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#1

SZ: Banken in der Finanzkrise: Monster in unserer Mitte

in Politik und Wirtschaft 05.07.2012 03:15
von Jonas • 615 Beiträge

Auf Seite 1 der Online-Version der SZ:

Im Jahr fünf der Finanzkrise müssen Regierungen und ihre Bürger erkennen, dass all ihre Pläne fehlschlugen. Das zeigt das Beispiel der britischen Barclays Bank. Noch immer lässt sich die Politik von hemmungslos spekulierenden Banken erpressen, die den Wohlstand und die Stabilität des Westens bedrohen. Um sich aus der Umklammerung der Geldhäuser zu befreien, müssen die Regierungen endlich aufs Ganze gehen.

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ba...mitte-1.1402049

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#2

RE: SZ: Banken in der Finanzkrise: Monster in unserer Mitte

in Politik und Wirtschaft 06.07.2012 12:19
von Lisadill • 744 Beiträge

Aus der aktuellen Ausgabe "der Freitag":

Im Namen der Austerität
Schuldenkrise Die beim jüngsten EU-Gipfel in Brüssel beschlossenen Maßnahmen sind dazu geeignet, Europa unter die Fuchtel einer Finanzdiktatur zu bringen


Bankgebäude sind derzeit in Europa häufig das Ziel von Anschlägen wie hier in Athen



Diese Mischung aus Schuldenbremse, Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM) und dann noch dem Brandbeschleuniger Fiskalpakt ist hochexplosiv. Ein Gipfel jagt den nächsten, aber das lichterloh brennende Europäische Haus steht auch nach dem jüngsten Brüsseler Treffen weiter in Flammen. Ex-Außenminister Joschka Fischer schimpft zu Recht, die Feuerwehrfrau Merkel versuche, mit Kerosin die Flammen der Krise zu löschen. Doch seit die Finanzmärkte liberalisiert sind, seit es den monetaristischen Maastricht-Vertrag gibt, geht den EU-Regierungen das Löschwasser aus. Obendrein funktionieren die Pumpen nicht.

Auch wenn das der Gipfel vom 28. und 29. Juni zu verdecken suchte – die Staaten der EU sind tief in den Miesen, de facto handlungsunfähig und haben sich das auch noch selbst zuzuschreiben. Sie wollten weder einen europäischen „Superstaat“ mit interventionsfähigem Budget noch eine gemeinsame Wirtschafts- und Sozialpolitik. Also haben sich die Regierungen darauf festgelegt, das Budget der EU bei einem Prozent des europäischen Bruttoinlandsproduktes zu deckeln. Brüssel hat insofern gar nicht das Geld, um die benötigten Billionen zur Bankenrettung locker zu machen. Folglich müssen die Nationalstaaten herhalten. Sie haben das Steuermonopol und können von ihren Steuerbürgern die Mittel zur Krisenbewältigung erheben.

Dieses Kapital geben sie allerdings nicht in nationalstaatlicher Souveränität aus, sondern transferieren die Milliarden an supranationale Fonds. Bisher war das die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) – demnächst werden das der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) oder die Europäische Investitionsbank (EIB) sein. Die klammen Schuldenstaaten werden also indirekt finanziert – mit 750 EFSF-Milliarden, von denen inzwischen schon 300 Milliarden in den maroden Finanzsystemen Portugals, Irlands und Griechenlands versenkt worden sind. 100 Milliarden für Spanien kommen hinzu und etwa zehn für Zypern. Ab 2013 soll der ESM über 500 Milliarden Euro verfügen. Wie lange die reichen, sollte Italien frisches Geld brauchen, um faule Papiere aus den Bilanzen seiner Banken zu nehmen, kann niemand sagen.

