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#1

Interview zum Wahlprogramm der Linkspartei

in Politik und Wirtschaft 21.04.2013 23:46
von Lisadill • 744 Beiträge

»Da muß die Basis mehr Druck machen«
Im Entwurf des Wahlprogramms der Linkspartei stehen auch kirchenkritische Forderungen. Gespräch mit Ralf Michalowsky
Interview: Peter Wolter

Unser Gesprächspartner
Ralf Michalowsky ist ­Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft ­Laizismus der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen

Die Linkspartei hatte sich bisher in Sachen Religions- und Kirchenkritik zurückgehalten – setzt der Ende vergangener Woche in Berlin vorgestellte Entwurf des Wahlprogramms neue Akzente?
»Zurückgehalten« ist wohl nicht das treffende Wort, immerhin war es Die Linke, die im Bundestag eingefordert hat, daß auch für die 1,3 Millionen kirchlich Beschäftigten normale Arbeitnehmerrechte gelten. Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Laizismus in NRW hatte ursprünglich einen Katalog von 32 Forderungen zur Trennung von Staat und Kirche erarbeitet – die haben wir auf fünf eingedampft.

Welche wären das?
Erstens: Das Betriebsverfassungs- und das Antidiskriminierungsgesetz haben auch für den kirchlichen Bereich zu gelten. Zweitens: Abschaffung der staatlich finanzierten Militärseelsorge. Drittens: Entschädigungslose Ablösung der 200 Jahre alten Staatsverträge. Die sehen nämlich vor, daß die Kirchen Anspruch auf Leistungen des Staates haben. Bischöfe und Kardinäle z.B. bekommen bis zum Lebensende Staatssekretärsgehälter, zusätzlich Dienstwagen mit Fahrer und freies Wohnen. Wenn man alle Bundesländer zusammenrechnet, ergibt allein dieser Posten 286 Millionen Euro im Jahr.

Der Gesetzentwurf, den unsere Fraktion in den Bundestag eingebracht hat, sah vor, diese Zahlungen mit einem Abschlag von zehn Milliarden Euro abzulösen.

Wieso das? Warum sollte man den Kirchen noch Geld hinterherwerfen, nachdem sie sich über Jahrhunderte bereichert haben?
Das sehen wir auch so, unsere LAG verlangt deswegen die entschädigungslose Einstellung aller Zahlungen. Die Kirchen wollen übrigens 24 Milliarden Euro als Ablösung.

Das waren drei Punkte, zwei fehlen noch …
Die wurden leider nicht übernommen. Zum einen geht es um die Kirchensteuer: Wir meinen, daß die Kirchen selbst zusehen sollen, wie sie an das Geld ihrer Schäfchen kommen, daß sie also nicht den Staat als Inkassofirma mißbrauchen dürfen. Zum anderen geht es um den Kirchenaustritt, der muß direkt, problemlos und kostenlos sein. Es ist ein Unding, daß man zwangsweise über die Eltern in die Kirche aufgenommen wird – wenn man aber austreten will, muß man in NRW zum Amtsgericht gehen und auch noch 30 Euro bezahlen.

Auch Abschaffung des Religionsunterrichts?
In öffentlichen Schulen hat er ebensowenig verloren wie Gottesdienste, Gebete und religiöse Symbole – leider steht das nicht im Programmentwurf. »Säkularisierung« und »Laizismus« kommen darin auch nicht vor.

Woher kommt denn der Widerstand?
Unter anderem aus dem Umfeld von Bodo Ramelow, der war bis September 2009 religionspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Etwa 40 Prozent der Bundesbürger gehören keiner Konfession an, in meiner Partei sind es 79 Prozent. Man sollte meinen, daß sich das in der Klarheit kirchenkritischer Forderungen niederschlägt – aber in Parteien kommt es nicht immer auf die Meinung der Mitglieder, sondern oft auf die der Exponenten an.

