhafte Subventionierung unrentabler Geschäftsmodelle lehne er aber ab, betonte Weise."
Ach ? Guten Morgen, Herr Weise, es scheint Ihnen entgangen zu sein, dass das "Aufstocken" inbesondere bei abhängig Beschäftigten Teil des Geschäftsmodells ist - allerdings des Geschäftsmodells der Firma.
Ach ? Da wollen Sie nicht ran ? Sondern nur die Selbständigen, die ohne Lobby sind, ausnehmen ?
Ach so - na dann !
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Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsgele...schädigung
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ar...alten-1.1558892
aus den NachDEnkSeiten
Erziehung zum Klassenhass? Waldorfschüler verspotten ihre Chorweiler Nachbarn
Verantwortlich: Wolfgang Lieb | Druckversion | Beitrag versenden | < zurück
„Waldorfschüler verspotten ihre Chorweiler Nachbarn“ – so lautete eine Schlagzeile des „Kölner Stadtanzeigers“ vom 20. Dezember 2012. In dem Artikel wird berichtet, wie Kölner Waldorfschüler den Stadtteil Chorweiler sehen, in dem sich ihre Schule befindet. „Das Viertel färbt ab“ – so lautete das Thema eines Mottotages der Abiturienten der Waldorfschule. Teilergebnisse davon sind in der Abi-Zeitung der Schüler veröffentlicht worden, darauf abgebildet: eine junge Schwangere mit Zigarette, Großfamilien mit „10 Kusäängs und 19 Kusinään“, gewaltbereite Jugendliche, posende Mädchen in Jogginghosen. Die Abi-Zeitung hat im Stadtteil Chorweiler für viel Aufregung gesorgt, da sie auf einem Adventsbasar verkauft wurde. Für die Bezirksbürgermeisterin ist unverständlich, „dass die beteiligten Lehrer augenscheinlich nicht im Vorfeld der Mottotage über die diskriminierenden Aspekte und das mögliche Konfliktpotenzial des Mottotags gesprochen haben.“ Ein ganzes Stadtviertel und seine Bewohner seien abgewertet, Hohn und Spott über Gleichaltrige ausgeschüttet worden. Die Abiturienten hätten ein „Unreifezeugnis“ verdient. Von Joke und Petra Frerichs
Chorweiler zählt zu den sozialen Brennpunkten der Stadt: mit einem Migrantenanteil von über 40 % und hoher Jugend-Arbeitslosigkeit. Jugendliche, die aus Chorweiler kommen, sind bei der Suche nach Ausbildungsplätzen stark benachteiligt, berichtet die Bezirksbürgermeisterin.
Die Reaktionen in der Öffentlichkeit haben die Schulleitung zu einer Stellungnahme veranlasst. Die Schüler hätten sich zwischenzeitlich entschuldigt; auch habe an der Schule eine Debatte darüber begonnen, „wie man neue Verbindungen in den Stadtteil schaffen kann. Wir sind stärker gefordert, als wir das vermutet hatten. Wir sind vor 15 Jahren mit der Schule nach Chorweiler gegangen mit der festen Absicht, uns dem Viertel gegenüber zu öffnen und mit ihm zusammenzuleben.“ Auch nach 15 Jahren kämen zwar Schüler aus der ganzen Region in die Waldorfschule nach Chorweiler – „nur aus Chorweiler selbst ist nach Angaben der Schule so gut wie nie jemand dabei.“ Immerhin wird die Privatschule zu rund 90 Prozent mit jährlich 2,6 Millionen Euro aus Steuermitteln finanziert; wohingegen – gar nicht weit entfernt – der Jugendclub „Escher Straße“, der viel für die Integration junger Leute geleistet hat, geschlossen wird.
Wir wissen nicht, welche Intentionen die Lehrer der privaten Waldorfschule mit ihrer Aufgabenstellung verfolgt haben. Man könnte achselzuckend zur Tagesordnung übergehen, wenn es sich lediglich um ein singuläres Ereignis handeln würde. Aber der „Fall Chorweiler“ ist nur ein Beispiel für die sich verstärkende gesellschaftliche Tendenz, sozial Benachteiligte zu diskriminieren. Man denke nur an die Kampagnen der Bildzeitung (Stichwort: „Karibik-Klaus“ oder „Florida-Rolf“ ) und einiger Privatsender, die regelrechte Hetzjagden auf sozial Benachteiligte wie Sozialhilfe- oder Hartz IV-Bezieher veranstalteten. Publizistisch begleitet wurden derartige Kampagnen z.B. durch Thesen Götz Alys, der 2004 auf dem Höhepunkt der Anti-Hartz IV-Proteste davon sprach, es sei die historische Aufgabe der Politik, den langen Abschied von der „Volksgemeinschaft“ zu vollziehen. Mit „Volksgemeinschaft“ meinte er die sozialen Sicherungssysteme als angebliches Erbe des NS-Staates. Oder denken wir an neo-konservative „Vordenker“ wie Paul Nolte oder Heinz Bude, die die Errungenschaften des Sozialstaats dafür verantwortlich machten, dass Arbeitslose sich in der sozialen Hängematte ausruhten und ihnen daher die Motivation fehlte, sich um Arbeit zu bemühen. Zu nennen sind auch die „Propagandisten der sozialen Ungleichheit“ (A. v. Lucke) wie Thilo Sarrazin und Peter Sloterdijk, die den Sinn von Transferleistungen für die Unterschicht insgesamt infrage stellen; hierin einer Meinung mit Gunnar Heinsohn, der u.a. eine Reduzierung der „Unterschichtengeburten“ forderte und kritisierte, dass Arbeitslose Elterngeld erhalten. Derartigen Thesen wurde höchste öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt; sie wurden gewissermaßen zur Legitimationsfassade der Agenda-Politik. Erinnert sei in diesem Zusammenhang ebenfalls an den medial-inszenierten Aufruhr, als der damalige SPD-Vorsitzende Beck eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, in der vom „abgehängten Prekariat“ die Rede war, mit der Formulierung kommentierte: „Manche nennen es ein Unterschichten-Problem.“ Der damalige SPD-Generalsekretärs Hubertus Heil bemühte sich klarzustellen, dass seine Partei sich einen solchen Begriff nicht zu eigen mache. Franz Müntefering ließ verlauten, es gäbe keine Schichten in Deutschland (Glück auf!, möchte man ausrufen). Wer die Gesellschaft in Kategorien und Schichten aufzuteilen versuche, stigmatisiere die Menschen. Die das tun, seien weltfremde Soziologen. Wohl gemerkt: Nicht die Tatsache, dass die Pole der Gesellschaft immer weiter auseinanderdriften, wurde von ihm skandalisiert, sondern der Begriff Unterschicht. Frei nach dem Motto: schaffen wir die Begriffe ab, dann beseitigen sich die Probleme ganz von selbst. Während Magret Thatcher seinerzeit behauptete, es gäbe keine Gesellschaft, sondern nur Individuen, gibt es für Franz Müntefering nur Gesellschaft, aber keine Schichten. Beiden sei ins Stammbuch geschrieben, was Marx schon vor 150 Jahren kritisierte:
„Die Bevölkerung ist eine Abstraktion, wenn ich z.B. die Klassen, aus denen sie besteht, weglasse. Diese Klassen sind wieder ein leeres Wort, wenn ich die Elemente nicht kenne, auf denen sie beruhn. Z.B. Lohnarbeit, Kapital etc.“
Auch der jetzige Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, meldete sich in der Debatte zu Wort. In einem Interview mit der ZEIT vom 13.11.2003 definierte er, was er unter einer sozial gerechten Politik versteht. Das sei eine Politik für jene, „die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um sie – und nur um sie, muss sich Politik kümmern.“
Da fragt sich nur, was eigentlich mit dem Rest der Gesellschaft geschehen soll, wenn sich die Politik für sie nicht mehr zuständig fühlt. Derartige Formulierungen verraten eine sozialdarwinistische Denkweise, die einer „Biologisierung des Sozialen“ (Christoph Butterwegge) Vorschub leisten. In diesem Zusammenhang weist der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer mit Bezug auf eigene Untersuchungen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auf den Umstand hin, dass Menschen zunehmend nach ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit bewertet würden. Dies führe insbesondere zu einer Abwertung von Arbeitslosen. In einem Interview mit dem SPIEGEL v. 3.4.2010 führt er aus:
„Wir können belegen, dass die Mittelschicht seit Einführung von Hartz IV massive Angst hat. Das führt dazu, dass Mitmenschen vor allem nach ihrer Nützlichkeit bewertet und damit auch abgewertet werden. Der autoritäre Kapitalismus hat es geschafft, seine Verwertungskriterien ohne Widerstand der ganzen Gesellschaft überzustülpen.“
Michael Hartmann resümiert seine Forschungsergebnisse zu den Einstellungen von Angehörigen der Elite dahingehend, dass eine in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie dagewesene Radikalisierung der Eliten stattgefunden habe und diese den Kontakt mit anderen Lebenswirklichkeiten weitgehend verloren hätten.
