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Alles, nur nicht grün
Vor der weltgrößten Lebensmittelmesse in Berlin prangern zahlreiche Initiativen Ausbeutung und Ressourcenverbrauch durch westliche Ernährungsindustrie an
Von Jana Frielinghaus
Die Grüne Woche öffnet erst am Freitag ihre Pforten für das Publikum. Etliche Tage zuvor meldeten sich bereits mehrere Bündnisse von Umwelt-, Bauern- und Verbraucherorganisationen mit scharfer Kritik an der europäischen Agrarpolitik, an Überproduktion, ökologischen und sozialen Verwerfungen in der Ernährungsindustrie zu Wort. Am kommenden Samstag rufen sie zum dritten Mal zu einer Demonstration für »gutes Essen« und »gute Landwirtschaft« auf.
Die Landwirte selbst wissen am besten, daß vieles in der europäischen Lebensmittelbranche im argen liegt. Sie leiden unter dem Preisdiktat von Händlern, Verarbeitern und Lebensmitteldiscountern – ebenso wie die zu Dumpinglöhnen schuftenden Beschäftigten in Schlachthöfen und Verarbeitungsbetrieben.
Auf die globale Dimension der Überversorgung in Europa insbesondere mit Fleisch wies am Donnerstag abend der Agrarexperte Benedikt Haerlin in einem Gespräch mit Journalisten in Berlin. Es war zur Frage »Wie grün ist die Grüne Woche wirklich?« vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), dem Deutschen Naturschutzring und der Initiative »Meine Landwirtschaft« organisiert worden. Bereits 2008 habe die Europäische Union in bezug auf die genutzten Ackerflächen ein »Außenhandelsdefizit« von fast 35 Millionen Hektar gehabt, so Haerlin unter Berufung auf den Berliner Agrarökonomen Harald von Witzke. Das heißt: Was im Verhältnis zum Export netto an Getreide, Soja, Früchten und anderen Produkten importiert wurde, entspricht der genannten Anbaufläche. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik stehen elf Millionen Hektar Ackerland zur Verfügung. Dieser Flächenverbrauch im Ausland resultiere zu drei Vierteln aus Futtermittelimporten, betonte Haerlin, der an der Erstellung des 2008 veröffentlichten, von UNO und Weltbank initiierten Weltagrarberichts beteiligt war.
Schlachthöfe profitieren
Ebenfalls am Donnerstag präsentierte der BUND gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung und der Zeitschrift Le Monde diplomatique seinen »Fleischatlas 2013«, in dem Daten und Fakten rund um Fleischkonsum und -produktion und deren soziale und ökologische Folgen zusammengestellt sind. Seit langem wird in Europa weit mehr Fleisch erzeugt als verbraucht – und das, obwohl enorm viel davon gegessen wird. Profiteure sind im wesentlichen die großen Schlachthof- und Verarbeitungskonzerne, Futtermittel- und -zusatzhersteller, Pharma- und andere Unternehmen des Agrobusineß – und nicht zuletzt die brasilianischen und argentinischen Soja-Barone.
Der Konsum selbst liegt in der EU deutlich über dem Bedarf. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt Erwachsenen, pro Tag zwischen 40 und 80 Gramm Wurst und Fleisch zu sich zu nehmen. Tatsächlich werden pro Kopf der Bevölkerung – vom Baby bis zum Greis – täglich rund 164 Gramm bzw. 60 Kilo pro Jahr verzehrt, doppelt so viel wie in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern. Der Gesamtverbrauch pro Kopf inklusive aller Schlacht-, Handels- und Haushaltsabfälle liegt in der BRD bei 89 Kilo – und damit noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 93 Kilo.
Mit dem »Fleischatlas« wollen dessen Verfasser und Auftraggeber aufklären, informieren, zum Nachdenken anregen – und die Politik auffordern, »endlich umzusteuern«. Angeprangert wird darin auch der massive Antibiotikaeinsatz in der deutschen Schweine- und Geflügelmast, der die Entwicklung multiresistenter Keime fördere. Daß hier dringend gegengesteuert werden muß, steht nicht zur Debatte. Wenn jedoch im »Atlas« darauf verwiesen wird, daß europaweit pro Jahr etwa 25000 Menschen an Infektionen mit solchen Keimen sterben, wird eher Hysterie gefördert – und unterschlagen, daß die allermeisten dieser Todesfälle durch die verbreitete unsachgemäße medizinische Behandlung von Menschen mit Antibiotika und durch Krankenhauskeime verursacht sind.
Agrarlobby aussteuern
Ein anderer Kurs in der europäischen Agrarpolitik ist auch Anliegen von Organisationen wie dem Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) und nicht zuletzt des Bündnisses »Meine Landwirtschaft«, in dem Landwirte, Verbraucher und Umweltschützer zusammenarbeiten und das Initiator der Demonstration zur Grünen Woche ist. Dessen Mitbegründer Haerlin meint, es sei höchste Zeit, »die Agrarpolitik nicht mehr allein der Agrarlobby zu überlassen«. Derzeit seien Basisbewegungen gezwungen, minimale Verbesserungen hinsichtlich einer gerechten und umweltschonenden Verteilung von EU-Subventionen gegen den Widerstand der Interessenvertreter von Konzernen wie Monsanto und Syngenta zu verteidigen. Den Umfang des EU-Agrarhaushalts von 57 Milliarden Euro, von denen 39 Milliarden direkt in die Landwirtschaft fließen, stellt das Bündnis keineswegs in Frage. Denn, so Haerlin, der Agrarhaushalt sei der einzige, der im wesentlichen gemeinsam europäisch verwaltet werde. Berücksichtige man alle Etats der Nationalstaaten für Industrie, Infrastruktur, Soziales, Gesundheit, Bildung, Verteidigung etc., so liege der Anteil der Landwirtschaft bei gerade mal ein bis zwei Prozent. Derzeit würden die Beihilfen aber so verteilt, daß Konzentrationsprozesse weiter gefördert, regionale, vielgestaltige und kleinteiligere Strukturen dagegen weiter verdrängt werden.
