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Robert Kurz ist gestorben

in Gesellschaft 04.08.2012 07:00
von Lisadill • 744 Beiträge

Geld ohne Wert
Über die Entzivilisierung der Welt. Der Marxist Robert Kurz ist tot
Von Gerd Bedszent

Wenn Geld musealisiert wird: Foto aus der TV-Produktion »Als die D-Mark laufen lernte«
Foto: ddp
Das Jahr 1991 war geprägt vom jubelnden Siegesgeheul der real existierenden Neoliberalen und konservativen Gesundbeter des Kapitalismus. Mauerfall und Selbstauflösung des sozialistischen Kolosses im Osten, in Deutschland begleitet vom kaum gedämpften Glauben der Betrogenen an die versprochenen blühenden Landschaften des dicken Kanzlers, zeitigten bei linken Intellektuellen eine Endzeitstimmung. Entweder wurde paralysiert geschwiegen oder man zerfleischte sich in Selbstkritik.

Helmut Kohl triumphierte, die Grünen marschierten stramm nach rechts, Friedensbewegung und Hausbesetzer­szene waren in Auflösung begriffen und der Glaube an die sogenannten Selbstheilungskräfte des Marktes scheinbar endgültig durchgesetzt. Da erschien bei Eichborn das Buch »Der Kollaps der Modernisierung. Vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie«.

Der bis dahin wenig bekannte Autor vertrat darin die These, daß der Untergang des Realen Sozialismus in Osteuropa lediglich der erste Ausläufer einer finalen Endkrise des kapitalistischen Systems gewesen sei, dem über kurz oder lang der weltweite Zusammenbruch der Warenwirtschaft folgen würde. Für die Zukunft prophezeihte er »ein dunkles Zeitalter von Chaos und Zerfall gesellschaftlicher Strukturen (…), wie es niemals in der Weltgeschichte gewesen ist«. Dieses Buch wurde ein großer Erfolg und erlebte mehrere Auflagen. Seitdem zählte Robert Kurz zu den profiliertesten Krisentheoretikern der deutschsprachigen Linken.

Kurz, Jahrgang 1943, wurde im Umfeld der 68er-Bewegung politisiert und war in den 1970er Jahren kurze Zeit in der Vorfeldorganisation einer maoistischen Splitterpartei aktiv. Nach der Krise des Maoismus und dem beginnenden Zerfall der K-Gruppen verweigerte er sich dem grünen Parteiprojekt und widmete sich ausschließlich der Theoriebildung. Mit einigen Gleichgesinnten gründete er 1986 in Nürnberg die »Initiative Marxistische Kritik«. Aus deren Zirkular Marxistische Kritik ging 1990 die Theoriezeitschrift Krisis hervor.

2004 spaltete sich die Krisis-Gruppe. Während mehrere seiner langjährigen Mitstreiter die Zeitschrift unter altem Namen weiterführten, gründete Robert Kurz mit einigen Anhängern eine neue Theoriezeitschrift Exit!, von der mittlerweile neun Ausgaben erschienen sind.

Die Theoriebildung von Kurz lief spätestens seit 1986 darauf hinaus, sämtliche Kategorien der kapitalistischen politischen Ökonomie einschließlich ihrer Legitimierungs­ideologien zu hinterfragen und zielgerichtet zu demontieren. Die Grundlegende Kategorie seiner Analyse war der »Wert«, weshalb die von ihm maßgeblich beeinflußte neue politische Strömung als »Wertkritik« bezeichnet wurde. Obwohl Kurz sich selbst stets in der Tradition von Marx und Adorno sah und den Marxismus nie insgesamt in Frage stellte, nahm er eine scharfe Abgrenzung zur traditionellen Arbeiterbewegung vor. Er warf ihr vor, lediglich eine linke Dissidenz des Wirtschaftsliberalismus zu sein.

