taz vom 23.02.2011
Seit 25 Jahren nerven kritische Aktionäre Vorstände von Bayer, BASF, Daimler. Nun starten sie eine Kampagne gegen Firmen, die sich grüner geben, als sie sind. (VON HERMANNUS PFEIFFER)
Graues Kraftwerk ganz in Grün? Wenn sich Firmen grüner geben als sie sind, ist das unlauter. Dagegen will die Kampagne vorgehen. Foto: mistro / photocase.com
HAMBURG taz | Aus belächelten Spinnern sind anerkannte Vorstandskritiker geworden. So sieht es jedenfalls der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre an seinem 25. Geburtstag. Die Konzernkritiker feierten am Mittwoch in Bonn und starteten zugleich ihre neue Kampagne: "Stop Greenwashing!"
Erste Wurzeln haben die Kritischen Aktionäre schon Mitte der Siebzigerjahre geschlagen. Im Wuppertaler Werk des Chemieriesen Bayer kam es zu zwei folgenschweren Unfällen, ein Jahr später drohte in der Bayer-Fabrik in Dormagen eine Katastrophe, als hochgiftiges Gusathion freigesetzt wurde. Die Vorfälle führten zur Gründung der längst legendären Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG).
Die Bürgerinitiative – damals war der Begriff der Nichtregierungsorganisation noch unbekannt – wurde zur Keimzelle der linken Bewegung der Kritischen Aktionäre: 1984 sprachen CBG-Mitglieder erstmalig auf einer Aktionärsversammlung von Bayer. Am 23. Februar 1986 fand dann die Gründungsversammlung des Dachverbandes in Solingen statt.
Heute ist das Geburtstagskind Anlaufstelle für mehr als zwei Dutzend Mitgliedsorganisationen und rund 5.000 Kleinaktionäre, die ihm die Stimmrechte ihrer Aktien übertragen. Dazu gehört auch die kirchennahe Stiftung Nord-Süd-Brücken. Sie kauft Aktien etwa von Adidas und Puma und stellt sie den Kritischen Aktionären zur Verfügung – um so die "Kampagne für saubere Kleidung" zu unterstützen. "Wir versprechen uns davon Öffentlichkeit und Presse für unsere Anliegen", sagt Nord-Süd-Brücken-Geschäftsführer Walter Hättig.
Längst nehmen Manager die Kritiker ernst. So stimmten sie als einzige Aktionärsvereinigung gegen die Übernahme des maroden amerikanischen Autobauers Chrysler durch Daimler – die Fusion endete mit einem Milliardenverlust.
Auf einer Hauptversammlung von Bayer gelang es ihnen erstmals, mit über einer Million Stimmen die Tagesordnung zu ändern. Früher wurden ihre Forderungen etwa nach Nachhaltigkeit und Transparenz in der Unternehmensführung noch als exotisch abgetan. Heute sind diese in Politik und Wissenschaft anerkannt.
Bereits 1994 hatte der Dachverband die Aktion "Mehr Frauen in Führungspositionen" gestartet, über die aktuell in der Politik gestritten wird. "Hervorragend" findet Gratulant Rudolf Hickel die Aktionärskritiker. Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler sagt: "Wir wissen, dass in den Konzernen, die von Managern und einer Finanzaristokratie determiniert werden, die Kontrollgremien nicht ausreichen." Die Leerstellen füllten nun teilweise Kritische Aktionäre.
Seit einem Vierteljahrhundert nerven die Marathonkritiker Vorstände, Aufsichtsräte und viele unpolitische Aktionäre von BASF, Salzgitter und Allianz, von Deutscher Bank und Daimler. Und zwar "erfolgreich", meint Geschäftsführer Markus Dufner. So stehe Bayer heute weltweit im Fokus der medialen Öffentlichkeit, habe der Bundesgerichtshof die Meinungsfreiheit des Alt-Kritikers Jürgen Grässlin gegen den Daimler-Konzern verteidigt und sei in Bulgarien der Bau eines Atomkraftwerks gestoppt worden.
Mit einer "guten Mischung aus erfahrenen Leuten und vielen Jungen mit frischen Ideen" soll es 2011 dem "Greenwashing" der DAX-Konzerne an den Kragen gehen. "Damit wollen Konzerne ihrem unsozialen, umweltfeindlichen und nicht nachhaltigen Geschäft einen grünen Anstrich verpassen", tadelt Dufner. Energieriesen, die "saubere" Elektroautos mit Atomstrom antreiben, oder "grüne" Großbanken, die Waffen finanzieren, sollen schon bald am Pranger stehen.
taz vom 23.02.2011