Zu ähnlichen Ergebnissen für die englische Gesellschaft kommt der Sozialhistoriker Owen Jones. In seinem Buch: Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse diagnostiziert er einen um sich greifenden Klassenhass in der britischen Gesellschaft – nur sind es nicht die Linken und die Gewerkschaften, die den Klassenkampf predigen, sondern Konservative, distinguierte Herren in Maßanzügen, wie Jones erklärt. Sie sind es, die den Prolls die Fresse polieren möchten und ihre sozialrassistischen Thesen ungeniert in aller Öffentlichkeit verbreiten. Jones weist nach, dass auf die einst so stolze Arbeiterklasse nur noch mit Verachtung herabgeschaut wird. Das sei das Ergebnis einer gigantischen Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und einer gezielten De-Industrialisierungspolitik Thatchers, in deren Folge nicht nur viele Traditionsbetriebe und Institutionen, sondern auch Werte der Arbeiterklasse wie Zusammenhalt und Solidarität zerschlagen wurden.
Albrecht Müller und Wolfgang Lieb haben in den „Hinweisen des Tages“ der NachDenkSeiten vom 18.9. und 20.9. 2012, auf ausführliche Rezensionen des Buches von Owen Jones hingewiesen. Man sollte sich überhaupt ihre Empfehlung zu eigen machen, öfter einmal auf ältere Beiträge der NachDenkSeiten zurückzugreifen. Neben den hier genannten Texten wären (nur beispielhaft) zu nennen:
Hans Otto Rößer: „Krieg dem Pöbel“. Die neuen Unterschichten in der Soziologie deutscher Professoren (NDS v. 10. Okt. 2008)
Götz Eisenberg: Schulen: Verlässliche Orte oder Zulieferbetriebe für Markt und Industrie (NDS v. 26.4.2012)
Götz Eisenberg: Die große Wut der Überzähligen (NDS v. 2.9.2011)
Christoph Butterwegge: Über die ideologische Entsorgung des Armutsproblems (NDS v. 18.12.2006)
Liest man die genannten Beiträge nach, wundert man sich gar nicht mehr so sehr, dass Waldorfschüler ihre Altersgenossen in Chorweiler verhöhnen und verspotten. Sie liegen ganz im gesellschaftlichen Trend; einem Trend, dem energisch entgegenzutreten ist: im eigenen Alltag und wo immer sich Tendenzen zur Diskriminierung anderer zeigen. So darf man gespannt sein, welche Schritte die Schulleitung in Chorweiler unternimmt, um einen Beitrag zum besseren Zusammenleben im Viertel zu leisten.
Gerade hinsichtlich der sozialen Integration haben Schulen und Lehrkräfte einen immens wichtigen pädagogisch-sozialen und schulpolitischen Auftrag zu erfüllen und jeder Form von Sozialrassismus mit geeigneten und möglichst phantasievollen pädagogischen Konzepten entgegenzuwirken. Wenn Schüler der Waldorfschule mit Verachtung auf ihre Altersgenossen herabblicken, ist zu fragen, woraus derartige Ressentiments resultieren. Sind es lediglich Vorurteile oder beruhen sie auf Alltagserfahrungen? Beides müsste zum Unterrichtsgegenstand erhoben werden, zumal sich die Freie Waldorfschule in einem sozial unterprivilegierten Stadtteil befindet, in dem soziale Spannungen unvermeidlich sind. Im Rahmen von Unterrichts-Projekten wären die Ursachen sozialer Ungleichheit aufzuarbeiten, und zwar so konkret wie möglich; vielleicht anhand von Fallbeispielen benachteiligter Jugendlicher. Auf diese Weise könnten vergleichsweise privilegierte Waldorfschüler erfahren, was es heißt, wenig oder keine sozialen Chancen zu haben. Eine ähnliche Intention verfolgt der Film „Leben in Chorweiler. Eine Untergrundreportage“, der am Beispiel eines jungen Mannes die prekäre Lage in der Unterschicht konkret aufzeigt. Der Film könnte – wenn es denn erwünscht wäre – zur sozialen Sensibilisierung der Waldorfschüler beitragen und möglicherweise einen Bewusstseins- und Gesinnungswandel unter ihnen einleiten. Statt „Ein Viertel färbt ab“ sollte es dann heißen: „Du bist Chorweiler“!
Aufruf zur Aktionskonferenz: Lasst uns über eine gemeinsame „Schlecker-Kampagne“ beraten!
Aufruf zur Aktionskonferenz
am 2. Februar 2013, 11 bis 17 Uhr, bei Tacheles in Wuppertal
Lasst uns über eine gemeinsame „Schlecker-Kampagne“ beraten!
Der Hintergrund
Rund 23.400 Beschäftigte wurden im Zeitraum März bis Juni 2012 nach der Insolvenz von Schlecker im Januar 2012 entlassen. Mehr als die Hälfte von ihnen, rund 14.400, sind Ende 2012 noch immer arbeitslos. 90 frühere Schlecker-Frauen haben sich selbstständig gemacht, 81 meldeten sich bislang zu einer Umschulung an und rund 2.300 Frauen haben sich aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr länger arbeitslos gemeldet. 11.900 ehemalige Schlecker-Beschäftigte sind offiziell noch immer auf Arbeitssuche
Der Anlass und die Idee
Für viele von ihnen bedeutet der Ablauf von einem Jahr das Ende von Alg I und den Übergang in Hartz IV (sofern sie nicht sowieso schon dort sind). Dieser Tag könnte der Anlass für einen bundesweiten Aktionstag sein. Wir könnten vor Ort Kontakt zu den Frauen und ihrer Gewerkschaft verdi aufnehmen und in so vielen Städten wie möglich öffentlichkeitswirksame Protestkundgebungen in oder vor den Jobcentern organisieren unter dem Motto „Keiner geht allein zum Amt“. Dabei sollte die Situation der betroffenen Frauen thematisiert werden – aber auch die Erfahrungen mit Hartz IV, der menschenverachtende Umgang in den Jobcentern allgemein, die Verlogenheit und falschen Versprechungen der Politiker und die kapitalistische Strukturpolitik, die Milliarden für Konzerne und
Banken zur Verfügung stellt, aber die kleinen Beschäftigten im Regen stehen lässt.
Die Perspektive
Kontakte zwischen uns, den erwerbslosen Schlecker-Kolleginnen und verdi könnten ausgebaut und vertieft werden. Dazu gehören eine gute Sozialberatung und Begleitung zu den Jobcentern, weitere Aufklärungs- und Protestaktionen, aber auch Diskussionen über alternative Versorgungsmodelle. In vielen Regionen haben einzelne Ex-Schlecker-Beschäftigte Filialen selbst übernommen und das Warenangebot an die örtlichen Bedürfnisse angepasst. In Baden-Württemberg bauen einige mit verdi-Unterstützung eine Genossenschaft auf, um mehrere Läden mit regionalen Produkten zu betreiben. Wo es neue Bündnisse mit Bauern- und Umweltinitiativen gibt, könnte über neue Erzeuger- und Verkaufsstrukturen nachgedacht werden. Auch (symbolische) Besetzungen von ehemaligen Filialen sind vorstellbar.
Der Zeitplan
Mitte April: Ein weiteres bundesweites Koordinierungstreffen
3. Juni: „Keiner geht allein zum Amt!“ – bundesweiter Aktionstag in oder vor den Jobcentern
Juli: Auswertungstreffen und Verabredung weiterer Aktionen
Vorschlag zum Ablauf des Treffens
11:00 Uhr: Begrüßung und Vorstellungsrunde
11:15 Uhr: Kurze Erfahrungsberichte aus den einzelnen Orten
11:45 Uhr: Vorstellung und Erläuterung des Aktionsvorschlags
12:45 Uhr: Mittagspause (für einen warmen Imbiss ist gesorgt)
13:30 Uhr: Diskussion und Überarbeitung des Aktionsvorschlags
14:45 Uhr: Kaffeepause
15:15 Uhr: Diskussion und Überarbeitung des Aufruf-Entwurfs
16:30 Uhr: Verabredungen und Planung der nächsten Schritte
Tacheles und ALSO laden ein:
Aktionskonferenz am 2. Februar 2013
von 11:00 bis 17:00 Uhr
bei Tacheles e.V., Rudolfstr. 125, 42285 Wuppertal
Anmeldungen bis 28. Januar 2013 unter:
jaeger@tacheles-sozialhilfe.de
Für Weitreisende könnte bei Bedarf eine Übernachtungsmöglichkeit im Tacheles eingerichtet werden
– meldet Euch bitte rechtzeitig an.
