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Troika auf die Streichliste
Von Peter Steiniger
»Alle nach Lissabon, alle zum Terreiro do Paço!« Der Aufruf der klassenkämpferischen CGTP fand große Resonanz
Wenig Freude bereitete Portugals Regierenden die starke Präsenz von Ordnungshütern in Zivil auf einer Kundgebung der linken Gewerkschaftszentrale CGTP-Intersindical in der Hauptstadt Lissabon. Denn die Polizisten, Gefängniswärter und Angehörigen der Küstenwache zogen am Sonnabend nachmittag wie Zehntausende im eigenen Auftrag zum historischen Schloßplatz, dem Terreiro do Paço am Ufer der Tejomündung. Die Politik der Regierung sei »völlig unbefriedigend für die Portugiesen und insbesondere auch für die Polizisten«. Daher, so ein Sprecher der Gewerkschaft der Sicherheitskräfte, hätten diese beschlossen, sich ab jetzt an allen Protesten gegen die Sparmaßnahmen zu beteiligen. »Weg mit der Troika!« – diese Forderung eint immer mehr Portugiesen. Auf der größten Veranstaltung von CGTP der letzten Jahre wurde die Unterwerfung Portugals unter die Sparvorgaben der Troika aus EU, EZB und IWF scharf angeprangert. Die Mitte-rechts-Regierung von Pedro Passos Coelho hat im Gegenzug für eine Finanzspritze von 78-Milliarden-Euro einen harten Austeritätskurs eingeschlagen. Der Abbau des Haushaltsdefizits bleibt dennoch unter den anvisierten Zielen. Die Folge ist eine Vertiefung der Rezession, Rekordarbeitslosigkeit und die Verteuerung des Lebens. Hunderttausende Portugiesen haben in den letzten Jahren dem Land aus wirtschaftlichen Gründen den Rücken gekehrt.
Auf der Straße wird der Ruf nach einer anderen Politik und einem Rücktritt der Regierung immer lauter. Ein Proteststurm mit hunderttausenden Demonstranten in Lissabon und anderen Orten am 15. September hatte das Kabinett bereits zu einem Rückzieher bei der geplanten Anhebung der Sozialversicherungsabgaben der Beschäftigten bewegt. Das Volk zeige, daß es seine Angst verliere, hob CGTP-Generalsekretär Arménio Carlos auf der Kundgebung am Sonnabend hervor. Genau davor hätten die Herrschenden Furcht. Für Passos Coelho sei es an der Zeit, seinen Sessel zu räumen. »Wir akzeptieren keinen einzigen Cent an Kürzungen mehr.« Jetzt sei das Kapital an der Reihe zu zahlen. Carlos kündigte einen baldigen politischen Generalstreik an. Die CGTP-Führung wird am 3. Oktober über dessen Termin entscheiden.
Auch im iberischen Nachbarland Spanien gingen am Wochenende die Protestaktionen gegen Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen als Referenz an die Finanzmärkte weiter. »Feuert sie, feuert sie«, lautete die Parole der Tausenden Demonstranten, die bereits zum dritten Mal in einer Woche zum Parlament zogen, und so den Rücktritt der konservativen Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy forderten. Nach den Gewaltexzessen von Polizeibütteln mit Dutzenden Verletzten und zahlreiche Festnahmen bei Kundgebungen am letzten Dienstag und Mittwoch mit großem Medienecho agierten die staatlichen Ordnungskräfte zurückhaltender.
Auf dem Platz der Nation in der französischen Hauptstadt Paris versammelten sich am Sonntag ab dem frühen Nachmittag Zehntausende Anhänger von Linksparteien, Gewerkschaften und etwa sechzig weiteren Organisationen. Die Demonstration richtet sich gegen von der sozialistischen Regierung beabsichtigte Einsparungen und Steuererhöhungen im Umfang von 36,9 Milliarden Euro sowie die geplante Ratifizierung des europäischen Fiskalpakts durch das französische Parlament. »Dies ist der Tag, an dem das französische Volk gegen die Sparpolitik aufbegehrt«, erklärte der Ko-Vorsitzende der französischen Linken, Parti de Gauche, Jean-Luc Mélenchon.
Bundesweite Proteste
Die Reichen ihre Krise selbst bezahlen lassen, wollen die Teilnehmer der Abschlußkundgebung des Aktionsbündnisses »Umfairteilen – Reichtum besteuern« in Frankfurt am Main (29.092012)
Foto: dapd
Der deutsche Beitrag zu den Protesten in mehreren EU-Ländern gegen die Abwälzung von Krisenkosten auf die Bevölkerungen bestand in einem bundesweiten Aktionstag am Sonnabend. Als »vollen Erfolg« werteten die Initiatoren die Beteiligung von insgesamt mehr als 40000 Menschen an den Kundgebungen in etlichen deutschen Städten. Von der Polizei wurden die Teilnehmerzahlen wie üblich deutlich niedriger ausgewiesen. Das erst kürzlich ins Leben gerufene Bündnis »Umfairteilen – Reichtum besteuern«, getragen von Gewerkschaften, Sozialverbänden, dem globalisierungskritischen Netzwerk ATTAC und etlichen weiteren Organisationen, hatte aufgerufen, gegen Sozialabbau und wachsende soziale Ungleichheit auf die Straße zu gehen. Die Demonstranten, an den größten Aktionen in Hamburg, Bochum, Berlin, Frankfurt am Main, Köln und Bremen nahmen jeweils Tausende teil, forderten ein Umsteuern bei der Finanzierung staatlicher Aufgaben. Mit einer einmaligen Vermögensabgabe und der Wiedereinführung der Vermögenssteuer sollten auch die Reichen dafür in die Pflicht genommen werden.