Nicht nur Bodo Ramelow, auch Gregor Gysi hat ein Auge darauf, daß die Kirchen nicht verprellt werden. Oskar Lafontaine ist Katholik, in einer Talkshow hat er megapeinliche Äußerungen zu seiner klösterlichen Erziehung von sich gegeben. Einige andere an der Spitze der Partei sind genauso drauf – und dagegen muß die Basis mehr Druck machen. Das ist ja auch nicht erfolglos, was man daran sehen kann, daß ein Teil unserer Forderungen in den Leitantrag übernommen wurde. Am kommenden Samstag wird in Erfurt übrigens die Bundesarbeitsgemeinschaft Laizismus gegründet.

Das Wahlprogramm zielt mit diesen Passagen vor allem auf die katholische und die evangelische Kirche. Was ist mit dem Judentum und dem Islam? In der Beschneidungsdebatte hatten einige linke Bundestagsabgeordnete durchaus Verständnis dafür signalisiert, daß kleinen Jungen aus religiösen Motiven ein Stück vom Penis abgeschnitten wird …
Zum einen spielt die Angst eine Rolle, es könnte das Wort »Antisemitismus« fallen, zum anderen auch, weil mancher unserer Abgeordneten auf die Stimmen von Migranten angewiesen ist. Für mich ist das allerdings blanker Opportunismus.

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#2

RE: Interview zum Wahlprogramm der Linkspartei

in Politik und Wirtschaft 22.04.2013 22:07
von Lisadill • 744 Beiträge

»Die Linke wird gebraucht«
Über den Täuschungskurs der Agenda-Parteien und eine Sozialpolitik im Interesse aller Bürger. Ein Gespräch mit Sabine Zimmermann
Interview: Markus Bernhardt
Bild 1
Sabine Zimmermann
Sabine Zimmermann ist Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag und deren arbeitsmarktpolitische Sprecherin. Die gelernte Baustofftechnologin leitet im Parlament den Ausschuß für Arbeit und Soziales. Sie ist zugleich Geschäftsführerin der DGB-Region Südwestsachsen und Mitglied im Bundesvorstand der Linkspartei

Die SPD hat kürzlich ihr Wahlprogramm beschlossen. Viele sehen darin einen Linksruck, Unternehmerverbände warnen die Sozialdemokratie, sich von der Agenda-2010-Politik abzuwenden. Ist dieser Kurswechsel der SPD ein Problem für Die Linke?
Ich sehe das etwas anders. Im Kern hat die Partei und haben handelnde Personen nicht mit der Agenda-Politik gebrochen. Erst kürzlich veranstaltete die SPD zum zehnten Jahrestag der Agenda viele Feierlichkeiten. Natürlich wollen sie hier und da korrigieren. Aber nehmen wir das Beispiel Rente: Hier hält die SPD an der Rente mit 67 fest und will auch nichts an der Rentenformel ändern, die das Rentenniveau senkt. Und bei Hartz IV stellt die SPD weder eine Erhöhung des Regelsatzes noch ein Ende der Sanktionspraxis in Aussicht. Die Linke fährt hier als einzige Partei eine klare Linie.

Mag sein, aber in einigen Punkten wie Mindestlohn oder der gleichen Bezahlung der Leiharbeiter hat sich die SPD bewegt und fordert Ähnliches wie Ihre Partei …
Aussagen sind das eine, Taten das andere. Erinnern wir uns an den Wahlkampf 2005. Um Stimmen zu fangen, plakatierte die SPD damals gegen die »Merkelsteuer«. Nach der Wahl ging die SPD in die Große Koalition und erhöhte die Mehrwertsteuer, die vor allem die kleinen und mittleren Einkommen trifft, nicht nur von 16 auf 18 Prozent, wie es die Union gefordert hatte, sondern auf 19 Prozent! Also es gilt: kein falsches Vertrauen in Aussagen und Versprechungen der SPD. Abgesehen davon, fordern wir einen Mindestlohn von zehn Euro, weil nur dieser aus dem Niedriglohn befreit und im Alter eine Rente ohne Sozialleistungen gewährleisten kann.

Und ich teile vollständig die Überzeugung unseres Parteivorsitzenden Bernd Riexinger, den Kanzlerkandidaten der SPD betreffend: Eher werden Haifische zu Vegetariern umerzogen, als daß Steinbrück die Banken bändigt.

