Straftat Umweltschutz
Von Jana Frielinghaus
»Schotter«-Aktivistin bei Dahlenberg (Niedersachsen) während des Castor-Transports im November 2011
Es wäre ein Deal – und ein Privileg für Politiker – gewesen. Wegen der Unterzeichnung einer Absichtserklärung zum »Schottern« beim Castor-Transport 2010 droht zehn Bundestagsabgeordneten der Linkspartei jetzt eine Anklage. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittle gegen die Parlamentarier wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten, teilte der Hamburger Abgeordnete Jan van Aken am Freitag mit. Gleichzeitig habe die Behörde angeboten, gegen eine 500-Euro-Spende an den Verein »Kinder von Tschernobyl« auf eine Klage zu verzichten. Aken betonte indes, er habe gemeinsam mit zwei weiteren Parlamentariern beschlossen, nicht auf das Angebot einzugehen, »um ein für alle Mal den haltlosen Vorwurf der Strafbarkeit der Schottererklärung juristisch klären zu lassen«. Die übrigen Betroffenen würden auf das Angebot eingehen, um »unnötige Prozeßkosten zu minimieren«, zugleich aber weitere 500 Euro an die Rechtshilfe der Initiative »Castor? Schottern!« spenden, so von Aken.
Welche Bedeutung der hartnäckige Kampf der Antiatominitiativen gegen Castortransporte wie auch gegen ein mögliches Endlager für radioaktiven Abfall im ehemaligen Bergwerk Gorleben hat, illustrieren Statistiken zur Verschiebung des Geschlechterverhältnisses bei Geburten durch erhöhte künstliche Radioaktivität. Seit längerem ist bekannt, daß infolge stärkerer Strahlung weniger Mädchen geboren werden, mehr Menschen an Krebs erkranken und die Häufigkeit von Fehlgeburten und Fehlbildungen bei Neugeborenen steigt.
Die Deutsche Umwelthilfe hat am Freitag auf Statistiken hingewiesen, wonach in Regionen und Zeiten erhöhter künstlicher Radioaktivität weniger Mädchen geboren werden. Solche Auffälligkeiten habe es etwa nach Atomwaffentests, nach der Katastrophe von Tschernobyl – und auch in der Region um das Zwischenlager Gorleben gegeben, erklärte die Organisation in Berlin. Angesichts der Unregelmäßigkeiten in den Geburtenstatistiken verlangt die DUH von der Bundesregierung nun »einen systematischen Versuch der wissenschaftlichen Aufklärung«. Das sei man den Menschen in den betroffenen Regionen in Deutschland schuldig.
Zuletzt hätten Wissenschaftler in einem Radius von 40 Kilometern um Gorleben ein »Mädchendefizit« ermittelt – und zwar genau seit 1995, als die ersten Castor-Behälter mit hochradioaktiven Abfällen in die Region gerollt seien. Von 1996 bis 2010 seien dort fast tausend Mädchen weniger zur Welt gekommen, als nach den Statistiken der Vorjahre zu erwarten gewesen wären. Dies, obwohl die künstliche Strahlenbelastung hier weit unter den erlaubten Grenzwerten liege, betonte Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse der DUH. Auswertungen etwa am niedersächsischen Atommüllager Asse hätten ähnliche Resultate erbracht. Professor Karl Sperling vom Institut für Medizinische Genetik und Humangenetik der Charité in Berlin betonte bei der Vorstellung der Analysen, der Zufall sei als Erklärung wegen der vielen übereinstimmenden Befunde in aus unterschiedlichen Gründen radioaktiv belasteten Regionen auszuschließen.
Am Samstag wollen Aktivisten in Gorleben ab 13 Uhr erneut gegen eine Nutzung des ehemaligen Salzstocks als Endlager für hochradioaktiven Müll und für einen konsequenten Atomausstieg demonstrieren. Anlaß ist unter anderem der Jahrestag des Reaktorunfalls im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986.
Informationen zu den Aktionen in Gorleben: www.ausgestrahlt.de