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auch schoen,aber ernst!von degenhardt getextet:
Lied für die ich es sing
Dieses Lied ist für Pastor Klaus,
weil der ließ in sein Pastorhaus
nachts jemand, den hat er nicht gekannt,
voll Blut und Wunden, verbrannt.
Dem war der Sprengsatz zu früh explodiert
am Gleis, das zum Waffen-Exportlager führt.
Pastor Klaus hat sofort kapiert.
Die Angst hat sein’ Hals zugeschnürt.
Aber er hat das Blut gestillt
und hat die Wunden gesalbt und geölt
und er linderte die Pein
mit Cannabis und rotem Wein.
Pastor Klaus, bist nur Pastor, schwach
glaubst du nur an ein Leben danach.
Doch wenn du stirbst, kommst du ganz schnell
au père éternel.
Dies Lied ist für Rosemarie,
weil bei der Kripo, da hat sie
einen einfach nicht wiedererkannt,
einen aus Morgenland.
Der war aus der Bank rausgerannt
und die Pistole noch in der Hand,
lief auf sie zu, und sie blieb stehn.
Sie hat sein Gesicht gesehn.
Aber wie er jetzt so da stand
zwischen zwei Deutschen und an der Wand
mit diesem schrecklich verlorenen Gesicht,
sagte sie: Der war es nicht.
Rosemarie, bist nur Rentnerin,
und die Belohnung, die ist jetzt hin.
Aber du lachst und weißt, deinen Lohn,
hast du ja schon.
Dieses Lied ist für die Richter, die
sich vor Raketen bei Eis und Schnee
auf die Straße setzten und sie
blockierten. Das gab es noch nie!
Solche wie ihr haben immer nur
so gerichtet, wie’s immer schon war,
und geschielt, ob der Chefpräsident
euch winkt, eure Namen nennt.
Ihr habt gebrochen mit diesem Brauch
und habt gezeigt, anders geht’s auch.
Mehr ist das als nur ein Hoffnungsstrahl.
Das funkelt und funkt überall.
Einfache Richter seid ihr nur, doch
eure Namen, die nennt man noch,
wenn den Namen vom Chefpräsident
längst keiner mehr kennt.
Dies Lied ist für Lisa, Tony und Gerd,
haben die Schreie nicht überhört
in jener Nacht, als das johlende Pack
das Flüchtlingsheim angesteckt hat.
Rannten durch Knüppel und Steine ins Haus,
löschten und hielten so lange aus,
bis schließlich doch Polizei auftrat,
die Nazis nach Hause bat.
Ihr habt noch in derselben Nacht
die Kinder zu euch nach Hause gebracht.
Beim Lachen und Spielen mit ihnen verflog
die Angst und ihr tanztet dann noch.
Es müßte die Stadt, Lisa, Tony und Gerd,
vom Erdboden verschwinden, wenn ihr nicht wärt.
Im Antifa-Himmel kriegt ihr zu dritt
den Orden »Pour le Mérite«.
Und für Natascha Speckenbach
ist dieses Lied, weil die gibt nicht nach.
Sagt, es ginge nicht, daß sie sich schont
im Viertel, da, wo sie jetzt wohnt.
Geht mit den Obdachlosen aufs Amt,
steht, meist allein, noch am Info-Stand,
macht mit den Frauen von überall her
Deutsch und noch Einiges mehr.
Haare noch wie Tomatensaft,
immer noch gibt sie den anderen Kraft.
Aber die Ärzte geben ihr klar
höchstens noch anderthalb Jahr.
Natascha Speckenbach von der Ruhr,
bist eine schlichte Genossin nur,
aber unsterblich bist du, ganz klar,
noch nach anderthalb Jahr.
Pastor Klaus und Rosemarie,
Natascha, Gerd, Tony und die
Richter, und gibt auch noch paar mehr,
kommen von überall her.
Die machen vieles so ohne Netz
und, wenn es Not tut, auch ohne Gesetz,
und tun oft was ganz ungeschützt,
was ihnen gar nicht nützt.
Überhaupt nicht auf der Höhe der Zeit,
sind sie vor fremder Not nicht gefeit.
Einige glauben sogar daran,
daß man das alles noch ändern kann.
Ob das so kommt und ob das so geht,
das weiß ich nicht mehr. Ich sing nur dies Lied.