Abo
Wer keine Prügel mag, wird sanktioniert
Hartz IV Wer sich nicht verprügeln lassen will, wird sanktioniert: Leipziger Verkehrsbetriebe und das Jobcenter Leipzig setzen Hartz-IV-Bezieher als Sicherheitsleute ein
Wer keine Prügel mag, wird sanktioniert
Endstation LVB?
Foto: iwanp / Flickr (CC)
Übergriffe in Bus und Bahn? Randalierende Fahrgäste trotz Kamera? Kaputte und beschmierte Wagen? – Alles wird besser, denn wir haben jetzt ein unerschöpfliches Arsenal an Billig-Arbeitskräften: Man nehme einen Hartz IV Bezieher und stecke ihn in einen AGH-Lehrgang. Dort lernt er unter anderem, wie man sich in der Öffentlichkeit bewegt und beruhigend auf renitente Fahrgäste einwirkt. Daß viele Fahrgäste gar nicht aufmucken würden, wenn man bürgerfreundliche Fahrpreise und überschaubare Tarife hätte, wird nicht erwähnt aber das ist auch nicht die Hauptsache. Hauptsache ist, daß ein Ventil vorhanden ist und das Ventil heißt „Mobilitäts-Service“.
Sich anpöbeln und beleidigen lassen
Diese Mitarbeiter dürfen sechs Stunden mit täglich mit Bus oder Straßenbahn fahren, sich beleidigen und anpöbeln lassen und geraten vielleicht auch mal in eine Schlägerei, wenn sie Pech haben. Und Pech haben kann man zu jeder Tageszeit. Dafür gibt es ein sogenanntes Deeskalationstraining: Abstand halten, beruhigend einwirken und immer lächeln. Wenn es wirklich eng wird, dann zückt man sein Diensthandy und ruft Hilfe, vorausgesetzt, der Angreifer läßt das arme Würstchen in Uni form auch in aller Gemütsruhe telefonieren und wartet dann ab bis die Polizei mit dem erhobenen Zeigefinger kommt.
Ich darf beruhigen, - man ist immer zu zweit, meistens eine Dame und ein Herr zusammen. Also muß man dann nicht nur auf seine eigenen Knochen achtgeben sondern auch seiner Kollegin zu Hilfe kommen, wenn es Ernst wird. Aber nicht das gleichzeitige Anrufen mit dem Diensthandy vergessen! Wer es nicht glauben möchte: einfach mal nach „Übergriffe in Bus und Bahn, Leipzig“ googeln. Von Anpöbeln, Bespucken bis zum Krankenhausreif-Schlagen, - das volle Programm. Trotz Wagenkamera und Dauerlächeln...
Hatte ich nicht vorhin eine Uniform erwähnt? Ja, die gibt es, sogar passend und eigentlich sehr schick. Wenn da nur nicht das kleine Problem mit den Schuhen wäre. Diese sollten eine dunkle Farbe haben und dürfen selbst gekauft werden wenn man leider gerade keine passenden auf Vorrat hat. Denn die Schuhe stellt die Firma nicht. Dafür werden aber Sonnenbrillen verboten, die sehen nach Auffassung des Unternehmens unseriös aus, es sei denn, man hat vom Arzt ein Attest. Was aber nicht unseriös ist: Man muß einen Dienstausweis mit Foto und vollständig ausgeschriebenen Namen gut sichtbar an der Kleidung tragen, damit jeder sofort weiß daß es sich bei dem Betreffenden um einen ALG-II-Menschen handelt und derselbige auch wie ein solcher behandelt werden darf .
Denn in Leipzig ist es üblich, daß zu dieser „Maßnahme mit Mehraufwand-Entschädigung“ nur ALG-II- Empfänger hinzugezogen werden. Ich darf aber bezweifeln ob es einer altgedienten Bürotante von Personalbüro oder Projekt-Leitung gefallen würde, wenn man sie mit „ Hartz-4-Schlampe „ ansprechen würde. Eine öffentliche Herabwürdigung Arbeitsloser wird also billigend in Kauf genommen. – Noch krimineller geht es nicht? – Doch ! – Zum Beispiel – ein zurechtgewiesener Fahrgast liest und merkt sich den Namen. Dann kann er sich ohne weiteres per Meldeamt (unter einem Vorwand...suche alten Schulfreund...) die Anschrift erfragen. Dem Meldeamt ist nämlich der Begriff Datenschutz völlig unbekannt sofern mit einer Auskunft Geld verdient werden kann.
...Und dann steht eines Tages ein schlecht gelaunter Mensch vor der Tür und schwingt die Fäuste. Bedauerlich nur, wenn gerade kein Diensthandy in Reichweite ist und man überhaupt nicht lächeln mag...
Kommen wir nun zu etwas erfreulichem: Ein Teil der Belegschaft wird auch als Begleitservice eingesetzt. Mit einem zweitägigem Kurs in Erster Hilfe und Umgang mit Behinderten ist man in der Lage, auf Wunsch ältere und / oder behinderte Bürger zu Behörden- oder Arztgängen vor der Wohnung abzuholen und zu begleiten. Ich spreche hier ausdrücklich von dem Begriff vor der Wohnung, das ist kein Druckfehler, denn der Begleitservice darf die Wohnung nicht betreten. Wie ein Behinderter oder älterer Bürger dann aus Sessel oder Bett zu Rollstuhl, Gehhilfe oder Rollator kommt ist seine Sache und wenn er auch vor meinen Augen umkippt. Wie er in den Mantel kommt darf mich auch nichts angehen, ich muß im Treppenhaus warten!
Ist aber alles glücklich und ohne weitere Knochenbrüche abgelaufen möchte sich vielleicht der Eine oder der Andere etwas erkenntlich zeigen, aber diese freundliche Geste muß ich ablehnen, denn ich darf als Begleitservice nichts annehmen, nicht einmal unterwegs einen Kaffee oder ein Brötchen. Und weil die Obrigkeit von Haus aus mißtrauisch ist werden die „ Mobil-Mitarbeiter“ auch schön kontrolliert. Das ist recht einfach, denn jeder hat seinen Dienstplan mit zugewiesener Kursnummer. Linie und Uhrzeit.
1,40 Euro pro Stunde fürs Prügeln lassen
Habe ich etwas vergessen? – Ja, den Lohn ! Also, das ist wirklich fürstlich! Ganze 1.40 € kann man maximal pro Stunde verdienen, aber Abzüge sind auch da noch möglich. Dafür darf man sich aber auch wie schon gesagt, anpöbeln, verprügeln und auch sonst gern bevormunden lassen wo immer es auch geht. Hat man aber erst einmal das ganze perverse Spiel durchschaut und keine Lust mehr, sich unkontrollierbaren Gefahren auszusetzen dann erfolgt vom Jobcenter (in diesem Falle Leipzig) umgehend eine Sanktionsandrohung.
Hier arbeiten – wie nicht anders zu erwarten – Leistungsträger und (in meinem Falle) LVB/ LAB Hand in Hand zusammen. Nun kann man sich natürlich fragen: Warum bezahlt man die Leute nicht einfach ordentlich und stellt sie fest ein? Die Antwort ist ganz einfach: Dafür ist kein Geld da, obwohl das Jobcenter Leipzig im Jahre 2012 bewilligte sagenhafte 10 Millionen Euro, gedacht für
Arbeitsbeschaffung und Ausbildung, nicht abgerufen hatte und somit verfallen ließ. (auch bei GOOGLE zu finden und nachzulesen)
Im Übrigen ist im SGB II unter § 16. Absatz 3 klar und deutlich geregelt, daß auch bei einer Maßnahme mit Mehraufwandentschädigung vor Beginn dieser Maßnahme von dem zuständigen Sachbearbeiter auf mögliche Gefahren hingewiesen werden muß. Bei mir war dies nicht der Fall und ich gehe davon aus, daß die Sachbearbeiter ihre eigenen Gesetze nicht kennen. Wer kommt nun eigentlich auf die Idee, ALG-II-Empfänger als Kanonenfutter und Blitzableiter zu mißbrauchen und sie potentieller Gefahr für Leib und Leben auszusetzen? (Th. Sch., Leipzig)
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Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und des Autors aus folgender Quelle:
http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueb...ert-9001316.php
Arme sind doch nicht der Müllschlucker der Nation«
Pferdefleischskandal: Linke fordert Sofortmaßnahmen gegen Panscherei von Lebensmitteln. Kritik an CDU-Vorstoß für »Spenden« an Tafeln. Ein Gespräch mit Karin Binder
Interview: Markus Bernhardt
In zahlreichen Fertiggerichten wurde in den letzten Tagen Pferdefleisch nachgewiesen, das dort nicht hineingehörte. Wann haben Sie zum letzten Mal Pferd gegessen?
Vor ungefähr zehn Jahren, bei einem Campingurlaub im Tessin gab es ein herrliches Pferdesteak mit grünem Pfeffer und Polenta, sehr lecker.
