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Unglückliche Kinder?
Unter vier Augen
Von Jutta Resch-Treuwerth
In den Gärten räkeln sich die bunten Spieltürme, als wollten sie mit den Bäumen um die Wette wachsen. Rutschen und Sandkästen leuchten wie Blumen. Schaukeln und Wippen quietschen im warmen Frühlingswind. Alles ist da für eine glückliche Kindheit. Manchmal denke ich bei so üppiger Ausstattung, daß hier vielleicht bald eine Kita einzieht. Aber später sehe ich dann ein einsames Kind aus dem Turm gucken. Es schaut und schaut, wo denn die Spielgefährten sind. Aber die stehen alle auf ihren eigenen Türmen und warten auf Gesellschaft.
Warum sie wohl so unglücklich sind?
Die erwachsene Tochter einer Bekannten erzählt mir, daß sie für ein paar Tage auf ihre 15jährige Cousine aufpassen muß. Die Eltern verreisen und möchten, daß die geplante Party im Rahmen bleibt. Als wir uns nach ihrem Einsatz treffen, höre ich, daß da gar nichts los war. Total langweilig. Nicht mal knallige Musik. Keine Gespräche. Alle saßen wie in einem Wartesaal des Vorstadtbahnhofs und klimperten auf ihren Handys herum. Nur auf die von einem Jungen mitgebrachte Wodka-Flasche mußte sie etwas achtgeben.
Ein gelungener Abend, der glücklich macht?
Juliane und Marie-Antonia sind in einen Wettbewerb getreten. Wer hat die meisten Freunde auf Facebook? Juliane hat 300, aber Marie-Antonia bereits 700. Was wissen sie von denen? Daß die Lehrer heute wieder voll Streß gemacht haben. Oder daß die falsche Wurst auf der Stulle war. Wirklich weltbewegend.
Wie glücklich kann ein Kind sein, wenn es Freunde wie Briefmarken sammelt?
In einer Unicef- Studie wurden Kinder zwischen 11 und 15 Jahren aus 29 Nationen nach ihrer Zufriedenheit mit ihrem Leben befragt. Dabei landete Deutschland auf Platz 22. Dabei ging es nicht um arm oder reich. Das Glück sollte auch nicht daran gemessen werden, daß es sehr vielen Kindern auf der Welt sehr viel schlechter geht. Bewertet wurde die ganz persönliche Befindlichkeit. Das sind die glücklichen Momente, von denen man ein Leben lang zehrt. Sie sind mit keinem Geld der Welt zu haben. Sie passieren nicht auf Spieltürmen, an elektronischen Geräten und beim Posten mit Unbekannt. Aber vielleicht beim Bau eines Baumhauses aus alten Brettern und Stoffen. Beim Ausheulen an Omas Schulter über den Tod des Meerschweinchens. Bei der Wanderung mit den Eltern, als plötzlich ein Gewitter aufzog und Papa eine Höhle entdeckte. Beteiligt sein, mitmachen dürfen, Ideen entwickeln, Unvorhergesehenes bewältigen, selbst etwas versuchen und auch mal was verpatzen.
Das allerdings könnte viele Eltern in Statuspanik versetzen. Sie machen ihre Töchter und Söhne zu Aushängeschildern für das, was sich die Familie leisten kann. Die Freizeit ist durchgestylt. Die Kinder sind überbehütet. Vom Sportverein zum Sprachkurs, von der Klavierstunde zur Schülerhilfe. Wo bleibt die Zeit zum Träumen, zum Reden, zum Trösten, zum Kuscheln? Abitur ist Pflicht, ohne zu fragen, was kann mein Kind wirklich, wo liegen seine Stärken, wo seine Schwächen. Wofür ist es begabt? Dieser Leistungsdruck macht die Kinder von den Türmen und aus den Kinderzimmern, die eigentlich Prinzessin Lillifee oder Räuber Hotzenplotz bewohnen müßten, unglücklich. Sie können nicht sie selber sein.
Und dann gibt es natürlich auch Mädchen und Jungen in Deutschland, die weder einen Turm noch ein Kinderzimmer besitzen. Sie tragen auch keine Marken-Klamotten und können nicht jeden Kindergeburtstag besuchen, weil das Geld zu Hause nicht für Geschenke reicht. Da müssen sie aufpassen, daß sie als Außenseiter nicht gemobbt werden. Etwa 20 Prozent unserer Kinder leben in Verhältnissen, die ihnen Lebenschancen, insbesondere bei der Bildung, verwehren. Ganztagsschulen und die Betreuung in Kitas bereits vor dem 3. Lebensjahr können hier Lücken schließen. Solange aber Eltern auf Wartelisten stehen oder an Gewinnspielen und Verlosungen für die begehrten Plätze teilnehmen müssen, werden lange Zeit noch die verlieren, die es am allernötigsten hätten, in solche Einrichtungen zu kommen.
Wäre der schlechte Rang in der Unicef-Studie nicht ein Grund, wieder mehr mit den Augen der Kinder zu sehen? »Der Kleine Prinz« (Antoine de Saint- Exupery) beschreibt liebevoll wie Erwachsene ticken. »Wenn ihr zu den großen Leuten sagt: Ich habe ein sehr schönes Haus mit roten Ziegeln gesehen. mit Geranien vor den Fenstern und Tauben auf dem Dach… dann sind sie nicht imstande, sich dieses Haus vorzustellen. Man muß ihnen sagen: Ich habe ein Haus gesehen, das hunderttausend Franken wert ist. Dann schreien sie gleich: Ach wie schön«. Das sollten die großen Leute nicht länger auf sich sitzen lassen.
www.jutta-resch-treuwerth.de
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