Doch ohne die, für die ich es sing,
hätt alles kein Sinn.
Französischer Text u. Musik: Georges Brassens. Deutscher Text: Franz Josef Degenhardt; erschienen auf der LP »Da müssen wir durch« (1987), © Kulturmaschinen Verlag, Berlin
Kommunistische Spinnerei
80 Jahre Degenhardt – ein großartiges Konzert am 19. Dezember im Berliner Ensemble, das mußten selbst jene zugeben, die, wie der Berliner Tagesspiegel vom 21.12., »hier und da hervorwabernden altlinken Muff« auszumachen glaubten oder gar eine »Verherrlichung des real existierenden Sozialismus«. Überall wird Degenhardt als der große Meister des Liedes, aber auch die auftretenden Künstler ob ihrer gelungenen Interpretation von Degenhardt-Songs und klug ausgewählter eigener Lieder gefeiert. Gleichzeitig wird aber auch »viel unverdaute Ostalgie« und »manche kommunistische Spinnerei«, entdeckt, wie das Oliver Kranz am 20.12. auf NDR-Kultur kundtat.
Kommunistische Verblendung wird dabei zunächst vor allem der »Drecksau mit dem Ulbrichtbart« Franz Josef Degenhardt unterstellt. Dann aber auch gerne Barbara Thalheim. Sie trug ihr Lied »Die Vögel singen nicht mehr« vor, in dem sie sich mit der Stagnation vor allem in der Endphase der DDR kritisch auseinandersetzt. Was daran Ostalgie und kommunistische Spinnerei sein soll, ist schnell geklärt. Zum einen erlaubte sich Barbara Thalheim eine Vorbemerkung zu ihrem Lied, in dem sie nüchtern feststellt, daß die Stagnation, die sie in der DDR erlebt habe, lächerlich sei im Vergleich zu der Stagnation, in der sie nun seit 21 Jahre lebe. Zuvor sang sie Degenhardts »Dies Land ist unser Land« und bemerkte, daß dieses Land erst dann ihr Land sei, wenn der Präsident des Landes in der jungen Welt einen Nachruf zum Tod einer großen Schriftstellerin wie Christa Wolf veröffentlicht. Hat ja höchstens indirekt mit Degenhardt zu tun, monierte der NDR, aber »viele Künstler (…) waren derart von Sendungsbewußtsein durchdrungen, daß sie die Gelegenheit für politische Stellungnahmen nutzten«. Das stimmt insofern, daß mit jedem der 29 Lieder Stellung bezogen wurde. Die meisten Künstler hatten sich allerdings wertender Kommentare enthalten.
Viele Zeitungen haben bis heute über diese Veranstaltung nicht berichtet. Und die berichtet haben, vermeiden es (bis auf Unsere Zeit, Zeitung der DKP), ihrer Chronistenpflicht nachzukommen und die junge Welt als Veranstalter zu benennen, die für inhaltliche Zusammenstellung und Organisation die Hauptverantwortung trug. Nur durch die Zusammenarbeit von melodie&rhythmus, junge Welt und Berliner Ensemble war dieser außergewöhnliche Abend möglich. (jW)
40 Jahre Berufsverbote
Von Franz Josef Degenhardt
»Also, hier ist Ihre Akte«
Befragung eines Lehramtskandidaten im Rahmen eines Anhörungsverfahren durch einen Herrn aus Bonn ohne falschen Bart und in Anwesenheit eines Regierungsdirektors, SPD.
Solo des Herrn aus Bonn:
Bitte, um es gleich zu sagen: Wir sind hier für Offenheit.
Wird soviel hineingeheimnißt –
so Gesinnungsschnüffelei ’so weiter –
trifft die Sache nicht.
Sie zum Beispiel wollen Lehrer werden,
wollen also was von uns. Also werden wir Sie prüfen,
ist doch logisch.
Staatsumkrempler, Radikale,
Revolutionäre mit Gehältern nach A13
und Pensionsansprüchen machen wir hier nicht.
Also, hier ist Ihre Akte. Rein beruflich alles bestens.
Erste Lehramtsprüfung: sehr gut.
Sind kontaktstark und belastbar,
halten sich zurück in Ihrem Urteil,
und Sie sind kollegial. Na bitte!