Auch andernorts gilt Pferdefleisch – etwa in Form von rheinischem Sauerbraten – als Delikatesse …
Im Ernst: Es geht um Verbrauchertäuschung rein aus Gründen des Profits. Die Waren waren als Rindfleischprodukte gekennzeichnet. Darauf müssen sich die Leute verlassen können. Die Verbraucher fragen sich: Diesmal geht es um Pferdefleisch, was kommt als nächstes?
Das Problem ist doch, daß wir es mit systembedingtem Betrug zu tun haben. Der Pferdefleischskandal zeigt, daß die angeblich lückenlose Kontrolle in der Lieferkette ein Märchen der Lebensmittelindustrie ist. Tatsächlich haben die Handelskonzerne keine Ahnung, was in den Produkten ihrer Eigenmarken steckt. Sie vertrauen darauf, nicht erwischt zu werden. Die Verbrauchertäuschung steckt schon in den Selbstkontrollen durch die Hersteller. Behörden können oft nur untersuchen, ob die Hersteller ihre Waren überhaupt auf Rückstände oder Belastungen prüfen. Oft muß ein amtlicher Kontrolleur über 1000 Betriebe überwachen. Da bleibt nicht nur »schwarzen Schafen« viel Raum für Tricksen und Täuschen.
Die Politik hat auf die aktuellen Enthüllungen reagiert, wie sie es auch in der Vergangenheit tat, nämlich mit Sondersitzungen und Allgemeinplätzen. Welche Konsequenzen sollten gezogen werden?
Nach Skandalen mit Gammelfleisch, Dioxin und Krankheitskeimen im Essen wird uns jetzt der Etikettenschwindel mit Pferdefleisch aufgetischt. Wie immer spricht die Lebensmittelindustrie von »bedauerlichen Einzelfällen«. Die Bundesregierung fordert »rückhaltlose Aufklärung« und holt wieder einmal einen Aktionsplan aus der Schublade. Statt die Gesetzesmängel endlich zu beseitigen, erteilt Bundesministerin Ilse Aigner (CSU) erneute Prüfaufträge für eventuelle Verbesserungen und schaltet Infohotlines für die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Dagegen fordern wir, endlich Sofortmaßnahmen gegen die Panscherei von Lebensmitteln. Schon bei einem begründeten Verdacht über belastete oder falsch gekennzeichnete Lebensmittel sollen Behörden verpflichtet sein, die Öffentlichkeit zu informieren. Derzeit müssen sie abwarten, bis Unternehmen selbst etwas veröffentlicht und zum Beispiel einen Rückruf von Lebensmitteln gestartet haben.
Bei allen Produkten mit Fleisch müssen Verbraucher nachvollziehen können, woher dieses stammt. Sie sollen wissen, wo das Tier geboren wurde, wo es aufgewachsen ist bzw. gemästet wurde und wo es geschlachtet wurde. Nur so können die Verbraucher entscheiden, ob die Odyssee, die das Fleisch hinter sich hat, für sie noch vertretbar ist. Das kann in einfachen Fällen direkt auf der Verpackung angegeben sein. Außerdem müssen Hersteller und Handel offenlegen, woher sie ihre Zutaten beziehen und von welchen Unternehmen. Das gehört zur Qualitätssicherung. Die Ergebnisse ihrer betrieblichen Eigenprüfungen müssen jederzeit für die Lebensmittelkontrollbehörden zugänglich sein. Das ist heute nicht der Fall.
Welche Verantwortung trägt Verbraucherschutzministerin Aigner für die Unsicherheit, die in Sachen Lebensmittel herrscht?
Verbraucherministerin Ilse Aigner wird immer erst tätig, wenn bereits Schaden entstanden ist. Man hat den Eindruck, sie schützt Hersteller und Handel vor ihren Kunden. Ein Beispiel: Obwohl schon immer klar war, daß unvollständige Angaben auf den Produkten dem Betrug mit Lebensmitteln Tür und Tor öffnen, lehnte Aigner eine Kennzeichnung der Herkunft von verarbeitetem Fleisch bislang ab. Erst jetzt lenkt sie aufgrund des öffentlichen Drucks ein. Ein zweites Beispiel: Die Behörden dürfen bisher die Öffentlichkeit selbst bei einem konkreten Verdacht auf Etikettenschwindel nicht informieren. Dafür sind nach dem Lebensmittelrecht allein Handel und Hersteller zuständig. Problematische Waren nehmen die, wenn überhaupt, still und leise aus dem Sortiment.
Die Lebensmittelüberwachung für bundesweit und international arbeitende Hersteller und Händler darf auch nicht auf Kommunen oder Bundesländern abgewälzt werden. Hierfür muß der Bund die Verantwortung übernehmen. Gemeinden und Landkreise sind mit der Kontrolle globaler oder multinationaler Lebensmittelkonzerne überfordert. Da fehlt es schon an der personellen und auch an der materiellen Ausstattung, um deren Geschäfte überprüfen zu können.
Tragen denn nicht auch die Verbraucher selbst eine Mitschuld an den in der Lebensmittelindustrie herrschenden Zuständen? Wer glaubt denn ernsthaft, daß beispielsweise ein Hähnchen zum Endverbraucherpreis von knapp zwei Euro artgerecht gehalten wurde?
Fakt ist, immer mehr Menschen müssen aufs Geld achten. Es ist immer bequem, die Schuld bei den Verbrauchern abzuladen. Selbstverständlich gibt es eine Mitverantwortung. Aber zwischen Beruf, Familie und Alltagsstreß bleibt oft wenig Zeit, sich am Supermarktregal mit jedem einzelnen Produkt auseinanderzusetzen. Die Leute müssen sich darauf verlassen können, daß mit den angebotenen Lebensmitteln alles in Ordnung ist.
Auch ein hoher Preis ist keine Garantie für eine gute Produktqualität. Aber bei Lockvogelangeboten zu Dumpingpreisen ist die Erzeugung langfristig mit Qualitätsabstrichen verbunden. Eine unbequeme Wahrheit ist auch, daß Niedrigpreise durch miese Beschäftigungsbedingungen, Tierquälerei und Umweltschäden von unserer Gesellschaft teuer bezahlt werden müssen.
Die Diskussion um eine flächendeckende Schulverpflegung hat das auch verdeutlicht: Zwei Euro pro Kind für ein Mittagessen sind einfach viel zu wenig. Wir brauchen mindestens vier Euro pro Kind und Tag, um eine hochwertige Verpflegung sicherzustellen. Nur dann kann ermöglicht werden, daß unbelastete Zutaten, die frei von Aromen, Geschmacksverstärkern und anderen Zusatzstoffen sind, frisch verarbeitet werden – und zwar von tariflich bezahltem Küchenpersonal, das von dieser Arbeit auch leben kann. Das sind Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft.
Wir müssen aber festhalten, daß Lebensmittelindustrie und -handel über ihre Preispolitik nicht fehlende Sozialleistungen ersetzen wollen. Selbst das billigste Sonderangebot kann für einen armen Menschen noch zu teuer sein. Für Hersteller und Handel geht es bei der Preisgestaltung um einen gnadenlosen Verdrängungswettbewerb. Den verliert dann der kleine Lebensmittelproduzent. Die Frage, ob sich alle Menschen Lebensmittel leisten können oder ob Erzeuger gerecht entlohnt werden, spielt für die Manager von Lidl, Aldi, Edeka und anderen kaum eine Rolle.
Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des Staates, die soziale Teilhabe aller Menschen zu sichern und somit auch den ausreichenden Zugang zu den Lebensmitteln, die für eine ausgewogene und gesunde Ernährung notwendig sind. Menschen, die nur ein kleines Einkommen zur Verfügung haben oder staatliche Hilfeleistungen beziehen müssen, dürfen nicht gezwungen sein, sich ihr Essen von der Tafel oder gar aus dem Müllcontainer zu suchen.
Vielleicht sollte man doch, wie es die zunehmende Zahl von Vegetariern und Veganern tut, gänzlich auf Fleischprodukte verzichten?
Wer weniger Fleisch ißt, entlastet Umwelt und Klima. Die enormen Anbauflächen für viele Tonnen Tierfutter führen zu Landraub und letztlich zur Urwaldvernichtung in ärmeren Ländern. Es lohnt also, sich die Frage zu stellen, ob es jeden Tag Fleisch sein muß. Ich möchte jedoch keine Eßverbote aussprechen. Jeder Mensch muß selbst wissen, was ihm guttut. Aber Bewußtsein herstellen möchte ich schon.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hartwig Fischer hat vorgeschlagen, die wegen Untermischung von Pferdefleisch aus dem Handel genommenen Produkte nicht zu vernichten, sondern Hilfsorganisationen wie den Tafeln zur Verfügung zu stellen. Wie bewerten Sie diesen Vorstoß aus der Union?
