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Der Wahn von der Kernfusion

in Argumente gegen Atom und Kohle 16.06.2011 09:14
von Renovable • 51 Beiträge

Meinung - 15.06.2011

Gastbeitrag
Der Wahn von der Kernfusion


Von Matthias Ruchser

Nach wie vor steckt die Bundesregierung Millionen in die Erforschung
nuklearer Energie. Das viele Geld ist bei den Erneuerbaren besser
aufgehoben.

Die Debatte über Laufzeitverlängerungen für deutsche Kernkraftwerke ist
vorbei, der Atomausstieg beschlossene Sache. Jetzt rächen sich die
energie- und forschungspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung
der vergangenen Jahre. Nach ihrem Amtsantritt hat die neue
Bundesregierung 2009 die Gewichtungen des Energieforschungshaushalts
stark verändert. So hat sie die Forschungsgelder für Atomenergie und
Kernfusion – die bereits während der großen Koalition erhöht wurden –
weiter aufgestockt. Betrugen die Aufwendungen für nukleare
Energieforschung 2008 bereits 186 Millionen Euro, so erhöhte die
Bundesregierung den Etat bis zum Jahr 2010 weiter auf 233,2 Millionen
Euro. Hinzu kommen die Mittel für die Beseitigung von kerntechnischen
Anlagen in Höhe von 251,6 Millionen Euro sowie institutionelle und
projektbezogene Forschungsgelder in Millionenhöhe. Die Aufwendungen für
die Kernfusionsforschung stiegen von 119,4 Millionen in 2008 auf 143
Millionen Euro im Jahr 2010. Doch auch diese Beträge reichten nicht
aus, um substanzielle Fortschritte in der Fusionsforschung zu
erreichen. Zusätzlich beteiligt sich Deutschland am Bau eines
Versuchs-Fusionsreaktors in Frankreich, dessen Kosten sich noch vor
Baubeginn auf 15 Milliarden Euro verdreifacht haben.

Kann Deutschland es sich nach der beschlossenen Energie(kehrt)wende
leisten, weiter den Irrweg der Kernfusion mit steuergeldfinanzierten
Forschungsmilliarden zu beschreiten, obwohl die Kernfusion trotz
jahrzehntelanger Forschung bis heute keine einzige Kilowattstunde Strom
in das öffentliche Stromnetz eingespeist hat? Die erneuerbaren
Energien, die im gleichen Zeitraum weit weniger Forschungsgelder
erhalten haben, decken hingegen inzwischen 17 Prozent des deutschen
Strombedarfs. Und seit Jahrzehnten sagen uns die Kernfusionsforscher
immer das Gleiche: Die Kernfusion wird in frühestens 30 bis 40 Jahren
zur Verfügung stehen. Damit Forschungsgelder für zukunftsfähige
Energietechnologien frei werden, sollte Deutschland aus der
Kernfusionsforschung aussteigen. Nuklearforschung sollte auf die
Beseitigung kerntechnischer Anlagen sowie auf Sicherheits- und
Endlagerforschung reduziert werden.

Im Gegensatz dazu argumentiert die Nationale Akademie der
Wissenschaften Leopoldina, dass Energieforschung langfristig ein
breites Themenspektrum bearbeiten und die gesamte Spanne von
Grundlagenforschung, auch wenn diese nicht dem derzeitigen Mainstream
entspricht, umfassen sollte. Diese Logik schließt die
Kernfusionsforschung mit ein; interessanterweise bezeichnete die
Leopoldina die Kernfusion noch 2009 als regenerative Energie. Ein
kernenergiefreies Deutschland, das laut Erneuerbare-Energien-Branche
bis zum Jahr 2050 mit „echten“ erneuerbaren Energien annähernd 100
Prozent seiner Stromversorgung sicherstellen kann, braucht keine
Kernfusion und somit auch keine Kernfusionsforschung.

Neuer Fokus

Wer wirklich eine Energiewende erreichen will, muss eine Kurskorrektur
bei der Energieforschung vornehmen. Dies umso mehr, da nach dem
krisenbedingten Rückgang der Energienachfrage und der
Treibhausgasemissionen im Jahr 2009 die Internationale Energieagentur
schätzt, dass die energiebedingten Treibhausgasemissionen im Jahr 2010
ein Allzeithoch erreicht haben. In seinem aktuellen Global Energy
Review berichtet der Ölkonzern BP, dass China die USA inzwischen als
größten Energieverbraucher abgelöst hat. Allein 2010 führte das
Wirtschaftswachstum Chinas zu einem elfprozentigen Anstieg des
Energiebedarfs.

Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Trends ergeben sich große
Wettbewerbsvorteile für die Exportnation Deutschland. Während im Zuge
der Finanzkrise fast alle Industriezweige Rückgänge zu verzeichnen
hatten, war das Wachstum bei den erneuerbaren Energien 2009
ungebrochen. Rund 19 Prozent des globalen Primärenergieverbrauchs wird
inzwischen durch erneuerbare Energien abgedeckt. Seit 2008 werden in
Europa und den USA mehr Erneuerbare-Energien-Kapazitäten installiert
als konventionelle Energieerzeugung.

Mit dem 6. Energieforschungsprogramm hat die Bundesregierung jetzt die
Chance, durch eine Korrektur ihrer bisherigen Forschungsschwerpunkte
Deutschland zum internationalen Innovations-Champion bei der Steigerung
der Energieeffizienz sowie beim Ausbau der erneuerbaren Energien und
der Stromnetze zu machen. Wer argumentiert – wie die Bundeskanzlerin in
ihrer Regierungserklärung letzte Woche –, dass die Neubewertung der
Risiken der Atomkraft im Lichte der Ereignisse von Fukushima einen
Ausstieg aus der Kernenergie notwendig macht, der muss in einem
weiteren Schritt den Fokus der Energieforschung auf Energieeffizienz,
erneuerbare Energien, Energiespeicher und Übertragungsnetze richten.

Matthias Ruchser arbeitet als Berater in der Energiewirtschaft und ist
Leiter der Stabsstelle Kommunikation des Deutschen Instituts für
Entwicklungspolitik.

http://www.fr-online.de/politik/meinung/...52/-/index.html

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