»Uns geht es nicht nur um die Nordsee«
Erdgas-Katastrophe vor Schottland: Greenpeace fordert Verzicht auf Förderung in »sensiblen« Regionen. Gespräch mit Jörg Feddern
Interview: Peter Wolter
Jörg Feddern ist Meeresexperte des deutschen Zweigs von Greenpeace
An der Bohrinsel »Elgin« vor der schottischen Nordseeküste tritt eine große Menge Erdgas aus – die Besatzung wurde evakuiert, das umgebende Seegebiet wegen Vergiftungs- und Explosionsgefahr gesperrt. Bisher gibt es nur wenige Informationen über das Unglück – was weiß Greenpeace darüber?
Bisher leider auch nur wenig. Fest steht, daß erhebliche Mengen Gas ausströmen – hauptsächlich Methan, aber auch Schwefelwasserstoff und Kohlendioxyd. Wir wissen auch, daß Experten des Betreiberkonzerns Total beraten, wie sie dieses unkontrollierten Gasaustritts Herr werden können. In der Diskussion ist u.a. eine Entlastungsbohrung, um das beschädigte Bohrloch schräg von der Seite her zu stopfen. Das allerdings würde Monate dauern – und solange würde weiter Gas austreten.
Die Öffentlichkeit ist bislang noch auf Informationen von Total angewiesen. Gibt es unabhängige Quellen?
Die britischen Behörden haben das Sperrgebiet um »Elgin« herum von Schiffen und Flugzeugen aus kontrolliert – die Angaben des Konzerns werden also überprüft. Auch Greenpeace hat ein Flugzeug dorthin geschickt. Allerdings besteht weiterhin Explosionsgefahr und das Flugzeug bleibt außerhalb der Sperrzone. Wenn sich das Methan entzünden sollte, könnte es eine katastrophale Explosion geben. Es war richtig, »Elgin« sofort zu evakuieren, auch das Personal benachbarter Bohrinseln wurde in Sicherheit gebracht.
Und wie sieht es mit der Vergiftungsgefahr aus?
Der Schwefelwasserstoff ist hochgiftig, die Unglücksstelle ist allerdings über 200 Kilometer von der schottischen Küste entfernt, dort droht keine Gefahr. Mit dem Gas tritt auch Kondensat aus – also leichtes und flüchtiges Öl, das sich als Film auf der Wasserfläche absetzt. Der verdampft mit der Zeit, die Gefahr ist also gering, daß Meeresfauna, Wasser und Strände mit Öl verschmutzt werden, wie es 2010 im Golf von Mexiko nach dem Untergang der Plattform »Deep Water Horizon« geschehen ist. Wir werden das weiter beobachten.
Methan ist ebenfalls giftig, vor allem aber umweltschädlich: Es wirkt 21mal stärker als Kohlendioxyd.
Wie geht es jetzt weiter?
Total wird sicher alles tun, um das Leck schnell abzudichten. Unsere Forderungen gehen weiter – das ist ja nicht der erste Unfall dieser Art in der Nordsee. Dort gibt es insgesamt etwa 450 große Öl- und Gasplattformen, die Fördergebiete sind ein riesiges Industrierevier. Jedes Jahr passieren dort Hunderte Unfälle dieser Art – wenn auch nicht immer ganz so schlimme wie im aktuellen Fall. Die Anlagen stammen zum Teil aus den 70er Jahren und sind nicht unbedingt mit der modernsten Technik ausgestattet. Die muß dringend auf den neuesten Stand gebracht werden; sollte das nicht funktionieren, ist die betreffende Plattform stillzulegen.
Die Ölkonzerne müßten doch eigentlich gewarnt sein – hat es nicht in der Nordsee schon schlimme Unfälle gegeben?
1988 ist – ebenfalls vor der schottischen Küste – die Gasbohrplattform »Piper Alpha« in die Luft geflogen, 167 Arbeiter kamen dabei um.
Seit den 80er Jahren gibt es übrigens, wenige hundert Kilometer von »Elgin« entfernt, ein Bohrloch von Esso. Bei der Suche noch Öl hatten die Techniker eine Gasblase angestochen – seitdem blubbert und sprudelt dort Methan aus dem Meer. Das ursprüngliche Bohrloch im Meeresboden hat sich mittlerweile zu einem riesengroßen Krater ausgewachsen. Die Stelle ist in Seekarten verzeichnet, der Schiffahrt wird geraten, sie zu umfahren. Die Gasmengen, die dort austreten, sind so relevant, daß sie in den internationalen Klimaverhandlungen eine Rolle spielen.
Uns geht es aber nicht nur um die Nordsee – ich erinnere nur an die erwähnte »Deep Water Horizon«. Und jetzt schielt die Ölindustrie sogar schon auf die Arktis, Shell will in diesem Sommer nördlich von Alaska die ersten Bohrungen niederbringen. Der Konzern betont zwar, er habe technisch alles im Griff – aber der aktuelle Unfall vor Schottland zeigt, daß eben nicht alles im Griff ist. Wir fordern daher, daß die Ölindustrie ihre Finger von so sensiblen Regionen wie der Arktis läßt.