Bedürftige nehmen in der Regel, was sie bekommen können, sie haben kaum eine Wahl. Ich halte es aber für höchst bedenklich und unmoralisch, sie zum Müllschlucker der Nation machen zu wollen, wie sich das Herr Fischer von der CDU vorstellt. Diese Produkte sind nicht zwangsläufig schlecht, weil Pferdefleisch drin ist. Aber sie müssen korrekt gekennzeichnet werden, damit Menschen entscheiden können, ob sie Pferd essen wollen. Das gilt für Arme wie für Reiche. Wohlweislich hat Fischer nicht vorgeschlagen, die Pferdefleisch-Lasagne dem chronisch unterfinanzierten Schulessen zu überlassen.
06.03.2013
Friedrichs Sündenböcke
Bundesinnenminister wettert gegen Armutsmigration aus Bulgarien und Rumänien. Experten warnen vor Hysterie und Antiziganismus
Von Ulla Jelpke
Am Montag hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) seine seit Wochen vorgebrachten Verbalattacken auf Migranten aus Bulgarien und Rumänien im Spiegel erneuert. Wer nur komme, um Sozialleistungen zu kassieren und das Freizügigkeitsrecht zu mißbrauchen, müsse davon »wirksam abgehalten werden«. Der Präsident des Ifo-Wirtschaftsinstituts, Hans-Werner Sinn, schwadroniert sogar von einer »Erosion des deutschen Sozialstaats«, wenn der Zuwanderung kein Riegel vorgeschoben werde. Und anläßlich einer Debatte im Deutschen Bundestag vergangene Woche kündigte CDU-Rechtsaußen Reinhard Grindel an, »in den kommenden Wochen und Monaten mit den Menschen in den von ungesteuerter Zuwanderung betroffenen Städten intensiv darüber reden« zu wollen, wie diese verhindert werden könne.
Der Deutsche Städtetag hat Ende Januar ein Papier vorgelegt, in dem die Bundesregierung ebenfalls aufgefordert wird, sich für eine bessere »Steuerung« der Armutsmigration aus Bulgarien und Rumänien einzusetzen. Die Kommunen müßten in erheblichem Umfang Sozialleistungen für diese Gruppe erbringen und seien überfordert. Wie viele »Armutsmigranten« es tatsächlich gibt, darüber können allerdings weder Städte noch der Bund exakte Aussagen treffen. Für 2011 – neuere Zahlen liegen nicht vor – gibt das Statistische Bundesamt die Zuzüge bulgarischer und rumänischer Migranten mit 147091 an. Allerdings reduziert sich durch Wegzüge in andere EU-Staaten oder Rückkehr die Nettozuwanderung für 2011 auf 58350 Menschen. Und das sind in erster Linie Saisonarbeitskräfte, die gar nicht das ganze Jahr in der Bundesrepublik verbringen, sowie Akademiker, Facharbeiter und zahlreiche Studierende, die ebenfalls nicht ins Bild der Armutsmigranten passen.
Aktuell läßt sich also nicht belegen, daß eine riesige Anzahl an Migranten das deutsche Sozialsystem dem Kollaps nahebringt. Der Blick richtet sich deshalb auf den 1. Januar 2014: Dann fallen die letzten Einschränkungen, mit denen die Bundesregierung den deutschen Arbeitsmarkt vor Arbeitssuchenden aus Rumänien und Bulgarien schützen will. Staatsangehörige beider Länder profitieren dann voll von den Freizügigkeitsregeln der EU und können sich zur Arbeitssuche nach Deutschland begeben. Spätestens nach drei Monaten haben sie auch Anspruch auf Sozialleistungen. Bewußt schüren Friedrich und andere nun die Angst davor, daß sich die 1,5 Millionen Roma aus beiden Ländern auf den Weg nach Deutschland machen, um Sozialhilfe zu beziehen. Friedrich will diese Gelegenheit offensichtlich nutzen, sich ein weiteres Mal als Hardliner in Sachen Zuwanderung zu profilieren. Der Migrationsexperte Prof. Klaus J. Bade warnte deshalb im Online-Magazin Migazin.de vor »Hysterie« und »symbolpolitischen Ersatzhandlungen«, mit denen fahrlässig Abwehrhaltungen in der Bevölkerung bestärkt würden. Auch der Balkan-Experte Norbert Mappes-Niediek beklagte in der taz, daß die derzeitige Debatte von Klischees über Roma geprägt sei – dabei verhielten die sich wie ganz normale Arme: Sie versuchen, ihrer Armut zu entkommen. In Deutschland stoßen sie dabei nicht auf offene Arme. Nach Angaben aus der Studie »Deutsche Zustände« des Soziologen Wilhelm Heitmeyer wollen 40 Prozent der Deutschen nicht mit Roma in einer Wohngegend leben. Das ist das Reservoir, aus dem Friedrich in seinem Wahlkampf schöpfen will.
Dafür ist ihm aber auch nichts zu dumm. So kündigte er für den Rat der EU-Innenminister an diesem Donnerstag in Brüssel an, sein Veto gegen die Schengen-Vollmitgliedschaft Bulgariens und Rumäniens einlegen zu wollen. Damit könnten die beiden Staaten weiterhin keine Visa für den gesamten Schengenraum ohne Binnengrenzkontrollen erteilen, Drittstaatsangehörige werden weiterhin bei der Einreise in einen Schengenstaat kontrolliert. Mit der Frage der Freizügigkeit für Arbeitnehmer in der EU hat all das nichts zu tun, es soll lediglich Handlungsfähigkeit vortäuschen.
nicht mit Facebook verbunden
Facebook "Like"-Dummy
Georg Schramm sagt:
http://www.youtube.com/watch?v=qf9KXsA9-aQ
http://www.nachdenkseiten.de/?p=16494#more-16494
interessanter Artikel zur ,ach so tollen ,Agenda 2010
Hatz auf Kranke
Bundesagentur für Arbeit will mit interner Weisung gegen »Blaumacher« vorgehen. Hartz-IV-Bezieher werden zu Patienten zweiter Klasse
Von Ralf Wurzbacher
Krankheit schützt nicht vor Verfolgungsbetreuung. Im Gegenteil: Wer auf Arbeitslosengeld II angewiesen ist und häufiger das Bett hüten muß, dem könnten demnächst Kontrolleure des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) auf den Leib rücken. Wer dabei als »Blaumacher« überführt wird, muß mit Kürzung seiner Lohnersatzleistungen rechnen. So steht es in einer neuen, internen Weisung der Bundesagentur für Arbeit (BA) an die Jobcenter, über die am Montag die Bild-Zeitung berichtete. Sachbearbeiter sollen demnach ab sofort besonders darauf achten, ob »begründbare Zweifel an der angezeigten Arbeitsunfähigkeit bestehen«. Selbst ärztliche Atteste sollen bei Bedarf auf ihre Plausibilität geprüft werden. Das Erwerbslosen Forum Deutschland (Elo-Forum) bezeichnete die Anordnung aus Nürnberg am Montag als »krank«.
Laut dem Springer-Blatt drohen unliebsame Hausbesuche vor allem Personen, die sich »auffällig häufig« und »auffällig häufig nur für kurze Dauer« krank melden oder wiederholt zu »Beginn oder am Ende einer Woche« krank werden. Verdächtig macht sich auch, wer wegen Krankheit Meldetermine des Arbeitsamts versäumt, wer Maßnahmen wie Fortbildungskurse oder einen neuen Job nicht antritt oder krank aus dem Urlaub zurückkehrt. Ein Indiz fürs Blaumachen soll nach dem siebenseitigen Papier auch vorliegen, wenn ein Langzeitarbeitsloser nach einem Streit mit seinem Fallmanager seine Abwesenheit ankündigt hat oder der Schein kommt, nachdem Urlaub abgelehnt wurde.