Gehörig „auf der Kippe“
Soviel dürfte feststehen: Da sich die Euro-Länder in Brüssel darauf geeinigt haben, dass EFSF und ESM die Banken direkt und nicht indirekt über die jeweiligen Regierungen stützen können, hat die schon längst existierende Transferunion für Merkel und die Ihren an Schrecken verloren. Systemrelevante Banken auch auf diese Weise zu alimentieren, gilt als gute Tat. Die Unterstützung des Sozialstaats hingegen fördert nach Auffassung der gleichen Politiker moral hazard – zu deutsch: eine nicht zu rechtfertigende Bereitschaft zum Risiko – und das ist schlecht. Die Kanzlerin hat vor allem Forderungen des italienischen Premiers Mario Monti und seines spanischen Kollegen Mariano Rajoy entsprochen und sich zum Abschluss der Fußball-EM als faire Verliererin gezeigt, die Endspiel-Gegnern entgegenkommt.

Wenn schon neue Schulden wegen der Schuldenbremse tabu sind und die Steuern auf den mobilen Produktionsfaktor Kapital wegen des Steuerwettbewerbs nur nach unten verändert werden können, müssen die Sozialausgaben zusammengestrichen, der Druck auf die Masseneinkommen erhöht und öffentliche Güter privatisiert werden. Die Methode, mit der dies geschieht, hat einen Namen. Der lautet: Austerity. Die EU-Granden liefern ihre Bürger mit diesen Maßnahmen einer Finanzdiktatur und Verarmung aus.

Dass da keine Europabegeisterung aufkommt und rechte Populisten ein frustriertes Publikum finden, wundert nicht. Das Projekt Europa steht auf der Kippe. Zwar ist eine Mehrheit der Europäer immer noch für die Währungsunion (derzeit 53 Prozent), aber inzwischen sind auch 40 Prozent dagegen. Tendenz steigend, denn 55 Prozent sind der Auffassung, dass sich wegen der Krisenpolitik nichts zum Besseren wenden lässt.

Wegen des Unmuts in der EU-Bevölkerung und europaweiter Kahlschläge in den Sozialsystemen werden „die Märkte“ immer nervöser. Die Europäische Zentralbank (EZB) wie die deutsche Regierung sichern sich gegen ein Auseinanderbrechen der Währungsunion bereits ab und setzen ihre Kampagnen gegen gemeinsame Staatsanleihen (Eurobonds) fort – alles andere als vertrauensbildende Maßnahmen. Auch Private hören diese Signale und können gar nicht anders, als es den politischen Instanzen gleich zu tun. Sie setzen ihre Wetten gegen Europa fort. Die Risikoaufschläge auf nicht als hundertprozentig sicher geltende Staatsanleihen werden erhöht. In Spanien liegen die Zinsen auf Staatspapiere mehr als 500 Basispunkte über deutschen Anleihezinsen. Und Spanien muss sich refinanzieren, weil 2012 mehr als 148 Milliarden Euro an Schuldverschreibungen fällig werden, 2013 nochmals 51,5 Milliarden. Bei mehr als fünf Prozent Zinsen und einem bestenfalls geringen Wachstum ist der Bankrott ohne Hilfe von außen absehbar. Und Spanien ist kein Einzelgänger. Italien braucht 2012 zur Tilgung fälliger Schulden mehr als 337 Milliarden Euro.

Wo bleibt das Positive?
Dass die europäische Hütte brennt, hat auch EZB-Chef Mario Draghi Anfang Juni gemerkt. Er sah nach der Wahlniederlage Nicolas Sarkozys, dem Kollaps der niederländischen Rechts-Regierung und der Hängepartie in Athen das Europa des Fiskalpakts untergehen und ließ daher Rettungsboote mit der Aufschrift Wachstumspakt zu Wasser. Ob die seetüchtig sind und die Euro-Passagiere zu neuen Ufern tragen, ist völlig unklar. Das abgesegnete Wachstumspaket von 120 Milliarden Euro reicht längst nicht an die „Rettungspakete“ für die Banken heran. Die Vorherrschaft der Finanzmärkte vor der realen Ökonomie lässt sich eben auch an den Zahlungsströmen ablesen, die in gigantischem Ausmaß in die spekulierende, aber nur kleckernd in die produzierende Wirtschaft gelenkt werden. Daher wundert es nicht, dass – wie die Gewerkschaften kritisieren – der „Wachstumspakt“ zum größten Teil aus Luftbuchungen besteht (s. Übersicht).

