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RWE und der Klimawandel

in News 24.02.2011 20:05
von Wilhard • 495 Beiträge

Es winkt die RWE-Lobby
von Stefan Rahmstorf, 23. Februar 2011, 21:45 Original-Nachricht

Bislang herrscht in Deutschland unter den Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ein erfreulicher Konsens, Klimaschutz sachlich fundiert auf der Grundlage seriöser Wissenschaft zu diskutieren. Anders in den USA: dort hat sich etwa die konservative "Tea Party" Bewegung auf die Fahnen geschrieben, dass der anthropogene Klimawandel ein Hirngespinst ist, und maßgebliche Teile der Wirtschaft machen Lobbyarbeit mit dubiosen "Klimaskeptiker"-Thesen.

Greift dies nun auch auf Deutschland über? Das legt unter anderem ein "Essay" von RWE-Manager Fritz Vahrenholt in der Welt nahe (Die kalte Sonne, 22.12.2010). Es ist ein außerordentliches Lehrstück der Verdrehung wissenschaftlicher Fakten, das eine genauere Betrachtung lohnt.

Normaler, kalter Winter

Vahrenholt beginnt:

Der zweite außergewöhnlich kalte Winter in Nordeuropa und Nordamerika kündigt sich an, und schon gibt es erste Zweifel an der durch Klimagase verursachten globalen Erwärmung. Mojib Latif, einer der Protagonisten der Klimaforschung, überraschte kürzlich mit der Aussage: Die Erwärmung verstecke sich hinter der Abkühlung."

Zwar war der letzte Winter 2009/2010 in Deutschland der kälteste seit zehn Jahren, aber keineswegs außergewöhnlich kalt - in jedem Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gab es einen kälteren Winter, oft sogar zwei oder drei (wie in den 1980ern). Der Winter kam uns nur deshalb kalt vor, weil wir uns an milde Temperaturen gewöhnt hatten: der Winter 2006/2007 etwa war der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1761. Zudem erlauben lokal kalte Winter keine Rückschlüsse auf die globale Durchschnittstemperatur: laut NASA-Daten war der letzte Winter weltweit der zweitwärmste hinter 2006/2007.

Kein seriöser Forscher hat deshalb Zweifel an der globalen Erwärmung, schon gar nicht Mojib Latif, dessen zitierte Aussage auch gar nichts mit den kalten Wintern zu tun hat. Sie ist älter und bezog sich auf seine Modellprognose einer vorübergehenden globalen Abkühlung, die aber - wie wir inzwischen wissen - nicht eingetroffen ist. Latif hat sich bereits vor einem Jahr in der britischen Tageszeitung Guardian gegen solche politisch motivierte Verdrehung seiner Aussagen gewehrt.

Vahrenholt behauptet weiter, seit 1998 mache die globale Erwärmung Pause. Auch das ist falsch: in allen fünf gängigen globalen Klimadatenreihen zeigt der Trend selbst ab 1998 weiter nach oben. Dabei ist die Wahl von 1998 als Anfangsjahr durchaus trickreich, denn aufgrund eines singulären Ereignisses (dem stärksten El Niño im Pazifik seit Beginn der Aufzeichnungen) ragt 1998 besonders weit über den Klimatrend hinaus. Auch hier zitiert Vahrenholt zum Beleg seiner falschen These einen führenden Klimaforscher:

Kevin Trenberth [...] bekannte nun: "Es ist eine Schande, dass die Wissenschaft die derzeitige Pause der Erderwärmung nicht erklären kann".

Allerdings ist auch dieses Zitat in anderem Kontext gefallen, und die Worte "derzeitige Pause der Erderwärmung" kommen im Original gar nicht vor. Trenberth hat selbst umgehend in der Welt (24.12.2010) klargestellt, dass das Zitat falsch ist und schreibt: "Die entsprechenden Daten zeigen auch keine Pause in der globalen Erderwärmung seit dem Jahr 1998, wie es in dem Beitrag fälschlicherweise behauptet wird." Wie man seinem Originalzitat aus dem Jahr 2009 (und dem zugehörigen Fachartikel) unschwer entnehmen kann, ging es ihm um etwas ganz anderes: nämlich darum, dass unser Beobachtungssystem noch nicht genau genug ist, um aus den u.a. von Satelliten gemessenen Wärmeflüssen die natürlichen Temperaturschwankungen von Jahr zu Jahr zu erklären - etwa weshalb 2008 etwas kälter als 2007 war. Auch Trenberth hat sich bereits vor einem Jahr öffentlich gegen die Verdrehung seiner Aussage gewehrt.
Es geht nicht um die Sonne

Trenberth ist Leiter der Abteilung Klimaanalyse am Nationalen Atmosphärenforschungszentrum der USA und nach seiner Publikationsbilanz unbestritten einer der absoluten Top-Klimaforscher der Welt. Statt ihn falsch zu zitieren um seine eigenen dubiosen Thesen zu stützen sollte Vahrenholt besser zuhören, was Trenberth wirklich sagt. Etwa zur Hitzewelle in Moskau und der Flutkatastrophe in Pakistan: "Diese Ereignisse wären ohne die globale Erwärmung nicht passiert". Eine Erkenntnis, die auch mit unseren eigenen Datenauswertungen übereinstimmt.

