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Sojafieber hält an
Keine Grenzen: Auch in Brasiliens nördlichstem Staat Roraima wachsen die Monokulturen. Zu Lasten von Naturwald und Rinderhaltung
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
In Brasilien ist die Bohne weiter auf dem Vormarsch: Verglichen mit der Saison 2010/2011 nahm die Anbaufläche von Sojabohnen 2012/2013 um rund 15 Prozent auf 27,8 Millionen Hektar zu. Am stärksten im Westen und Norden Amazoniens. So verdoppelten sich im genannten Zeitraum im Staat Roraima diese Monokulturen von 3700 auf 8500 Hektar. Roraimas Landwirtschaftsministerium erwartet in diesem Jahr sogar eine Steigerung auf 25000 Hektar. Im Bundesstaat Rondônia wurden die Sojaflächen von 150000 auf 200000 Hektar vergrößert. Geschätzte Wachstumsrate in diesem Jahr: 25 Prozent.
Dieses Fieber hat Ursachen. In erster Linie sind das staatliche Förderprogramme für das Agrobusiness wie das »Programa de Incentivo ao Agronegócio do Governo de Roraima«. Auch die Banco do Brasil und die staatliche Banco da Amazônia (Basa) steuern Fördergeldern in Millionenhöhe bei. Bereits 2009 lockte Gouverneur José de Anchieta Júnior Sojafarmer, denen es in Mato Grosso oder Südbrasilien zu eng geworden war, nach Roraima. Als Köder dienten sechs Millionen Hektar Staatsland, teilweise mit Regen- und Cerradowald bewachsene Gebiete. Die stehen nun zur Privatisierung an. Und das zu einem lächerlich niedrigen Preis von umgerechnet rund 100 bis 300 Euro je Hektar – was in Rio de Janeiro etwa einem Wert von 50 bis 200 Flaschen Bier entspricht.
Sicherheit garantiert
Vier der im Angebot befindlichen sechs Millionen Hektar seien als Cerrados (Savannen) ideal zum Anbau für jegliche Ackerkultur, meint Anchieta Júnior. Und 1,2 Millionen Hektar davon seien laut landwirtschaftlicher Forschungsanstalt Embrapa bestens geeignet für Soja. Die Investoren bräuchten zudem keine Angst vor Konflikten mit indigenen Einwohnern der Region und deren Besitzansprüchen zu haben. Die Gebiete seien indianerfrei, denn Brasiliens Oberster Gerichtshof garantiere, daß eine Ausweitung der bestehenden Reservate auf diese Flächen nicht vorgesehen sei, versicherte Landwirtschaftsminister Gilberto Uemura.
Einer der ersten Investoren, der Anchietas Ruf folgte, ist André Roberto Buss von der Soja-Gruppe Union aus Mato Grosso. Die hat bereits 4000 Hektar in Roraima unter dem Pflug und will die Fläche auf 100000 Hektar ausweiten.
Nach dem Willen der Regierung dieses Bundesstaates sollen die unverarbeiteten Bohnen nicht wie üblich exportiert werden, sondern im Rahmen lokaler »Veredelung« in Hühnerbrüste, Geflügelschlegel, Schweinehälften und Zuchtfischfilets sowie in Biodiesel verwandelt werden. Die erste große Dieselanlage der Firma Biocapital steht bereits. Auch die Gruppe Union wähnt das große Geschäft in Roraima in der »Veredelung« der Bohne, um die Nachbarmärkte Venezuela, Guayana und die Karibik mit Produkten aus der Massentierhaltung zu versorgen.
In Westamazonien ist es vor allem die staatliche Embrapa, die die Monokulturen vorantreibt. Mit ihrem Programm »Dias de Campo de Soja« bringt sie die vermeintliche Wunderbohne bis in die hintersten Winkel Rondônias. Ziel ist es, die bereits in der Region ansässigen Farmer und Viehzüchter von deren Segnungen zu überzeugen. Gerade der Norden Rondônias mit seinen großen Rinderbetrieben und der Nähe zum Hafen von Porto Velho seien ideal für den Sojaanbau. Die Embrapa biete den landwirtschaftlichen Betrieben moderne Technologie an, »um auf kleineren Flächen mehr zu produzieren«, so der Chef des Programms, Samuel Oliveira. Damit werde Rondônia, der westliche Nachbar Mato Grossos, mit dem internationalen Agrobusineß konkurrieren und gleichzeitig in der Bodenqualität degradierte Rinderweiden regenerieren können. Laut dem Embrapa-Vertreter Vicente Godinho sind bereits über 70 Prozent der Böden der einst durch Kahlschlag gewonnenen Weideflächen des Bundesstaates mehr oder weniger ausgelaugt und könnten mittels Soja wieder fit gemacht werden.
Kein Zurück mehr
Die Umwandlung von extensiv genutzten Rinderweiden in intensiv bewirtschaftete Monokulturen ist bereits seit Jahren einer der Haupttrends in Brasilien sowie in den Nachbarländern Argentinien und Uruguay. Zwischen 1995 und 2006 ging laut aktuellem Agrarzensus des Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística (IBGE) die Fläche der Naturweiden in Brasilien um 20,7 Millionen Hektar zurück (minus 26,6 Prozent). In diesem Zeitraum verloren besonders die traditionell auf extensive Rinderzucht setzenden Bundesstaaten Minas Gerais (minus 6,4 Millionen Hektar), Tocantins (minus 2,9 Millionen Hektar), Bahia (minus 2,7 Millionen Hektar), Rio Grande do Sul (minus 2,2 Millionen Hektar) und Goiás (minus 2,0 Millionen Hektar) die meisten Naturweiden. Die künstlich, in der Regel nach Kahlschlag, in Amazonien angelegten Flächen hingegen wurden in diesem Zeitraum um 1,7 Millionen Hektar vergrößert.
Gegenüber dem letzten Zensus von 1996 legte die Zahl der Rinder in ganz Brasilien um 12,1 Prozent auf 171,6 Millionen im Jahr 2006 zu. Den größten Zuwachs verzeichnete indes der Amazonasstaat Pará mit fast 120 Prozent. Die traditionelle und nachhaltige Rinderzucht in der Pamparegion des südlichen Bundesstaates Rio Grande do Sul ging hingegen um 15,4 Prozent zurück. Dabei liefert dieses natürliche Grasland-Ökosystem das qualitativ hochwertigste Rindfleisch Brasiliens. Doch die Viehwirtschaft ist in diesem Teil des Landes nicht mehr konkurrenzfähig, die Pampavegetation wird vor allem durch Soja- und Eukalyptusmonokulturen ersetzt.
Die traditionelle Tierhaltung könne nicht mehr mit dem Sojaanbau oder anderen Monokulturen mithalten, so die landwirtschaftliche Vereinigung (Farsul) Rio Grande do Suls. »Da gibt es schlicht kein Zurück mehr«, zitierte im Februar die Zeitschrift Do Valor den Farsul-Direktor Gedeão Avancini Pereira. Jeder Hektar Soja bringe dem Produzenten 2400 bis 3600 Reais (rund 1000 bis 1500 Euro) im Jahr ein. Mit traditioneller Rinderzucht hingegen ließe sich nur 200 Reais (rund 85 Euro) je Hektar verdienen. Für Brasiliens Durchschnittsbevölkerung bedeutet der Rückgang der traditionellen Fleischproduktion bei gleichzeitig zunehmender Rinderzucht im fernen Amazonien kontinuierlich steigende Fleischpreise bei sinkender Qualität.
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