Aber gerade im Lager der Beschäftigten und Gewerkschaften wollen viele einen Politikwechsel. Merkel soll weg, und zwar durch »Rot-Rot-Grün«. Sollte Die Linke diesem Wunsch nicht Rechnung tragen?
Ja, aber die Frage ist, wie. Regierungswechsel ist das eine, ein tatsächlicher Politikwechsel das andere. Hier muß man bei SPD wie Grünen große Fragezeichen machen, wie ernst sie es meinen. Forderungen zu stellen, im Wissen, daß Union und FDP sie eh blockieren, ist leicht. Entscheidend ist immer der Test in der Praxis. Bei zentralen Fragen der EU-Krisenpolitik heben SPD und Grüne bisher mehrheitlich zu jeder Bankenrettung den Arm.

Und sie unterstützen zugleich mit den angeblichen Rettungshilfen für die EU-Krisenländer dort die Kürzungspakete und Mindestlohnsenkungen. Wenn sie es für diese Ländern machen, warum sollte es, falls die Krise nach Deutschland kommt, unter ihnen anders laufen?

Ich habe die feste Überzeugung, Die Linke wird gebraucht, und zwar mehr denn je. Das müssen wir deutlich machen. Viele unserer Ziele sind noch nicht erreicht. Wir müssen gesellschaftlichen Druck aufbauen für einen Politikwechsel, zusammen mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften. Das ist unsere Kernaufgabe. Wenn die Gleichstellung der Leiharbeiter im Bundestag zur Abstimmung steht, wird das an uns nicht scheitern. Verweigert haben sich bisher immer SPD und Grüne.

Ihre Partei bezieht sich stark auf die Gewerkschaften, hat ihnen und den Belangen der abhängig Beschäftigten im Wahlprogramm einen großen Stellenwert eingeräumt. Warum?
Roßtäuscherei vor den Wahlen: SPD-Kanzlerkandidat Pee
Roßtäuscherei vor den Wahlen: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück simuliert soziales Gewissen
Foto: Peter Kneffel/dpa
Es gibt nicht »die« Gewerkschaften. Es gibt über sechs Millionen Gewerkschaftsmitglieder. Viele von ihnen engagieren sich vor Ort für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne. Mit ihnen zusammen streiten wir für eine stärkere, kämpferische Ausrichtung der Gewerkschaften. Dabei geht es mir nicht um die Frage des Parteibuches. Starke und kämpferische Gewerkschaften sind unabdingbar, wenn wir die Gesellschaft sozialer und solidarischer machen wollen.

Anfang Februar gab es ein Treffen von DGB-Chef Michael Sommer mit dem Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), auf dem viel Einigkeit festgestellt wurde. Vielen in den Gewerkschaften und in der Friedensbewegung ist das übel aufgestoßen. Warum war diese Zusammenkunft überhaupt nötig?
Das müßten Sie Michael Sommer selbst fragen. Ich stehe Seite an Seite mit der Friedensbewegung, habe zu vielen Ostermärschen mit aufgerufen und gegen die Kriege im Irak und in Afghanistan mobil gemacht. Ich glaube, daß ist auch die Position der Gewerkschaften insgesamt. Zumindest gab es auf das Treffen von Sommer mit de Maizière einige Reaktionen in den Gewerkschaften.

Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren fuhr Die Linke das Rekord­ergebnis von 11,9 Prozent ein. Die Aufbruchstimmung von damals ist Ernüchterung gewichen. Obwohl es nicht weniger soziale Probleme gibt, steht Ihre Partei schlechter da. Warum?
Zunächst einmal sollten wir nüchtern feststellen: Die objektiven Umstände haben sich verändert. SPD und Grüne sind in der Opposition, blinken ein bißchen mehr links, das macht es uns nicht einfacher. Vor allem aber haben wir uns zu sehr mit uns selbst beschäftigt, anstatt nach außen zu gehen und zusammen mit anderen Politik zu machen. Das hat sich etwas verbessert.