Aber das genügt uns nicht; denn hier kommt es darauf an:
Bieten Sie Gewähr, voll einzutreten jederzeit
für diese freiheitliche und so weiter, na Sie wissen schon!
Na, und hier in Ihrer Akte –
das gibt’s jetzt in jeder Akte – die Bewertungskarte PPD;
das ist die politische Personaldatei.
Haben wir uns ausgedacht.
Echter Fortschritt, Punktbewertung, Lochkartensystem und
Praktisch wie die Verkehrssünderdatei.
Das objektiviert die Sache ganz enorm.
Damit ist der Gleichheitsgrundsatz
bestens garantiert und ist alles demokratisch, haha.
Und so funktioniert das:
Jeder Minuspunkt ein Loch, und ist die Minuspunktzahl von 45
dann erreicht, dann: Juppdika und ratata:
der Datenspeicher wirft die Karte aus,
und wir wissen: Wieder mal ein Radikaler,
bietet nicht Gewähr, voll einzutreten jederzeit
für diese freiheitliche und so weiter, na Sie wissen schon!
So, und jetzt zu Ihnen ganz konkret.
Und was sehn wir da zunächst mal?
Diese 20 Löchlein in der Karte. Das sind fünfmal Ihre Unterschriften:
Gegen Rüstung und das neue Chile und Berufsverbote,
für das neue Portugal und für den 1.Mai mit Kommunisten.
Dazu kommen 13 Löchlein für Versammlungsstörung –
Zwischenrufe und so weiter,
ganz egal, ob CDU-, ob NPD-Versammlung,
darauf kommt es hier nicht an.
Und hier nochmal sieben Löcher für ’ne Demo Umweltschutz.
Wie bitte? Unpolitisch? Dabei sind doch immer Kommunisten.
So, das sind schon 40 Minuspunkte,
Dazu kommen fünfe,
weil Sie in ’ner Wohngemeinschaft leben.
Nix da, nix da, das ist billiger als Einzelzimmer.
So schlau sind wir auch.
Unter einer Decke stecken, Zellen bilden,
darauf läuft das doch hinaus.
Also macht summa summarum 45 Minuspunkte,
und das heißt: Sie sind ein Radikaler,
bieten nicht Gewähr, voll einzutreten jederzeit
für diese freiheitliche und so weiter, na Sie wissen schon!
Na, nu lassen Sie den Kopf nicht hängen.
Ist ja noch nicht alles aus.
Hier ist nämlich ein Angebot:
Oder, warum meinen Sie, erklär’ ich Ihnen alles so genau?
Vorschlag also der:
Sie hängen noch ein paar Jährchen dran,
sammeln ein paar Pluspunkte, paar schöne,
daß Sie wieder runterkommen, so auf 10 bis 20 Minuspunkte.
Das genügt uns schon.
Na, und was Sie machen sollen? Hören Sie sich ein bißchen um
bei Kollegen und so weiter, was man redet und so weiter,
na, Sie wissen schon.
Halt, wo wollen Sie denn hin? Laufen Sie nicht weg.
Läuft der raus! Na, ich sag ja: Radikaler!
Bietet nicht Gewähr, voll einzutreten jederzeit
für diese freiheitliche und so weiter, na Sie wissen schon!
Das Gedicht »Belehrung nach Punkten« erschien zuerst 1975 auf der LP »Mit aufrechtem Gang«. Wir danken dem Kulturmaschinen-Verlag Berlin für die freundliche Genehmigung zum Abdruck. Im Verlag erscheint eine zehnbändige Ausgabe der Werke Franz Josef Degenhardts.