Vahrenholt versucht stattdessen, die fiktive Pause der Erderwärmung, kalte Winter und Wetterextreme gleichermaßen auf die Sonnenaktivität zu schieben:

It's the sun, stupid!

Sein Kronzeuge ist der britische Forscher Mike Lockwood, der laut Vahrenholt "den Nachweis führen konnte, dass die heißen Sommer in Russland und die kalten Winter in Nordeuropa die gleiche Ursache haben: Veränderungen der Sonnenflecken". Tatsächlich hat Lockwood einen statistischen Zusammenhang zwischen den Wintertemperaturen in England und der Sonnenaktivität gefunden. Vahrenholt verschweigt aber, wie schwach dieser ist: er erklärt nur fünf Prozent der Temperaturschwankungen! Der wärmste Winter seit 250 Jahren (2006/2007) fand gerade im Sonnenminimum statt, das laut Lockwood kalte Winter etwas begünstigt. Lockwood selbst sagt dazu: "Die Wirkung der vom Menschen verursachten Treibhausgase auf den Klimawandel der letzten Jahrzehnte ist ein Vielfaches größer als der Effekt von solaren Schwankungen".

Überzeugende Korrelation? Ein Scatterplot des von Lockwood gefundenen Zusammenhangs von Sonnenaktivität (x-Achse) und Wintertemperaturen in England (y-Achse). Mit einem Korrelationskoeffizienten r=0,23 erklärt dies gerade mal 5% der Varianz - doch Vahrenholt (immerhin promovierter Naturwissenschaftler) verkauft diese schwache Korrelation dem Laienpublikum als "Nachweis" für "die Ursache". (Quelle: Lockwood et al 2010)
Unredliche Argumente

Vahrenholts Beitrag ist durchtränkt vom Vorwurf gegenüber Klimaforschern, sie würden natürliche Klimafaktoren wie die Sonne nicht ernsthaft erforschen. Eine bewährte Methode der "Klimaskeptiker": einfach unsinnige Vorwürfe erheben, etwas wird schon hängenbleiben. Dabei widerlegen alle von ihm zitierten Forscher seine These, indem sie zu natürlichen Klimaschwankungen forschen. Allein 2010 sind in der Fachliteratur hunderte Studien zum Zusammenhang von Sonnenaktivität und Klima erschienen. Dass dabei dennoch Vieles ungeklärt bleibt, hat einen simplen Grund: die Wirkung der Sonnenschwankungen auf das Klima ist derart schwach, dass sie trotz des charakteristischen 11-jährigen Sonnenzyklus nur schwer in Klimadaten zu entdecken ist.

Zweifelhaft? Den Zusammenhang zwischen CO2 und globaler Temperatur findet Vahrenholt offenbar weniger überzeugend, auch wenn er nicht 5% sondern 79% der Varianz erklärt. Dabei wurde dieser Zusammhang nicht erst aufgrund einer beobachteten Korrelation festgestellt, sondern aufgrund der verstandenen Physik vorhergesagt, lange bevor er sich dann in den Beobachtungsdaten bestätigte. (Quelle)


Auch ich habe mehr Studien zu natürlichen als zu menschlichen Klimaeinflüssen publiziert, auch zur Sonnenaktivität. Vahrenholt gefällt nur das Ergebnis nicht: etwa dass auch ein neues großes Sonnenminimum die globale Erwärmung nur um wenige Zehntel Grad abschwächen würde. Am Ende schreibt er zu unseren Resultaten:

Ob sich die Sonne nach dem Potsdamer Modell verhält oder wie in der kleinen Eiszeit - wir wissen nicht, was die Natur bereithält.

Er verschweigt, dass auch im größten Sonnenminimum der 'kleinen Eiszeit', im so genannten Maunder-Minimum des späten 17. Jahrhunderts, die globale Temperatur nur wenige Zehntel kühler war als davor und danach, und dass unser Modell den damaligen Temperaturverlauf gut wiedergibt - sonst hätten wir es nicht für eine Zukunftsprojektion verwendet.

Vahrenholt hat nicht ein seriöses Sachargument gegen die anthropogene Erwärmung und beweist damit einmal mehr: wer Zweifel an der Dringlichkeit von Klimaschutz säen will, muss schon kräftig die Tatsachen verdrehen. Doch nur mit einer ehrlichen Debatte kann die Klimakrise bewältigt werden.

Anders als das Lobbyisten-Zerrbild der Klimaforschung, das prominent auf Seite 2 gedruckt wurde, wollte die Welt diesen Kommentar ihren Lesern lieber nicht zumuten. Stattdessen publizieren wir ihn in (zumindest für uns) innovativer Zusammenarbeit mit der Berliner tageszeitung, die zeitgleich eine leicht gekürzte Fassung abdruckt. So erreichen wir einerseits eine breitere Leserschaft, andererseits können taz-Leser hier im Blog eine ausführlichere Fassung mit allen verlinkten Quellen und den Grafiken nutzen.


Herr Elch ist gross, sein Hirn ist klein und sein Verhalten sehr gemein. (Prof. Fritz Weigle, alias F.W. Bernstein)

zuletzt bearbeitet 24.02.2011 20:14 | nach oben springen


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