Meine Erfahrung ist: Immer dann, wenn wir uns praktisch einbringen, Menschen, die für eine bessere Gesellschaft streiten, unterstützen, erhalten wir eine gute Resonanz. Das war meine Erfahrung bei der Schlecker-Kampagne, wo wir den Beschäftigten vor Ort den Rücken gestärkt haben. Das war so bei der Mobilisierung für die Bankenprotesttage »Blockupy« im letzten Jahr in Frankfurt am Main, wo wir eine große Veranstaltung mit internationalen Gästen für Solidarität in Europa hatten. Und das ist bei den Antinaziprotesten in Dresden und anderswo so, wo zahlreiche Mitglieder von uns wegen ihres zivilen Ungehorsams vor Gericht stehen. Mit einer solchen Arbeit verdienen wir uns den Respekt vieler Menschen, erhalten ihre Unterstützung und können sogar neue Mitglieder für die Partei gewinnen.

Was sind für Sie zentrale Themen, mit denen Die Linke im Wahlkampf punkten kann?
Ganz vorn stehen für mich die Fragen der sozialen Gerechtigkeit und einer fairen Arbeitswelt. Erwerbslosigkeit ist nach wie vor ein ungelöstes Problem. In der offiziellen Statistik sind gar nicht alle Erwerbslosen erfaßt, und viele pendeln zwischen Erwerbslosigkeit und prekärer Beschäftigung. Das ganze Hartz-System gehört abgeschafft. Kürzlich sollten bei mir in der Region in Plauen Erwerbslose Räumarbeiten auf einem Feld durchführen, in dessen Boden noch Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg liegen, was bekannt war. Das kann ja wohl nicht sein. Durch unseren Protest ist das gestoppt worden. Das macht deutlich, wie Erwerbslose in diesem System drangsaliert werden. Sie konnten noch nicht mal den Job ablehnen, sonst wären Sanktionen gegen sie verhängt worden.

Zum anderen müssen wir dem Trend zu Billiglöhnen und verschärfter Ausbeutung entgegentreten. Unsere Forderungen nach Mindestlohn, Verbot der Leiharbeit und Umwandlung der Minijobs in reguläre Beschäftigung, sind nicht nur für die Betroffenen wichtig, sie stellen die Verteilungsfrage. Ich nehme mal das Beispiel Einzelhandel, eine Branche mit knapp drei Millionen Beschäftigten, vor allem Frauen. Mit Minijobs, Leiharbeit und Werkverträgen ist hier das ganze Agenda-2010-Programm durchgezogen worden. Niedriglöhne sind auf dem Vormarsch. Der Staat bringt jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro Steuermittel auf, um die Löhne im Handel ergänzend mit Hartz IV aufzustocken. Zugleich erwirtschaftet der Einzelhandel jährlich über 20 Milliarden Euro Gewinn, und die Eigentümerfamilien von Aldi, Lidl und Co. führen die Liste der reichsten Deutschen an. So kann es nicht weitergehen. Die Frage der Regulierung des Arbeitsmarktes ist eine Verteilungsfrage. Die Kolleginnen im Einzelhandel, die jetzt um ihre Tarifverträge, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen, brauchen unsere volle Unterstützung.

Gleiches gilt für die Beschäftigten bei Amazon in Leipzig, die derzeit für einen Tarifvertrag kämpfen. Wir können hier praktische Solidarität üben und das mit unseren politischen Forderungen verbinden.

Aus aktuellem Anlaß: Der 1. Mai steht vor der Tür. Früher galt er als internationaler Kampftag der Arbeiterklasse, heute ist er aus Sicht vieler ein Ritual. Hat er noch eine Bedeutung?
Ich finde, ja. Aber er muß lebendiger werden und die aktuellen Fragen und Auseinandersetzungen widerspiegeln. Jeder und jede ist aufgerufen, dazu beizutragen. Und zum 80. Jahrestag der Zerschlagung der Gewerkschaften durch den deutschen Faschismus ist mir besonders wichtig: Wir müssen verhindern, daß die neuen Nazis den Tag für ihre Zwecke mißbrauchen. In verschiedenen Städten haben die Nazis eigene Demonstrationen angekündigt oder rufen sogar dazu auf, an den Gewerkschaftsdemos teilzunehmen. Dem müssen wir uns entgegenstellen. »1. Mai – nazifrei!«, das Motto gilt es, in die Tat umzusetzen mit möglichst breiter Beteiligung.

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