Nach Einschätzung von Peter Röhrig vom BÖLW könnte ein Umsteuern auch auf nationaler Ebene beginnen, indem der Staat Abgaben auf in der Landwirtschaft eingesetzten synthetischen Stickstoff, auf Pestizide und auf importiertes Eiweiß erhebt. Tatsächlich führen der exzessive Einsatz von Mineraldüngern und Schädlingsgiften und die Ausweitung von Monokulturen zu enormer Belastung von Grundwasser und Boden.
kurzlink.de/Fleischatlas
Demo am 19.1., 11 Uhr ab Berliner Hauptbahnhof, Informationen unter: www.wir-haben-es-satt.de
Von Fleischmachos und Vegetarierinnen
Studien zur grünen Woche
Von Frank Ufen
Nach neueren Schätzungen sind in den USA und Australien jeweils drei Prozent der Erwachsenen Vegetarier, genauso in Schweden und Österreich. In Portugal sind es 0,3 Prozent, in Dänemark immerhin 1,5. Verbreiteter ist die pflanzliche Ernährung in Großbritannien (sechs Prozent), Deutschland und der Schweiz (jeweils neun). Vegetarier sind also überall deutlich in der Minderheit. Doch ihre Zahl wächst stetig. Hierzulande soll sie sich im Verlauf der letzten 30 Jahre verfünfzehnfacht haben.
In jedem Fall gewaltig sind dabei die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Über den Daumen gepeilt, ist das Verhältnis zwischen Vegetarierinnen und Vegetariern vier zu eins. Um diesem Phänomen auf den Grund zu kommen, hat der Sozialpsychologe Hank Rothgerber (Bellamine University in Louisville, USA) eine empirische Untersuchung durchgeführt, über die er im aktuellen Fachjournal Psychology of Men & Masculinity berichtet.
73 weibliche und 52 männliche Testpersonen gaben detailliert über ihre Ernährungsgewohnheiten Auskunft und, wenn sie regelmäßig Fleisch konsumierten, auch noch darüber, wie sie das gegenüber anderen und sich selbst begründen. Rothgerber glich die Angaben mit althergebrachten Stereotypen von Männlichkeit ab und fragte die Probanden auch noch, ob sie dem Vegetarismus zustimmend oder ablehnend gegenüber stünden. Er entdeckte einen aufschlußreichen Zusammenhang: Je mehr seine männlichen Versuchspersonen sich selbst als Machos verstanden, desto wahrscheinlicher war es, daß sie reichlich Fleisch konsumierten, das auch öffentlich zelebrierten und unverblümt biologistisch rechtfertigten. Menschen hätten schon immer Fleisch gegessen, behaupteten diese Männer. Viel rotes Fleisch zu sich zu nehmen, wäre für die Gesundheit und einen athletischen Körper unbedingt erforderlich. Außerdem wäre der Mensch dem Tier eben geistig hoch überlegen, und Tiere würden ohnehin wenig oder gar keine Schmerzen empfinden.
»Es gibt eine Gruppe von männlichen Männern, die von dem, was sie Weiberkost nennen, lieber die Finger lassen und die in einen Double Whopper beißen, um so ihre Männlichkeit zu demonstrieren«, erklärt Rothgerber.
Umgekehrt empfanden die meisten der Frauen, die Rothgerber befragte, das Verspeisen von Fleisch als eher unweiblich. Im Gegensatz zur Mehrheit der männlichen Testpersonen neigten sie dazu, zwischen fleischlicher Nahrung und den Tieren, die sie liefern, radikal zu trennen, also jeden Gedanken an Massentierhaltung und Schlachthöfe zu verdrängen.
Rothgeber räumt ein, daß etliche Anschlußfragen offen sind, ist aber fest davon überzeugt, daß das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern kleiner wird, je mehr sich in einer Gesellschaft der Vegetarismus durchsetzt. Die Anthropologin Peggy Sanday habe »durch eine Analyse von über 100 präindustriellen Kulturen zu Tage gefördert, was für Gesellschaften, in denen große Mengen an Fleisch verbraucht werden, charakteristisch sei: Dort gibt es ein Patriarchat, es gibt eine strikte geschlechtliche Arbeitsteilung, die Frauen haben wenig zu sagen, sind allein für den Nachwuchs zuständig und beten männliche Gottheiten an. Gesellschaften mit pflanzlicher Kost als Ernährungsgrundlage hingegen sind am egalitärsten«, sagt Rothgerber, der selbst zur Minderheit der Vegetarier gehört.
Eine ergänzende Studie wird im aktuellen Journal of Behavioral Nutrition and Physical Activity vorgestellt. Demnach haben Vegetarier im Vergleich zu Fleischessern zwar eine höhere Lebenserwartung, aber auch signifikant häufiger psychische Probleme wie Depressionen und Eß- oder Angststörungen. Weil diese Erkrankungen der Entscheidung, sich pflanzlich zu ernähren, in der Regel vorausgingen, vermuten die Forscher um Johannes Michalak von der Universität Hildesheim, daß Vegetarismus oft aus einem gesteigerten Gesundheitsbewußtsein resultiert. Es könnte sich demnach um eine Strategie handeln, psychisch gesund zu werden.
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