Als das bedeutendste Werk von Robert Kurz gilt das 1999 erschienene »Schwarzbuch Kapitalismus«, in dem er sich mit den sozialen Abgründen der frühkapitalistischen Gesellschaft samt ihrer ideologischen Unterfütterung durch wirtschaftsliberale Vordenker auseinandersetzt. Seinen Ausblick auf eine scheinbar unaufhaltsame »Entzivilisierung der Welt« konterkariert er allerdings durch die mögliche Perspektive eines »regelrechten Aufstandes (…) gegen die kapitalistische Krisenverwaltung jeglicher Couleur mit ihrer trostlosen Perspektive von demokratischer Zwangsarbeit und Billiglohn-Sklaverei«. Die Schönschreiber der kapitalistischen Gesellschaft fühlten sich damals getroffen: Die Berliner Zeitung empfahl dem Eichborn-Verlag, doch bitte eine Zeitlang der Frankfurter Buchmesse fernzubleiben; das Handelsblatt empörte sich über diese »imposante Schmähschrift« und die FAZ mokierte sich über eine »Hetzschrift gegen Marktwirtschaft und Kapitalismus« – ein schöneres Lob gibt es bis heute nicht.

Auf dem Höhepunkt der Antikriegsproteste 2003 veröffentliche Kurz im Horlemann-Verlag das Buch »Weltordnungskrieg«. Darin charakterisiert er die in wirtschaftlich niedergehenden Regionen stattfindenden Auseinandersetzungen als »Entstaatlichungskriege«. Die Versuche des »ideellen Gesamtkapitalisten«, aus ökonomischen Prozessen resultierende Zerfallsprozesse militärisch wieder unter Kontrolle zu bekommen, vergleicht er mit dem Krieg eines »Panzernashorns gegen die eigenen Darmbakterien«: Er prophezeit, daß der damals begonnene zweite Krieg der USA gegen den Irak ein Desaster werden würde. Kurz kommt zu dem Schluß, daß »der demokratische Gesamtimperialismus weitaus mehr Menschenleben auf dem Gewissen (hat) als sämtliche Warlords, Gotteskrieger, Neonazis und Selbstmordattentäter zusammengenommen«. Konsequenterweise widmete er das Buch »den namenlosen Opfern der demokratischen Bombergemeinschaft und des ökonomischen Terrors«.

Mit der antideutschen Bahamas-Gruppe, deren Mitglieder sich als frühere Linksradikale innerhalb weniger Jahre zu bellizistischen Eisenfressern und überzeugten Verteidigern der kapitalistischen Weltordnung mauserten, rechnete Kurz mit seinem ebenfalls 2003, Unrast erschienenen Buch »Die antideutsche Ideologie« gründlich ab.

In seinem 2005 bei Edition Tiamat erschienenen Buch »Das Weltkapital« untersuchte er die neoliberale Zerschlagung einstmals funktionierender Großunternehmen durch Outsourcing einzelner Produktionszweige sowie die Entstehung gigantischer Finanzblasen. Ersteres erklärt er aus einem »Autokannibalismus des Kapitals, das aus nicht mehr zu stillendem Heißhunger nach Mehrwert seine eigenen Glieder abschneidet und auffrißt«; letzteres charakterisiert er als letzte »Beatmungsmaschine des sterbenden Kapitalverhältnisses«. Gleichzeitig betonte er jedoch, nicht die »Personage des von immanenten Widersprüchen getriebenen Finanz- und Spekulationskapitals«, sondern die irrwitzige Logik der Kapitalverhältnisse, eine ausweglose Sackgasse, sei für Finanzcrashs verantwortlich.

Ein Verdienst von Robert Kurz besteht darin, die Entwicklungsmechanismen der spätkapitalistischen Ökonomie als Motor für die zunehmenden Barbarisierung der Welt einem breiten Leserpublikum verständlich darzustellen. Neben den genannten Werken verfaßte er noch weitere Bücher, Aufsätze und Wirtschaftskolumnen für verschiedene Zeitungen und übernahm unzählige Lesungen und Vorträge. Aufgrund gesundheitlicher Probleme mußte er in den letzten Jahren sein Engagement deutlich einschränken.

Robert Kurz starb nach mehrwöchigem Krankenhausaufenthalt am Abend des 18. Juli 2012, wahrscheinlich an den Folgen einer fehlgeschlagenen Operation. Die deutsche Linke verliert in ihm einen ihrer profundesten Denker. Sein letztes Buch »Geld ohne Wert. Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der politischen Ökonomie« ist derzeit im Druck und wird aller Voraussicht nach Ende des Monats beim Horlemann-Verlag erscheinen.

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