»Es müssen diejenigen für die Krise zahlen, die es sich am ehesten leisten können, und nicht die Schwächsten.«, forderte ver.di-Chef Frank Bsirske auf der Kundgebung in Frankfurt am Main. Neue Argumente dafür liefert der Entwurf der Bundesregierung zu ihrem aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht. Demnach werden die reichsten Deutschen immer reicher. Den oberen zehn Prozent gehört nun bereits mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens. Die untere Hälfte der Haushalte besitzt dagegen gerade mal ein Prozent vom Kuchen. Vierzig Prozent der Beschäftigten mußten in den vergangenen Jahren real Einkommensverluste hinnehmen. Ärmer gemacht hat die Politik auch den Staat: Sein Nettovermögen schrumpfte nicht zuletzt dank einer einseitigen Steuerpolitik und »Rettungsschirmen« für das Finanzkapital seit 1992 um mehr als 800 Milliarden Euro. Die Initiatoren der deutschen Proteste sehen im erfolgreichen Aktionstag eine Initialzündung, um die Verteilungspolitik zu einem zentralen Thema des Bundestagswahlkampfes im kommenden Jahr zu machen.
Soziale Spaltung der Gesellschaft
Rede von Ulrich Thöne, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), zum Aktionstag »Umfairteilen« am 29. September 2012 in Köln:
Auch im Bildungsbereich zeigt sich die soziale Spaltung der Gesellschaft klar und deutlich: Unter uns leben 7,5 Millionen Menschen über 14 Jahre, die nicht so lesen und schreiben können, daß sie sich darüber im Alltag zurechtfinden können. Funktionale Analphabeten werden sie genannt. Unter uns leben 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsausbildung. Vermutlich werden Hartz IV, prekäre Beschäftigung und Arbeitslosigkeit ihr Leben bestimmen.
Das öffentliche Bildungssystem ist deutlich unterfinanziert. Das zeigt mal wieder, daß nur Reiche sich einen armen Staat leisten können.
Seit 1998 versprechen uns die diversen Regierungskoalitionen, endlich für die »bestmögliche Bildung für alle« zu sorgen. Und die Realität? Deutschland ist seit 1995 im EU-Vergleich weiter zurückgefallen. Bestmögliche Bildung – ja, aber noch lange nicht für jeden, denn das ist viel zu teuer! Das ist die Devise deutscher Regierungspolitik!
Die soziale Auslese zwischen arm und reich ist immer noch entscheidend dafür, welche Bildung man bei uns erlangen kann. Das gilt von der Kita über die Schule bis zur Universität. Und der Grund, warum alle Bemühungen um gute Bildung für alle immer wieder scheitern ist auch immer wieder derselbe: Der Staat gibt kein Geld, um genügend Kitas zu bauen, Ganztagsschulen einzurichten und qualitativ weiter zu entwickeln und ausreichend Studienplätze zu schaffen. Er gibt kein Geld, um in ausreichendem Maße Erzieherinnen, Lehrkräfte und wissenschaftliches Personal zu angemessenen Bedingungen zu beschäftigen. Der Staat hat kein Geld, um unsere Kinder so zu betreuen und zu fördern, daß kein einziges von ihnen zurückgelassen wird, egal, ob aus sozial schwachem oder starkem Haushalt, mit Migrationshintergrund oder mit Behinderung.
Es fehlt der Wille, den Reichtum in unserem Land so zu verteilen, daß er gleiche Bildungschancen für alle ermöglicht. Die Folge ist eine Auslese, die die Bildungsarmut verstärkt, statt sie abzubauen.
Wenig Bildung war von jeher ein Mittel, um die, deren Lage durch Armut und Elend geprägt ist, daran zu hindern, wirksam aufbegehren zu können!
Wir sollten uns der historischen Situation bewußt sein. Jetzt, hier und in diesen Tagen geht es darum, unsere Bewegung, die Bewegung für Um – fair – teilen stark zu machen. Wir wollen uns durchsetzen, und wir können das auch schaffen. Es liegt an uns, die Macht der Millionen der Macht der Millionäre entgegenzusetzen.
Die Politik muß umsteuern:
Wir brauchen Gesetze, die
– eine Vermögensabgabe vorsehen, um die immensen Vermögen zur Bewältigung der Krise zur Verantwortung zu ziehen,
– die Vermögenssteuer wieder einführen und die Erbschaftssteuer spürbar erhöhen, damit der Staat dauerhaft über ausreichend Mittel verfügt, um die Ausgaben für Bildung und Soziales bewältigen zu können und
– endlich, endlich die Finanztransaktionssteuer umsetzen, damit das Finanzkasino, das uns die Krisen und Kürzungen beschert hat, in die Schranken verwiesen wird.
Und das alles nicht etwa in zehn oder 20 Jahren, sondern am besten noch in diesem Jahr, spätestens aber nach der Bundestagswahl 2013.
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