Martin Behrsing vom Elo-Forum kritisierte das Vorgehen aufs schärfste. Es sei »anscheinend wieder an der Zeit, eine neue Hetzkampagne gegen Hartz-IV-Beziehende zu starten«, so der Sprecher der Initiative in einer Pressemitteilung. Die BA zeige einmal mehr, wie unsensibel sie mit kranken Menschen umgehe. »Gerade Menschen in Armut sind signifikant häufiger krank«, bemerkte Behrsing. Das Mißtrauen gegenüber Betroffenen und die gleichzeitige Verschwendung von Steuergeldern seien »unangebracht« und gingen »an der Sache völlig vorbei«. Hintergrund sind offenbar konkrete Pläne der Nürnberger BA-Zentrale, vermeintliche Simulanten durch unangemeldete Kontrollbesuche von Ärzten des MDK zu entlarven. Laut Bild würde das die BA im Einzelfall 260 Euro kosten. Bei einer »Entscheidung nach Aktenlage« ohne Hausbesuch soll die Hälfte fällig werden. Der Boden für das von Bild als »Geheimplan« verkaufte Vorhaben wurde bereits im Juli 2012 bereitet. Damals beschloß der sogenannte Gemeinsame Bundesausschuß, dem Vertreter der Krankenkassen und der Kassenärzte angehören, daß bei ALG-II-Beziehern andere Begutachtungsmaßstäbe anzulegen sind als üblich. Als arbeitsunfähig gelten diese seither erst dann, »wenn sie krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten oder an einer Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen«. Diese Einschränkung gibt es für Erwerbtätige nicht, für ihre Hausärzte sind sie entweder krank oder gesund. Frank Jäger vom Wuppertaler Sozialhilfeverein Tacheles hält die von Amts wegen geforderte Differenzierung für bedenklich, weil sie das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient belaste. »Es kann nicht angehen, daß Mediziner ihre Diagnose danach treffen müssen, ob sie einen Erwerbstätigen oder einen Arbeitslosen vor sich haben«, sagte er am Montag gegenüber junge Welt. »Wir erleben hier eine Entwicklung, die immer mehr dahin geht, daß sich Hartz-IV-Bezieher als Patienten zweiter Klasse fühlen müssen«.
von den Nachdenkseiten
Jagd auf kranke Hartz-IV-Empfänger – die Kleinen hängt man …
Verantwortlich: Jens Berger
Nach Schätzungen der OECD schädigen Steuerhinterzieher den deutschen Staat mit jährlich mehr als 100 Mrd. Euro. Durch die Aufdeckung der „Offshore Leaks“ ist das Thema wieder auf die Tagesordnung zurückgekehrt. Doch was machen die deutschen Behörden? Jagen sie Steuerhinterzieher und deren Helfershelfer bei der Deutschen Bank? Nein. Deutsche Behörden machen stattdessen Jagd auf kranke Hartz-IV-Empfänger. Wenn erwerbsfähige Erwerbslose sich krankmelden, droht ihnen künftig ein Termin beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Und wenn das subjektive Gesundheitsempfinden nicht mit den objektiven Kriterien des MDK übereinstimmt, müssen die Erwerbslosen mit einer Sanktion rechnen – was nichts anderes heißt, als dass der Staat ihnen zeitweise die vom Grundgesetz garantierte Menschenwürde entzieht und ihnen das Existenzminimum verweigert. Die Kleinen hängt man, die Großen dürfen ihre eigenen Gesetze schreiben. Von Jens Berger.
Um was geht es?
Der angebliche „Geheimplan“ auf den sich die BILD-Zeitung in ihrer heutigen Ausgabe bezieht, ist nicht sonderlich geheim, sondern vielmehr eine Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit, die auf den 20. März datiert und nicht nur „BILD vorliegt“, sondern im Internet für jedermann abrufbar [PDF - 84.7 KB] ist. Auch der gesetzliche Rahmen für diese Anweisung ist keinesfalls neu, sondern wurde am 21. Dezember 2008 – pünktlich vor Weihnachten – von der großen Koalition im „Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente“ verabschiedet. Neu ist jedoch, dass die Bundesagentur für Arbeit den Mitarbeitern ihrer Jobcenter einen detaillierten Leitfaden an die Hand gibt, um die rechtlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen.
So stellt man sich bei der BILD offenbar kranke Erwerbslose vor: Die soziale Hängematte. Ein Wunder, dass der zuständige Bild-Redakteur kein Agenturbild mit Hängematte und Palmenhintergrund vor weißem Sand und blauen Meer herausgesucht hat.
Screenshot: bild.de
Ist Krankheit sanktionierbar?
Bei „begründetem“ Verdacht, dass ein ansonsten erwerbsfähiger Erwerbsloser trotz ärztlichen Attests doch nicht krank – also arbeitsunfähig – ist, können die Mitarbeiter in den Jobcentern nun den MDK einschalten und eine Prüfung veranlassen. Eine solche Begründung liegt laut Dienstanweisung beispielsweise dann vor, wenn der Erwerbslose das Pech hat und am Ende seines Urlaubs, am falschen Wochentag oder einfach nur „auffällig häufig“ krank wird. Eine Prüfung soll auch dann veranlasst werden, wenn der krankschreibende Arzt dem Jobcenter in welcher Art auch immer verdächtig erscheint. Der Willkür sind dabei Tür und Tor geöffnet.
Der MDK ist eine Einrichtung der gesetzlichen Krankenkassen, der für so wichtige Dinge wie der Frage, ob man überhaupt als erwerbsfähig gilt oder ob man pflegebedürftig ist. Mit der Frage, ob ein Hartz-IV-Empfänger beim Arzt bei der Krankschreibung ein wenig gemogelt hat, hatte der MDK bis dato nichts zu tun. Es geht der Bundesagentur jedoch nicht nur ums „Blaumachen“, sondern auch um „Irrtümer“ bei der „Selbsteinschätzung“ ihrer Kunden. Sprich – das Jobcenter darf Erwerbslose auch dann sanktionieren, wenn sie „irrtümlich“ der Meinung waren, aufgrund einer Erkrankung arbeitsunfähig zu sein, dies jedoch vom MDK „objektiv“ anders gesehen wird. In der Dienstanweisung heißt es wörtlich: „Ein solcher Irrtum hindert den Eintritt einer Sanktion nicht“. Erwerbslose, die von psychischen und psychosomatischen Beschwerden gepeinigt werden, könnten dadurch eine böse Überraschung erleben und für ihre Erkrankung doppelt bestraft werden – unter anderem mit einer Sanktionierung, also einem zeitweisen Entzug des soziokulturellen Existenzminimums.
Eine Prüfung durch den MDK kostet die Bundesagentur – und damit die Steuerzahler – bis zu 260 Euro, also drei Viertel des Hartz-IV-Regelsatzes. Ein wie auch immer geartetes Einsparpotential ist durch diese Maßnahmen somit nicht zu erwarten – im Gegenteil. Es geht vielmehr darum, den massiven Druck auf die Erwerbslosen abermals zu steigern: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Und wer beispielsweise unter sporadischen Migräneanfällen leidet, sollte sich doch bitte zweimal überlegen, ob er sich beim Jobcenter krank meldet und damit vielleicht eine Sanktionierung riskiert. Wieder einmal zeigt sich, dass die Sanktionen nicht nur in Ausnahmefällen als letztes Mittel eingesetzt werden, sondern mittlerweile ein alltägliches Disziplinierungsinstrument zur Zwangsausübung sind. Die Politik ist stets ganz weit vorn, wenn es darum geht, Menschenrechtsverletzungen in Ländern, die nicht mit uns verbündet sind, zu beklagen. An die Menschenrechte der Erwerbslosen im eigenen Land denkt dabei niemand; erst recht dann nicht, wenn es sich um kranke Erwerbslose handelt.
Halali! Die Hatz auf die Armen ist eröffnet
Natürlich gibt es Erwerbslose, die lieber „blaumachen“ als einem Vermittlungsangebot der Arbeitsagentur folge leisten. Und dazu zählt nicht nur der ehemalige Ingenieur, der mit seinen 55 Jahren keine Lust hat, sich die Beine für sechs Euro pro Stunde als Wachmann in den Bauch zu stehen. Warum sollten Erwerbslose auch mustergültigere Bürger als der Rest der Gesellschaft sein. Und? Ist das wirklich so dramatisch? Was kommt als nächstes? Die elektronische Fußfessel für Erwerbslose? Schließlich steht ja auch der Vorwurf im Raum, dass nicht jeder Erwerbslose 24 Stunden am Tag vor seinem Telefon auf einen Vermittlungsvorschlag des Jobcenters wartet.
Glauben unsere Politiker denn wirklich an den „anstrengungslosen Wohlstand“, die „spätrömische Dekadenz“, die „soziale Hängematte“, in der man es sich mit 382 Euro im Monat gemütlich machen kann? Oder hat der Niedriglohnsektor etwa auch schon einen „Fachkräftemangel“ vermeldet, weil Millionen Erwerbslose lieber „blaumachen“ als einen miserabel bezahlten Job anzunehmen? Dagegen gäbe es eine Medizin: Löhne rauf! Aber das wäre ja der Untergang des Abendlandes. Dann lassen wir lieber kranke Erwerbslose vom MDK jagen. Wer weiß? Vielleicht verbringt einer dieser erwerbslosen Faulenzer seine erwerbslose Zeit ja in Wirklichkeit nicht krank, sondern gesund auf der Couch? Als ob dieses Land keine anderen Probleme hätte. Würden die Behörden bei potentiellen Steuerhinterziehern nur ansatzweise so gnadenlos sein wie bei potentiellen Hartz-IV-Blaumachern, hätte der Staat zumindest mehr als genug Geld, um Erwerbslose sinnvoll zu fördern. Aber dann würde ja auch der Druck auf potentielle Niedriglöhner sinken und das darf im Niedriglohnparadies Deutschland natürlich nie geschehen.