Es müsste schnell der Pfad gewechselt werden. Die Ungleichgewichte in Europa, besonders im Euroraum, wachsen. Noch wird das technisch im Eurosystem der Zentralbanken – im Target 2 – verrechnet und aufgefangen. Dennoch driften die Positiv- und Negativsalden immer weiter auseinander. Einige Talkshow-Ökonomen in Deutschland und anderswo haben dieses Thema entdeckt und plädieren für die Bereinigung der Salden. Dabei kann sich jeder ausrechnen: Das System bricht zusammen, wenn das geschieht. Die Fiktion muss also realitätswirksam bleiben. Sobald sie sich in Wolken auflöst, ist die reale Krise wieder da.

Der Traum Europa ist ausgeträumt, stattdessen beruht das europäische Integrationsprojekt auf einer Fiktion. Der Maastricht-Vertrag von 1992 hat ihr Vorschub geleistet, als die Idee obsiegte, man könne eine kontinentale Integration ausschließlich an monetären und finanziellen Kriterien bemessen (Stichwort Maastricht-Kriterien) und darauf die Politik abstimmen. Wenn wir jedoch unter Politik das Vermögen verstehen, gesellschaftliche Zukunft zu prägen, dann verlässt der Euroraum im Augenblick das Stadium einer Finanzmarkt gesteuerten Integration und wird in eine postdemokratische und daher autoritäre Einheit gezwungen. Ob das gut geht, ist zu bezweifeln. Die Bürger Europas werden sich nicht freiwillig in den neoliberalen Schraubstock zwingen lassen.

Wo bleibt das Positive? Es kommt von der Deutschen Bundesbank. Diese hatte 1990, wenige Monate nach der deutschen Währungsunion und vor den Maastricht-Verhandlungen um die europäische Wirtschafts- und Währungsunion, im Monatsbericht vom Oktober 1990 geschrieben: „Letzten Endes ist eine Währungsunion... eine nicht mehr kündbare Solidargemeinschaft, die nach aller Erfahrung für ihren dauerhaften Bestand eine weitgehende Bindung in Form einer umfassenden politischen Union benötigt...“ Mehr als zwei Jahrzehnte danach wäre das die politische Alternative zu all den bürokratischen Monstren, die der Alptraum neoliberaler Rationalität gebiert.
Kommentare (30)

Jakob Augstein 05.07.2012 16:33
Danke für diesen klaren Text.

Das Steuerthema wird mir hier allerdings zu schnell abgehandelt. Die neue französische Regierung hat bereits angekündigt, einen Großteil der Mittel, die für die Reduktion der Staatsschuld benötigt werden, durch höhere Steuern und Abgaben für Banken, Energiekonzerne und wohlhabende Einzelpersonen aufbringen zu wollen. Die Finanztransaktionssteuer, die nun endlich eingeführt werden soll, soll nach einer Schätzung des DIW allein in Deutschland rund elf Milliarden Euro im Jahr bringen. Die Anpassung der Steuern nach unten ist eben nicht der einzige Weg, wie der Autor resigniert. Es geht auch anders.

Und zu Europa: Die Idee der Europäischen Integration war lange Jahre eine funktionale. Praktische Vorteile – Freiheit des Kapitals, der Arbeit, der Freizügigkeit, der Dienstleistungen - sollten das Fundament bilden für immer engere politische Zusammenarbeit. Das hat funktioniert. Es ist auch so etwas wie eine europäische Identität entstanden, vielleicht sogar eine Solidarität. MIr greift es zu kurz, dass als monetaristisches Eliten-Projekt abztun. Das wird der großen Leistung der Euro(pa)-Väter und -Mütter nicht gerecht. Europa war und ist ein faszinierendes Projekt des Friedens und des Internationalismus.

Darum muss jetzt die Politische Union kommen. Da wiederum bin ich voll und ganz bei Altvater (er war Politik-Prof am Otto Suhr Institut, als ich dort in den 90ern Euro-Integration und Währungspolitik studiert habe)

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