Unwetter in Blau
Schau mir in die Augen, Herdentier: Kai Degenhardts neues Album »näher als sie scheinen«
Von Matthias Reichelt
Aufwachen, bitte: Kai Degenhardt im Konzert zu Ehren seines Vaters im Dezember im Berliner Ensemble
Ein Wintertag an der ruhigen See, in einem Strandkorb Kai Degenhardt, relaxt mit Schirmmütze. Die Beine hat er hochgelegt. Der Gitarrenkoffer ist griffbereit. Ein kurzes Innehalten, den Gedanken nachhängen, bevor es auf Tour geht. Dieses Motiv schmückt das Cover von Degenhardts neuer, fünfter CD »näher als sie scheinen«. Im balladesken, etwas rätselhaften Titelsong räsoniert er über die Verklärung der Vergangenheit, der ersten Liebe, und über das Aufwachen. Bei aller Melancholie ist da die Ahnung: »Die Dinge sind oft näher, als sie scheinen.«
Privates und Politisches sind bei Degenhardt eng verzahnt. Nie gibt es nur die Liebe und das kleine Glück. Das große Ganze wird immer mitgedacht, denn die Verhältnisse, die sind nicht so, daß einem davon nicht übel werden könnte: »Wenn du wegrutschst jetzt an dem hellichtgrünen Tag / Auf dem schwarzen Boulevard und dich der Ekel packt / vor allen Gegenständen und der Ratte Zeit, die frißt und nagt«.
Kai Degenhardt kann mittlerweile auf eine beachtliche Karriere als Singer/Songwriter zurückschauen, hat also seit den 90ern längst nicht »nur« seinen berühmten, im November verstorbenen Vater auf Platten und Tourneen begleitet. Meist produziert er seine Alben im Alleingang. Hier und da veröffentlicht er kenntnisreiche Musikkritiken und bezieht politisch Position.
Auf der neuen CD ist Degenhardts Gitarrenspiel gewohnt exzellent. Die Rhythmen werden von Samples aus Gitarrenriffs oder Alltagstönen (bis zum »Miau« einer Katze) vorgegeben. Die 16 Stücke sind Zustandsbeschreibungen der Gegenwart. Sie erzählen aus Fußgängerzonen oder von den Schnöseln im Bankmanagement, deren Vokabeln (»buy out«, »scoring«, »haircut«) sich selbst erklären. Es gibt den »Dosenpfandschnorrer«, »Kiffer-Knut« und »Kleinkriminelle mit Adidas«. Das alljährliche Highlight des kleinkarierten Kellners und Alkoholikers Michael ist »vier Wochen Ficken in Bangkok«. Innerhalb solcher Parallelwelten wird die soziale Frage verdrängt. Degenhardt aber behält sie im Kopf, stellt die Figuren in die Chronik der Klassenkämpfe, erinnert an den Matrosenaufstand von 1918, an Liebknecht und Luxemburg, singt von Revolution und Konterrevolution.
Die Stücke oszillieren zwischen illusionsloser Endzeitstimmung und der Zuversicht, daß es nicht lange so weitergehen kann, denn »auch ihr Industriemagnaten, Leistungsträger mit Depots, Sitz und Platz in Offshore-Staaten, seht den Milliardär auf Schienen liegen…« Siegesgewißheit ist das nicht unbedingt. Es bleiben Zweifel, aber der Crash rückt näher. Im längsten Stück mit dem schönen Titel »Unwetter in Blau« – eigentlich schon eine Erzählung –, wird die Konkursmasse eines gescheiterten Bankers von zwei Kollegen kommentiert, Objekt für Objekt. Die beiden sondieren die ökonomische Lage, lassen ’68 Revue passieren. Peu à peu erschließt sich das Bild abgehalfterter Egomanen ohne Bodenhaftung.
In »Auf Augenhöhe« erteilt ein Manager Lektionen als Pferdehalter: »Nicht zuviel face time und nie direkt in die Augen schauen« und ja kein »Angekumpel, das sind Herdentiere«. Nahtlos gehen diese kennerhaften Ratschläge zur Dressur – »kein Zucker, keine Peitsche« – über in Sozialdarwinismus und Klassenkampf von oben. Großzügig werden Managementfehler eingeräumt, doch »streiken hilft da nichts, das wissen die auch«. So erzählt man einen vom Pferd.
Wie lange die Dressierten wohl noch stillhalten, fragt Degenhardt. Und verlängert die Traditionslinie des Widerstands blitzlichtartig bis zum Syntagmaplatz in Athen.
* Kai Degenhardt: näher als sie scheinen (Plattenbau 2012)
* Tourtermine: heute Berlin (jW-Ladengalerie), 24.4. Greifswald (St. Spiritus), 28.4. Krefeld (Fabrik Heeder), 30.4. München (DKP-Kulturzentrum Neuperlach), 3.5. Braunschweig (Brunsviga Studiosaal) 6.5. Berlin (Brauhaus Südstern), 15.5. Hamburg (Live Music Club)
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