Eine kleine Notiz am Rande: Da der MDK eine Einrichtung der gesetzlichen Krankenkassen ist, gilt die Regelung der Bundesagentur für Arbeit nicht für privatversicherte Erwerbslose. Die dürfen – wenn Sie es denn wollen – auch künftig blau machen. Ob damit der Wettbewerb zwischen den Krankenkassensystemen angekurbelt werden soll? Man weiß so wenig …
Wohl eher Pressefeigheit
Eine Studie vergleicht, wie vier Tageszeitungen und zwei Wochenmagazine mit den Themen Armut und Reichtum umgehen
Von Peter Wolter
Deutschland ist zwar stinkreich – seit vielen Jahren nimmt die Armut jedoch stetig zu: Flaschensammler, Bettler und abgerissene Gestalten gehören in Großstädten mittlerweile zum Straßenbild. Die Autoren Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz haben jetzt untersucht, wie sich das Thema »Armut« in deutschen Printmedien niederschlägt: Gegenstand ihrer Studie, die am Samstag in Berlin von der Rosa-Luxemburg-Stiftung vorgestellt wird, sind vier Tageszeitungen und zwei Wochenmagazine: Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Spiegel und Die Zeit.
»Wissen wollten wir«, schreiben die Autoren in der Einleitung, »ob und wie der Journalismus die gesellschaftlichen Veränderungen beurteilt, die unter Stichworten wie Reichtumsexplosion, Verarmung, Prekarisierung, soziale Ungleichheit in den öffentlichen Debatten und Meinungsumfragen zunehmend an Bedeutung gewonnen haben.« Für die Studie seien mehr als 10000 Computerseiten Text ausgewertet worden.
Die Pressefreiheit sei eher zur »Pressefeigheit« mutiert, urteilen die Autoren zusammenfassend. »Der blinde Fleck des Journalismus ist die stumme Macht des Reichtums.« Die Zusammenballung riesiger Reichtümer in den Händen weniger Eigentümer werde in der Regel nicht weiter kommentiert, deren Einfluß auf politische und gesellschaftliche Entscheidungen werden bestenfalls beiläufig erwähnt; das Thema werde eher personalisiert als analysiert. »Erregungszustände anläßlich von Krisenhöhepunkten« schlügen sich mehr im Feuilleton nieder.
Daß die Armut in Deutschland zunimmt, so die Autoren, wird von den untersuchten Medien durchaus wahrgenommen, das Thema nehme mitunter sogar breiten Raum ein. Durchgängige Kommentarpraxis sei es allerdings, den Gesamtkomplex zu zerlegen: in Kinder-, Alters-, Migranten-, Langzeitarbeitslosen- und Alleinerziehenden-Armut. »Frauen sind, das fällt auf, nur als Mütter arm.« Damit wird der ärmere Bevölkerungsteil in Problemgruppen zerlegt: »Das Problem sind eher die Leute, weniger die Bedingungen, mit denen sie konfrontiert sind.«
Recht unkritisch gehen die untersuchten Printmedien mit der Wirtschaft um, den Produktionsverhältnissen also. Sie werden nicht weiter in Frage gestellt, Stichworte wie »Globalisierung« reichen oft als Begründung dafür, daß man daran weiter nichts ändern kann. »Wirtschaft ist, wie sie ist.« Gleich, ob es um Mindestlöhne, Steuern, Bildung oder Sozialtransfers geht – der Studie zufolge werden Lösungen von Individuen oder vom Staat gefordert – und fast nie von Unternehmen oder ihren Besitzern. Es spreche viel für die Feststellung: »Den Journalismus befällt das Schweigen beim Anblick der sozialen Kluft.«
Recht gut schneidet die Berliner Zeitung in der vergleichenden Studie ab. Reichtum und Armut seien zwar auch hier keine häufigen Kommentarthemen, würden aber mehr als anderswo aufgegriffen. »Man kann von einer redaktionellen Linie sprechen, der das Soziale wichtig und das Wirtschaftliche verdächtig ist.« Armut werde nicht als individuelles Versagen gewertet, sondern als gesamtgesellschaftliches Problem mit schlimmen Auswirkungen auf die davon Betroffenen. Im Tagesspiegel konnten die Autoren zwei Argumentationslinien ausmachen, die »offenkundig tolerante Grundhaltung der Redaktionsleitung« wirke sich nicht qualitätsfördernd aus, es gebe durchaus exzellente Beiträge, aber in Einzelfällen sei das Argumentationsniveau geradezu »erschütternd.«
Auch in der Süddeutschen Zeitung stießen die Autoren auf zwei Kommentarwelten: Affirmativ die eine – sozial sensibel die andere. Bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – wer hätte das gedacht! – steht nicht die Armut, sondern der Reichum im Zentrum, er »wird verteidigt und gewürdigt.« Mögliche Wechselwirkungen zwischen Armut und Reichtum fasse die Redaktion nicht ins Auge.
Der Spiegel greift diesen Themenkompex nur »punktuell, wenig engagiert und damit unzuverlässig« auf. Verglichen mit Hartz-IV-Empfängern oder prekär Beschäftigten werden Wohlhabende laut Studie »tendentiell hofiert und ihre Interessen mit viel Umsicht bedacht.« Das Blatt tendiere dazu, die Sorgen der oberen Schichten zu den seinen zu machen. »Reichtum« sei für die Redaktion kein gesellschaftlich relevanter Faktor – wohl aber ein Unterhaltungsthema. »Der Spiegel spielt sich auf. Er weiß es besser, egal, worum es gerade geht.« Er sei zwar nicht strukturell, wohl aber intellektuell Bild ähnlich.
Der Zeit hingegen bescheinigen die Autoren verantwortungsvollen Journalismus. Die Wirtschaftsredaktion habe keinen isolierten Blick auf die Ökonomie, heißt es, sondern verstehe sie als ein Feld der Gesellschaftspolitik. Der Wochenzeitung gelinge es, Gegenperspektiven zu eröffnen und Zusammenhänge offenzulegen, die andere Medien ausblenden. »In der Summe ist die redaktionelle Leistung der Zeit ausgezeichnet«.
Samstag, 11.00 bis 16.00 Uhr, Franz-Mehring-Platz 1, Salon. Zwischen Skandalisieren und Verschweigen – Reichtum und Armut im öffentlichen Diskurs. Die Autoren Hans-Jürgen Arlt und Wolfang Storz stellen die Ergebnisse ihrer Studie vor.
Gegen Entwürdigungspraxis
Zur »Freistellung« der JobCenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann in Hamburg erklärt die Bundesarbeitsgemeinschaft Hartz IV (BAG Hartz IV) der Partei Die Linke:
Wir (…) sind empört, daß Mitarbeiter des JobCenters, welche nicht sanktionieren, sondern auf eine menschliche Behandlung und ordentliche Bearbeitung der Leistungen von Hartz-IV-Betroffenen beharren, auf diese Art ihres Amtes enthoben werden. Das JobCenter zieht statt dessen Mitarbeiter vor, welche die Leistungsberechtigten knechten und sanktionieren. Wenn selbst Mitarbeiter sich bereits beschweren, sollten doch alle Alarmglocken klingeln. Was spricht dagegen, daß ein Mensch mit seinen Mitmenschen ordentlich umgeht und ihre Menschenwürde nicht mit den Füssen tritt?
Wir wünschen uns, daß sich alle Mitarbeiter in den JobCentern unseres Landes sich endlich gegen diese Entwürdigungspraxis, welche sie an ihren Mitmenschen ausüben müssen, wehren. Wir fordern die Politik auf, sofort dieses unwürdige System mit all seinen Sanktionsparagraphen, welches Knechtungsparagraphen sind, abzuschaffen. Statt dessen ist den Menschen unseres Landes (…) eine Mindestsicherung von zurzeit mindestens 1050 Euro netto zu gewähren. In all den Regionen, wo diese sich im Bereich der Armutsgrenze (Pfändungsfreigrenze) befindende Mindestsicherung nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt und die Mieten zu decken, ist den Menschen zusätzlich Wohngeld zu gewähren. (…) IV muß weg – ohne Wenn und Aber! Ein Flächendeckender Mindestlohn muß sofort eingeführt werden!
www.nachdenkseiten.de
Arbeitslosenzahl im April 2013 wieder gesunken – Arbeitslosenzahl sinkt im Mai 2013 weiter
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Natürlich sind wir keine Propheten und haben auch keine Vorabergebnisse aus Nürnberg. Trotzdem sind wir uns sicher. Und genauso sicher sind wir uns auch, dass eine ganze Reihe von Medien in diesem Stil titeln wird.
Woher die Sicherheit der Vorhersage?
Der Grund ist einfach: Die Arbeitslosenzahlen sind seit der Wiedervereinigung in jedem April im Vergleich zum März des gleichen Jahres gesunken. Das Gleiche gilt für den Mai im Verhältnis zum April (siehe Tableau [PDF - 55.8 KB]). Man weiß eben, dass das der übliche Frühjahrsaufschwung ist. Von Gerd Bosbach.
Die Meldung „Arbeitslosenzahl im April wieder gesunken“ besagt also gar nichts über die längerfristige Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Der schnelle Konsument kann aber genau das aus der Überschrift vermuten, von einem Aufschwung träumen und das der Wirtschaftspolitik der Regierung positiv zuschreiben. Vor allem, wenn dieses Absinken in den Monaten März, April, Mai und aller Voraussicht nach für den Juni verkündet wird.
Will man als Redakteur oder Fachmann nicht den jährlichen Frühjahrsaufschwung beschreiben, sondern die längerfristige Wirtschaftsentwicklung, bietet die Statistik zwei aussagekräftige Indikatoren: Der Vergleich mit dem Vorjahresmonat und die saisonbereinigte Arbeitslosigkeit. Und obwohl beide Größen im März dieses Jahres gestiegen sind (+70.000 zu März 2012 (Vorjahresmonat); +13.000 saisonbereinigt zu Februar 2013 (Vormonat)) überwogen Ende März Überschriften der Art:
„Arbeitslosenzahl sinkt im März auf 3,098 Millionen“ (tagesschau.de, swr.de, …)
„Arbeitslosenzahl in Deutschland sinkt im März um 58.000“ (t-online.de)
„Arbeitslosenzahlen sinken im März weiter“ (FR-Online.de)
„Arbeitslosenzahl sinkt im März nur wenig“ (rp-online)
„Zahl der Arbeitslosen sinkt im März schwächer als üblich“ (focus.de)
Natürlich haben die meisten Medien im Text erwähnt, dass das Sinken saisonüblich ist; viele haben auch zumindest eine der beiden aussagekräftigen Vergleichsgrößen gebracht. Aber da hat die Überschriftenzeile schon längst ihre Wirkung entfaltet. Und wer liest zu diesem monatlich wiederkehrenden Thema schon das Kleingedruckte?
Dummheit oder Bosheit?
Wegen der Kürze der Zeit zwischen Bekanntgabe der Zahlen und der Weitergabe durch Ihre Medien wird fast zwangsläufig auf das gesprochene Wort des Präsidenten der BA, die kurze Pressemitteilung oder sogar die Vorabmeldung zurückgegriffen. Ein Blick auf die seriöseste dieser drei Meldungen, die offizielle schriftliche Pressemitteilung, spricht Bände (Pressemitteilung 17 vom 28.3.2013):
Zwei der drei im Kopf genannten Zahlen beziehen sich auf den Vergleich zum Vormonat, ohne Saisonbereinigung. Die Meldung beginnt mit dem Absinken der absoluten Zahl um 58.000 gegenüber dem Februar 2013.
Die ersten Sätze lauten: „Im Zuge der beginnenden Frühjahrsbelebung ist die Arbeitslosigkeit im März gesunken. Sie hat gegenüber Februar um 58.000 auf 3.098.000 abgenommen.“ Erst am Ende des ersten Absatzes werden die für die Arbeitslosenentwicklung aussagekräftigen Größen erwähnt (zum Vorjahresmonat, saisonbereinigt zum Vormonat).
Anders bei acht der neun anschließend beschriebenen Entwicklungen (Arbeitslosengeld, Erwerbstätigkeit, Arbeitskräftenachfrage, …): Dort bringt die BA nur den Vergleich zum gleichen Monat des Vorjahres und erwähnt den Vergleich zum Vormonat noch nicht einmal in Klammern. Die Autoren der Meldung wissen also genau, was korrekt ist.
Die Zahl der Arbeitssuchenden (5,1 Millionen) sucht man vergeblich unter den vielen der aufgeführten Fakten! Passt das zu schlecht zu den Meldungen über Fachkräftemangel?
(Wenn Sie mehr zu diesem Thema erfahren wollen, dann können Sie das im Buch „Lügen mit Zahlen“ im Kapitel 5 „Die große Freiheit der Prozentisten“ nachlesen. Tiefergehende Informationen über die drei genannten Indikatoren oder die Veränderungen der Zähl- und Darstellungsweisen von Arbeitslosenzahlen finden Sie auch auf S. 165 bis 167 des Buches.)
Bundessozialgericht: Keine Sippenhaft im Hartz-IV-Bezug – und Kindern steht ein passendes Bett zu
Von Susan Bonath
Dürfen Angehörige in Mithaftung genommen werden, wenn der erwachsene Sohn den Anordnungen des Jobcenters nicht gehorcht und sanktioniert wird? Oder: Muß ein Kind, das typischer Weise wächst, im zu klein gewordenen Babybett nächtigen? Für zwei Familien im Hartz-IV-Bezug war das bittere Realität: Jahrelang haben sie sich deshalb durch alle Instanzen geklagt. Ende vergangener Woche hat das Bundessozialgericht zu ihren Gunsten geurteilt.
Mit Sippenhaft drangsalierten Herrscher schon im Mittelalter das Volk. Wer sich heute in der Hartz-IV-Mühle befindet, ist nicht davor gefeit, für Angehörige der sogenannten Bedarfsgemeinschaft den Kopf hinzuhalten. Eine alleinerziehende Mutter und ihr minderjähriger Sohn bekamen das im Jahr 2009 zu spüren, wie das Bundessozialgericht in Kassel am 23. Mai informierte. Weil ihr zweiter mit im Haushalt lebender und mit 22 Jahren bereits erwachsener Sohn Angebote des Jobcenters nicht wahrnahm, strich ihm die Behörde für drei Monate sämtliche Leistungen, darunter auch seinen Beitrag zur Miete. Nach dem Pro-Kopf-Prinzip teilen Jobcenter die »Unterkunftskosten« nämlich gleichmäßig auf alle Familienmitglieder auf. In diesem Fall waren das 175,50 Euro. Diese Summe mußten die Kläger fortan aus ihrem eigenen Regelsatz mitfinanzieren. Für die Mutter betrug dieser damals 359 Euro, für den anderen Sohn 287 Euro.
Dazu sah sich die Klägerin nicht in der Lage. Doch das Jobcenter blieb stur: Würde der Mietanteil des Sohnes übernommen, liefe »die erzieherische Maßnahme ins Leere«, begründete es seine Ablehnung. Die gerichtlichen Vorinstanzen gaben der Behörde zunächst Recht. Doch mit seinem Urteil vom 23. Mai 2013 stellt das Bundessozialgericht klar: »Eine faktische Mithaftung für sanktioniertes Fehlverhalten des erwachsenen Sohnes sieht das Zweite Sozialgesetzbuch nicht vor.« Allein durch den Umstand, daß unter 25jährige nicht aus der Bedarfsgemeinschaft ausziehen dürften, sei die Klägerin zum Einsatz ihres Einkommens für ihr Kind verpflichtet. »Das Jobcenter muß den zeitweilig erhöhten Bedarf für Unterkunft und Heizung ausgleichen«, so die Kasseler Richter. Denn die individuellen Ansprüche der Kläger überwögen das »Erziehungsprinzip«.
In einem anderen Fall hatte eine alleinerziehende Mutter den Klageweg vor drei Jahren beschritten. Ihr damals dreijähriger Sohn paßte nicht mehr in sein Babybett. Bei ihrem Freiburger Jobcenter beantragte sie, die Kosten für eine größere Schlafgelegenheit als Erstausstattung zu gewähren. Ihr Argument: Nach der Geburt bekämen Hartz- IV-Bezieher einmalig die notwendige Grundausstattung für den Säugling bezahlt. Alle weiteren Kosten müßten sie aus dem Regelsatz decken. »Ich kann mein Kind aber nicht lebenslang im Gitterbett schlafen lassen«, zitierte die Dattelner Morgenpost am Sonntag die Mutter.
Doch auch in diesem Fall lehnte die Behörde ab; für sie war schlicht »Bett gleich Bett«. Und schließlich enthalte der monatliche Regelsatz 5,10 Euro für Möbel, die angespart werden könnten, begründete das Jobcenter, das zunächst Rückendeckung von den ersten beiden Instanzen bekam. Während die Mutter ihrem Kind zwischenzeitlich selbst ein Bett für 272,25 Euro beschaffte, hat das Bundessozialgericht nun im Revisionsverfahren klargestellt: »Das Jobcenter hat die Leistungen für ein Jugendbett rechtswidrig versagt.« Dieses sei eine angemessene und benötigte Erstausstattung und müsse der Klägerin erstattet werden. Auf die Höhe des Anspruchs wollten sich die Kasseler Richter jedoch nicht festlegen. Sie überwiesen das Verfahren deshalb zurück an das Landessozialgericht.
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